Verwaltungsrecht

Regelbeurteilung nach vorläufiger Dienstenthebung

Aktenzeichen  6 B 17.1026

Datum:
5.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 128065
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
BBG § 26
BLV § 33 Abs. 3, § 48 Abs. 1, Abs. 2
BDG § 35, § 38

 

Leitsatz

1. Eine Suspendierung vom Dienst rechtfertigt nicht, per se eine Regelbeurteilung ausfallen zu lassen; sie ist grds. nach Abschluss des Disziplinarverfahrens nachzuholen, sofern während des jeweiligen Beurteilungszeitraumes ausreichende dienstliche Leistungen erbracht worden sind, die Grundlage einer Beurteilung sein können, wobei eine Dienstzeit von 50 Prozent eines zweijährigen Beurteilungszeitraums ausreichend für eine Beurteilung ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer erfolgten vorläufigen Suspendierung vom Dienst besteht kein Anspruch des Beamten auf eine fiktive Fortschreibung der dienstlichen Beurteilung, da dies nicht vom Sinn und Zweck der entsprechenden gesetzlichen Regelungen erfasst ist, wie dies zB für vom Dienst freigestellte Personalratsmitglieder oder in Elternzeit befindliche Beamtinnen und Beamte geregelt ist; hier soll die Beamtin bzw. der Beamte nicht aus Sorge um berufliche Perspektiven auf das Ehrenamt des Personalratsmitglieds oder auf die Inanspruchnahme der Elternzeit verzichten müssen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Gesamturteil einer im Ankreuzverfahren erstellten dienstlichen Beurteilung bedarf in der Regel einer gesonderten Begründung, um erkennbar zu machen, wie es aus den Einzelbewertungen hergeleitet wird (vgl. BVerwG BeckRS 2017, 113727; BVerwG BeckRS 2016, 40404, ebenso BayVGH BeckRS 2016, 46975); denn nur wenn im Gesamturteil Ausführungen zur Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen bestenauswahlbezogenen Einzelmerkmale erfolgen, kann gerichtlich die Einhaltung gleicher Maßstäbe überprüft werden (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 112150; BVerwG BeckRS 2017, 113727). (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Regelbeurteilung bedarf nicht zwingend einer Begründung des jeweiligen Gesamturteils; sie ist entbehrlich, wenn die jeweiligen Einzelbewertungen ein einheitliches Bild abgeben (ebenso BVerwG BeckRS 2016, 40404; vgl. BVerwG BeckRS 2016, 112150 zur Begründungspflicht, bejahend bei Notenabfall um zwei Stufen, wohl nicht bei Verschlechterung um nur eine Notenstufe). (redaktioneller Leitsatz)
5. Wird dem Erstbeurteiler durch einen Vorgesetzten „mitgeteilt“, ein zu beurteilender Beamter solle eine bestimmte Punktzahl bekommen und der Vorgesetzte verknüpft mit dieser “Mitteilung” ersichtlich die Erwartungshaltung, der Erstbeurteiler werde das von der Führungsebene der Behörde als angemessen angesehene Gesamturteil als „letztlich feststehend“ schlicht übernehmen, ist dies eine unzulässige Einwirkung auf den Erstbeurteiler, die zur Rechtswidrigkeit der Beurteilung führt (ebenso OVG NRW BeckRS 2006, 27603). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 15.174 2016-12-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 13. Dezember 2016 – M 21 K 15.174 – wird abgeändert.
II. Die dienstliche Beurteilung des Klägers vom 8. Juli 2014 für den Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum 30. September 2012 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger für den genannten Zeitraum unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut dienstlich zu beurteilen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger, ein Polizeihauptmeister bei der Bundespolizei, begehrt die Neuerteilung seiner dienstlichen Beurteilung für den Zeitraum 1. Oktober 2004 bis 30. September 2012, die mit der Gesamtnote 7 schließt.
