Verwaltungsrecht

Rückführung nach Italien nach der Dublin III-VO

Aktenzeichen  M 3 S 21.50201, M 3 K 21.50200

Datum:
19.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 19882
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 34a
VwGO § 80 Abs. 5, § 166
Dublin-III-VO Art. 3 Abs. 1 S. 2, Art. 13 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1

 

Leitsatz

1. Die Abschiebung nach Italien kann gem. § 34a Abs. 1 AsylG nach wie vor durchgeführt werden, da systemische Mängel iSd Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO, die der Überstellung entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich sind.(Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Schwachstellen im Asylsystem sind nur dann als Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zu werten, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (EuGH BeckRS 2019, 3600). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bezüglich nicht vulnerabler Personen ist auch vor dem Hintergrund des sog. „Salvini-Dekrets“, nicht vom Vorliegen systemischer Schwachstellen iSd Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO auszugehen (vgl. ausführlich etwa OVG Koblenz BeckRS 2020, 11644; VGH Mannheim BeckRS 2019, 18065; OVG Lüneburg BeckRS 2018, 33662). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. An die Behandlung vulnerabler Personen sind allerdings – speziell hinsichtlich ihrer Unterbringung – besondere Anforderungen zu stellen, von deren zweifelsfreien Einhaltung durch Italien nach den derzeit verfügbaren Erkenntnismitteln nur bei Vorliegen einer individuellen Zusicherung Italiens ausgegangen werden kann (vgl. VG München BeckRS 2020, 36390). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Die Verfahren M 3 K 21.50200 und M 3 S 21.50201 werden hinsichtlich der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
IV. Die Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Verfahren M 3 K 21.50200 und M 3 S 21.50201 werden abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller zu 1.) und die Antragstellerin zu 2.), nach eigenen Angaben afghanische Staatsangehörige, sind miteinander verheiratet und haben drei Kinder im Alter von 13, 9 und 7 Jahren, die Antragsteller zu 3.), zu 4.) und zu 5.). Sie reisten am 2. November 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerten Asylgesuche, von denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 4. November 2020 Kenntnis erlangte. Am 17. Dezember 2020 stellten die Antragsteller förmliche Asylanträge.
Eine Eurodac-Abfrage ergab einen Eurodac-Treffer der „Kategorie 2“ für den Antragsteller zu 1-) (vgl. Bl. 2 der Akte) und die Antragstellerin zu 2.) (vgl. Bl. 142 der Akte), wonach in Italien am 9. Oktober 2020 Fingerabdrücke der Antragsteller genommen wurden.
Das Bundesamt richtete am 30. Dezember 2020 ein Aufnahmegesuch an Italien. Mit Schreiben vom 26. Februar 2021 (Blatt 427 der Akten) sagte der italienische Staat die Übernahme der Antragsteller zu. Das Schreiben enthielt unter anderem folgende Passage: „We would like to assure you that the above mentioned family with (a) child/children will have immediate access to an accommodation for asylum seekers foreseen under the Legislative Decree No. 142/2015 after their arrival. These centres are adequate to host all possible beneficiaries, so as to guarantee the protection of the fundamental rights, particularly the family unity and the protection of minors.“
Die Antragsteller gaben in ihrer Anhörung gegenüber dem Bundesamt am 22. Februar 2021 an, dass sie Afghanistan am 13. Mai 2019 verlassen hätten und über den Iran und die Türkei nach Italien gekommen seien. Von Italien seien sie über Frankreich nach Deutschland gereist. In Italien haben sie Fingerabdrücke abgegeben. Der Antragstellerin zu 1.) leide an Rückenproblemen und befinde sich deshalb in ärztlicher Behandlung, die Antragstellerin zu 2.) leide unter Angstzuständen und werde deshalb medikamentös behandelt.
Mit Bescheid vom 1. März 2021 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). In den Bescheidsgründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, da dieser Staat aufgrund der in Italien genommenen Fingerabdrücke der Antragsteller zuständig sei, die Asylanträge bei der Antragsgegnerin daher nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig sei und somit von ihr nicht materiell geprüft werden. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 S. 1 AufenthG lägen nicht vor.
