Verwaltungsrecht

Rechtsschutzinteresse, Verwaltungsgerichte, Feuerstättenschau, Betreibensaufforderung, Klagerücknahmefiktion, Terminsverlegungsantrag, Einstellungsbeschluß, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Rechtsmittelbelehrung, Feuerstättenbescheid, Prozeßbevollmächtigter, Klageverfahren, Aufhebung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Höhere Gewalt, Sachbescheidungsinteresse, Unabwendbarer Zufall, Zwangsgeldforderung, Empfangsbekenntnis

Aktenzeichen  M 32 K 19.1820, M 32 K 19.1821, M 32 K 19.1822

Datum:
10.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42809
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 92 Abs. 2 S. 1, § 92 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Anträge auf Fortführung der Verfahren werden abgelehnt. Es wird festgestellt, dass die Klagen zurückgenommen sind.
II. Die Kosten der Verfahren hat jeweils der Kläger zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist jeweils vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers über die Sachen verhandeln und entscheiden, da der Kläger ordnungsgemäß geladen worden war, der Kläger keinen erheblichen Grund für seinen kurzfristig gestellten Terminverlegungsantrag angegeben hat und in der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Verfahren konnten gemäß § 93 VwGO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden, da sich in allen drei Verfahren die von dem Kläger aufgeworfene Rechtsfrage zur Fortführung der Verfahren in gleicher Weise stellt. Die Verbindung der Verfahren war daher sachdienlich.
Den Anträgen auf Fortsetzung der Verfahren war nicht stattzugeben. Die Verfahren M 1 K 16. 2398, M 1 K 16.4120 und M 1 K 16.4121 gelten aufgrund der Klagerücknahmefiktion nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO als zurückgenommen. Mit den in den jeweiligen Verfahren ergangenen Beschlüssen des Verwaltungsgerichts vom 5. September 2018 wurde daher zutreffend festgestellt, dass die Klagen (kraft Gesetzes) als zurückgenommen gelten; die Verfahren waren daher einzustellen.
Wird von einem Beteiligten die Wirksamkeit einer Klagerücknahme bzw. des Eintritts der Klagerücknahmefiktion nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO bestritten, so hat das Gericht darüber aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, wenn ein Beteiligter – wie vorliegend die Klagepartei mit Schreiben vom 27. Februar 2019 bzw. 12. April 2019 – dies beantragt (vgl. BayVGH, B.v. 19.1.19999 – 1 C 97.1542 – juris Rn. 16). Erweist sich, dass die Voraussetzungen für die Rücknahmefiktion vorliegen, so wird durch Urteil ausgesprochen, dass die Klage als zurückgenommen gilt und der Kläger die Kosten des fortgesetzten Verfahrens zu tragen hat. Erweist sich hingegen, dass eine wirksame Klagerücknahme oder Klagerücknahmefiktion nicht vorlag, so ist der Rechtsstreit unter Aufhebung des Einstellungsbeschlusses fortzusetzen (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 92 Rn. 26).
Vorliegend sind die Klageverfahren beendet. Die Einstellungsbeschlüsse des Gerichts vom 5. September 2018 sind zu Recht ergangen, da die Klagen nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO als zurückgenommen gelten (§ 92 Abs. 3 VwGO).
Anknüpfungspunkt für die in § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO geregelte Klagerücknahmefiktion ist der vermutete Wegfall des Rechtsschutzinteresses, wobei konkrete Anhaltspunkte für ein fehlendes Interesse an der Verfahrensfortsetzung vorliegen müssen. § 92 Abs. 2 VwGO kann damit herangezogen werden, wenn sich die Hauptsache des Rechtsstreits erkennbar erledigt hat, ohne dass der Kläger eine verfahrensbeendende Erklärung abgibt (Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL 2019 Rn. 46 ff). Vom Wegfall eines ursprünglich gegebenen Rechtsschutzinteresses kann ein Gericht auch dann ausgehen, wenn das Verhalten eines rechtsschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung mangels Sachbescheidungsinteresses nicht mehr gelegen ist; eine Gewissheit über das Fehlen des Rechtsschutzinteresses ist nicht erforderlich (BVerfG, B.v. 17.9.2012 – 1 BvR 2254/11 – juris Rn. 27; BVerwG, B.v. 7.7.2005 – 10 BN 1.05 – juris Rn. 4). Der Kläger kann diese Vermutung jedoch widerlegen, indem er das Verfahren weiter betreibt. Nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.1985 – 9 C 48.84 – BVerwGE 71, 213; zu den einzelnen Voraussetzungen s.a. Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Feb. 2019, § 92 Rn. 38 ff.; Wolff in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 92 Rn. 15 ff.) sind die Voraussetzungen für den Eintritt der Klagerücknahmefiktion nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO (a) ein Verhalten des Klägers, das die Vermutung begründet, sein Rechtsschutzbedürfnis sei entfallen, (b) eine Betreibensaufforderung, in der der Kläger gemäß § 92 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Rechtsfolgen der Aufforderung hinzuweisen ist und (c) das Nichtbetreiben durch den Kläger innerhalb der nächsten zwei Monate. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
a) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Betreibensaufforderung am 29. Juni 2018 bestanden konkrete, sachlich begründete Anhaltspunkte für den Wegfall des Interesses des Klägers am Fortgang der Klageverfahren.
Ziel der Klagen war die Aufhebung von Bescheiden, mit denen eine Feuerstättenschau im Anwesen des Klägers angeordnet und der Kläger zur Zugangsgewährung und Duldung verpflichtet worden war sowie die Feststellung, dass das geforderte Zwangsgeld nicht fällig geworden ist. Mit der Bestandskraft des Bescheids vom 15. November 2016 (Stilllegung der Gasfeuerstätte im Anwesen des Klägers mit der Verpflichtung, den Betrieb der Gasfeuerstätte bis zum Nachweis der Betriebssicherheit durch Vorlage eines Feuerstättenbescheids beim Landratsamt zu unterlassen) und der endgültigen Niederschlagung der Zwangsgeldforderung („hinfällig“) ist das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers an der Aufhebung der angeordneten Feuerstättenschau und der Feststellung, dass die Zwangsgeldforderung nicht fällig geworden sei, entfallen. Dennoch erfolgte in den o.g. drei Klageverfahren keine Anpassung an die veränderten Umstände. Mangels weiteren Vorbringens waren zwei Jahre später Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses des Klägers an seinen Verfahren angebracht, die das Gericht dazu veranlassten, den Kläger anzuschreiben und bis zum 15. Juni 2018 um Äußerung zu bitten, ob die Klagen in Hinblick auf die veränderte Sachlage förmlich beendet werden. Da der Kläger auch hierauf nicht reagierte, verdichteten sich die Zweifel am Fortbestand seines Rechtsschutzinteresses.
b) Bei dieser Sachlage war die mit Schreiben vom 29. Juni 2018 erfolgte Aufforderung nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO, innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung des Schreibens die Anfrage des Gerichts vom 17. Mai 2018 zu beantworten, gerechtfertigt.
Der Kläger wurde gemäß § 92 Abs. 2 Satz 3 VwGO über die Folgen der Nichtbeachtung der Betreibensaufforderung belehrt. Das Schreiben wurde der Klagepartei ausweislich des unterzeichneten Empfangsbekenntnisses am 3. Juli 2018 zugestellt. Die formalen Anforderungen an die Betreibensaufforderung wurden eingehalten. Die gesetzliche Frist des § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO endete gemäß § 57 VwGO, § 222 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB am Montag, den 3. September 2018 um 24.00 Uhr.
c) Der Kläger hat die Verfahren bis zum Ablauf der Frist nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht in der geforderten Weise betrieben.
Dem mit Schriftsatz vom 27. Februar 2019 bzw. 12. April 2019 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung war nicht stattzugeben.
Versäumt der Kläger die Zweimonatsfrist, die eine richterlich gesetzte Ausschlussfrist darstellt, so kann ihm Wiedereinsetzung nur in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 58 Abs. 2, § 60 Abs. 3 VwGO im Falle höherer Gewalt gewährt werden. Der Begriff der höheren Gewalt entspricht inhaltlich „Naturereignissen oder anderen unabwendbaren Zufällen“. Unter „höherer Gewalt“ wird ein Ereignis verstanden, das unter den gegebenen Umständen des konkreten Falls vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anwendung subjektiver Maßstäbe – namentlich unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung – durch zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte (BVerwG, U.v. 10.12.2013 – 8 C 25.12 – juris Rn. 30). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Kläger hat schon keine Begründung für die fehlende Reaktion nach Zustellung der Betreibensaufforderung vorgetragen, die auf höhere Gewalt hätte zurückgeführt werden können.
Die Kostenentscheidung betrifft nur noch die Entscheidung über den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens; sie beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.


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