In der Zeit vom 27. November 2007 bis 20. April 2011 war der Kläger gemäß § 38 Abs. 1 BDG unter Einbehaltung von 50% der Bezüge vorläufig des Dienstes enthoben, nachdem er wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung vom Amtsgericht München am 10. September 2007 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden war. Sein Antrag, die vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung der Dienstbezüge bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens vor dem Landgericht München I auszusetzen, hatte keinen Erfolg (VG München, B.v. 25.2.2008 – M 19 B DA 07.5731; BayVGH, B.v. 13.11.2008 – 16b DS 08.704). Nachdem das Landgericht München I die Gesamtfreiheitsstrafe mit seit 31. März 2010 rechtskräftigem Urteil auf 9 Monate herabgesetzt und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof daraufhin die Verfügung des Bundespolizeipräsidiums Süd vom 27. November 2007 durch Beschluss vom 10. April 2011 – 16b DS 10.1120 – ausgesetzt hatte, wurde der Kläger zum Mai 2011 wieder in den Dienst versetzt.
In der am 26. Juni 2014 von PHK S. als Erstbeurteiler und EPHK B. als Zweitbeurteiler unterzeichneten, dem Kläger am 8. Juli 2014 eröffneten „Regelbeurteilung“ für den Zeitraum 1. Oktober 2004 bis 30. September 2012 wurde diesem auf einer von 1 als niedrigster bis 9 als höchster Note zeichnenden Bewertungsskala die Gesamtnote 7 zuerkannt. Bei der Leistungsbewertung wurden für 2 von insgesamt 15 bewerteten Leistungsmerkmalen die Notenstufe 8, für die übrigen jeweils die Notenstufe 7 vergeben. Bei der Befähigungsbeurteilung wurden von 10 Merkmalen drei mit „A“ (besonders stark ausgeprägt) und sieben mit „B“ (stärker ausgeprägt) beurteilt. Die Gesamtnote 7 wurde, wie auch die Einzelbewertungen, nicht weiter begründet. In dem für den Zeitraum vom 27. April 2007 bis 21. August 2007 eingeholten Beurteilungsbeitrag von PHKin J. waren ihm für 6 von insgesamt 15 bewerteten Leistungsmerkmalen die Einstufung 6, für die übrigen jeweils die Einstufung 5 zuerkannt worden.
Der Kläger ließ gegen die Beurteilung Widerspruch einlegen, der nicht begründet wurde und über den die Beklagte nicht entschieden hat.
Die am 15. Januar 2015 erhobene Klage gegen die dienstliche Beurteilung hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 13. Dezember 2016 abgewiesen. Die angegriffene Regelbeurteilung sei rechtmäßig. Insbesondere sei der Kläger entgegen seiner Behauptung nicht etwa „von der Direktion der Bundespolizei F.“ beurteilt worden, sondern durch die in seinem Fall zuständigen Erst- und Zweitbeurteiler, dem Einheitsführer PHK S. und dem Hundertschaftsführer EPHK B. Dies sei durch deren Unterschriften unter der angegriffenen Regelbeurteilung einwandfrei belegt. Diese seien auch in der Lage gewesen, ihre Leistungsbewertung auf ihre eigene Anschauung zu stützen, weil der Kläger im überwiegenden Teil des Beurteilungszeitraums in ihrer Organisationseinheit tätig gewesen sei. Der Beurteilungsbeitrag der PHKin J. sei bei der Ausübung des Beurteilungsspielraums berücksichtigt worden.
