Verwaltungsrecht

Rückführung eines im Bundesgebiet geborenen Kindes mit seinen als international Schutzberechtigten anerkannten Eltern nach Italien widerspricht Art. 3 EMRK

Aktenzeichen  RN 14 K 17.33302

Datum:
11.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2019, 400
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nrn. 1a u. 2
Dublin III-VO Art. 2 lit. f, Art. 20 Abs. 3, Art. 21 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Die Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erfasst dem eindeutigen Wortlaut nach nur solche Fälle, in denen die um Asyl nachsuchende Person selbst schon über einen internationalen Schutzstatus verfügt; hiermit ist es nicht vereinbar, sie darauf zu verweisen, dass ihr in einem Mitgliedstaat (mutmaßlich) zukünftig Schutz gewährt werden wird. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Dublin III-VO enthält kein Verfahren zur Rücküberstellung von international Schutzberechtigten, insoweit müssen die zwischen den Mitgliedstaaten abgeschlossenen völkerrechtlichen Rückübernahmeabkommen herangezogen werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Angesichts der bei der Rückführung von Familien und Alleinerziehenden in Rede stehenden hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG iVm Art. 8 EMRK und der bei der Durchführung von Überstellungen vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls hat das Bundesamt jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen und Kleinkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörde Italiens sicherzustellen, dass die Familie bei der Überführung eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete soziale Gefahren oder Gefahren für die Gesundheit für die in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22.5.2017 (Az. A…-232) wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, im nationalen Verfahren über den Asylantrag des Klägers zu entscheiden.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
IV. Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Gründe

Nach § 84 Abs. 1 VwGO konnte das Gericht nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Soweit mit der Klage die Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 22.5.2017 begehrt wurde, war sie erfolgreich. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
1. Die Klage war nur zulässig, soweit mit Ihr die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes angegriffen wurde. Soweit Ziel der Klage die Verpflichtung der Beklagten auf Gewährung eines Schutzstatus ist, war diese bereits wegen Unzulässigkeit abzuweisen.
Gegen die vom Bundesamt getroffene Unzulässigkeitsentscheidung ist nur die Anfechtungsklage statthaft. Die vom Kläger daneben erhobene Verpflichtungsklage auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes und auf Feststellung nationalen Abschiebungsschutzes ist unzulässig, weil die Verpflichtungsklage unstatthaft ist. Lehnt es das Bundesamt wie hier ab, eine sachliche Prüfung des Schutzbegehrens eines Antragstellers vorzunehmen, ist die Anfechtungsklage die richtige Klageart, um das Rechtsschutzbegehren eines Asylantragstellers zu verwirklichen. Eine derartige Unzulässigkeitsentscheidung ist nach der jüngeren Rechtsprechung des Senats mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Eine gerichtliche Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung hat zur Folge, dass das Bundesamt das Verfahren fortführen und eine Sachentscheidung treffen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4.16 – BVerwGE 157, 18 Rn. 15 ff.; Beschlüsse vom 1. Juni 2017 – 1 C 9.17 – juris Rn. 14 f. und vom 2. August 2017 – 1 C 37.16 – Rn. 19; BVerwG, Urteil vom 21.November 2017 – 1 C 42.16 – juris). Die Anfechtungsklage ist auch nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das vom Kläger in erster Linie verfolgte Klageziel der Asylanerkennung die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist. In diesem Stadium des Verfahrens kann es nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein, anstelle des mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesamtes, das mit der Sache noch gar nicht befasst war und demgemäß auch eine Entscheidung über das Asylbegehren noch gar nicht treffen konnte, über diesen Asylanspruch zu befinden. Für die Entscheidung über Asylanträge ist das Bundesamt vorrangig zuständig (§ 5 AsylG). Darüber hinaus ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Das gilt sowohl für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylG) als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Abs. 2 AsylG in Verbindung mit § 87 b Abs. 3 VwGO vorgesehen ist. (BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 – juris). Selbst bei einer Entscheidung über einen Folgeantrag nach § 71 AsylG ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein die Anfechtungsklage die statthafte Klageart ( BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2016 – 1 C 4/16 – juris). Das Bundesverwaltungsgericht führt dazu folgendes aus:
„Anknüpfend an die stärkere Betonung des behördlichen Asylverfahrens, der hierfür in der für die EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Verfahrensrichtlinie enthaltenen, speziellen Verfahrensgarantien sowie der dort vorgesehenen eigenen Kategorie unzulässiger Asylanträge (vgl. Art. 25 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft – Asylverfahrensrichtlinie a.F. – bzw. Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Asylverfahrensrichtlinie n.F. -) hat der Gesetzgeber mit der zusammenfassenden Regelung verschiedener Unzulässigkeitstatbestände in § 29 Abs. 1 AsylG das Verfahren strukturiert und dem Bundesamt nicht nur eine Entscheidungsform eröffnet, sondern eine mehrstufige Prüfung vorgegeben. Erweist sich ein Asylantrag schon als unzulässig, ist eine eigenständig geregelte Unzulässigkeitsentscheidung zu treffen. Zugleich hat das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Diese Prüfungsstufe ist bei Anträgen, die das Bundesamt als Zweitantrag einstuft, auf die Fragen beschränkt, ob es sich tatsächlich um einen derartigen Antrag handelt und ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, also die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 AsylG vorliegen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1 AsylG). Die weitere in § 71a Abs. 1 AsylG genannte Voraussetzung, dass die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, muss an dieser Stelle bereits feststehen. Andernfalls wäre eine – vorrangige – Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu treffen. Denn die Dublin-Verordnungen regeln abschließend die Zuständigkeit zur Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags. Erst wenn ein Mitgliedstaat danach zuständig ist, kann er einen Asylantrag – wie hier – aus den Gründen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig ablehnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 – 1 C 4.15 – BVerwGE 153, 234 Rn. 20).