Am 11. März 2021 erhoben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht München Klage gegen den Bescheid (M 3 K 21.50200) und beantragten zugleich sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Weiter beantragten sie,
ihnen für das Klage- und das Antragsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu gewähren.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakte vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die vom Bundesamt übermittelte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässige, insbesondere innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 S. 1 AsylG eingelegte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, wird abgelehnt.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier aufgrund des § 75 Abs. 1 AsylG einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Ein gewichtiges Indiz ist dabei die Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, hat das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurückzutreten. Erweist sich dagegen der Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen zu beurteilen, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung, bei der jedoch die gesetzgeberische Entscheidung, die aufschiebende Wirkung einer Klage auszuschließen, zu berücksichtigen ist.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe geht die Interessenabwägung hier im Ergebnis zu Lasten der Antragsteller aus. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zum gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) sind die Erfolgsaussichten ihrer Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamts vom 1. März 2021 als gering anzusehen. Auf den vorgenannten Bescheid wird im Sinne von § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen. Die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung erweist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig.
Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt u.a. dann, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind nach summarischer Überprüfung gegeben. Danach ist Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat und es bestehen keine Hindernisse für die Durchführung der Abschiebung. Der besonderen Schutzbedürftigkeit der Antragsteller als Familie mit drei minderjährigen Kindern sowie die Berücksichtigung, dass eine Rückführung nur im Familienverbund durchgeführt werden darf, ist durch die individuelle Zusicherung der italienischen Behörden in dem Übernahmeschreiben vom 26. Februar 2021 genüge getan. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Antragsteller zusammen mit ihren Kindern unverzüglich nach der Ankunft in Italien einen sicheren Platz in einer Einrichtung erhalten, die für Familien eine spezielle Versorgung und Betreuung gewährleistet und deren individuelle Bedürfnisse abdeckt.
1.1. Ausweislich des Eurodac-Treffers „IT2“ ist Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat. Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO).
Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kap. III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Dem Vortrag der Antragsteller und dem Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „IT2“ zufolge, war dies Italien. Dass die Antragsteller in Italien keine Asylanträge gestellt haben, ist für die Zuständigkeitsbegründung unerheblich. Ihre Finderabdruckdaten wurden gemäß Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 (Eurodac-VO) beim illegalen Überschreiten der Grenze erfasst und an das Eurodac-Zentralsystem übermittelt.
Des Weiteren hat das Bundesamt vor Erlass der Abschiebungsanordnung das Zustimmungsverfahren mittels seines Aufnahmegesuchs vom 20. November 2020 fristgerecht innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin-III-VO (Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin-III-VO) durchgeführt. Die Antragsteller hatten in Italien keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, sodass in Italien nur eine erkennungsdienstliche Behandlung erfolgte und das Übernahmeersuchen richtigerweise nach Kapitel VI Abschnitt II der Dublin-III-VO behandelt wurde. Italien ist auch aufnahmebereit, wie sich aus der Antwort vom 26. Februar 2021 ergibt. Die 6-monatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO war zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO noch nicht abgelaufen.
Nach Art. 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin-III-VO ist Italien auch für die Antragsteller zu 3.), zu 4.) und zu 5.) als mit den Eltern einreisende, minderjährige Kinder zuständig.
1.2. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Gründe i. S.d. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO, die der Überstellung der Antragsteller nach Italien entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Diese Vorschrift setzt voraus, dass es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da er dort infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Gr-Charta) oder Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ausgesetzt wäre.
Derartige systemische Mängel, sind nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen weder bei der Durchführung von Asylverfahren, noch hinsichtlich des Aufnahmesystems in Italien festzustellen.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Zwar ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Die nationalen Behörden und Gerichte sind aber nur bei Vorliegen von Anhaltspunkten, die auf ein ernsthaftes Risiko von Verstößen gegen Art. 4 Gr-Charta hindeuten, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. Diese müssen zudem eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die nur vorliegt, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden des Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass einem Asylbewerber gerade aufgrund seiner besonderen Schutzbedürftigkeit und unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen eine Situation extremer materieller Not drohen würde, die es ihm nicht erlauben würde, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigen oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzen würde (EuGH, U. v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 92, 95).