Mit seiner vom Senat wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Er weist insbesondere darauf hin, dass er in den vorhergehenden Beurteilungszeiträumen (1.5.1998 bis 30.9.2002 und 1.10.2002 bis 30.9.2004) jeweils die Gesamtnote 8 erhalten habe und in der nachfolgenden Regelbeurteilung für den Zeitraum 1.10.2012 bis 30.9.2014 sogar mit der Gesamtnote 9 beurteilt worden sei. Der angegriffenen Beurteilung fehle es an einer Begründung für die schlechtere Beurteilung sowie an einer fiktiven Nachzeichnung des beruflichen Werdegangs des Klägers für die Zeit, in der er vom Dienst suspendiert gewesen sei. Darüber hinaus sei die Beurteilung rechtswidrig, weil das Gesamturteil nicht begründet worden sei, sodass der Weg der Beklagten zur Gewinnung dieses Urteils vom beurteilten Beamten nicht nachvollziehbar sei. Da die streitgegenständliche Regelbeurteilung nach eigener Aussage des Erst- bzw. Zweitbeurteilers nicht von ihnen stamme, lägen der Beurteilung des Klägers keine eigenen Erkenntnisquellen der (tatsächlichen) Beurteiler zugrunde. Eine derartige Beurteilungspraxis sei rechtswidrig.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 13. Dezember 2016 die dienstliche Beurteilung des Klägers für den Zeitraum vom 1. April 2004 bis zum 30. September 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger für den genannten Zeitraum unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu dienstlich zu beurteilen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der außergewöhnlich lange Beurteilungszeitraum der Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Oktober 2012 sei dem Umstand geschuldet, dass gegen den Kläger über einen relativ langen Zeitraum hinweg ein Straf- bzw. Disziplinarverfahren anhängig und er infolge dessen während der Zeit von November 2007 bis April 2011 des Dienstes enthoben gewesen sei. Nach Ziff. 7 des Erlasses des Bundesministeriums des Innern vom 8. Juni 2004 könne es in Einzelfällen gerechtfertigt sein, von der Erstellung einer Regelbeurteilung abzusehen, solange noch ein Disziplinarverfahren anhängig sei. Wegen der ausgesprochenen Dienstenthebung nach § 38 BDG habe der Kläger auf der Grundlage von Nr. 3.1.2.8 der Richtlinien für die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei vom 1. März 2002 – zuletzt geändert am 4. September 2012 – keine Regelbeurteilung erhalten. Der Zweitbeurteiler (EPHK B.) sei seit dem 25. August 2005 Hundertschaftsführer des Klägers, und der Erstbeurteiler (PHK S.) sei seit dem 1. September 2003 sein unmittelbarer Vorgesetzter.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 9. August 2017 gemäß § 130a VwGO darauf hingewiesen, dass eine Stattgabe der Berufung durch Beschluss in Betracht komme, weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Sachakten Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers nach entsprechender Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, da er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a VwGO).
Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage zu Unrecht abgewiesen. Die angefochtene Regelbeurteilung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil sie entgegen der hierfür maßgeblichen Richtlinien für die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei aus dem Jahr 2002 (in der jeweils aktualisierten Fassung) einen Zeitraum von acht Jahren umfasst (1.) Darüber hinaus fehlt auch die vorliegend unverzichtbare Begründung des Gesamturteils (2.). Die Beurteilung ist daher aufzuheben. Der Kläger hat Anspruch auf eine erneute, rechtsfehlerfreie Beurteilung für die Zeit vom 1. Oktober 2004 bis 30. September 2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
1. Die Beklagte war nach §§ 48 ff. der auf Grund der Ermächtigung in § 26 BBG erlassenen Bundeslaufbahnverordnung (BLV) berechtigt, Eignung, Befähigung und fachliche Leistung ihrer Beamten in regelmäßigen Abständen zu beurteilen (vgl. BVerwG, U.v. 11.12.2008 – 2 A 7.07 – juris Rn. 11). Sie hat für die bei der Bundespolizei beschäftigten Beamten im Jahr 2002 Richtlinien für die Beurteilung (BeurtRL BPOL vom 1. März 2002) erlassen, die in jeweils aktualisierter Fassung bis zum 31. August 2016 in Kraft waren.
