Verwaltungsrecht

Rückforderung von Beihilfeleistungen an geschiedene Ehefrau wegen fehlender Billigkeitserwägungen rechtswidrig

Aktenzeichen  Au 2 K 17.1634

Datum:
20.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 38244
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 30 Abs. 3
BBG § 84a S. 1
VwVfG § 49a
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 2
BBesG § 12 Abs. 2 S. 3

 

Leitsatz

1. § 30 Abs. 3 SG iVm § 84a BBG stellt im Verhältnis zu § 49a VwVerfG die speziellere Regelung dar und verdrängt diesen folglich in seinem Anwendungsbereich. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 84a S. 3 BBG ist eine einheitliche Ermessensvorschrift, d.h. die Billigkeitsentscheidung ragt in den Bereich des Ermessens hinein und bestimmt damit zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung. Dementsprechend muss die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Berücksichtigung etwaiger Billigkeitsgründe entscheiden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Sind in dem Rückforderungsbescheid keinerlei Erwägungen dahingehend, ob ganz oder teilweise von einer Rückforderung abgesehen wird bzw. ob eine Rückzahlung in Raten erfolgen soll, erkennbar, kann keine hinreichende Billigkeitsentscheidung festgestellt werden. Die Rechtsfehlerhaftigkeit einer Billigkeitsentscheidung hat dabei die Rechtswidrigkeit der Rückforderungsentscheidung an sich zur Folge. (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Fehlen einer Billigkeitsentscheidung kann nicht während des gerichtlichen Verfahrens geheilt werden. Voraussetzung für ein zulässiges Nachschieben von Ermessenserwägungen ist, dass zuvor überhaupt Ermessen ausgeübt worden ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 25. September 2017 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 13. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 25. September 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da die gemäß § 30 Abs. 3 SG i.V.m. § 84a S. 3 BBG vorgesehene Billigkeitsentscheidung seitens der Beklagten nicht getroffen wurde (1.) und dieser Umstand zur nicht heilbaren Rechtswidrigkeit des ganzen Rückforderungsbescheids führt (2).
1. Die aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes erforderliche Rechtsgrundlage für den infrage stehenden Rückforderungsbescheid ist hier § 30 Absatz 3 SG i.V.m. § 84a BBG. Nach der Gesetzessystematik gilt die speziellere Rückforderungsnorm des § 49 SVG nur für die Dienstzeitversorgung der Berufssoldaten i.S.v. § 14 SVG. Die hier zu viel gezahlten Beihilfeleistungen werden dort nicht aufgeführt (vgl. auch Heid in Brinktrine/Schollendorf, BeckOK Beamtenrecht Bund, 13. Edition Stand 1.11.2018, § 84a BBG Rn. 1, wonach § 84a BBG insbesondere die Rückforderung von Beihilfeleistungen umfasst). § 30 Abs. 3 SG i.V.m. § 84a BBG wiederum stellt im Verhältnis zum § 49a VwVerfG die speziellere Regelung dar und verdrängt diesen folglich in seinem Anwendungsbereich (so für das Verhältnis zwischen § 12 Abs. 2 BBesG, § 52 Abs. 2 BeamtVG und § 49a VwVfG BVerwG, U.v. 21.10.1999 – 2 C 11.99 – BVerwGE 109, 365).
Gemäß § 30 Absatz 3 SG i.V.m. § 84a S. 3 BBG kann von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ganz oder teilweise abgesehen werden. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zu der wortgleichen Norm des § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG handelt es sich bei dieser um eine einheitliche Ermessensvorschrift, sodass die Billigkeitsentscheidung in den Bereich des Ermessens hineinragt und damit zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung bestimmt. Dementsprechend muss die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Berücksichtigung etwaiger Billigkeitsgründe entscheiden (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2017 – 5 C 5.16 – juris Rn. 27; U.v. 26.4.2012 – 2 C 15.10 – juris Rn 24 ff.; U.v. 27.2.1992 – 2 C 28.91 – juris Rn. 42). Die Billigkeitsentscheidung kann darin bestehen, dass von der Rückforderung insgesamt oder teilweise endgültig abgesehen wird, die Rückzahlung ganz oder teilweise erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll oder eine Rückzahlung in Teilbeträgen festgesetzt wird (BVerwG, U.v. 8.10.1998 – 2 C 21.97 – juris Rn. 20).
Nach diesen Maßstäben erfolgte hier keine (hinreichende) Billigkeitsentscheidung durch die Beklagte. Im Bescheid vom 13. Juli 2017 findet sich hinsichtlich des Ermessens lediglich die Ausführung, dass auch das Vorbringen des Klägers im Schreiben vom 4. Juli 2017 an der rechtlichen Würdigung nichts zu ändern vermöge, da die zuvor dort genannten Bestimmungen (der BBhVVwV) für den Sachbearbeiter bindend seien. Ein Ermessensspielraum stehe diesem nicht zu. Im Widerspruchsbescheid vom 25. September 2017 lassen sich auch keine Billigkeitserwägungen finden. Es wird nach rechtlichen Ausführungen zu dem grundsätzlichen Bestehen einer Rückzahlungsverpflichtung lediglich ergänzend auf den Rückforderungsbescheid vom 13. Juli 2017 verwiesen. Da damit keinerlei Erwägungen dahingehend, ob ganz oder teilweise von einer Rückforderung abgesehen wird bzw. ob eine Rückzahlung in Raten erfolgen soll, aus dem Bescheid vom 13. Juli 2017 bzw. den Widerspruchsbescheid vom 25. September 2017 erkennbar sind, kann keine hinreichende Billigkeitsentscheidung seitens der Beklagten festgestellt werden.
2. Die Rechtsfehlerhaftigkeit einer Billigkeitsentscheidung hat dabei die Rechtswidrigkeit der Rückforderungsentscheidung an sich zur Folge. Ein Rückforderungsbescheid darf nicht ergehen, ohne dass eine Billigkeitsentscheidung getroffen worden ist. Eine Billigkeitsentscheidung zugunsten des Schuldners modifiziert den Rückzahlungsanspruch und betrifft nicht nur die Vollziehung oder Vollstreckung des Rückforderungsbescheids, sondern den materiellen Bestand des Rückforderungsanspruchs und ist deshalb zwingend vor der Rückforderung zu treffen. Vor der Billigkeitsentscheidung steht lediglich die Höhe der Überzahlung fest, jedoch nicht, ob und in welchem Umfang diese Überzahlung auch einen Rückforderungsanspruch begründet. Die Billigkeitsentscheidung ist damit notwendiger untrennbarer Bestandteil der Rückforderungsentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C 15.10 – NVwZ-RR 2012, 930; siehe zu Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG: BayVGH, B.v. 8.3.2013 – 3 CE 12.1928 – juris Rn. 22 ff.).
Das Fehlen einer Billigkeitsentscheidung nach obigen Maßstäben konnte auch nicht durch das zulässige Ergänzen von Ermessenserwägungen während des gerichtlichen Verfahrens (§ 114 S. 2 VwGO) geheilt werden. Voraussetzung für das zulässige Nachschieben von Ermessenserwägungen ist, dass zuvor überhaupt Ermessen ausgeübt worden ist (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 90). Gerade daran fehlt es hier aber, da nicht lediglich zu wenige bzw. inhaltlich nicht ausreichende Billigkeitserwägungen angestellt worden sind, sondern eine Billigkeitsentscheidung komplett fehlt (s.o.).
Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Gründe, die Berufung zuzulassen, bestehen nicht (§ 124 Abs. 2, § 124a VwGO).


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