Diese klare Gliederung der Prüfung von Anträgen, für die die Bundesrepublik Deutschland zuständig ist, in eine Entscheidung, ob ein Zweitantrag nach § 71a AsylG vorliegt und ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist (Zulässigkeitsprüfung) und die weitere Entscheidung, ob die materiellrechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind (Sachprüfung), hat auch in eigenständigen Verfahrensvorgaben für die erste Prüfungsstufe Ausdruck gefunden. In § 71a Abs. 2 AsylG wird das „Verfahren zur Feststellung, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist“, besonders geregelt (vgl. zum Verfahren der Zulässigkeitsprüfung allgemein auch § 29 Abs. 2 bis 4 AsylG). Es liegt nahe, damit auch spezialgesetzliche, prozessuale Konsequenzen zu verbinden und den Streitgegenstand einer Klage nach einer derartigen Unzulässigkeitsentscheidung auf die vom Bundesamt bis dahin nur geprüfte Zulässigkeit des Asylantrags beschränkt zu sehen (siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. März 1993 – 2 BvR 1988/92 – InfAuslR 1993, 229 = juris Rn. 23; BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1987 – 9 C 251.86 – BVerwGE 77, 323 ff., jeweils zur partiell vergleichbaren Rechtslage nach dem AsylVfG 1982). Dafür spricht schließlich auch § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG, wonach das Bundesamt bei einer stattgebenden gerichtlichen Entscheidung das Asylverfahren fortzuführen hat. Diese Regelung gilt zwar unmittelbar nur für den Fall eines erfolgreichen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG, dessen in § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG geregelte, besondere Rechtsfolgen nicht verallgemeinerungsfähig sind. Letzteres gilt jedoch nicht für den in § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken. Dieser ist auf den Fall der Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG übertragbar und lässt darauf schließen, dass die verweigerte sachliche Prüfung vorrangig von der mit besonderem Sachverstand ausgestatteten Fachbehörde nachzuholen ist (ähnlich bereits BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 – Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn. 13 und 17). Ausgehend davon kommt auch ein eingeschränkter, auf die Durchführung eines (gegebenenfalls weiteren) Asylverfahrens gerichteter Verpflichtungsantrag nicht in Betracht, weil das Bundesamt hierzu nach Aufhebung der Entscheidung über die Unzulässigkeit automatisch verpflichtet ist.“
Die Klage war nach alledem abzuweisen, soweit sie als Verpflichtungsklage erhoben wurde.
2. Im Übrigen ist die Klage begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22.5.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und war daher aufzuheben.
a) Die Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig weder gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in direkter (vgl. aa)) oder analoger (vgl. bb)) Anwendung noch nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a AsylG in direkter oder analoger Anwendung vorliegen(vgl. cc)).