Die Entscheidung des Dienstherrn darüber, ob und in welchem Grad ein Beamter die für sein Amt und für seine Laufbahn erforderliche Befähigung und fachliche Leistung aufweist, ist ein von der Rechtsordnung dem Dienstherrn vorbehaltener Akt wertender Erkenntnis. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung hat sich deshalb darauf zu beschränken, ob der Dienstherr den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich bewegen kann, verkannt, ob er einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt, allgemeine Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat. Hat der Dienstherr – wie hier – Richtlinien über die Erstellung dienstlicher Beurteilungen erlassen, sind die Beurteiler auf Grund des Gleichheitssatzes hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrens und der anzulegenden Maßstäbe an diese Richtlinien gebunden. Das Gericht hat deshalb auch zu kontrollieren, ob die Richtlinien eingehalten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. BVerwG, U.v. 27.11.2014 – 2 A 10.13 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Hiervon ausgehend ist die streitgegenständliche Regelbeurteilung zu beanstanden, weil sie richtlinienwidrig für einen zu langen Beurteilungszeitraum erstellt worden ist. Bis zum Inkrafttreten der neuen Beurteilungsrichtlinien am 1. September 2016 erfolgte die Regelbeurteilung der Beamten der Bundespolizei alle zwei Jahre zum Stichtag 1. Oktober (vgl. Nr. 3.1.1 BeurtRL BPOL). Die angefochtene Beurteilung umfasst dagegen einen Zeitraum von acht Jahren. Damit hat die Beklagte im Fall des Klägers gegen die Bestimmungen ihrer Richtlinien verstoßen und darüber hinaus auch gegen § 48 Abs. 1 BLV, wonach eine Beurteilung grundsätzlich spätestens alle drei Jahre zu erfolgen hat. Das führt zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Regelbeurteilung.
Dienstliche Beurteilungen haben zum Ziel, ein gerechtes, aussagefähiges, möglichst objektives und vergleichbares Bild der Leistung und Befähigung der Mitarbeiter zu gewinnen. Sie dienen als Grundlage für sachgerechte Personalentscheidungen, da der Vergleich von Bewerbern im Rahmen einer dienstrechtlichen Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 GG vor allem anhand dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, B.v. 21.12.2016 – 2 VR 1.16 – juris Rn. 23). Die Eignung dienstlicher Beurteilungen als Grundlage für den Bewerbervergleich setzt voraus, dass diese jeweils den gleichen Beurteilungszeitraum umfassen und gleiche Beurteilungsmaßstäbe angewendet werden (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2014 – 2 A 10.13 – juris Rn. 21).
Ungeachtet dessen, dass eine sachgerechte, plausible, differenzierte und aussagekräftige Beurteilung der Leistungen, die in einem Zeitraum von acht Jahren erbracht worden sind, kaum möglich sein dürfte, können mit einer solchen Beurteilung die oben genannten Ziele nicht erreicht werden. Insbesondere ist eine Vergleichbarkeit mit den Regelbeurteilungen der Kollegen des Klägers nicht gegeben, so dass der Sinn einer Regelbeurteilung verfehlt wird.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann dies nicht mit dem Umstand gerechtfertigt werden, dass gegen den Kläger über einen sehr langen Zeitraum hinweg (ab 21. Januar 2003 mit Unterbrechungen bis Mai 2011) ein Disziplinarverfahren anhängig war und er in der Zeit von November 2007 bis April 2011 wegen eines gegen ihn anhängigen Strafverfahrens des Dienstes enthoben war. Zwar können nach § 48 Abs. 2 BLV Ausnahmen von der regelmäßigen Beurteilung zugelassen werden, wenn eine dienstliche Beurteilung nicht zweckmäßig ist. Dem entspricht es, die Regelbeurteilung in den Fällen, in denen gegen den Beamten ein Disziplinarverfahren oder gar ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, bis zum rechtkräftigen Abschluss des Verfahrens zurückzustellen (so auch Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 8.6.2004 unter 7.) Sie ist dann aber grundsätzlich nach Abschluss des Disziplinarverfahrens nachzuholen, das heißt, dass die zurückgestellte(n) Regelbeurteilung(en) jeweils für die den Beurteilungsrichtlinien entsprechenden Beurteilungszeiträume nachträglich erstellt werden muss/müssen, sofern während des jeweiligen Beurteilungszeitraumes ausreichende dienstliche Leistungen erbracht worden sind, die Grundlage einer Beurteilung sein können.
