Aktenzeichen 1 C 4/21
Leitsatz
1. § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG trifft im Einklang mit Art. 3 RL 2011/95/EU eine günstigere nationale Regelung zur Entscheidung darüber, wer als Flüchtling oder als Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit und der Ledigkeit des international Schutzberechtigten sowie für das Innehaben der Personensorge im Sinne von § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG ist der Zeitpunkt der Asylantragstellung sowohl des Schutzberechtigten als auch des antragstellenden Elternteils.
3. Ein Asylantrag ist im Sinne von § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt, wenn ein Schutzersuchen bei einer für dessen Registrierung zuständigen Behörde oder einer Behörde, bei der ein solches wahrscheinlich gestellt wird, formlos angebracht wird.
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 25. Januar 2021, Az: 14 A 822/19.A, Beschlussvorgehend VG Köln, 15. Januar 2019, Az: 14 K 9313/16.A, Urteil
Tenor
Auf die Revision der Kläger werden der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Januar 2021 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. Januar 2019 geändert.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Oktober 2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Voraussetzungen der Zuerkennung der (Familien-)Flüchtlingseigenschaft.
2
Die Kläger sind Staatsangehörige der Syrischen Arabischen Republik kurdischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit. Der im Jahr 1964 geborene Kläger zu 1 und die im Jahr 1970 geborene Klägerin zu 2 sind die Eltern, die in den Jahren 2006 bzw. 2010 geborenen Klägerinnen zu 3 und 4 sind die Schwestern der im Januar 1998 geborenen D… S… (im Folgenden: Stammberechtigte). Im September 2015 verließ die Familie, die bis dahin in A… lebte, ihr Heimatland, reiste auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein und suchte um Asyl nach. Im April 2016 erhoben sie Untätigkeitsklage. Im Juli 2016 stellten die Kläger ihren Asylantrag förmlich. Mit Bescheid vom 12. Oktober 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ihnen den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte ihre Asylanträge im Übrigen ab. Der Stammberechtigten wurde im Januar 2017 mit in Bestandskraft erwachsenem Bescheid des Bundesamts die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
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Das Verwaltungsgericht hat die auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage der Kläger abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger zurückgewiesen. Die Furcht der Kläger vor flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung sei unbegründet. Ein Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung ergebe sich auch nicht aus § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 und 2 AsylG unter dem Gesichtspunkt des Flüchtlingsschutzes für Familienangehörige. Grundsätzlich sei gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts abzustellen. Weder im Zeitpunkt der berufungsgerichtlichen Entscheidung noch im Übrigen im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag der Kläger und der Stammberechtigten sei diese minderjährig gewesen. Für die Minderjährigkeit und den Familienstatus des Schutzberechtigten, von dem der um Familienschutz nachsuchende Antragsteller sein Recht ableiten wolle, sehe das Gesetz eine Vorverlagerung des maßgebenden Zeitpunkts nicht vor. Eine solche sei auch dem Zweck nach nicht geboten. Insbesondere zwinge der Gesichtspunkt der Wahrung des Familienverbands im Sinne des Art. 23 RL 2011/95/EU nicht zu einer solchen Auslegung. Unabhängig davon seien die Kläger nicht im Sinne des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG Eltern bzw. Geschwister einer minderjährigen ledigen international Schutzberechtigten. Wenn für die Minderjährigkeit des Schutzberechtigten schon auf einen früheren Zeitpunkt als den der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Tatsachengerichts abgestellt werden solle, müsse Gleiches für das Merkmal “international Schutzberechtigter” in § 26 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten. Unabhängig davon lägen auch die Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU nicht vor. Zu den Familienangehörigen zählten gemäß Art. 2 Buchst. j Gedankenstrich 3 RL 2011/95/EU Vater und Mutter, die für die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden sei, verantwortlich seien, wenn diese Person minderjährig und nicht verheiratet sei. Das sei nie der Fall gewesen, da der minderjährigen Stammberechtigten internationaler Schutz nicht zuerkannt worden sei und diese, als ihr internationaler Schutz zuerkannt worden sei, nicht mehr minderjährig gewesen sei.
