Verwaltungsrecht

Rechtsschutzinteresse bei Anfechtungsklage gegen Verfahrenseinstellung durch das BAMF

Aktenzeichen  AN 2 K 16.30906

Datum:
14.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 25, § 33 Abs. 5

 

Leitsatz

Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage gegen einen Einstellungsbescheid des Bundesamtes wegen Nichtbetreibens des Verfahrens ist nicht dadurch entfallen, weil dem Kläger die Möglichkeit offensteht, nach § 33 Abs. 5 AsylG die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen; da das Bundesamt im Falle einer weiteren Säumnis den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 5 S. 6 Nr. 2 AsylG als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylG behandelt, wäre dem Kläger in diesem Falle die Möglichkeit genommen, die vereinfachte Wiederaufnahme zu erreichen, selbst wenn die erste Einstellung zu Unrecht ergangen wäre.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 6. Juli 2016 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des BAMF vom 30. Juni 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten und ist damit aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Richtige Klageart ist für Klagen gegen eine Einstellungsentscheidung des BAMF nach §§ 32, 33 AsylG die Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2013 bzw. U.v. 7.3.1995, 9 C 264/94 – beide juris). Ein (reiner) Anfechtungsantrag wurde zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gestellt. Die Klage ist damit statthaft.
Die zweiwöchige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG ist eingehalten. Für Klagen gegen Einstellungsbescheide des BAMF nach § 33 AsylG gilt nicht die auf eine Woche verkürzte Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG. An einer § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG und § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG entsprechenden Regelung fehlt es nämlich, so dass es beim Grundsatz der Zwei-Wochen-Frist nach § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG bleibt (so auch VG Minden, B.v. 26.7.2016, 10 L 1078/16.A oder VG Augsburg, B.v. 24.3.2017, Au 7 S. 17,30386 – beide juris).
Der Klage fehlt nach Auffassung des erkennenden Gerichts auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Kläger können den begehrten Rechtsschutz nicht auf einfachere oder effektivere, aber gleich wirksame Art und Weise erreichen. Zwar besteht bei einer ersten Verfahrenseinstellung die Möglichkeit, nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Das BAMF nimmt in diesem Fall das Verfahren gemäß § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG wieder auf, ohne dass – abgesehen von der persönlichen Antragstellung – weitere Voraussetzungen vorliegen müssen. Auf diesen Weg können die Kläger jedoch nicht verwiesen werden, da mit ihm rechtliche Nachteile verbunden sind und dies deshalb mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar wäre. Gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG nimmt das BAMF das Verfahren nicht wieder auf, sondern behandelt den Antrag auf Wiederaufnahme als Folgeantrag im Sinne von § 71 AsylG, wenn das Asylverfahren nach dieser Vorschrift bereits einmal wieder aufgenommen worden ist. Verweist man die Antragsteller auf einen Antrag nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG, nimmt man ihnen folglich die Möglichkeit bei einem späteren Versäumnis die vereinfachte Wiederaufnahme zu erreichen, selbst wenn die erste Einstellung zu Unrecht ergangen wäre (BVerfG, B.v. 20.7.2016, 2 BvR 1385/16 – juris, VG Augsburg, B.v. 17.11.2016, Au 3 S. 16.32189 – juris, VG Ansbach, B.v. 22.12.2016, AN 2 S. 16.32330 – juris). Die Kläger können nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht darauf verwiesen werden, dass sie gegebenenfalls in dem folgenden Verfahren noch mit dem Vortrag, dass die erste Einstellung fehlerhaft war, zu hören sind und ihnen auf diesem Weg im Ergebnis keine Rechtsnachteile entstehen. Dies ist mit einem Risiko für die Kläger verbunden und ihnen deshalb nicht zumutbar. Die Gewährung von effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG erfordert für den Rechtsschutzsuchenden ein klares, verbindliches und frühzeitiges Ergebnis. Die im einstweiligen Rechtsschutz (VG Ansbach, B.v. 8.8.2016, AN 4 S. 16. 30905) vertretene Auffassung wird nicht geteilt bzw. nicht aufrechterhalten.
Die Klage ist auch begründet, da die Verfahrenseinstellung durch das BAMF zu Unrecht erging. Die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylG lagen nicht vor. In der Folge ergingen damit auch die Nebenentscheidungen in den Ziffern 2 bis 4 des Bescheids vom 30. Juni 2017 zu Unrecht und waren aufzuheben.
Die Rücknahmefiktion tritt nach § 33 Abs. 1 AsylG ein, wenn das Asylverfahren nicht betrieben wird. Dies wird nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 AsylG gesetzlich vermutet, wenn die Asylbewerber einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachkommen. Nach Aktenlage steht fest, dass die Kläger das Ladungsschreiben vom 17. Mai 2016 für den Anhörungstermin am 13. Juni 2016 tatsächlich nicht erhalten haben. Die Zustellung mittels Zustellungsurkunde durch die Deutsche Post AG ist ausweislich der Zustellungsurkunde gescheitert. Es fand weder eine persönliche Zustellung, noch eine Ersatzzustellung nach §§ 178 ff ZPO statt. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger auf anderem Wege von dem Anhörungstermin Kenntnis erlangt hätten.
Das Scheitern der Zustellung haben die Kläger auch nicht zu vertreten und es ist keine Zustellungsfiktion nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG eingetreten, die sich die Kläger zurechnen lassen müssten. Die Ladung ging an die korrekte Adresse … in …, an der sich die Kläger entsprechend ihrer Zuweisungen seit dem 23. März 2016 auch tatsächlich aufgehalten haben. Die Zustellung ist damit aus nicht nachvollziehbaren und nicht weiter aufklärbaren Gründen, die nicht in der Sphäre der Kläger liegen, sondern wohl auf einem Fehler der D. P. AG beruhen, gescheitert. Eine Nachfrage bei der zuständigen Ausländerbehörde hat jedenfalls keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass die Kläger untergetaucht waren oder die gescheiterte Zustellung in sonstiger Weise zu vertreten hätten. Nachdem die Kläger vom Anhörungstermin am 13. Juni 2016 nichts erfahren hatten, konnten sie hierzu nicht erscheinen und es kann damit aus dem Nichterscheinen nicht geschlossen werden, dass sie das Verfahren nicht mehr betreiben wollten. Die Verfahrenseinstellung war damit rechtswidrig und aufzuheben und das Verfahren dadurch in den Stand vor Einstellung zurückzuversetzen.
Die Kostenentscheidung der damit erfolgreichen Klage beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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