Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Aufenthaltsbeendigung trotz anstehender Vaterschaft

Aktenzeichen  19 CE 18.1167

Datum:
7.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 18204
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 8
GG Art. 6 Abs. 1
AufenthG § 25 Abs. 3

 

Leitsatz

Bei einem vor der Aufenthaltsbeendigung stehenden Ausländer kann realistischerweise nicht bereits wegen einer anstehenden Vaterschaft davon ausgegangen werden, dass es zum Aufbau und der Kontinuität emotionaler elterlicher Bindungen kommen wird, wie sie in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen und von diesem benötigt werden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 6 E 18.492 2018-05-25 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
IV. Das Prozesskostenhilfegesuch für das Beschwerdeverfahren wird wegen Fehlens einer hinreichenden Erfolgsaussicht abgelehnt (§ 166 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die Prüfung der für die Begründetheit der Beschwerde streitenden Gründe ist im Grundsatz auf das in der Beschwerdebegründung Dargelegte beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Danach ergibt sich nicht, dass entgegen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Abschiebung des Antragstellers im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen wäre.
Der vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller, nigerianischer Staatsangehöriger, beruft sich auf seine Beziehung zu Frau Juliet P., nigerianische Staatsangehörige mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, auf deren Schwangerschaft (zur Vaterschaft für das voraussichtlich im September 2018 zur Welt kommende Kind hat der Antragsteller eine Anerkennungserklärung abgegeben) und darauf, dass sie heiraten und eine familiäre Lebensgemeinschaft (unter Einschluss von zwei weiteren, aus einer anderen Beziehung stammenden Kindern von Frau Juliet P.) gründen wollten.
Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht erweise sich nicht als unvereinbar mit Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK.
Der Antragsteller und Frau Juliet P. sind weder verheiratet noch haben sie ein gemeinsames Kind. Die Voraussetzungen für aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 8 EMRK liegen auch nicht im Hinblick auf die Schwangerschaft von Frau Juliet P. vor. Frau Juliet P. ist weder eine Risikoschwangerschaft attestiert worden noch eine sonstige besondere Hilfsbedürftigkeit. Auch mit der Beschwerde und in der der Beschwerde anliegenden eidesstattlichen Erklärung von Frau Juliet P. vom 29. Mai 2018 wird insoweit nichts ausgeführt. Dieser eidesstattlichen Erklärung zufolge wohnen der Antragsteller und Frau Juliet P. nach wie vor in unterschiedlichen Asylunterkünften. Im Termin beim Amtsgericht L. am 16. Mai 2018, bei dem Frau Juliet P. anwesend gewesen und das Thema Schwangerschaft thematisiert worden ist, ist ebenfalls nichts Derartiges geäußert worden. Insgesamt spricht nichts dafür, dass Frau Juliet P. gerade auf die Hilfe und den Beistand des Antragstellers angewiesen wäre. Die im Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 GG geltende Erwägung, dass Unterstützungs- und Betreuungsleistungen eines nahen Familienangehörigen grundsätzlich nicht durch dritte Personen ersetzt werden können, greift vorliegend nicht, da der Antragsteller und Frau Juliet P. nicht verheiratet sind.
Die Voraussetzungen für aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 8 EMRK liegen auch deshalb nicht vor, weil nicht davon auszugehen ist, dass der Antragsteller zu dem voraussichtlich im September 2018 zur Welt kommenden Kind emotionale elterliche Bindungen aufbauen wird, wie sie in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes dienen und von ihm benötigt werden.
Unter sonst üblichen Verhältnissen (insbesondere in einer Ehe, für die lediglich die sonst üblichen Motive infrage kommen) ist diese Erwartung im Regelfall begründet. In ausländerrechtlichen Streitigkeiten ist aber nicht zu übersehen, dass nicht nur die sonst üblichen Motive für die Begründung familiärer Beziehungen infrage kommen, weil die Begründung familiärer Verhältnisse wegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu einem Aufenthalts- oder wenigstens Bleiberecht führen kann. Es drängt sich auf, dass dieser Umstand in Überlegungen betreffend Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung eines ungesicherten Aufenthalts einbezogen wird, zumal häufig Nachteile nicht ersichtlich sind, insbesondere die mit familiären Beziehungen regelmäßig verbundene Unterhaltspflicht bei wirtschaftlich beengten Verhältnissen keine reale Bedeutung hat. Im Falle der Begründung familiärer Verhältnisse im Wege einer Instrumentalisierung von Menschen und Beziehungen spricht wenig dafür, dass zu dem Kind emotionale elterliche Bindungen aufgebaut werden, wie sie in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen und von diesem benötigt werden. In dieselbe Richtung deutet die Missachtung des Umstands, dass mit ungesicherten aufenthaltsrechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Risiken für die Entwicklung des Kindes verbunden sind.