aa) Die Ablehnung als unzulässig kann nicht auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt werden. Nach dieser Vorschrift wäre ein Asylantrag abzulehnen, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat. Dies trifft auf den in der Bundesrepublik Deutschland nachgeborenen Kläger gerade nicht zu. Er verfügt bislang nicht über einen von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zuerkannten Schutzstatus. Das Bundesamt ging lediglich davon aus, dass den Eltern des Klägers in Italien internationaler Schutz gewährt worden und hat deren Anträge sind deshalb gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt. Die vorliegende Konstellation erfasst § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG seinem Wortlaut nach jedoch nicht. Die im Perfekt formulierte Vorschrift („bereits…gewährt hat“) erfasst dem eindeutigen Wortlaut nach nur solche Fälle, in denen die um Asyl nachsuchende Person selbst schon über einen internationalen Schutzstatus verfügt (vgl. VG Lüneburg, U. v. 14.2.2018 – 4 A 491/17 – juris Rn. 15; VG Hamburg, U. v. 20.3.2018 – 9 A 7382/16 – juris; VG Würzburg, U. v. 17.3.2017 – W 2 K 16.31417 – juris Rn. 22).. Hiermit ist es nicht vereinbar, ihn darauf zu verweisen, dass ihm in einem Mitgliedstaat (mutmaßlich) zukünftig Schutz gewährt werden wird. Steht eine Statusentscheidung noch aus, ist es vielmehr zunächst Aufgabe des Dublin-Regimes, den zuständigen Staat hierfür zu bestimmen. Ergibt diese Prüfung, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht zuständig ist, dann handelt es sich systematisch um einen Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG. Sinn und Zweck des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sprechen ebenso dafür, allein an einen schon erhaltenen Schutz anzuknüpfen, weil erst dann kein Schutzbedürfnis mehr besteht. Zudem lässt sich für dieses Verständnis auch die Entwicklungsgeschichte der Norm anführen. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG geht auf die Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (RL 2013/32/EU, Neufassung, ABl. L 180/60) zurück. Diese europarechtliche Vorgabe erfasst dem Wortlaut nach ebenfalls nur diejenigen Fälle, in denen der Status bereits zuerkannt worden ist (vgl. VG Berlin, B. v.. 9.3.2017 – 23 L 116.17 A – juris, Rn. 6).
bb) Auch eine analoge Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG i.V.m. dem Rechtsgedanken des Art. 20 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) kommt nach Auffassung der zur Entscheidung berufenen Einzelrichterin nicht in Betracht.
Dies scheitert zum einen daran, dass diese Vorschrift nach hiesiger Auffassung schon einer Analogie nicht zugänglich ist, zum anderen auch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendbarkeit nicht gegeben sind.
Gegen eine analoge Anwendung spricht schon der klare Gesetzeswortlaut. (so auch VG Berlin, B. v. 9.3.2017 – 23 L 116.17 A – juris, Rn. 7; VG Hamburg, U. v. 20.3.2018 – 9 A 7382/16 unter Aufgabe seiner bis dahin abweichenden Rechtsprechung, VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 8.5.2017 – 16 A 808/15 – juris). Außerdem sind an das Zurückweisen eines Asylantrags als unzulässig angesichts des hohen Schutzes des Grundrechts auf Asyl sehr hohe Anforderungen zu stellen. Vor diesem Hintergrund und dem Grundsatz, dass ein Asylantrag inhaltlich zu prüfen ist, sind die Unzulässigkeitstatbestände des § 29 Abs. 1 AsylG restriktiv auszulegen. Eine Analogie scheidet hier daher aus.
Zudem liegen die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung nicht vor. Dies wäre nur dann denkbar, wenn dem in Deutschland nachgeborenen Kind selbst kein internationaler Schutz gewährt worden ist, aber seinen Eltern. Ob den Eltern des Klägers allerdings tatsächlich in Italien internationaler Schutz gewährt worden ist, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Das Bundesamt hat sich diesbezüglich allein auf die Aussage des Vaters des Klägers im Rahmen der persönlichen Anhörung und auf eine Mitteilung der schwedischen Behörden im Rahmen einer Info-Request-Anfrage, wonach der Vater des Klägers in Schweden angab, eine Aufenthaltsgenehmigung mit Flüchtlingsstatus in Italien erhalten zu haben und ein Reisedokument aus Italien vorgelegt zu haben, verlassen. Hinsichtlich der Mutter des Klägers hat diese nicht einmal selbst angegeben, in Italien internationalen Schutz zuerkannt bekommen zu haben. Sie hat nur bestätigt, in Italien einen Asylantrag gestellt zu haben. Über den Ausgang dieses Verfahrens hat sie keinerlei Angaben gemacht. Das Bundesamt konnte daher nicht davon ausgehen, dass der Mutter des Klägers internationaler Schutz in Italien gewährt wurde. Damit wurden die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten hohen Anforderungen an die Aufklärung der Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen EU-Mitgliedstaat (vgl. BVerwG, U. v. 21.11.2017 – 1 C 39.16 – juris) offensichtlich nicht erfüllt. Es ist weder als gesichert anzusehen, dass den Eltern des Klägers tatsächlich ein Schutzstatus gewährt wurde noch welcher. Das Bundesamt hat offensichtlich keine Kenntnis von der von den italienischen Behörden getroffenen Entscheidung. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Eltern des Klägers nicht verheiratet sind. Ein etwaiger Schutzanspruch für einen Elternteil des Klägers hatte daher nicht notwendiger Weise auch den Schutzanspruch für den anderen Elternteil zur Folge.
cc) Auch die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 a AsylG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin-III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Entgegen der im vorläufigen Rechtsschutz vertretenen Rechtsauffassung hält die zur Entscheidung berufene Einzelrichterin nach eingehender Überprüfung des vorliegenden Falles und dem Inhalt der beigezogenen Akten der Eltern des Klägers nicht mehr an der ursprünglich vertretenen Auffassung, wonach sich die Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers aus § 29 Abs. 1 Nr. 1 a AsylG ergibt, fest.