Um diese Vermutung zu widerlegen, müssten Umstände substantiiert vorgetragen und ggf. belegt werden, die eine besondere Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Die Anforderungen hieran sind allerdings hoch. Im Hinblick auf das Ziel der Dublin-III-VO, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen, können geringfügige Verstöße hierfür nicht ausreichen. Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss vielmehr ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 Gr-Charta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417, Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41).
Diese Grundsätze konkretisierend hat der EuGH ausgeführt, dass Schwachstellen im Asylsystem nur dann als Verstoß gegen Art. 4 Gr-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten sind, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91). Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hat, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. in diesem Sinne EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S., Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 342).
Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 93). Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf der Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und darf sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen.
Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, wird nach Auffassung des Gerichts die hohe Schwelle des Art. 4 Gr-Charta, bei deren Überschreitung eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (unions-)rechtswidrig ist, nicht überschritten (nachfolgend unter 1.2.1.). Insbesondere ist im vorliegenden Fall die Unterbringung der Familie als vulnerable Personen durch die Zusicherung sichergestellt (nachfolgend unter 1.2.2.).
1.2.1. Bezüglich nicht vulnerabler Personen ist auf die umfassende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu verweisen, die auch vor dem Hintergrund der am 4. Dezember 2018 in Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen bezüglich Aufnahmebedingungen und Unterbringung durch das „Decreto Legge No. 113 vom 4. Oktober 2018“ über Sicherheit und Migration, dem sog. „Salvini-Dekret“, nicht vom Vorliegen systemischer Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO ausgeht (vgl. ausführlich etwa OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 20.5.2020 – 7 A 10228/20; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 15.12.2020 – 7 A 11038/18.OVG; VGH Bad.-Würt., U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 112 ff.; OVG Lüneburg, B.v. 21.12.2018 – 10 LB 201/18 – juris Rn. 40; VG Karlsruhe, U.v. 14.9.2020 – A 9 K 3639/18 – juris Rn. 36 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 6.6.2018 – 10 LB 167/18 – juris Rn. 32, bestätigt von BVerwG, B.v. 12.9.2018 – 1 B 50/18, 1 PKH 39/18 – juris; VG Würzburg, U.v. 3.4.2020 – W 10 K 19.30677 – juris Rn. 36ff.; VG Augsburg, U.v. 9.7.2020 – Au 9 K 20.30303 – juris Rn. 44; VG Cottbus, U.v. 26.8.2020 – 5 K 1123/19.A – juris Rn. 17 ff.; VG Freiburg, U.v.19.8.2020 – A 10 K 3159/18 – juris Rn. 42 ff.).
Das Gericht schließt sich diesen Einschätzungen auch unter Berücksichtigung der im hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) neu hinzugekommenen Erkenntnismittel an. Diese führen nicht zu einer anderen Bewertung der für Rückkehrer maßgeblichen Verhältnisse in Italien.
Die mit dem Salvini-Dekret einhergehende Umstrukturierung führt nicht per se zu einem Mangel an Unterbringungsplätzen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass Dublin-Rückkehrer in der Lage sein werden, sich den – zwar im Vergleich zu Deutschland schwierigeren – Bedingungen zu stellen und durch ein gewisses Maß an Eigeninitiative diese auch zu bewältigen. So wurden Ende 2018 zwar in gewissen Bereichen (Streichung der Integrationsmaßnahmen; psychologische Betreuung nur noch in Hotspots und Schubhaftzentren) Einsparungen vorgenommen. Doch auch nach dem Salvini-Dekret erhalten Flüchtlinge während des Asylverfahrens weiterhin Leistungen für die Befriedigung von Grundbedürfnissen, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Kleidung. Streichungen oder Kürzungen sind insoweit nicht vorgesehen (Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Italien, Gesamtaktualisierung 9.10.2019, S. 13). Abstriche sind durch das Dekret auch nicht bezüglich medizinischer Basisleistungen und insbesondere der kostenfreien Notfallversorgung angeordnet. In den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben Ärzte beschäftigt, die medizinische Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen vornehmen, auch um die nationalen Gesundheitsdienste zu entlasten. Zudem bleibt der Zugang zu öffentlichen Krankenhäusern gewährleistet (BFA, Italien, 9.10.2019, a.a.O., S. 19, 20; AIDA – Asylum Information Database: Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, Update 2019, Stand: 27.5.2020, S. 113 ff.).
