Verwaltungsrecht

Rechtswidrige Befristung von 30 Tagen

Aktenzeichen  B 3 K 17.32644

Datum:
29.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 36, § 38 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5
VwGO VwGO § 42 Abs. 1
GG GG Art. 6
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Wendet sich der Kläger nicht gegen die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, sondern nur gegen die Versagung von Abschiebungsverboten, so ist der Bescheid des Bundesamts insoweit (auch) mit der Versagungsgegenklage anzugreifen. (Rn. 20)

Tenor

1. Ziffern 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 12.07.2017 (Az. …) werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Über die Klage kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten (Schriftsatz vom 22.08.2017 bzw. Generalerklärung der Beklagten vom 27.06.2017) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
II.
Die Klage ist bereits unzulässig, soweit die Klägerin gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides (Versagung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten) lediglich mit der „isolierten“ Anfechtungsklage vorgeht.
1. In der Rechtsprechung ist zwar zwischenzeitlich geklärt, dass die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart gegen eine Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist (BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 15.30008 – juris; vgl. auch BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris; BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris; BayVGH, U.v. 23.03.2017 – 13a B 17.50003 – juris). Eine isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelung führt nämlich zur weiteren Prüfung der Anträge durch die Beklagte und damit zum erstrebten Rechtsschutzziel. Durch die Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung wird das Verwaltungsverfahren in den Stand zurückversetzt, in dem es sich vor Erlass der streitgegenständlichen Regelungen befunden hat. Das Bundesamt ist im Falle einer Aufhebung des Bescheides gemäß §§ 24, 31 AsylG gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren weiterzuführen.
Vorliegend hat der Klägerbevollmächtigte jedoch die Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Ziffer 1 des Bescheides) gerade nicht zum Klagegegenstand gemacht, sondern nur die Ziffern 2 bis 4 angefochten. Wendet sich ein Kläger nicht gegen die Unzulässigkeitsentscheidung als solche, sondern (nur) gegen die fehlerhafte Versagung von Abschiebungsverboten, so ist dies mit der Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage anzugreifen. Insoweit fehlt es nämlich an der „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, die bei Unzulässigkeitsentscheidungen zur Statthaftigkeit der (isolierten) Anfechtungsklage führt. Für Kläger bedeutet dies, dass sie die Anfechtungsklage gegen den Unzulässigkeitsbescheid mit einem (hilfsweisen) Verpflichtungsbegehren zu verbinden haben bzw. – falls die (eigentliche) Unzulässigkeitsentscheidung gar kein Klagegegenstand ist – weiterhin eine Versagungsgegenklage auf Feststellung nationalen Abschiebungs-schutzes zu erheben ist, wenn sie in Bezug auf den jeweiligen Abschiebezielstaat Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG sehen (BVerwG, B.v. 03.04.2017 – 1 C 9/16 – juris; Berlit, Anmerkung zum B.v. 03.04.2017 – 1 C 9/16 vom 10.07.2017, jurisPR-BVerwG, 114/2017, Anm. 1 – juris).
2. Selbst wenn eine zulässige Versagungsgegenklage im Hinblick auf die Ziffer 2 des Bescheides erhoben worden wäre, stünde der Klägerin im hiesigen Verfahren jedenfalls kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK bzw. aus Art. 6 GG zu.
a) Bei der Beurteilung von Abschiebungsverboten ist zwischen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG), bei denen wegen der Verhältnisse im Zielstaat eine Abschiebung aus rechtlichen Gründen unzulässig ist, und inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen (§ 60a Abs. 2 AufenthG), bei denen die Abschiebung als solche aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unzulässig ist, zu differenzieren. Bei der Ablehnung eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig wegen bereits erfolgter Gewährung von internationalem Schutz durch einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union, ist nach § 35 AsylG (nur) eine Abschiebungsandrohung und keine Abschiebungsanordnung zu erlassen. Ergeht – wie im vorliegenden Fall – lediglich eine Abschiebungsandrohung, sind vom Bundesamt nur zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, nicht jedoch auch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu prüfen. Letztere sind vielmehr von der Ausländerbehörde im Rahmen des Vollzugs der Abschiebung zu berücksichtigen (VG Augsburg, B.v. 28.3.2017 – Au 7 S. 17.30519 – juris; VG München, B.v. 20.7.2017 – M 21 S. 17.33976 – juris; vgl. auch BVerwG, U.v. 21.9.1999 – 9 C 12/99 – juris).