(1) Die Zuständigkeit Italiens folgt nicht aus der unmittelbaren Anwendung des Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO. Nach § 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin-III-VO ist für die Zwecke dieser Verordnung die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in den Zuständigkeitsberiech des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Kindes dient. Dies gilt gemäß Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin-III-VO auch bei Kindern, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden.
Bereits nach seinem Wortlaut ist Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO auf die in Deutschland geborenen Kinder von Ausländern, die in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz erhalten haben, nicht unmittelbar anwendbar (VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.6.2017,22 L 1290/17.A, juris Rn. 20; VG Lüneburg, Urt. v. 24.5.2016, 5 A 194/14, juris Rn. 18; a. A.: VG Greifswald, Urt. v. 22.5.2017, 4 A 1526/16 As HGW, juris Rn. 30; VG Cottbus, Beschluss vom 11.7.2014, 5 L 190/14.A, juris Rn. 12 ff.). Die Eltern des Klägers als dessen Familienangehörige im Sinne des Art. 2 g) Dublin-III-VO sind keine „Antragsteller“ im Sinne des Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO. Nach der Legaldefinition des Art. 2 c) Dublin-III-VO ist „Antragsteller“ derjenige, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde. „Begünstigter internationalen Schutzes“ hingegen ist nach der Legaldefinition des Art. 2 f) Dublin-III-VO derjenige, dem internationaler Schutz zuerkannt wurde. Die Eltern des Klägers zählen zum letztgenannten Personenkreis. Selbst wenn man annimmt, dass ihnen in Italien tatsächlich internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Gestalt der Flüchtlingsanerkennung gewährt wurde – woran das Gericht bisher Zweifel hat -, so wurde über ihren Asylantrag bereits endgültig entschieden.
Soweit die Gegenauffassung davon ausgeht, die Definition des „Antragstellers“ i.S.d. Art. 2 c) Dublin-III-VO stelle auf den jeweils streitgegenständlichen Antrag, also den in Deutschland gestellten Antrag der Eltern des Klägers ab (VG Greifswald, Urt. v. 22.5.2017 – A 1526/16 As HGW – juris Rn. 28; VG Cottbus, Beschluss vom 11.7.2014, 5 L 190/14.A, juris Rn. 13 ff.) bzw. für die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO reiche es aus, dass die Eltern des Klägers vor der Gewährung internationalen Schutzes in Italien „Antragsteller“ i.S.d. Dublin-III-Verordnung waren (vgl. VG Meiningen, Beschluss vom 4.12.2014, 5 E 20238/14 Me, juris, S. 5), ist dem nicht zu folgen. Denn eine solche Auslegung ist mit dem System der Dublin-Ill-Verordnung und des Asylgesetzes seit der Änderung durch das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) nicht vereinbar. Die Dublin-III-VO findet nach ihrer Systematik auf international Schutzberechtigte keine Anwendung mehr. Dies zeigt sich exemplarisch an den Verpflichtungen des zuständigen Mitgliedstaats gemäß Art. 18 Abs. 1 Dublin-III-VO. Dieser zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet, Antragsteller, über deren Asylanträge noch nicht entschieden wurde [Art. 18 Abs. 1 a)-c) Dublin-III-VO] oder deren Asylantrag abgelehnt wurde [Art. 18 Abs. 1 d) Dublin-III-VO], aufzunehmen bzw. wiederaufzunehmen. In Bezug auf international Schutzberechtigte besteht eine solche Aufnahmeverpflichtung gerade nicht. Dementsprechend ergibt sich aus der Dublin-III-VO auch keine Pflicht Italiens, die Eltern des Klägers wieder aufzunehmen (hierzu und zum Folgenden: VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.6.2017, 22 L 1290/17.A, juris Rn. 21). Denn das Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Bearbeitung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, nach Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO wird (nur) eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird. Dieses Verfahren ist indes nicht mehr einschlägig, wenn der Ausländer – wie hier die Eltern des Klägers – bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach dortigem Antrag auf internationalen Schutz den Flüchtlingsstatus erhalten hat. Konsequenter Weise hat das Bundesamt für die Eltern des Klägers auch keine Entscheidung in einem sog. Dublinverfahren getroffen, sondern die Asylanträge im Hinblick auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt. Diese Systematik der Dublin-III-VO zeigt sich auch daran, dass die Dublin-III-VO kein Verfahren zur Rücküberstellung von international Schutzberechtigten enthält, sondern insoweit die zwischen den Mitgliedstaaten abgeschlossenen völkerrechtlichen Rückübernahmeabkommen herangezogen werden (vgl. Bergmann in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., 2018, AsylG, § 29 Rn. 9). Diese Systematik ist durch die Änderungen des Integrationsgesetzes in das Asylgesetz aufgenommen worden. Das