Dies zugrunde gelegt ergibt sich im Fall des Klägers folgendes:
1.1 Im Beurteilungszeitraum vom 1. Oktober 2004 bis 30. September 2006 hat der Kläger seinen Dienst verrichtet, wenngleich gegen ihn bereits am 21. Januar 2003 ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden war, dessen zwischenzeitlich erfolgte Einstellung gemäß § 35 Abs. 2 BDG wieder aufgehoben und auf weitere Vorwürfe ausgedehnt wurde. Daher ist eine sachgerechte Beurteilung des Klägers für diesen Zeitraum möglich.
1.2 Auch im folgenden Regelbeurteilungszeitraum vom 1. Oktober 2006 bis 30. September 2008 hat der Kläger jedenfalls bis zu seiner Suspendierung am 27. November 2007 Dienst geleistet, insgesamt also ein Jahr, ein Monat und 26 Tage. Eine Dienstzeit von mehr als 50% des zweijährigen Beurteilungszeitraums ist ausreichend, um eine sachgerechte Beurteilung der erbrachten Leistungen des Klägers zu ermöglichen (vgl. BayVGH, U.v. 19.11.2008 – 15 B 08.2040 – juris Rn. 36; s. auch Nr. 3.1.2 BeurtRL BPOL.).
1.3 Während des gesamten folgenden Beurteilungszeitraums (1.10.2008 – 30.9.2010) war der Kläger gemäß § 38 BDG des Dienstes enthoben, sodass keine dienstlichen Leistungen erbracht wurden, die Grundlage einer Regelbeurteilung sein könnten. Hierfür kann daher mangels belastbarer Erkenntnisgrundlagen eine Beurteilung nicht erstellt werden.
Entgegen der Auffassung des Klägers hat er auch keinen Anspruch auf eine fiktive Fortschreibung der für den vorangegangenen Zeitraum zu erstellenden Regelbeurteilung. Denn für einen solchen Anspruch fehlt es an einer Anspruchsgrundlage. Dienstliche Beurteilungen sollen Grundlage für künftige Auswahlentscheidungen sein und daher eine möglichst lückenlose Leistungsnachzeichnung gewährleisten (BVerwG, U.v. 16.10.2008 – 2 A 9.07 – juris Rn. 37). Werden während des Beurteilungszeitraumes keine dienstlichen Leistungen erbracht, die Grundlage einer Beurteilung sein könnten, so kann der Dienstherr in bestimmten Fällen Benachteiligungen der betroffenen Beamten dadurch ausschließen, dass er die Fortschreibung vergangener Beurteilungen durch eine fiktive Nachzeichnung ihres beruflichen Werdeganges vorsieht. Die fiktive Fortschreibung fingiert nicht nur eine tatsächlich im Beurteilungszeitraum nicht erbrachte Dienstleistung, sie unterstellt auch eine Fortentwicklung der Leistungen des Beamten entsprechend dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang einer Gruppe vergleichbarer Beamter.
