Verwaltungsrecht

Rechtsweg bei Streitigkeiten gegen erkennungsdienstliche Maßnahmen

Aktenzeichen  B 1 S 20.1238

Datum:
23.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40879
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 81b, § 98 Abs. 2
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
EGGVG § 23 Abs. 1
BayPOG Art. 12
GVG § 17a

 

Leitsatz

1. Zu Rechtsstreitigkeiten über Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen iSd § 23 Abs. 1 EGGVG, die zur Verfolgung einer strafbaren Handlung getroffen worden sind, gehören aus dem Regelungsbereich des § 81b StPO nur solche Maßnahmen, die nach der ersten Alternative dieser Vorschrift der Durchführung des Strafverfahrens gegen den Betroffenen dienen, nicht dagegen Anordnungen, Verfügungen oder sonstige Maßnahmen, die auf Grund des § 81b Alt. 2 StPO für Zwecke des Erkennungsdienstes und damit nicht für Zwecke der Strafverfolgung ergangen sind. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Strafprozessuale Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden sind aber aufgrund von Subsidiarität nicht auf dem Rechtsweg gem. §§ 23 ff. EGGVG zu überprüfen und damit nicht der gerichtlichen Kontrolle durch das Oberlandesgericht unterworfen, sondern in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 StPO dem Amtsgericht zuzuweisen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Verwaltungsrechtsweg ist nicht zulässig.
2. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Amtsgericht … verwiesen.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung vom 12. November 2020.
Mit Schreiben der Polizeiinspektion … – … vom 12. November 2020 unter dem Betreff „Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung“ wurde der Antragsteller gebeten, in der Ermittlungssache Beleidigung u.a. vom 10. Mai 2020 17:30 Uhr bis 10. Mai 2020 17:55 Uhr in …, …, bei der Polizeiinspektion … – … am 14. November 2020 um 15:00 Uhr zu erscheinen, da seine erkennungsdienstliche Behandlung (wie die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, Fertigung von Lichtbildern, Messungen und Personenbeschreibungen) zum Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens gemäß § 81 b 1. Alternative StPO erforderlich sei.
Gleichzeitig wurde er darauf hingewiesen, dass diese erkennungsdienstliche Behandlung eine strafprozessuale Maßnahme sei, deren Durchführung auch mittels unmittelbarem Zwang durch die Polizei durchgesetzt werden kann.
Unter Bemerkungen/ Konkretisierungen heißt es u.a.:
„Staatsanwältin … von der Staatsanwaltschaft … ordnet eine Beschuldigtenvernehmung als auch eine erkennungsdienstliche Behandlung an!“
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 16. November 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, stellte der Antragsteller folgende Anträge gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch die Staatsanwaltschaft …
1. Die Anordnung der Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung wird aufgehoben.
2. Hilfsweise wird beantragt die Beklagte zu verurteilen, den Kläger erneut und unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verbescheiden.
3. Es wird weiter nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Er vertritt die Rechtsauffassung, die Maßnahme sei aus mehreren Gründen rechtswidrig, da es sich bei der angeblichen Beleidigung vom 10. Mai 2020 um ein Bagatelldelikt handele, das mangels einer Vorstrafe des Antragstellers keine derartige Maßnahme rechtfertige.
Das Gericht wies den Bevollmächtigten des Antragstellers im Schreiben, dass sein Antrag eingegangen ist, darauf hin, dass es sich vorliegend offensichtlich um eine Maßnahme der Strafverfolgung handelt (repressive Maßnahme), sodass der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, sondern ein Antrag nach § 98 Abs. 2 StPO analog statthaft sein dürfte (vgl. beck-online-Kommentar StPO, Rn 16 zu § 81 b StPO).
Mit Fax des Polizeipräsidiums … vom 17. November 2020 beantragt dieses Der Antrag wird abgelehnt.
Das Verfahren sei an das Amtsgericht … zu verweisen. Dem Vorladungsschreiben liege ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft … zugrunde (Az. …*). Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung sei gemäß § 81b 1. Alt. StPO erfolgt. Maßnahmen der Polizei zur Verfolgung einer strafbaren Handlung seien im Bereich strafprozessualen Handelns einzuordnen. § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO finde entsprechend für die gerichtliche Überprüfung von Maßnahmen anderer Art Anwendung. Das Amtsgericht … sei gemäß § 98 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 162 StPO sachlich und örtlich zuständig.