Asylgesetz unterscheidet zwischen der Unzulässigkeit eines Asylantrags wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen der Dublin-III-Verordnung (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG) einerseits und der Unzulässigkeit wegen der Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) andererseits. Beides sind Entscheidungskategorien mit unterschiedlichen Voraussetzungen und unterschiedlichen Rechtsfolgen (z.B. Abschiebungsanordnung bzw. Abschiebungsandrohung). Die Unzulässigkeitsentscheidung im Rahmen der DublinIII- Verordnung ist keine Auffangkategorie, die eingreift, wenn die Voraussetzungen der Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht vorliegen. Erst durch die Neureglung der Unzulässigkeitstatbestände in § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG wurde die klare Trennung zwischen der Unzulässigkeit wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats nach der Dublin-III-VO (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) und wegen der Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) in das Asylgesetz eingefügt. Auch der Beschluss des VGH München vom 17. August 2015 (11 B 15.50110, juris Rn. 14) gibt nichts für die Beantwortung der Frage, ob Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO auf die in Deutschland geborenen Kinder von Ausländern, die in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz erhalten haben, her (a. A.: VG München, Beschluss vom 17.10.2017, M 21 S 17.44597, juris Rn. 17). Denn diese Entscheidung bezog sich auf einen Fall der direkten Anwendung des Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin-III-VO, weil die Eltern des Kindes in diesem Fall keinen internationalen Schutz erhalten haben, sondern noch in den Anwendungsbereich der Dublin III-Verordnung (gemäß Art. 18 Abs. 1 d) Dublin-III-VO) fielen. Das weitere Argument der Gegenauffassung (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 11.7.2014,5 L 190/14.A, juris Rn. 13 ff.), dass auch die Folge- und Zweitanträge von der Dublin-III-Verordnung erfasst würden und dies nur möglich sei, wenn der Begriff des „Antragstellers“ i.S.d. Art. 2 c) Dublin-III-VO auf den jeweils streitgegenständlichen Antrag bezogen würde, überzeugt ebenfalls nicht. Denn der Vergleich mit den Folge- und Zweitanträgen ist unzutreffend. Insoweit handelt es sich um Fälle, in denen der erste Asylantrag abgelehnt wurde, so dass die Betroffenen nach Art. 18 Abs. 1 d) Dublin-III-VO in den Anwendungsbereich der Dublin-III-VO fallen. Dies ist bei international Schutzberechtigten, deren Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat stattgegeben wurde, nicht der Fall (s.o.). Schließlich folgt nichts anderes aus dem Verweis der Gegenauffassung (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 11.7.2014, 5 L 190/14.A, juris Rn. 18) auf die Richtlinie zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie). Die Asylverfahrensrichtlinie, insbesondere Art. 33 Abs. 2, regelt die zusätzlichen Fälle, in denen der Asylantrag bei der Prüfung im nationalen Verfahren als unzulässig angesehen werden kann, ohne dass die Dublin-III-VO zur Anwendung kommt. Gemäß Art. 33 Abs. 1 Asylverfahrensrichtlinie können Asylanträge entweder nach Maßgabe der Dublin-III-Verordnung oder gemäß Art. 33 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie als unzulässig abgelehnt werden. Nach Art. 33 Abs. 2 a) Asylverfahrensrichtlinie ist dies der Fall, wenn bereits ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat (die Fälle des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Anders als von der Gegenauffassung angenommen zeigt sich in der Systematik des Art. 33 Asylverfahrensrichtlinie exemplarisch die Differenzierung des europäischen Rechts (Dublin-III-VO für noch nicht entschiedene Asylanträge und Art. 33 Abs. 2 a) Asylverfahrensrichtlinie für international Schutzberechtigte), so dass „Antragsteller“ i.S.d. Dublin-III-VO kein international Schutzberechtigter sein kann.
(2) Italien ist auch nicht nach Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO analog zuständig geworden (a.A.: VG Hamburg, Gerichtsbescheid v. 8.5.2017, 16 A 808/15, juris Rn. 19 ff.; im Rahmen eines obiter dictums: VGH Mannheim, Beschluss vom 14.3.2018, A 4 S 544/18,juris Rn. 9).
Es fehlt bereits an einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke.
Der Fall, dass ein Familienangehöriger bereits Begünstigter internationalen Schutzes ist, ist in Art. 9 Dublin-III-VO ausdrücklich geregelt- und zwar abweichend von Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO. Hat der Antragsteller einen Familienangehörigen, der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun- und zwar unabhängig davon, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat. Daran fehlt es hier (so auch VG Düsseldorf, Urteil vom 11.6.2018 – 28 K 1506/17 A. –juris, Rn. 33).