Das durch Verwaltung und Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut einer fiktiven Fortschreibung dienstlicher Beurteilungen ist seit 2009 in § 33 Abs. 3 BLV geregelt. Zu den darin ausdrücklich normierten Fällen – Beurlaubungen nach § 6 Abs. 1 der Sonderurlaubsverordnung, Beamte in Elternzeit und Freistellungen wegen einer Tätigkeit im Personalrat, als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen oder als Gleichstellungsbeauftragte – zählt die vorläufige Suspendierung nach § 38 BDG nicht. Eine erweiterte Auslegung oder analoge Anwendung des § 33 Abs. 3 BLV auf diese Fälle scheidet aus. Zwar enthält diese Vorschrift keine abschließende Aufzählung der Fälle, in denen eine fiktive Fortschreibung einer dienstlichen Beurteilung möglich sein soll („jedenfalls“). Jedoch erlaubt § 33 Abs. 3 BLV eine erweiterte Anwendung nur auf solche Fälle, die mit den geregelten Fällen von den tatbestandlichen Voraussetzungen her vergleichbar sind (OVG RhPf, B.v. 16.3.2017 – 10 B 11626/16 – juris Rn. 5 f.). Das ist bei der vorläufigen Suspendierung nicht der Fall. Das Benachteiligungsverbot bezüglich der in § 33 Abs. 3 BLV genannten Beamten dient deren inneren und äußeren Unabhängigkeit. Der Beamte soll nicht aus Sorge um berufliche Perspektiven auf das Ehrenamt des Personalratsmitglieds oder auf die Inanspruchnahme der Elternzeit verzichten müssen (vgl. BayVGH, U.v. 19.11.2008 – 15 B 08.2040 – juris Rn. 39). Diese Überlegungen spielen bei Beamten, die vorläufig vom Dienst suspendiert wurden, ersichtlich keine Rolle, sie unterfallen daher nicht dem Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Regelung. Auch eine analoge Anwendung von § 33 Abs. 3 BLV etwa unter dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung kommt vorliegend nicht in Betracht, da die vorläufige Enthebung vom Dienst nicht von vornherein rechtswidrig gewesen ist (vgl. dazu BayVGH, B.v. 18.11.2015 – 6 ZB 15.1855 – juris Rn. 11).
1.4 Im daran anschließenden Regelbeurteilungszeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 30. September 2012 hat der Kläger nach Aufhebung der Suspendierung ab Mai 2011 und damit insgesamt 1 Jahr und 5 Monate regelmäßigen Dienst geleistet, so dass die Erstellung einer sachgerechten und leistungsbezogenen Regelbeurteilung für diesen Zeitraum insofern ebenfalls möglich ist (s. 1.2).
2. Im Übrigen wäre die streitgegenständliche Beurteilung, die im sogenannten Ankreuzverfahren für vorgegebene Einzelbewertungen erstellt wurde, auch deshalb aufzuheben, weil es an der erforderlichen Begründung des Gesamturteils fehlt.
Nach der Rechtsprechung darf der Dienstherr in seinen Beurteilungsrichtlinien zwar ein Ankreuzverfahren für die Einzelbewertungen ohne zusätzliche individuelle textliche Begründungen vorsehen, sofern die Bewertungskriterien – wie hier – hinreichend differenziert und die Notenstufen textlich definiert sind; er muss die im Ankreuzverfahren vorgenommenen Einzelbewertungen im weiteren Verfahren nur bei konkreten Nachfragen und Rügen bezüglich einzelner Bewertungen plausibilisieren, wobei die Anforderungen an die Plausibilisierung auch davon abhängen, wie substantiiert die Einzelbewertungen vom Beamten in Frage gestellt werden (BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 27.14 – juris Rn. 26).
Im Unterschied zu den Einzelbewertungen bedarf das Gesamturteil einer im Ankreuzverfahren erstellten dienstlichen Beurteilung aber in der Regel einer gesonderten Begründung, um erkennbar zu machen, wie es aus den Einzelbewertungen hergeleitet wird (BVerwG, U.v. 2.3.2017 – 2 C 51.16 – juris Rn. 11; U.v. 17.9.2015 – 2 C 27.14 – juris Rn. 30; BayVGH, U.v. 10.5.2016 – 6 BV 14.1885 – juris Rn. 12 ff.). Nur so kann das Gesamturteil nachvollzogen und einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden, insbesondere nachdem es im Ermessen des Dienstherrn steht, welches Gewicht er den einzelnen Merkmalen beimessen will. Das abschließende Gesamturteil ist durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen bestenauswahlbezogenen Einzelmerkmale zu bilden (BVerwG, B.v. 21.12.2016 – 2 VR 1.16 – juris Rn. 39 m.w.N.). Die Gewichtung bedarf schon deshalb in der Regel einer Begründung, weil nur so die Einhaltung gleicher Maßstäbe gewährleistet werden kann. Diese ist ein materieller Bestandteil der dienstlichen Beurteilung und kann nicht im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden (BVerwG, U.v. 2.3.2017 – 2 C 51.16 – juris Rn. 16 ff.).