Im Hinblick auf diese Erwägungen kann bei einem vor der Aufenthaltsbeendigung stehenden Ausländer realistischerweise nicht bereits wegen einer anstehenden Vaterschaft davon ausgegangen werden, dass es zum Aufbau und der Kontinuität emotionaler elterlicher Bindungen kommen wird, wie sie in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen und von diesem benötigt werden. Die Überprüfung, ob eine solche dem Kind günstige Entwicklung wahrscheinlich ist, dient keineswegs nur allgemeinen ausländerrechtlichen Interessen, denen im Bereich der Art. 6 GG und Art. 8 EMRK kein vorherrschendes Gewicht zukommt, die jedoch einen mit zu berücksichtigenden Belang darstellen. Sie dient vor allem dem Kindeswohl. Es mag sein, dass sich in Einzelfällen auch dann eine Vater-Kind-Beziehung entwickelt, wenn das Kind das Resultat einer Instrumentalisierung von Menschen und Beziehungen ist; bei einem derartigen eigensüchtigen Ausgangsmotiv wird dies meist aber nicht der Fall sein. Dann ist nicht mit einer Vater-Kind-Beziehung zum Kindeswohl, sondern mit einem nachteiligen Einfluss des familiären Zusammenlebens auf das Kind zu rechnen.
Das Verwaltungsgericht weist im angefochtenen Beschluss darauf hin, dass die Empfängnis in den Zeitraum fällt, in dem die Ausreisepflicht des Antragstellers vollziehbar geworden, die Beschaffung von Passersatzpapieren eingeleitet worden ist und der Antragsteller seine Mitwirkung hierbei verweigert hat. Zu einer Botschaftsvorstellung zwecks Identitätsklärung ist es erst nach der Inhaftierung des Antragstellers gekommen. Das Verwaltungsgericht weist weiter darauf hin, dass jeder Vortrag zur Gestaltung des Familienlebens der wohl angestrebten Patchwork-Familie fehlt. Dieser Hinweis ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil der Vater der beiden weiteren Kinder von Frau Juliet P., Herr John P., sich mit einer italienischen Aufenthaltserlaubnis aufgrund Flüchtlingsanerkennung im Bundesgebiet aufhält und (entgegen früherer Angaben von Frau Juliet P., sie kenne seinen Aufenthaltsort nicht und habe keinen Kontakt zu ihm) seine Vaterschaft geltend macht; nach übereinstimmenden Angaben beider finden entsprechende Besuche statt. Mit Herrn John P. hat Frau Juliet P. bereits in Nigeria sowie – nach einer mehrjährigen gemeinsamen Reise durch nordafrikanische Staaten – in Italien zusammengelebt, wo der zweite gemeinsame Sohn geboren ist und wo sich Frau Juliet P. von Herrn John P. im Dezember 2014 getrennt hat (durch Abreise ins Bundesgebiet unter Mitnahme der Kinder).
Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, ob das voraussichtlich im September 2018 zur Welt kommende Kind nichtehelich und die vom Antragsteller abgegebene Vaterschaftsanerkennung daher wirksam ist. Frau Juliet P. hat sich zum einen als ledig bezeichnet und zum anderen als traditionell verheiratet (was in manchen Staaten auf dem Gebiet des früheren britischen Kolonialreichs eine zivilrechtliche Wirksamkeit nicht ausschließt). Wegen der allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Lage alleinstehender Frauen in Nigeria hat sie durch Bundesamtsbescheid vom 29. Dezember 2016 das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK zuerkannt erhalten. Dementsprechend hat sie in der Niederschrift des Bundesamtes vom 14. September 2016 angegeben, auch ihre Eltern hätten den Nachnamen P. In ihrem Antrag auf Aufenthaltserlaubnis vom 17. Januar 2017 (in deutscher Sprache; vom 16.2.2017 in englischer Sprache) hat sie jedoch in der Rubrik „Name des Ehegatten“ „P. John“ angegeben und als Namen ihrer Eltern den afrikanischen Namen A. Die beiden gemeinsamen Kinder sind als Söhne von Herrn John P. und mit dem Nachnamen P. registriert (vgl. die in der Ausländerakte von Herrn John P., Bl. 8, dokumentierte italienische Geburtsurkunde vom 13.6.2012 für den Sohn M. sowie die in der Ausländerakte von Frau Juliet P., Bl. 8 ff., dokumentierten italienischen humanitären Aufenthaltserlaubnisse und sonstigen Personaldokumente der Kinder und ihrer beiden Eltern).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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