Zudem ist die Regelung der Zuständigkeit in der Dublin-III-VO abschließend. Dies zeigt sich an Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO. Danach ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig, wenn sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen lässt. Diese Auffangregel greift immer dann ein, wenn die sonstigen Zuständigkeitskriterien einen Sachverhalt nicht erfassen. Die Analogiefeindlichkeit der Regelungen zur Zuständigkeitsbestimmung im Rahmen der Dublin-III-Verordnung folgt auch aus dem Sinn und Zweck dieser Verordnung. Gemäß dem 4. Erwägungsgrund der Dublin-III-Verordnung soll das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) auf kurze Sicht eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats umfassen. Nach dem 5. Erwägungsgrund sollte eine solche Formel auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basieren. Sie sollte insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden. Eine klare und praktikable Formel zur raschen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ist grundsätzlich analogiefeindlich, da eine analoge Anwendung der Zuständigkeitskriterien der Dublin-III-Verordnung eine umfangreiche, von grundlegenden Wertungsfragen abhängige, häufig wenig praktikable und zeitaufwendige Auslegung durch die Behörden und die Gerichte der Mitgliedstaaten voraussetzt. Dass die Analogiebildung im Rahmen der Zuständigkeitskriterien häufig wenig praktikabel und zeitaufwendig ist, beruht auch darauf, dass eine für alle betroffenen Mitgliedstaaten verbindliche Regelung insoweit nicht durch die Entscheidung der Gerichte eines Mitgliedstaats möglich ist, denn diese sind nur für die Behörden des jeweiligen Mitgliedstaats bindend. Eine analoge Anwendung kann für alle betroffenen Mitgliedstaaten verbindlich nur vom EuGH ausgesprochen werden. Das Herbeiführen einer Grundsatzentscheidung durch den EuGH ist jedoch in der Regel mit erheblichem Zeitaufwand verbunden.
Zum anderen würde eine analoge Anwendung von Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin-III-VO auch deshalb nicht in Betracht kommen, weil es insoweit an einer für eine Analogie erforderlichen vergleichbaren Interessenlage fehlt. Nach Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin-III-VO findet bei Kindern, die nach der Ankunft eines Antragstellers – der noch in den Anwendungsbereich der Dublin-III-VO fällt, der also noch keinen internationalen Schutz erhalten hat [s.o. (1) ] – im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, kein neues Zuständigkeitsverfahren statt. Dies beruht darauf, dass für die Eltern dieses Kindes zwingend schon ein Zuständigkeits- und Aufnahmeverfahren nach der Dublin-III-VO stattgefunden hat. Das neugeborene Kind kann in dieses Verfahren der Eltern einbezogen werden. Dies ist im Fall von in Deutschland geborenen Kindern von Ausländern, die in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz erhalten haben, nicht der Fall. Denn diese international Schutzberechtigten unterfallen nicht mehr der Dublin-III-VO. Damit fehlt es an einem laufenden Zuständigkeits- und Aufnahmeverfahren hinsichtlich der Eltern, in das das neugeborene Kind einbezogen werden könnte und das ein eigenständiges Zuständigkeits- und Aufnahmeverfahren für das neugeborene Kind entbehrlich machen könnte. Dies hat auch praktische Relevanz, denn nur wenn ein Zuständigkeits- und Aufnahmeverfahren nach der Dublin-III-VO durchgeführt wird, ist sichergestellt, dass der andere Mitgliedstaat auch das neugeborene Kind aufnimmt und dieses als noch nicht international schutzberechtigt identifiziert, so dass das Asylverfahren für dieses Kind im anderen Mitgliedstaat durchgeführt werden kann.
(3) Schließlich scheidet eine Analogie vorliegend schon deshalb aus, weil eine Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags des Klägers nicht dem Wohl des Klägers dient. Bei dem Kläger handelt es sich um ein drei Jahre altes Kleinkind.
Dem Kläger und seinen Eltern droht im Fall der Rückführung nach Italien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK (§ 60 Abs. 5 AufenthG) bzw. eine sonstige konkrete Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG, so dass eine Rückführung nicht dem Wohl des Kindes dient (vgl. auch VG Würzburg, Urteil vom 17.3.2017 – W 2 K 16.31417 – juris, Rn. 23).
Zwar gilt nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, zit. nach juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 -, zit. nach juris) grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Diese ist auch nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An eine Widerlegung der Vermutung sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 -, zit. nach juris). Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist gegenwärtig nicht davon auszugehen, dass Asylantragsteller ohne eine besondere Schutzbedürftigkeit in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen tatsächlich Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. etwa VG Minden, Urteil vom 27. Januar 2016 – 10 K 1613/14.A – juris; OVG NW, Beschluss vom 26. Mai 2015 – 19 A 581/14.A – und Urteil vom 7. Juli 2016 – 13 A 2132/15A -, jew. juris; BayVGH, Urteil vom 28. Februar 2014 – 13a B 13.30295 – juris; BW, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 – nach juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14. November 2013 – 4 L 44/13 – juris).