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Zur Begründung ihrer Revision führen die Kläger im Wesentlichen aus, maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit des Flüchtlings sei der Zeitpunkt des Eingangs der dem zuziehenden Familienmitglied erteilten Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender bei dem Bundesamt. § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG sei im Einklang mit dem Schutzzweck des Art. 23 Abs. 1 RL 2011/95/EU, den Familienverband aufrechtzuerhalten, dahingehend auszulegen, dass für die Beurteilung der Minderjährigkeit des stammberechtigten Flüchtlings maßgeblich auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung des zuziehenden Familienmitglieds abzustellen sei. Dieser Zeitpunkt trage den Zielen der Wahrung des Familienverbands und der Integration der nahen Angehörigen eines Stammberechtigten angemessen Rechnung. Es wäre zudem widersprüchlich und mit dem Zweck der Wahrung des Familienverbands und der Integration der nahen Angehörigen des Schutzberechtigten nicht vereinbar, bei Familienflüchtlingsschutz für Eltern, die zu ihren Kindern zögen, andere Maßstäbe anzulegen als in dem Fall, in dem Kinder Flüchtlingsschutz von ihren stammberechtigten Eltern ableiteten, zumal sich auch der abgeleitete Flüchtlingsschutz für Geschwister nach § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG nach der Minderjährigkeit des Stammberechtigten im Zeitpunkt der Asylantragstellung der Geschwister beurteile. Gegen einen Zeitpunkt, in dem das Verfahren bereits weiter fortgeschritten sei, sprächen die Grundsätze der Wahrung des Kindeswohls, der Gleichbehandlung, der Rechtssicherheit und der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts.
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Die Beklagte verteidigt den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts. Die Stammberechtigte sei zu keinem Zeitpunkt eine ledige minderjährige Schutzberechtigte gewesen, da ihr die Flüchtlingseigenschaft erst nach Erreichen der Volljährigkeit förmlich zuerkannt worden sei; dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein deklaratorischer Akt sei, sei im Rahmen von § 26 Abs. 3 AsylG ohne Bedeutung, da die Norm nicht zwischen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und derjenigen des subsidiären Schutzstatus differenziere.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat erklärt, sich an dem Verfahren nicht zu beteiligen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Kläger hat Erfolg. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Kläger zu 1 und 2 und die Kläger zu 3 und 4 hätten keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als Eltern (1.) bzw. als minderjährige ledige Geschwister (2.) eines minderjährigen ledigen Flüchtlings, verletzt insoweit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), als das Berufungsgericht für die Beurteilung der Minderjährigkeit und Ledigkeit der international Schutzberechtigten und das Innehaben der Personensorge im Sinne von § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG rechtsfehlerhaft den Zeitpunkt der letzten Entscheidung des Tatsachengerichts zugrunde gelegt hat.
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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 9. Juli 2021 zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters (BGBl. I S. 2467 ). Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts eintreten, sind zu berücksichtigen, wenn das Tatsachengericht – entschiede es anstelle des Revisionsgerichts – sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Verwaltungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die aktuelle Sach- und Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist, wie dies in Bezug auf die Beurteilung der Minderjährigkeit und Ledigkeit der international Schutzberechtigten und das Innehaben der Personensorge im Sinne von § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG der Fall ist (s. hierzu unten 1.2 b) bis d)).
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1. Den Klägern zu 1 und 2 ist die Flüchtlingseigenschaft – nach der im Revisionsverfahren nicht angegriffenen Würdigung des Oberverwaltungsgerichts – nicht schon aus individuellen, in ihrer Person selbst liegenden Gründen (aus “eigenem Recht”), so doch in ihrer Eigenschaft als Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlings gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 Alt. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG mit Blick auf dessen Schutzberechtigung (aus “abgeleitetem Recht”) zuzuerkennen. § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 Alt. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG steht im Einklang mit Unionsrecht (1.1). Seine Voraussetzungen werden durch die Kläger zu 1 und 2 erfüllt (1.2).
