Verwaltungsrecht

Rechtsschutzbedürfnis beim Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

Aktenzeichen  W 10 E 19.1318

Datum:
21.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27189
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
BÄO § 6 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, das auch für die Zulässigkeit eines Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderlich ist, ist in der Regel zu verneinen, wenn sich der den Antrag stellende Bürger vor der Anrufung des Gerichts noch nicht an die zuständige Verwaltungsbehörde gewandt und noch keinen entsprechenden Antrag bei der Behörde gestellt hat. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Rechtsschutzbedürfnis liegt auch dann nicht vor, wenn der in der Hauptsache eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist, wenn sich der Antrag faktisch erledigt hat oder wenn über das Begehren in der Hauptsache bereits bestandskräftig oder rechtskräftig entschieden ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Zulassung eines Praxisvertreters.
1. Der am … … 1964 geborene Antragsteller betrieb zuletzt eine eigene Praxis als praktischer Arzt in der Gemeinde R., Landkreis A.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 27. Juni 2017 widerrief die Regierung von U. die dem Antragsteller mit Urkunde vom 29. Dezember 1994 erteilte Approbation als Arzt (Ziffer 1). Die Approbationsurkunde wurde eingezogen (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Ziffer 3). Mit bestandskräftigem Bescheid vom 26. Juli 2017 wurde der Bescheid vom 27. Juni 2017 in Ziffer 1 dahingehend abgeändert, dass das Ruhen der Approbation des Antragstellers angeordnet wurde. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Ziffer 3).
2. Mit Schreiben vom 18. August 2017 und 1. September 2017 stellte der Antragsteller bei der Regierung von U. jeweils den Antrag, aufgrund der flächendeckenden Patientenversorgung in der Gemeinde R. einen Praxisvertreter in seiner Praxis zur zwischenzeitlichen Versorgung seiner Patienten beschäftigen zu dürfen. Der Antragsgegner teilte diesbezüglich mit Schreiben vom 11. September 2017 mit, dass im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens von der Regelung des § 6 Abs. 4 der Bundesärzteordnung (BÄO) kein Gebrauch gemacht werde. Soweit der vertragsärztliche Bereich betroffen sei, sei die Weiterführung der Praxis nach Vertragsarztrecht zu beurteilen, über die die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) als zuständige Behörde zu befinden habe. Im privatärztlichen Bereich bestehe auch ohne eine ausdrückliche Regelung kein Verbot für einen anderen Arzt, die Praxis eines Arztes, dessen Approbation ruhe, weiterzuführen.
3. Der Antragsteller beantragte mit Schriftsatz vom 23. September 2019, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg am 27. September 2019, sinngemäß, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es zuzulassen, dass seine Praxis, die aufgrund der Ruhensanordnung nicht mehr betrieben werden kann, durch einen anderen Arzt weitergeführt werden darf.
Auf die Antragsbegründung vom 23. September 2019 wird Bezug genommen.
4. Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es bereits am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis fehle. Da der Antragsteller seine Arztpraxis nicht mehr betreibe und diese auch nicht mehr existiere, habe sich das mit dem Antrag begehrte Ziel erledigt und sei für den Antragsteller nicht mehr erreichbar. Soweit eine Vertreterzulassung im Sinne des § 6 Abs. 4 BÄO in Rede stehe, sei der Antrag auch nicht begründet, da weder Anordnungsanspruch noch Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden seien. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die personengebundene Ruhensanordnung dem betroffenen Arzt zwar die Möglichkeit nehme, seinen Beruf auszuüben. Die Fortführung der Praxis durch einen anderen Arzt werde hierdurch aber nicht ausgeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakten (einschließlich der Akte des Verfahrens W 10 K 17.646) Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig, wäre aber jedenfalls auch unbegründet.
1. Der Antrag ist unzulässig.
Der Antrag des anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers ist gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO durch das Gericht am erkennbaren Rechtsschutzziel orientiert auszulegen. Danach begehrt der Antragsteller die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners, einen Praxisvertreter nach § 6 Abs. 4 der Bundesärzteordnung – BÄO – zuzulassen. Der so auszulegende Antrag ist bereits unzulässig, da dem Antragsteller das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, das auch für die Zulässigkeit eines Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderlich ist, ist in der Regel zu verneinen, wenn sich der den Antrag stellende Bürger vor der Anrufung des Gerichts noch nicht an die zuständige Verwaltungsbehörde gewandt und noch keinen entsprechenden Antrag bei der Behörde gestellt hat. Das Rechtsschutzbedürfnis liegt auch dann nicht vor, wenn der in der Hauptsache eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist, wenn sich der Antrag faktisch erledigt hat oder wenn über das Begehren in der Hauptsache bereits bestandskräftig oder rechtskräftig entschieden ist (vgl. Kuhla in BeckOK, VwGO, Stand: 1.7.2018, § 123 Rn. 40; Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 123 Rn. 22).
So liegt der Fall hier. Die Zulassung eines Praxisvertreters nach § 6 Abs. 4 BÄO kann dem Antragsteller offensichtlich keine rechtlichen oder tatsächlichen Vorteile (mehr) bringen, da seine Hausarztpraxis in der Gemeinde R. gar nicht mehr existent ist. Überdies wurde dem Antragsteller durch das Ruhen seiner Approbation nicht die Möglichkeit genommen, seine Praxis durch einen anderen Arzt fortführen zu lassen (vgl. dazu auch Haage in: Heinz/ Haage, BÄO, 2. Auflage 2016, § 6 Rn. 9). Einem Arzt, dessen Approbation ruht, ist es lediglich verwehrt, während der Dauer des Ruhens persönlich in seinen Praxisräumlichkeiten zu praktizieren. Dagegen bleibt es ihm im Hinblick auf den Schutz der Praxis und das Eigentumsrecht unbenommen, einen zivilrechtlichen Vertrag mit einem approbierten Praxisvertreter zu schließen, der die Praxis während der Abwesenheit des Praxisinhabers selbständig fortführt. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung von U. den Antragsteller mit Schreiben vom 11. September 2017 zutreffend darüber in Kenntnis gesetzt, dass über die Weiterführung der Praxis die KVB als zuständige Behörde zu befinden hat, soweit der vertragsärztliche Bereich betroffen ist, und im privatärztlichen Bereich auch ohne eine ausdrückliche Regelung kein Verbot für einen anderen Arzt besteht, die Praxis eines Arztes, dessen Approbation ruht, weiterzuführen.
2. Der Antrag ist jedenfalls auch unbegründet, da der Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Im Hinblick auf die durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes ist der Antrag begründet, wenn der geltend gemachte Anspruch hinreichend wahrscheinlich ist (Anordnungsanspruch) und es dem Antragsteller schlechthin unzumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
Im vorliegenden Fall ist schon kein Anordnungsgrund ersichtlich. Eine besondere Dringlichkeit wurde durch den Antragsteller trotz richterlichen Hinweises auch nicht geltend gemacht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG. Beim Streitwert geht das Gericht vom Regelstreitwert aus, der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist.
4. Entsprechend den vorstehenden Ausführungen war letztlich auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen, da unter Berücksichtigung des spezifischen Erfolgsmaßstabes im Prozesskostenhilfeverfahren zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife keine hinreichenden Erfolgsaussichten bestanden, § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO.


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