Ob dies in gleichem Maße auch für anerkannt Schutzberechtigte entsprechend gilt, woran unter Zugrundelegung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Verhältnissen in Griechenland (BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 2017 – 2 BvR 157/17 -, zit. nach juris) gewisse Zweifel bestehen, kann hier dahin gestellt bleiben. So nimmt beispielsweise das Verwaltungsgericht Berlin für Personen, denen in Italien bereits internationaler Schutz zuerkannt wurde, allgemein an, dass diesen eine unmenschliche Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK/ Art. 4 GR-Charta drohe (VG Berlin, Beschluss vom 2.6.2017 – 33 L 365.17 A –juris).
Hier besteht im Hinblick auf die besondere Vulnerabilität des Klägers aber ein Sonderfall, denn der Kläger gehört als Kleinkind zu dem in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschrechte vom 4. November 2014 – Tarakhel./.Schweiz, Nr. 292217/12 – angeführten Kreis besonders schutzbedürftiger Personen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 17. September 2014 – 2 BvR 732/14 (veröffentlicht in juris) festgestellt, dass aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen und des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen in Italien bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer bestehen und gerade bei der Rückführung in sichere Drittstaaten betroffene Ausländer – anders als bei einer Rückführung in ihr Heimatland – regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen können, so dass die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen hat (Rn. 13). Angesichts der bei der Rückführung von Familien und Alleinerziehenden in Rede stehenden hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 8 EMRK und der bei der Durchführung von Überstellungen vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls hat das Bundesamt jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen und Kleinkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörde Italiens sicherzustellen, dass die Familie bei der Überführung eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete soziale Gefahren oder Gefahren für die Gesundheit für die in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen. Diese Wertung der sog. Tarakhel-Rechtsprechung des EuGH betreffend Italien ist auch auf Personen anzuwenden, die mit einem Schutzstatus – wie hier der Flüchtlingsanerkennung – nach Italien rücküberstellt werden sollen (vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 11. August 2017 – AN 14 S 17.50857 – juris Rn. 30 m.w.N.).
Hierzu ist grundsätzlich eine individuelle Garantieerklärung für die gesicherte Aufnahme in Italien erforderlich. Dazu hat Italien in einem Rundschreiben an alle Dublin-Einheiten der Mitgliedstaaten mitgeteilt, dass man nunmehr eine generelle Erklärung abgebe, dass Familien mit minderjährigen Kindern bei Überstellungen im Dublin-Verfahren nach Italien dort in familiengeeigneten Unterkünften unter Wahrung der Familieneinheit untergebracht würden. Das nach der Tarakhel-Rechtsprechung geltende Erfordernis einer individuellen Garantieerklärung ist allerdings durch die Gestaltung des Verfahrens durch die italienischen Behörden nach Auffassung der zur Entscheidung berufenen Einzelrichterin nicht hinreichend sicher erfüllt. Dadurch wird nicht tatsächlich sichergestellt, dass vulnerable Personen, insbesondere Familien mit minderjährigen oder gar Kleinstkindern in diese Einrichtungen auch sicher und verzugsfrei ohne kritische Phasen von Obdachlosigkeit oder anderweitig unklarer oder unzureichender Unterbringung, eventuell sogar mit damit verbundener Trennung von Familienmitgliedern, behördlich gesteuert Zugang finden. Die Zweifel des erkennenden Gerichts knüpfen vor allem an die Aktualität der von den italienischen Behörden übermittelten Liste der reservierten Plätze für Familien an. Die ursprüngliche Liste vom Juni 2015 soll 160 Personen aufgelistet haben, nach der vom Bundesamt in seinem Bescheid angegebenen Liste vom 15.2.2016 waren noch 85 Plätze verfügbar. Die jüngste verfügbare Liste stammt vom 12. Oktober 2016 und weist nur noch 58 Plätze aus (Liste abrufbar unter http:// www.asylumineurope.org/reports/country/italy, unten auf der Seite unter „Dublin Unit, List of SPRAR Projects for Families, October 2016). Für die seitdem fast verstrichenen 2 Jahre ist keine weitere Liste bekannt. In dieser Situation kann nicht davon ausgegangen werden, dass familiengeeignete Plätze garantiert zur Verfügung stehen. Die von der Rechtsprechung geforderte individuelle Garantie zur Aufnahme von Familien mit minderjährigen Kindern bei einer Rücküberstellung nach Italien im Dublin-Verfahren ist in der fast zwei Jahre alten Liste nicht zu sehen. Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers dient daher auch nicht dem Wohl des Kindes.