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1.1 Gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 AsylG ist auf Familienangehörige im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG von international Schutzberechtigten § 26 Abs. 1 bis 4 AufenthG entsprechend anzuwenden. Nach § 26 Abs. 5 Satz 2 Alt. 1 AsylG tritt an die Stelle der Asylberechtigung die Flüchtlingseigenschaft. Dementsprechend wird gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG den Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlings unter den in dieser Bestimmung im Einzelnen bezeichneten Voraussetzungen auf Antrag die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
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§ 26 AsylG dient der Erfüllung der aus der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20. Dezember 2011, S. 9 ff.) (im Folgenden: RL 2011/95/EU) und insbesondere deren Art. 23 Abs. 1 gründenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass der Familienverband der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, aufrechterhalten werden kann (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 21 und EuGH, Urteil vom 9. November 2021 – C-91/20 [ECLI:EU:C:2021:898], LW – Rn. 43). Zwar fordert die Richtlinie 2011/95/EU die in § 26 AsylG normierte Erstreckung des internationalen Schutzes auf Familienangehörige nicht (a). Sie steht indes, wie aus Art. 3 RL 2011/95/EU folgt, einer mit dieser Richtlinie vereinbaren günstigeren nationalen Norm zur Entscheidung darüber, wer als Flüchtling oder als Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, auch nicht entgegen (b).
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a) Die Richtlinie 2011/95/EU sieht eine Erstreckung des internationalen Schutzes kraft Ableitung auf Familienangehörige einer Person, welcher die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, nicht vor.
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Gemäß Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die selbst nicht die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Schutzes erfüllen, gemäß den nationalen Verfahren Anspruch auf die in den Art. 24 bis 35 RL 2011/95/EU genannten Leistungen haben, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist.
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Danach gibt die Richtlinie den Mitgliedstaaten allein auf, ihr nationales Recht so anzupassen, dass die in Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU aufgeführten Familienangehörigen des Schutzberechtigten – nicht hingegen auch sonstige, von Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU nicht erfasste Familienangehörige -, wenn sie die Voraussetzungen für die Zuerkennung nicht selbst erfüllen, bestimmte Vorteile genießen, die der in Art. 23 Abs. 1 RL 2011/95/EU vorgegebenen Aufrechterhaltung des Familienverbands dienen (EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2018 – C-652/16 [ECLI:EU:C:2018:801], Ahmedbekova und Ahmedbekov – Rn. 67 f. und vom 9. November 2021 – C-91/20 – Rn. 36).
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b) § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG trifft indes im Einklang mit Art. 3 RL 2011/95/EU eine mit dieser Richtlinie vereinbare günstigere nationale Regelung zur Entscheidung darüber, wer als Flüchtling oder als Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat.
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aa) Gemäß Art. 3 RL 2011/95/EU können die Mitgliedstaaten günstigere Normen zur Entscheidung darüber, wer als Flüchtling oder Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, und zur Bestimmung des Inhalts des internationalen Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit dieser Richtlinie vereinbar sind. Nach Erwägungsgrund 14 RL 2011/95/EU sollten die Mitgliedstaaten die Befugnis haben, günstigere Regelungen als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Normen für Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die um internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat ersuchen, einzuführen oder beizubehalten, wenn ein solcher Antrag als mit der Begründung gestellt verstanden wird, dass der Betreffende entweder ein Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschn. A GFK oder eine Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz ist. Die Vereinbarkeit der günstigeren Norm mit der Richtlinie 2011/95/EU setzt voraus, dass diese Norm die allgemeine Systematik oder die Ziele der Richtlinie nicht gefährdet. Verboten sind insbesondere solche Normen, die die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen zuerkennen sollen, die sich in Situationen befinden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweisen (EuGH, Urteile vom 18. Dezember 2014 – C-542/13 [ECLI:EU:C:2014:2452], M’Bodj – Rn. 42 und 44, vom 4. Oktober 2018 – C-652/16 – Rn. 71 und vom 9. November 2021 – C-91/20 – Rn. 40).