Eine entsprechende Begründung des Gesamturteils fehlt in der im Ankreuzverfahren erstellten dienstlichen Beurteilung des Klägers. Sie war vorliegend auch nicht entbehrlich. Das kann nur dann ausnahmsweise gegeben sein, wenn im konkreten Fall eine andere Note nicht in Betracht kommt, weil sich die vergebene Note – vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf Null – geradezu aufdrängt (BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 27.14 – juris Rn. 37). Das war bei der streitgegenständlichen Beurteilung des Klägers aber nicht der Fall.
Zwar mag angesichts des relativ einheitlichen Leistungsbildes aus den Einzelnoten bei der Leistungsbewertung (13 x Note 7, 2 x Note 8) im Normalfall einer Regelbeurteilung die Gesamtnote 7 mehr oder weniger naheliegen. Angesichts der zahlreichen Besonderheiten im Fall des Klägers liegt jedoch ein solcher „Normalfall“ nicht vor. Die Besonderheiten liegen hier darin, dass die Leistungen des Klägers für einen außergewöhnlich langen Zeitraum beurteilt wurden, in dem darüber hinaus gegen ihn ein Disziplinar- und ein Strafverfahren anhängig waren. Auch der Umstand, dass der Kläger über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren vom Dienst suspendiert war, stellt eine Besonderheit dar, die es erforderlich gemacht hätte, zumindest in der Gesamtbeurteilung zu erläutern, welche Abschnitte des Beurteilungszeitraums wie gewichtet wurden, und ob – und wenn ja wie – das Disziplinarverfahren und die strafrechtliche Verurteilung des Klägers in die Bewertung eingeflossen sind.
Nach alledem hätte die Beklagte nicht auf die regelmäßig erforderliche textliche Begründung des Gesamturteils verzichten dürfen.
3. Im Hinblick auf die für die genannten Zeiträume jeweils neu zu erstellenden dienstlichen Beurteilungen des Klägers sieht der Senat angesichts der Ausführungen der Beteiligten Anlass für folgende Ausführungen:
3.1 PHK S. und EPHK B. sind die für die nachzuholenden Regelbeurteilungen des Klägers zuständigen Erst- und Zweitbeurteiler.
Nach den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen der Beklagten ist PHK S. seit dem 1. September 2003 der unmittelbare Vorgesetzte des Klägers und daher gemäß Nr. 4.4 BeurtRL BPOL 2002 i.V.m. Anlage 1 Nr. 14 der für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum (1.10.2004 – 30.9.2012) zuständige Erstbeurteiler, der die vom Kläger jeweils tatsächlich erbrachten Leistungen entweder aus eigener Anschauung oder durch Ausschöpfung sonstiger Erkenntnisquellen (Beurteilungsbeiträge, Stellungnahmen etc.) zu bewerten hat (Nr. 4.2 BeurtRL BPOL).
EPHK B. ist seit 25. August 2005 Hundertschaftsführer des Klägers und damit der nach den o.g. Regelungen zuständige Zweitbeurteiler. Gemäß Nr. 4.3 BeurtRL BPOL bewertet er die Leistung und Befähigung des Klägers lediglich abschließend und ist vor allem für die Anwendung eines einheitlichen Beurteilungsmaßstabs verantwortlich. Der Wortlaut des zweiten Halbsatzes des § 50 Abs. 1 Satz 1 BLV 2009 steht dem nicht entgegen. Die Vorschrift verlangt nicht, dass zwei „Beurteiler“ die Beurteilung erstellen, sondern nur, dass „zwei Personen“ an deren Erstellung beteiligt sind. Durch dieses „Vier-Augen-Prinzip“ soll sichergestellt werden, dass dienstliche Beurteilungen nach objektiv einheitlichen Maßstäben erstellt werden und infolge dessen vergleichbar sind. Dieser Zweck erfordert es nicht, dass beide an der Erstellung der Beurteilung beteiligten Personen die formale Stellung eines Beurteilers haben, das heißt eigene unmittelbare Erkenntnisse der Leistung und Befähigung des zu beurteilenden Beamten haben. Die Kontroll- und Vereinheitlichungsfunktion kann vielmehr auch dann erreicht werden, wenn ein Beurteiler – ggf. nach Einholung der entsprechenden Informationen – einen Beurteilungsvorschlag fertigt und diesen dem Zweitbeurteiler gegenüber erläutert (vgl. VGH BW, U.v. 15.6.2016 – 4 S 126/15 – juris Rn. 55).