Es lässt sich auch nicht feststellen, dass sich die tatsächliche Situation anerkannter Flüchtlinge in Italien seitdem derart nachhaltig verändert hätte, dass eine Abschiebung von Familien mit Kleinkind zwischenzeitlich ohne eine solche Garantieerklärung zulässig wäre. Diese Auffassung wird auch durch den UN-Menschenrechtsausschuss geteilt, demzufolge eine Rückführung von Familien bzw. Elternteilen mit Kleinkindern ohne eine einzelfallbezogene Zusage zu sozialer Unterstützung und medizinischer Versorgung ausscheidet, weil dies eine Verletzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt, IPbpR), konkret des in seinem Art. 7 enthaltenen Verbots unmenschlicher und erniedrigender Behandlung, darstelle. Während sich die Situation einer Familie mit älteren Kindern nicht wesentlich von derjenigen anderer in Italien schutzberechtigter Familien unterscheide und damit keine Rechtsverletzung gegeben sei, könne eine Rückführung von Kleinkindern nur unter der Bedingung für zulässig erklärt werden, dass Italien zusichere, die Familie entsprechend der Bedürfnisse der Kinder unterzubringen und zu versorgen (vgl. Entscheidung vom 28. Juli 2017, Beschwerde Nr. 2470/2014, Asylmagazin 12/2017 S. 447). Auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen weist in ihrem jüngsten Bericht vom 8. Februar 2018 („Out of sight“ – Second edition, abrufbar unter www.ecoi.net) darauf hin, dass weiterhin ein chronischer Mangel an geeigneten Unterbringungsplätzen und begleitender Hilfen für eine soziale Inklusion bestehe. Dies habe dazu geführt, dass viele Migranten, die die Aufnahmezentren zum Ende ihre Asylverfahrens verlassen, gezwungen seien, in informellen Unterkünften, wie verlassenen Häusern, aufgegebenen Fabriken oder Lagerräumen, zu leben, in bestimmten Gegenden ohne Wasser, Elektrizität und Gas, oft in rattenverseuchten Gebäuden. Es gebe wenigstens 10.000 Obdachlose unter Inhabern und Bewerbern international und humanitären Schutzes mit begrenztem oder gar keinem Zugang zu Mitteln der Grundversorgung und medizinischer Betreuung.
(4) Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG ist zudem im Hinblick auf Art. 21 Abs. 1 Dublin-III-VO rechtswidrig. Hält ein Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so muss er innerhalb von drei Monaten nach der Antragstellung diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen. Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb dieser Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig. Nachdem hier nicht innerhalb von drei Monaten nach der (fiktiven) Antragstellung am 9.3.2015 ein Aufnahmegesuch an die italienischen Behörden gerichtet wurde, ist Deutschland für die Prüfung des Antrags zuständig geworden (Dr. J. B., Die Unzulässigkeit von Asylanträgen der in Deutschland geborenen Kinder im EU-Ausland anerkannter Schutzberechtigter, Informationsbrief Ausländerrecht, Heft 2/2018, S. 41 ff. (45)). Schon deshalb kann sich die Zuständigkeit Italiens nicht aus § 29 Abs. 1 Nr. 1 a AsylG ergeben.. Die vom VGH Baden-Württemberg ohne nähere Begründung vertretene Gegenauffassung, wonach in diesem Fall die Aufnahmegesuchsfristen des Art. 21 Abs. 1 Dublin-III-VO nicht eingreifen würden (VGH Ba-Wü, Beschluss vom 14.3.2018 – A 4 S 544/18 – juris) überzeugt nicht. Dies folgt aus der Wertung der in der Dublin-III-VO genannten sonstigen Fristen, denen Auswirkungen auf die Zuständigkeit für das Asylverfahren beigemessen wird. Nach einem längeren Aufenthalt in einem Mitgliedstaat soll dieser Mitgliedstaat grundsätzlich auch für das weitere Verfahren zuständig werden. Dem widerspräche es, die Zuständigkeit eines in Deutschland geborenen Kindes wegen des in einem anderen Mitgliedstaat gewährten Schutzstatus der Eltern unbegrenzt lange bei dem anderen Mitgliedstaat zu belassen.
Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig in Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes ist daher rechtswidrig und war auf die Klage hin auszuheben. Das Bundesamt ist verpflichtet, ein nationales Asylverfahren für den Kläger durchzuführen.
b) Die in Ziffer 2 des Bescheids vom 22. Mai 2017 getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, ist aufzuheben, weil diese Entscheidungen jedenfalls verfrüht ergangen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016, 1 C 4/16, juris Rn. 21).
c) Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids ist aufzuheben, weil die Voraussetzungen des § 35 AsylG nicht vorliegen. Es ist kein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gegeben (vgl. oben unter 2 a)).
Der Klage war daher im tenorierten Umfang stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt das Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Prozessparteien. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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