Nach Anhörung des Bevollmächtigten des Antragstellers zur Frage des Rechtswegs beantragte dieser zuletzt ebenfalls die Verweisung an das Amtsgericht … Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der vom Kläger beschrittene Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist nicht eröffnet. Der Rechtsstreit wird gem. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG ohne mündliche Verhandlung an das Amtsgericht … als das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges verwiesen.
Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg bei allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art eröffnet, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
Gemäß Art. 12 Abs. 1 POG gelten für Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen der Polizei die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung, soweit eine Zuständigkeit nach § 23 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz – EGGVG – nicht gegeben ist. Nach dessen Abs. 1 Satz 1 entscheiden über die Rechtmäßigkeit der Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts einschließlich des Handelsrechts, des Zivilprozesses, der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Strafrechtspflege getroffen werden, auf Antrag die ordentlichen Gerichte.
Maßgeblich für die Abgrenzung des eröffneten Rechtswegs bei sogenannten doppelfunktionalen polizeilichen Maßnahmen, also solchen, die sich nicht ohne Weiteres als Maßnahmen der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung einordnen lassen, weil sie nach Maßgabe entsprechender Befugnisnormen sowohl nach dem Polizeirecht (Polizeiaufgabengesetz – PAG) als auch nach der Strafprozessordnung (StPO) vorgenommen worden sein könnten, d. h. für die es sowohl in der StPO als auch im PAG eine Rechtsgrundlage gibt, ist der Schwerpunkt des (erkennbaren) Grunds oder Ziels des polizeilichen Einschreitens (sog. Schwerpunkttheorie oder Schwerpunktformel) (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2009 – 10 C 09.2122 – BeckRS 2009, 41748 Rn. 12).
In aller Regel ist es für den Betroffenen nicht schwer zu erkennen, ob die Polizei im konkreten Fall eine Straftat erforschen (Strafverfolgung) oder den Eintritt eines Schadens, etwa die – zukünftige – Begehung einer strafbaren Handlung, verhindern oder eine bereits eingetretene Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung beseitigen (Gefahrenabwehr) will.
Hat die Polizei die Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht weitergeleitet (§ 163 Abs. 2 StPO) oder auf Weisung der Staatsanwaltschaft gehandelt, so kann an der strafprozessualen Natur ihres Einschreitens kein vernünftiger Zweifel bestehen (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1974 – I C 11/73 – NJW 1975, 893).
Vorliegend erfolgte die Anordnung ausdrücklich, weil die erkennungsdienstliche Behandlung zum Zwecke der Durchführung des in der Anordnung genannten Strafverfahrens gemäß § 81b 1. Alternative StPO erforderlich sei. Sie erfolgte also wegen des konkret gegen den Antragsteller eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts der Beleidigung.
Zu Rechtsstreitigkeiten über Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen i.S.d. § 23 Abs. 1 EGGVG, die zur Verfolgung einer strafbaren Handlung getroffen worden sind, gehören aus dem Regelungsbereich des § 81 b StPO nur solche Maßnahmen, die nach der ersten Alternative dieser Vorschrift der Durchführung des Strafverfahrens gegen den Betroffenen dienen, nicht dagegen Anordnungen, Verfügungen oder sonstige Maßnahmen, die auf Grund des § 81 b Alt. 2 StPO für Zwecke des Erkennungsdienstes und damit nicht für Zwecke der Strafverfolgung ergangen sind (vgl. BVerwG, B.v. 18.5.2011 – 6 B 1/11 – NVwZ-RR 2011, 710 Rn. 2).
Nach herrschender Rechtsprechung sind strafprozessuale Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden aber aufgrund von Subsidiarität nicht auf dem Rechtsweg gemäß §§ 23 ff. EGGVG zu überprüfen und damit nicht der gerichtlichen Kontrolle durch das Oberlandesgericht unterworfen, sondern in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 StPO dem Amtsgericht zuzuweisen (vgl. OLG Karlsruhe, B.v. 18.4.2013 – 2 VAs 2/13, 9-11/13 – NJW 2013, 3738; Trück in MüKoStPO, 1. Aufl. 2014, StPO § 81b Rn 13, Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 98 Rn 23, § 23 EGGVG Rn. 10, 12).
Somit war gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG festzustellen, dass der beschrittene Verwaltungsrechtsweg unzulässig ist und der Rechtsstreit an das Amtsgericht … als dem zuständigen ordentlichen Gericht zu verweisen, nachdem der Vorgang von der Staatsanwaltschaft … bearbeitet wird, § 162 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Kostenentscheidung ist gemäß § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG dem zuständigen Gericht vorbehalten.


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