3.2 Die neu zu erstellenden Regelbeurteilungen bedürfen – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht zwingend einer Begründung des jeweiligen Gesamturteils. Eine solche ist vielmehr auch bei einer im Ankreuzverfahren erstellten Beurteilung dann entbehrlich, wenn die jeweiligen Einzelbewertungen ein so einheitliches Bild abgeben, dass die Erläuterung ihrer Gewichtung entbehrlich ist (BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 27.14 – juris Rn. 37). Das gilt allerdings nicht, wenn die Leistung des Beamten erheblich schlechter beurteilt wird als im vorangegangenen Beurteilungszeitraum (vgl. BVerwG, U.v. 21.12.2016 – 2 VR 1.16 – juris Rn. 33, wo die Leistung des Beamten um zwei Notenstufen schlechter als im vorhergehenden Beurteilungszeitraum beurteilt worden war). Dabei löst aber nicht grundsätzlich schon jede Verschlechterung eine Begründungspflicht aus. Sie muss vielmehr „erheblich“ sein. Dies ist bei einer Verschlechterung um nur eine Notenstufe wohl noch nicht anzunehmen – erst recht nicht, wenn die Leistung beispielsweise lediglich um einen Punkt innerhalb einer zwei Punkte umfassenden Notenstufe schlechter bewertet wird als bei der vorangegangenen Beurteilung.
3.3 Zur Rüge des Klägers, den Beurteilern sei das Beurteilungsergebnis „von oben“ vorgegeben worden, sei darauf hingewiesen, dass die Beurteiler gemäß Nr. 6.1 BeurtRL BPOL unabhängig und weisungsfrei beurteilen, wobei der Erstbeurteiler seine eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen zu Grunde zu legen und sich am im Einzelfall gezeigten Leistungsbild des jeweils zu beurteilenden Beamten auszurichten hat. Wird durch Erteilung einer Weisung auf die Urteilsbildung des Erstbeurteilers eingewirkt, führt dies daher zur Rechtswidrigkeit der Beurteilung. Die Weisungsfreiheit kann auch dadurch tangiert werden, dass ein Vorgesetzter eine bestimmte Erwartungshaltung verdeutlicht und dies nach dem objektiven Erklärungsgehalt der Äußerungen und in Abhängigkeit von den weiteren Fallumständen auf eine Einflussnahme hinausläuft, die einer Weisung gleichkommt (OVG NW, B.v. 27.4.2001 – 6 A 4754/00 – juris Rn. 19). Das wäre zu bejahen, wenn einem Erstbeurteiler durch einen Vorgesetzten „mitgeteilt“ wird, ein zu beurteilender Beamter solle eine bestimmte Punktzahl bekommen, falls dieser Vorgesetzte damit ersichtlich die Erwartungshaltung verknüpft, der Erstbeurteiler werde das von der Führungsebene der Behörde als angemessen angesehene Gesamturteil als „letztlich feststehend“ schlicht übernehmen (vgl. OVG NW, B.v. 24.11.2006 – 6 B 2124/06 – juris Rn. 9; Schnellenbach/Bodanowitz, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, 3. Aufl. Stand März 2017, Rn. 268).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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