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Ein Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes liegt vor, wenn die Flüchtlingseigenschaft einer Person automatisch auf einen Angehörigen ihrer Kernfamilie mit dem Ziel erstreckt wird, es der Schutzberechtigten zu ermöglichen, die Einheit ihrer Kernfamilie, welche für sie ein unentbehrliches Recht darstellt, aufrechtzuerhalten. Eine solche automatische Erstreckung des internationalen Schutzes im Wege der Ableitung trägt dem Gebot, den Familienverband zu wahren, unabhängig davon Rechnung, ob der Angehörige der Kernfamilie selbst die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes erfüllt (EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2018 – C-652/16 – Rn. 72 f. und vom 9. November 2021 – C-91/20 – Rn. 41 ff.). Sie ist zudem nicht auf solche Familienangehörige beschränkt, die von Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU erfasst sind, sondern kann auch weitere Mitglieder der Kernfamilie, so im Aufnahmemitgliedstaat geborene Kinder (EuGH, Urteil vom 9. November 2021 – C-91/20 – Rn. 44) erfassen. Nichts anderes kann dann für Geschwisterkinder gelten, soweit deren Einbeziehung dem Schutz der Einheit der Kernfamilie zu dienen bestimmt ist.
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Eine Gefährdung der allgemeinen Systematik oder der Ziele der Richtlinie 2011/95/EU ist auch nicht für den Fall anzunehmen, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kraft Ableitung solche Angehörige der Kernfamilie des Flüchtlings begünstigt, denen bereits der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde. Zwar wäre es dem Flüchtling möglich, den Familienverband mit diesen Angehörigen kraft ihres Schutzstatus und des hieraus erwachsenden Aufenthaltsrechts aufrechtzuerhalten. Der nationale Gesetzgeber war indes nicht gehindert, die Zielsetzung der Richtlinie 2011/95/EU, die Einheit der Kernfamilie des Flüchtlings zu festigen, weitergehend durch die Herbeiführung der Einheit des schutzrechtlichen Status zu realisieren. Dies gilt umso mehr, als die Erstreckung der Flüchtlingseigenschaft der in Art. 2 Buchst. e und f wie auch in den Art. 9 ff. und 15 ff. RL 2011/95/EU zum Ausdruck gelangenden Differenzierung zwischen dem Flüchtlings- und dem subsidiären Schutzstatus zur Durchsetzung verhilft, dabei dem Umstand gerecht wird, dass der subsidiäre Schutzstatus gemäß Art. 2 Buchst. f RL 2011/95/EU gerade voraussetzt, dass der Drittstaatsangehörige oder Staatenlose die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, mithin den Vorrang der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beachtet und zudem den im Unionsrecht (vgl. Art. 24 Abs. 1 und 2 RL 2011/95/EU) fortbestehenden und im deutschen Recht nachvollzogenen (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 3 und 4 i.V.m. § 9 AufenthG) Abweichungen in der Rechtsstellung des Flüchtlings und des subsidiär Schutzberechtigten Rechnung trägt.
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Eine Erstreckung des internationalen Schutzes im Wege der Ableitung mit dem Ziel der Wahrung des Familienverbands des Schutzberechtigten kann sich in bestimmten Situationen trotz des Bestehens des erforderlichen Zusammenhangs mit dem Zweck des internationalen Schutzes als mit der Richtlinie unvereinbar erweisen. Dies ist zum einen der Fall, wenn die Erstreckung eine Person begünstigt, welche unter einen der in Art. 12 RL 2011/95/EU genannten Ausschlussgründe fällt (EuGH, Urteile vom 9. November 2010 – C-57/09, B und C-101/09 [ECLI:EU:C:2010:661], D – Rn. 115, vom 4. Oktober 2018 – C-652/16 – Rn. 71 und vom 9. November 2021 – C-91/20 – Rn. 46). Zum anderen folgt aus Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU, dass eine Erstreckung der darin in Bezug genommenen Leistungen auf ein Mitglied der Kernfamilie ausgeschlossen ist, wenn sie mit der persönlichen Rechtsstellung des betreffenden Familienangehörigen unvereinbar wäre (EuGH, Urteil vom 9. November 2021 – C-91/20 – Rn. 48). Eine solche Unvereinbarkeit ist anzunehmen, wenn der betreffende Familienangehörige in dem Aufnahmemitgliedstaat, etwa weil er dessen Staatsangehörigkeit oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates besitzt, Anspruch auf eine bessere Behandlung als die sich aus der Erstreckung des internationalen Schutzes ergebende Behandlung hat (EuGH, Urteil vom 9. November 2021 – C-91/20 – Rn. 50 ff.). Keiner Klärung bedarf hier die Frage, ob einen Anspruch auf bessere Behandlung auch die Zuerkennung eines anderweitigen Schutzstatus zu vermitteln vermöchte. Denn der abgeleitete Flüchtlingsschutz bleibt jedenfalls nicht hinter dem individuell zuerkannten subsidiären Schutzstatus zurück, sondern vermittelt dem begünstigten Familienangehörigen – abgesehen von der durch § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG ausgeschlossenen Bildung von Ableitungsketten (BT-Drs. 17/13063 S. 21) – einen umfassenden Flüchtlingsstatus und damit diejenigen im nationalen Recht vorgesehenen Rechte, die auch Ausländern zustehen, denen die Flüchtlingseigenschaft unmittelbar zuerkannt wurde, zumal er auch im Falle des Vorliegens von Aufhebungsgründen nicht ipso iure erlischt, sondern Gegenstand einer Aufhebungsentscheidung ist, in deren Vorfeld unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist, ob der Begünstigte des internationalen Schutzes aus anderen Gründen bedarf.
