Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Abschleppmaßnahme

Aktenzeichen  M 7 K 16.4060

Datum:
18.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG Art. 9, Art. 25 Nr. 1, Art. 28 Abs. 3
StVO StVO § 41 Abs. 1, § 43 Abs. 3 Nr. 4
VwGO VwGO § 102 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Eine die Abschleppanordnung rechtfertigende Behinderung ist auch dann anzunehmen, wenn Verkehrsflächen durch verbotswidriges Parken in ihrer Funktion beeinträchtigt werden (Anschluss BVerwG NJW 2002, 2122). Dies ist bei einem eintägigen Parken in einer eingeschränkten Halteverbotszone in der Nähe eines Bahnhofs und Einkaufszentrums der Fall. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ungeachtet des Grundsatzes, dass die Nachteile, die mit einer Abschleppmaßnahme verbunden sind, nicht außer Verhältnis zur damit bezweckten Behebung der Verkehrsstörung stehen dürfen, können auch spezial- und generalpräventive Zwecken verfolgt werden, zum Beispiel in innerstädtischen Räumen mit großer Parkraumnot durch konsequentes Abschleppen bestimmte Missstände zurückzudrängen (Anschluss BVerwG NJW 2002, 2122). (redaktioneller Leitsatz)
3 Da die Inanspruchnahme auf Kostenerstattung nicht an Verschulden anknüpft, ist der Einwand des Kostenschuldners, er habe dringend ins Krankenhaus gemusst, unbeachtlich. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Nachdem der Kläger form- und fristgerecht unter Hinweis gem. § 102 Abs. 2 VwGO geladen worden ist, konnte über den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2016 auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage des Leistungsbescheids ist Art. 28 Abs. 3 Satz 1 bzw. Art. 9 Abs. 2, Art. 76 Polizeiaufgabengesetz (PAG) i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 Kostengesetz (KG), § 1 Polizeikostenverordnung (PolKV). Danach setzt die Kostenerhebung voraus, dass die Polizei anstelle des Verantwortlichen eine Sache sichergestellt bzw. eine Maßnahme unmittelbar ausgeführt hat und die abgerechneten Kosten dafür angefallen sind; des Weiteren nach allgemeiner Meinung, dass die zugrunde liegende Maßnahme im maßgeblichen Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens rechtmäßig gewesen ist (Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, 4. Aufl. 2014, Art. 76 PAG Rn. 28, Art. 11 PAG Rn. 22; Berner/Köhler/Käß, PAG, 20. Aufl. 2010, Art. 76 Rn. 23; BayVGH, U. v. 17. April 2008 – 10 B 08.449 – juris Rn. 12).
Die auf Art. 25 Nr. 1, Art. 9 Abs. 1 Satz 1 PAG gestützte Abschleppanordnung war rechtmäßig. Nach Art. 25 Nr. 1 PAG kann die Polizei zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr eine Sache sicherstellen. Hierzu zählen bereits eingetretene und andauernde Störungen wie Verkehrsordnungswidrigkeiten (Schmidbauer/Steiner, a. a. O., Art. 11 PAG Rn. 47, 62 ff.), vorliegend gem. § 24 StVG i. V. m. § 49 Abs. 3 Nr. 4, § 41 Abs. 1 StVO i. V. m. Anlage lfd. Nr. 63 und 63.1. Das klägerische Fahrzeug stand seit dem … September 2016, also mehr als 24 Stunden, auf dem Seitenstreifen der …Straße in einer eingeschränkten Halteverbotszone, in der das Halten durch das Zeichen 286 StVO mit dem Zusatzzeichen Anlage StVO lfd. Nr. 63.1 auf drei Minuten beschränkt und nur zum Ein- oder Aussteigen bzw. Be- und Entladen gestattet ist.
Da der Zweck der Sicherstellung, das aus dem Parkverbot resultierende sofort vollziehbare Wegfahrgebot durchzusetzen (vgl. VGH BW, U. v. 20. Januar 2010 – 1 S 484/09 – juris Rn. 16), durch Inanspruchnahme des Klägers, der nicht zugegen bzw. jederzeit erreichbar war, nicht rechtzeitig erreicht werden konnte, lagen die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 PAG für die unmittelbare Ausführung der Maßnahme vor.