Soweit die Klägerin darauf verweist, dass im Falle einer Abschiebung eine Trennung von ihren minderjährigen Kindern und ihrem Ehemann, denen in Deutschland subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, erfolgt, führt dieser Vortrag zu keinem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (Schutz der Familie). Nach dem (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über § 60 Abs. 5 AufenthG werden zwar die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Der Schutz der Ehe und Familie im Lichte des Art. 8 EMRK oder des Art. 6 GG im Falle einer Trennung begründet jedoch nur ein sog. inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis – auch soweit es sich um trennungsbedingte (mittelbare) Gefahren im Zielstaat handelt – für dessen Prüfung in der vorliegenden Fallgestaltung nicht das Bundesamt im Rahmen des Asylverfahrens, sondern allein die Ausländerbehörde vor einer tatsächlichen Abschiebung zuständig ist (VG Aachen, U.v. 12.5.2017 – 2 K 1387/16.A – juris; HessVGH, B. v. 15.2.2006 – 7 TG 106/16 – juris; BVerwG, U.v. 21.9.1999 – 9 C 12/99 – juris; VG München a.a.O.).
Da der Schutz aus Art. 8 EMRK bzw. Art. 6 GG nur ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis darstellt, ist die Versagung eines Abschiebungsverbots durch die Beklagte im Hinblick auf die Wahrung der Familieneinheit nicht zu beanstanden. Vielmehr wird sich die Ausländerbehörde – sollte tatsächlich eine Abschiebung der Klägerin in Erwägung gezogen werden – eingehend mit dem Schutz der Ehe und Familie auseinanderzusetzen haben.
b) Mangels Entscheidungserheblichkeit kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob die im angefochtenen Bescheid abgegebene Begründung zur Ablehnung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK den vom Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 08.05.2017 (2 BvR 157/17 – juris) aufgestellten Anforderungen an die Sachaufklärungs- und Prüfungspflicht gerecht wird oder die Abschiebung der in Griechenland als international schutzberechtigt anerkannten Klägerin im konkreten Fall einen Verstoß gegen § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK darstellt.
III.
Soweit die Klage zulässig ist, hat sie Erfolg. Die Ziffern 3 und 4 des Bescheides sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Ziffer 3 des Bescheides ist bereits deswegen rechtswidrig, weil die Beklagte eine Ausreisefrist von 30 Tagen festgesetzt hat. Soweit die Beklagte die Ausreisefrist von 30 Tagen auf § 38 Abs. 1 AsylG („in den sonstigen Fällen“) stützt wird verkannt, dass § 36 Abs. 1 AsylG gegenüber § 38 Abs. 1 AsylG eine Spezialregelung darstellt. Nach § 35 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG ist in den Fällen der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG eine Abschiebungsandrohung zu erlassen. Dabei beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche. Die Wochenfrist hat ausweislich des Gesetzeswortlautes zwingenden Charakters. Einer anderweitigen Fristsetzung durch das Bundesamt steht § 36 Abs. 1 AsylG entgegen (vgl. auch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 36 Rn. 5), selbst wenn diese für die Klägerin günstiger ist (vgl. zur ähnlichen Problematik: bloße Abschiebungsandrohung statt vorgeschriebener Abschiebungsanordnung, BayVGH, B.v. 14.06.2016 – 21 ZB 16.30074 – juris).
2. Da die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides aufzuheben ist, kann auch die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4 des Bescheides keinen Bestand haben. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG knüpft tatbestandlich an eine Abschiebung der Klägerin an. Mit der Aufhebung der Ziffer 3 des Bescheides fehlt es jedoch an der notwendigen Abschiebungsentscheidung.
3. Die Kostenentscheidung des gerichtskostenfreien Verfahrens beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG. Der Gegenstandwert ergibt sich aus § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 und 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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