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bb) Nach diesen Maßstäben steht die in § 26 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG vorgesehene Erstreckung der Flüchtlingseigenschaft auf die Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlings grundsätzlich und auch dann im Einklang mit Art. 3 RL 2011/95/EU, wenn die Eltern – wie hier – bereits subsidiären Schutz erhalten haben. Den unionsrechtlich geforderten Ausschluss solcher Familienangehöriger, die unter einen der in Art. 12 RL 2011/95/EU genannten Ausschlussgründe fallen, hat der Gesetzgeber in § 26 Abs. 4 AsylG ausdrücklich vorgesehen. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG macht die Gewährung internationalen Familienschutzes von dem Bestehen der Familie schon in dem Herkunftsland abhängig. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG stellt die Einreise oder die Asylantragstellung des Familienangehörigen in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Asylverfahren bzw. der Einreise des Schutzberechtigten.
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c) Zu den im Vorstehenden behandelten Rechtsfragen bedarf es nicht der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV, denn die richtige Anwendung des Unionsrechts ist im Sinne der acte-clair-Doktrin (vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19 [ECLI:EU:C:2021:799] – Rn. 39) im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. insbesondere EuGH, Urteile vom 4. Oktober 2018 – C-652/16 – und vom 9. November 2021 – C-91/20 -) derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel an der Beantwortung der von der Revisionsbegründung aufgeworfenen Fragen keinerlei Raum bleibt.
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1.2. Bei den Klägern zu 1 und 2 sind hiernach die Voraussetzungen des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 Alt. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG auch erfüllt; die entgegenstehende Bewertung des Oberverwaltungsgerichts hat unter Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) verneint, dass diese im Sinne dieser Regelung Eltern eines minderjährigen Flüchtlings sind.
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Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG werden die Eltern (a) eines minderjährigen (b) ledigen (c) Flüchtlings auf Antrag als Flüchtlinge anerkannt, wenn 1. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar ist (a), 2. die Familie im Sinne des Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Flüchtling politisch verfolgt wird (a), 3. sie vor der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben (a), 4. die Anerkennung des Flüchtlings nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist (a) und 5. sie die Personensorge für den Flüchtling innehaben (d). Einer tatsächlichen Wiederaufnahme des Familienlebens zwischen dem Elternteil und dem Stammberechtigten bedarf es nicht (e).
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a) Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Stammberechtigten im Sinne des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 Alt. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AsylG unanfechtbar, sind die Kläger zu 1 und 2 Vater und Mutter der Stammberechtigten und damit deren Eltern im Sinne des Art. 2 Buchst. j Gedankenstrich 3 Var. 1 RL 2011/95/EU und sind diese im Sinne des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 Alt. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG vor der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Stammberechtigten eingereist. Sie haben sich hier nach der gemeinsamen Einreise auch im Zusammenhang mit deren Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet aufgehalten (vgl. Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU), sodass dahinstehen kann, ob die Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz auch bei Nichtvorliegen dieses Erfordernisses mit dem Unionsrecht vereinbar wäre. Dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Stammberechtigten im Sinne des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 Alt. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AsylG weder zu widerrufen noch zurückzunehmen ist und dass die Familie im Sinne des Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU schon in der Syrischen Arabischen Republik als dem Staat bestanden hat, in dem der Stammberechtigten Verfolgung droht, ist zwischen den Beteiligten zu keinem Zeitpunkt streitig gewesen. Das Verwaltungsgericht hat zudem im Rahmen von § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 Alt. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AsylG Gründe für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennungsentscheidung nicht zu prüfen gehabt, da es allein dem Bundesamt obliegt, über die Einleitung eines solchen Verfahrens zu entscheiden (BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2006 – 1 C 8.05 – BVerwGE 126, 27 Rn. 17).