Die Entscheidung, das klägerische Fahrzeug abschleppen zu lassen, und die Wahl der Mittel bzw. die Art und Weise der Ausführung der Maßnahme lassen keine Ermessensfehler erkennen (Art. 5 PAG, § 114 Satz 1 VwGO). Die Abschleppmaßnahme stellt sich auch nicht als unverhältnismäßig dar, insbesondere nicht deshalb, weil ungeklärt ist, ob das Fahrzeug des Klägers im Zeitpunkt der Abschleppanordnung konkret andere Verkehrsteilnehmer behindert hat. Zum einen ist eine die Abschleppanordnung rechtfertigende Behinderung auch dann anzunehmen, wenn Verkehrsflächen durch verbotswidriges Parken in ihrer Funktion beeinträchtigt werden (vgl. OVG NW, B. v. 20. Dezember 2012 – 5 A 2802/11 – juris Rn. 3; BVerwG, B. v. 18. Februar 2002 – 3 B 149/01 – juris Rn. 4 u. B. v. 1. Dezember 2001 – 3 B 51/00 – juris 3). Durch das mehr als 24-stündige Parken des klägerischen Fahrzeugs in der eingeschränkten Halteverbotszone auf dem Seitenstreifen der …Straße, welche den Geschäften am Pasinger Bahnhof und dem Einkaufszentrum Pasinger Arcaden zum Be- und Entladen sowie Verkehrsteilnehmern im Pasinger Zentrum für rasche Erledigungen dient, ist ihre Funktion beeinträchtigt worden (vgl. OVG NW, U. v. 24. März 1998 – 5 A 183/96 – juris Rn. 8 ff. m.w.M.). Zum anderen dürfen mit Abschleppmaßnahmen ungeachtet des Grundsatzes, dass die Nachteile, die mit ihnen verbunden sind, nicht außer Verhältnis zur damit bezweckten Behebung der Verkehrsstörung stehen dürfen (BVerwG, B. v. 1. Dezember 2001 – 3 B 51/00 – juris 3 m. w. N.), auch spezial- und generalpräventive Zwecken verfolgt werden, zum Beispiel in innerstädtischen Räumen mit großer Parkraumnot durch konsequentes Abschleppen bestimmte Missstände zurückgedrängt werden (vgl. BVerwG, B. v. 18. Februar 2002 – 3 B 149/01 – juris Rn. 8). Weiter ist die Inanspruchnahme des Klägers für die Kosten der Abschleppmaßnahme auch nicht deshalb unverhältnismäßig oder unbillig im Sinne von Art. 76 Satz 4 PAG, weil er, wie er vorgetragen hat, plötzlich nicht mehr fahrfähig gewesen sei und sich mit einem Taxi ins Krankenhaus habe bringen lassen müssen. Denn die Kostenerhebung für die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme und die Verwahrung nach Sicherstellung knüpft von Gesetzes wegen (Art. 9 Abs. 2 Satz 1, Art. 28 Abs. 3 Satz 2 PAG; vgl. auch die Gesetzesbegründung zu Art. 8 PAG in LT-Drs. 8/8134, S. 17) nicht an das Verschulden, sondern an die polizeirechtliche Verantwortlichkeit gem. Art. 7 und 8 PAG an. Auch die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Gefahrabwehrmaßnahme setzt ein Verschulden nicht voraus (vgl. VG München, U. v. 19. Oktober 2010 – M 7 K 10.2283 -; VG Würzburg, U. v. 29. November 2008 – W 5 K 08.1844 – juris Rn. 17; OVG Hamburg, U. v. 29. Januar 2008 – 3 Bf. 253/04 – juris Rn. 29; OVG Saarland, U. v. 14. August 1990 – 1 R 184/88 – juris 2. Orientierungssatz). Im Übrigen hat der Beklagte in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger bei Verlassen seines Fahrzeugs weder einen Hinweis auf den Grund für dessen verbotswidriges Abstellen und seine Erreichbarkeit gegeben noch vom Krankenhaus aus für eine Entfernung des Fahrzeugs durch einen Dritten gesorgt hat.
Auch die Höhe der Kosten ist nicht zu beanstanden. Dem Abschleppunternehmer stand die geltend gemachte Pauschale für eine Abschleppung auf der Grundlage des mit dem Beklagten abgeschlossenen Rahmen-Tarifvertrags Los Nr. 18 Tarif Nr. 1.1. zu.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 308,00 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Über die Beschwerde entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an einer deutschen Hochschule im Sinn des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 5 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.


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