Verwaltungsrecht

Rechtsmäßige Ausweisungsverfügung trotz zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots

Aktenzeichen  10 C 21.1318, 10 ZB 21.1611

Datum:
27.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22488
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG §§ 53 ff., § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Auch ein bestehendes Abschiebungsverbot macht eine Ausweisung für sich genommen nicht rechtswidrig; die Frage eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses erlangt erst bei der Vollstreckung der Abschiebungsanordnung/-drohung Bedeutung und lässt die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung grundsätzlich unberührt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 20.2822 2021-04-28 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Verfahren 10 C 21.1318 und 10 ZB 21.1611 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung (10 ZB 21.1611) wird abgelehnt.
III. Die Beschwerde (10 C 21.1318) wird zurückgewiesen.
IV. Der Kläger trägt die Kosten beider Verfahren.
V. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger, ein 1995 geborener afghanischer Staatsagenhöriger, verfolgt mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung und seiner Beschwerde seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Ausweisungsbescheid des Beklagten 2. Juni 2020 sowie seinen in erster Instanz ebenfalls erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Klageverfahren weiter.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht hinreichend dargelegt ist und auch nicht vorliegt.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ausgeführt, vom weiteren Aufenthalt des Klägers, der mit Strafbefehl des Amtsgerichts Pfaffenhofen a.d. Ilm wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt und nach einem Polizeibericht vom 17. April 2021 an diesem Tag mit zwei Plomben Heroin angetroffen wurde, gehe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Die abgeurteilte Straftat beruhe auf einem langjährigen Drogenkonsum, insofern bestehe Wiederholungsgefahr. Auch generalpräventive Erwägungen rechtfertigten die Ausweisung. Die Ausweisung sei bei Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse verhältnismäßig. Auf ein Bleibeinteresse könne sich der Kläger, der erst im Jahr 2015 als 20-jähriger nach Deutschland gekommen sei, nicht berufen. Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan sei der Lebensunterhalt des Klägers trotz seiner Schwerbehinderung gesichert, weil er über wohlhabende Verwandte verfüge. Im Übrigen würde selbst das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führen, denn die Ausweisung und das mit ihr einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot könnten ihren ordnungsrechtlichen Zweck auch dann erreichen, wenn es nicht zu einer Abschiebung, sondern nur zu einer Verschlechterung der aufenthaltsrechtlichen Position im Bundesgebiet komme.
Der Kläger rügt mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung, das Verwaltungsgericht habe im Rahmen des Bleibeinteresses nicht berücksichtigt, dass bei ihm mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2021 ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festgestellt worden sei. Der Kläger sei zwar bedingt ausgewiesen worden, Bedingung sei aber nur gewesen, dass er nicht als Asylbewerber anerkannt oder ihm internationaler Schutz zuerkannt werde. Darauf sei das Verwaltungsgericht nicht eingegangen. In der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung des Senats (U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854) sei es lediglich um Fragen des Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbots gegangen.
Damit wir die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage gestellt. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht und in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats festgestellt, dass auch ein bestehendes Abschiebungsverbot eine Ausweisung für sich genommen nicht rechtswidrig macht. Die Frage eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG) erlangt erst bei der Vollstreckung der Abschiebungsanordnung/-drohung Bedeutung und lässt die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung grundsätzlich unberührt (BayVGH, B.v. 16.4.2020 – 10 ZB 20.536 – juris Rn. 11; B.v. 1.2.2019 – 10 ZB 18.2455 – juris Rn. 10; B.v. 12.8.2019 – 10 ZB 19.1004 – juris Rn. 6; B.v. 13.1.2020 – 10 ZB 19.1599 – juris Rn. 14; B.v. 28.1.2020 – 10 ZB 19.2452 – juris Rn. 6; OVG Bremen, U.v. 5.7.2019 – 2 B 98.18 – juris Rn. 12 m.w.N.). Die spezial- und generalpräventiven Zwecke der Ausweisung können durch die Verschlechterung der aufenthaltsrechtlichen Situation und die damit einhergehende Verhinderung einer Aufenthaltsverfestigung auch dann erreicht werden, wenn eine Abschiebung aufgrund eines Abschiebungsverbots auf absehbare Zeit nicht möglich ist (vgl. zur sog. inlandsbezogenen Ausweisung Bauer in Bergmann/Dienelt, AufenthG, 13. Auflage 2020, vor § 53 Rn. 24 m.w.N.).
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vom Verwaltungsgericht angeführten und hier ergänzend genannten Gründen weder zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot bzw. bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für die Zulassungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Einer Streitwertfestsetzung für die Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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