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b) Für die Minderjährigkeit des international schutzberechtigten Stammberechtigten im Sinne von § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG ist bei dessen Antragstellung als Minderjähriger auf den Zeitpunkt der Antragstellung des antragstellenden Elternteils abzustellen (aa), nicht auf den Zeitpunkt der letzten Entscheidung des Tatsachengerichts (so noch – unter Verletzung von Bundesrecht – die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts). Der Asylantrag im Sinne des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG ist dabei bereits dann gestellt, wenn ein Schutzersuchen bei einer für dessen Registrierung zuständigen Behörde oder einer Behörde, bei der ein solches wahrscheinlich gestellt wird, formlos angebracht wird (bb); es bedarf hierfür nicht des förmlichen Asylantrages im Sinne des § 14 AsylG.
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aa) Der § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 AsylG zugrunde liegende Begriff der Familienangehörigen eines minderjährigen unverheirateten Schutzberechtigten übernimmt nach der insoweit eindeutigen Entstehungsgeschichte des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG den entsprechenden Begriff der Richtlinie 2011/95/EU. Den Gesetzesmaterialien ist ausdrücklich zu entnehmen, dass es der Intention des Gesetzgebers entsprach, hinsichtlich des Kreises der Begünstigten einer Erstreckung des internationalen Familienschutzes, aber auch hinsichtlich der schutzberechtigten Bezugsperson an die insbesondere in Art. 2 Buchst j Gedankenstrich 3 RL 2011/95/EU normierten Vorgaben anzuknüpfen (BT-Drs. 17/13063 S. 21). Dies folgt auch aus der Absicht, dadurch die Gebote des Art. 23 RL 2011/95/EU im nationalen Recht vollständig zu erfüllen.
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Diese unionsrechtliche Determinierung des Begriffs der Minderjährigkeit des Schutzberechtigten bindet seine Auslegung maßgeblich an die hierzu ergehende Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Danach ist Art. 2 Buchst. j Gedankenstrich 3 RL 2011/95/EU in der gesamten Europäischen Union unter Berücksichtigung insbesondere des Kontexts der Vorschrift und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziels autonom und einheitlich auszulegen (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-768/19 [ECLI:EU:C:2021:709], SE – Rn. 34 f.). Hierbei ist dem Recht auf Achtung des Familienlebens besondere Bedeutung beizumessen. So heben in Anlehnung an Art. 24 Abs. 2 und 3 GRC die Erwägungsgründe 16 und 18 RL 2011/95/EU in besonderer Weise das Wohl des Kindes hervor, das bei sämtlichen Kinder betreffenden Maßnahmen im Rahmen der Anwendung der Richtlinie eine vorrangige Erwägung darstellen muss (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-768/19 – Rn. 36 ff. und 44). Im Lichte dessen hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass in einer Situation, in der ein Asylantragsteller, der in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist ist, in dem sich sein nicht verheiratetes minderjähriges Kind aufhält, aus dem internationalen Schutzstatus, der diesem Kind zuerkannt worden ist, das Recht auf die in den Art. 24 bis 35 RL 2011/95/EU genannten Leistungen oder auf den Schutzstatus selbst ableiten will, sofern dies im Einklang mit Art. 3 RL 2011/95/EU im nationalen Recht vorgesehen ist, für die Beurteilung, ob die Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde, “minderjährig” im Sinne von Art. 2 Buchst. j Gedankenstrich 3 RL 2011/95/EU ist, bei der Entscheidung über den von ihrem Elternteil gestellten Asylantrag der Zeitpunkt der Stellung des Schutzantrags sowohl der Bezugsperson als auch des Elternteils maßgebend ist (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-768/19 – Rn. 42 f.). Sowohl der international Schutzberechtigte als auch dessen Elternteil müssen ihre jeweiligen Schutzanträge daher zu einem Zeitpunkt gestellt haben, in dem der international Schutzberechtigte noch minderjährig im Sinne von Art. 2 Buchst. k RL 2011/95/EU war (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-768/19 – Rn. 43). Ein Abheben auf einen späteren Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit stünde weder mit den Art. 7 und 24 GRC noch mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-768/19 – Rn. 40 f.) noch mit dem effet utile in Einklang.
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bb) Ein Asylantrag ist im Sinne von § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt, wenn ein Schutzersuchen bei einer für dessen Registrierung zuständigen Behörde oder einer Behörde, bei der ein solches wahrscheinlich gestellt wird, formlos angebracht wird. Ausreichend ist mithin der in § 13 Abs. 1 AsylG umschriebene Asylantrag im materiellen Sinne. Auch dies folgt aus einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung des Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU entschieden hat, dass für die Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen sei und dass hierfür die formlose Einreichung des Asylersuchens genüge. Denn ein Asylantrag sei nach der Richtlinie 2013/32/EU bereits dann “gestellt”, wenn ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser bei einer für die Registrierung von Asylanträgen zuständigen Behörde oder bei einer anderen Behörde, bei der ein derartiger Antrag wahrscheinlich gestellt wird, seine Absicht bekundet, internationalen Schutz zu beantragen (vgl. EuGH, Urteile vom 9. September 2021 – C-768/19, SE – Rn. 45 ff. und vom 25. Juni 2020 – C-36/20 [ECLI:EU:C:2020:495], PPU – Rn. 86 ff.).
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cc) Die im Januar 1998 geborene Stammberechtigte war im maßgeblichen Zeitpunkt der – ausweislich der das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im September 2015 erfolgten – Anbringung ihres wie auch des Asylersuchens der Kläger zu 1 und 2 noch minderjährig.
30
c) Die Ledigkeit des international Schutzberechtigten im Sinne des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG ist ebenfalls im Zeitpunkt der Asylantragstellung im Sinne der Einreichung des Schutzersuchens sowohl des Schutzberechtigten als auch seines Elternteils zu beurteilen.
31
Minderjährigkeit und Ledigkeit sind in § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG wie auch in Art. 2 Buchst. j Gedankenstrich 3 RL 2011/95/EU nicht nur grammatikalisch, sondern auch von ihrer Zweckrichtung her unmittelbar miteinander verknüpft. Beide Eigenschaften umschreiben typisierend die Zugehörigkeit des Kindes zur Kleinfamilie und das Angewiesensein des schutzbedürftigen Kindes auf den Beistand seiner Eltern. Erst mit Eintritt der Volljährigkeit wie auch mit Eingehung der Ehe löst das Kind die enge Bande mit der Kleinfamilie und beginnt es ein eigenverantwortliches Leben als Erwachsener oder tritt es in eine neue Gemeinschaft mit seinem Ehegatten ein (Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1. Oktober 2021, § 26 AsylG Rn. 18). Dass die Ledigkeit im Unterschied zur Minderjährigkeit nicht gleichsam automatisch zu einem im Vorhinein feststehenden Zeitpunkt entfällt, rechtfertigt es nicht, hinsichtlich des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts zwischen Minderjährigkeit und Ledigkeit zu differenzieren (in diesem Sinne auch OVG Bremen, Urteil vom 20. Juli 2021 – 2 LB 96/21 [ECLI:DE:OVGHB:2021:0720.2LB96.21.00] – InfAuslR 2021, 402 ).
32
Zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit, dass die Stammberechtigte im maßgeblichen Zeitpunkt der Anbringung ihres Asylersuchens und desjenigen der Kläger zu 1 und 2 im Sinne des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG ledig bzw. im Sinne des Art. 2 Buchst. j Gedankenstrich 3 RL 2011/95/EU nicht verheiratet war.
33
d) § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylG ist im Einklang mit Art. 2 Buchst. j Gedankenstrich 3 RL 2011/95/EU und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-768/19 -) dahin auszulegen, dass auch die Frage, ob der Elternteil die Personensorge für den international Schutzberechtigten innehat, bezogen auf den Zeitpunkt der jeweiligen Einreichung des Schutzersuchens zu beurteilen ist.
34
Zwar mögen der Gebrauch des Präsens in § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylG (“innehaben”) sowie die Verwendung von Präsens und Perfekt in Art. 2 Buchst. j Gedankenstrich 3 RL 2011/95/EU (“ist”, “zuerkannt worden ist”) für ein Abstellen auf einen späteren Beurteilungszeitpunkt streiten (in diesem Sinne bereits OVG Münster, Urteil vom 13. März 2020 – 14 A 2778/17.A [ECLI:DE:OVGNRW:2020:0313.14A2778.17A.00] – juris Rn. 65). Dem Zweck beider Vorschriften, den Familienverband zu schützen und dem Wohlergehen und der sozialen Entwicklung des Minderjährigen Rechnung zu tragen, wie auch den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit liefe es indes zuwider, in Bezug auf das Merkmal des Innehabens der Personensorge auf einen späteren Zeitpunkt als denjenigen der Asylantragstellung im Sinne der Einreichung des Schutzersuchens des Elternteils abzustellen (in diesem Sinne auch Epple, in: Funke-Kaiser, Gemeinschaftskommentar zum Asylgesetz (GK-AsylG), Stand: Mai 2020, § 26 AsylG Rn. 66; wohl auch Marx, AsylG, 10. Aufl. 2019, § 26 Rn. 37).
35
Dass die Kläger zu 1 und 2 bis zum Erreichen der Volljährigkeit und damit auch im Zeitpunkt der Anbringung ihres Asylersuchens die Personensorge für die Stammberechtigte innehatten, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
36
e) In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist zudem geklärt, dass Art. 2 Buchst. j Gedankenstrich 3 RL 2011/95/EU nicht voraussetzt, dass der Elternteil das Familienleben mit dem Stammberechtigten im Aufnahmemitgliedstaat tatsächlich wiederaufnimmt. Vielmehr ist es den Inhabern des Rechts auf Achtung des Familienlebens grundsätzlich selbst überlassen, darüber zu entscheiden, in welcher Weise und mit welcher Intensität sie ihr Familienleben führen (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-768/19 – Rn. 54 ff.). Ebenso wenig wie Art. 2 Buchst. j Gedankenstrich 3 RL 2011/95/EU stellt § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AsylG Anforderungen an eine tatsächliche Wiederaufnahme des Familienlebens im Bundesgebiet. Die Ausgestaltung des Familienlebens ist auch im Rahmen von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG in unionsrechtskonformer Auslegung dieser Norm der Entscheidung der Familienangehörigen überantwortet. Ob die Zuerkennung der Familienschutzberechtigung auch für den Fall beansprucht werden kann, dass die Aufnahme eines Familienlebens in jeglicher Form von dem Stammberechtigten oder seinem Elternteil ausdrücklich und eindeutig abgelehnt wird (vgl. insoweit OVG Bremen, Urteil vom 20. Juli 2021 – 2 LB 96/21 – InfAuslR 2021, 402 ), bedarf hier keiner Entscheidung, da eine solche Ablehnung weder tatrichterlich festgestellt noch anderweitig ersichtlich ist.
37
2. Den Klägerinnen zu 3 und 4 ist die Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage von § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 bis 4 AsylG zuzuerkennen.
38
Nach den Ausführungen zu 1. war der Gesetzgeber nicht gehindert, den internationalen Familienschutz auch auf solche Angehörigen der Kernfamilie, die nicht von Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU erfasst sind, und damit auch auf die minderjährigen ledigen Geschwister des Schutzberechtigten zu erstrecken, soweit deren Erfassung dem Schutz der Einheit der Kernfamilie dient.
39
Gemessen daran sind die Voraussetzungen von § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 bis 4 AsylG auch in Bezug auf die Klägerinnen zu 3 und 4 erfüllt. Diese sind den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zufolge im Sinne von § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG die minderjährigen leiblichen Schwestern der Stammberechtigten, die gemeinsam mit dieser und den Klägern zu 1 und 2 in das Bundesgebiet eingereist sind und einen Asylantrag gestellt haben. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass die im Zeitpunkt ihrer Antragstellung neun- bzw. sechsjährigen Klägerinnen zu 3 und 4 ledig waren und dass die Familie im Sinne des Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU schon in der Syrischen Arabischen Republik als dem Staat bestanden hat, in dem der Stammberechtigten Verfolgung droht.
40
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.