Auf die noch 2018 bestehenden Defizite, wonach unangemessene und überfüllte Einrichtungen in Rom und anderen Hauptstädten und limitierter Zugang zu Gesundheitsvorsorge, Rechtsberatung, Grundbildung und anderen öffentlichen Diensten zu verzeichnen waren (US Departement of State, Country Report on Human Rights Practices 2017 – Italy vom 20.4.2018, https://www.ecoi.net/en/document/1430262.html), wirken sich zumindest die seitdem stetig abnehmenden Anlandungszahlen positiv aus. Die Neuankünfte 2018 betrugen nur ca. ein Viertel der Neueinkünfte des Zeitraums im Vorjahr (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, 8.5.2019, S. 12). Hinsichtlich der insgesamt von Italien untergebrachten Migranten sind sinkende Zahlen zu verzeichnen, waren es 2018 noch 182.537, waren es 2019 nur noch 131.067 und 2020 sank die Zahl auf 90.198 (BAMF, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien, 2.4.2020, S. 7; VG Karlsruhe, U.v. 14.9.2020 – A 9 K 3639/18 – Rn. 57). Angesichts fortbestehender Rücküberstellungen, einem Rückstau anhängiger Verfahren und der Schließung von Aufnahmezentren bleibt der Druck auf das italienische Asylsystem dennoch bestehen (SFH, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, 8.5.2019, S. 12). Das im aktuellsten Bericht vom österreichischen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seiner Länderinformation vom 11. November 2020 beschriebene Verfahren, wonach ein nicht vulnerabler Antragsteller nach Rücküberstellung in eigener Initiative die für ihn zuständige Quästur aufsuchen muss (BFA v. 11.11.2020, S. 7f.), kann aus Sicht des Gerichts keine systemischen Mängel begründen.
Die defizitären Umstände sind jedoch nicht so gravierend, dass sie den obergerichtlich aufgestellten Kriterien folgend zu einer existentiellen Not der Dublin-Rückkehrer in Italien führen würden. Weder kann aus den dargelegten Mängeln eine Gleichgültigkeit der italienischen Behörden entnommen werden, noch eine zu befürchtende Verelendung der Dublin-Rückkehrer.
1.2.2. An die Behandlung vulnerabler Personen sind allerdings – speziell hinsichtlich ihrer Unterbringung – besondere Anforderungen zu stellen, von deren zweifelsfreien Einhaltung durch Italien nach den derzeit verfügbaren Erkenntnismitteln nur bei Vorliegen einer individuellen Zusicherung Italiens ausgegangen werden kann (vgl. Kammerentscheidung des Gerichts, VG München, U.v. 28.10.2020 – M 19 K 19.51141 – juris Rn. 42; VG Regensburg, U.v. 29.5.2020 – RN 7 K 17.51851 – n.v. S. 7, 12, bestätigt von BayVGH, B.v. 9.9.2020 – 9 ZB 20.50011 – juris, Rn. 6 ff.; in Folge ebenso BayVGH, B.v. 19.10.2020 – 13a ZB 18.30891 – juris Rn. 4f.).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 4. November 2014 im Fall einer Familie mit minderjährigen Kindern entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung der Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammenbleiben darf (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel ./. Schweiz, Nr. 29217/12 – NVwZ 2015, 127, Rn. 114 ff.). Die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien war zwar nicht mit der Griechenlands vergleichbar und hatte nicht jegliches Überstellen von Asylbewerbern nach Italien verhindert (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014, a.a.O. Rn. 114 ff.). Es konnte aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche Anzahl von Asylbewerbern keine Unterkunft findet oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht war. Um sicherstellen zu können, dass die Aufnahmebedingungen an die Bedürfnisse von besonders schutzbedürftigen Personen angepasst sind, mussten vor deren Abschiebung die vorgenannten individuellen Garantien eingeholt werden, (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014, a.a.O. Rn. 120, 122).
Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH), der mit seinen Urteilen vom März 2019 (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – Rs. „Ibrahim u.a.“, juris Rn. 90 f.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – Rs. „Jawo“, juris Rn. 92 ff.) die Maßstäbe für Rückführungen im Dublinraum präzisierte und tendenziell eher verschärfte (vgl. Rn. 34, 35), erkennt das Erfordernis einer Differenzierung zwischen gesunden und arbeitsfähigen Flüchtlingen einerseits und Antragstellern mit besonderer Verletzbarkeit andererseits an (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a – Rs. „Ibrahim u.a.“, juris Rn. 93).
In gleicher Weise forderte auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, B.v. 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – juris Rn. 19 f.; B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – juris Rn. 16; B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 16), dass jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen (vgl. Art. 16 Abs. 1 der Dublin-III-VO) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen ist, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für die in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.
Die italienischen Behörden reagierten auf die „Tarakhel“ Rechtsprechung des EGMR mit Erklärungen vom 2. Februar 2015, 15. April 2015 und 8. Juni 2015, in denen sie allgemein zusicherten, dass Familien mit (Klein-) Kindern zukünftig ausschließlich in den für Familien geeigneten SPRAR-Unterkünften untergebracht werden. Daraufhin relativierte der EGMR im Jahr 2016 sein Urteil insofern, als von dem Erfordernis der konkret-individuellen Zusicherung wieder abgesehen wurde (EGMR, E.v. 4.10.2016, Ali v. Switzerland and Italy, Nr. 30474/14, https://dejure.org, Rn. 34). Zu diesem Zeitpunkt sicherten die allgemeinen Zusicherungen Italiens jedoch noch eine grundsätzliche Unterbringung von Familien mit (Klein-) Kindern in SPRAR-Unterkünften zu.
Dies änderte sich jedoch seit den Umstrukturierungen durch das Salvini-Dekret vom Oktober 2018 in entscheidungserheblicher Weise, die die vorliegend getroffene Maßgabe-Entscheidung erforderlich macht. Das neue Unterbringungssystem Italiens differenziert nun zwischen einer Erstaufnahme („prima accoglienza“) und einer sekundären Versorgungsschiene („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“ – SIPROIMI). Asylsuchende – auch Dublin-Rückkehrer – werden in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht und verbleiben während des Asylverfahrens dort. In den SIPROIMI (bis Ende 2018 SPRAR), den Aufnahmeeinrichtungen der zweiten Ebene, werden ausschließlich unbegleitete Minderjährige sowie international Schutzberechtigte untergebracht. Unstreitig ist damit, dass die vom EGMR in Bezug genommenen besser ausgestatteten SPRAR-Unterkünfte, die jetzigen SIPROIMI, den Dublin-Rückkehrern und somit auch Familien mit (Klein-) Kindern nicht mehr zur Verfügung stehen. Davon, dass die übrigen Unterkünfte für Asylsuchende (CAS und CARA) eine kind- und familiengerechte Unterbringung gewährleisten, kann jedoch nicht ohne Weiteres ausgegangen werden.
Der allgemeinen Zusicherung der italienischen Behörden vom 8. Januar 2019 ist zunächst die Unterbringung vulnerabler Personen in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu entnehmen. Darüber hinaus kann aus ihr nicht die hinreichende Gewissheit gewonnen werden, dass, wo und wie, die italienischen Behörden eine dem Alter und der Situation einer Familie mit Säugling angemessene Unterbringung tatsächlich ermöglichen können (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 23). Denn den durch den EGMR aufgestellten Anforderungen an die Unterbringungsgarantien bezüglich Familien und schwer erkrankten Asylsuchenden kann dieses allgemeine Schreiben vom 8. Januar 2019 hinsichtlich der dargestellten, weitreichenden Änderungen des italienischen Unterbringungssystems nicht mehr standhalten (vgl. Schweizer Bundesverwaltungsgericht, BVGer, U.v. 17.12.2019 – E-962/2019 – abrufbar unter https://www.bvger.ch/bvger/de/home/rechtsprechung/referenzurteile/asyl/dublin-italien.html; AIDA – Italy, Update 2019, Stand: 27.5.2020, a.a.O. S. 62).
Den geänderten Verhältnissen bezüglich der Unterbringung vulnerabler Personen Rechnung tragend, ist damit bei dieser Personengruppe eine hinreichend belastbare Versorgungszusicherung zu fordern (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 23 f.; VGH Bad.-Würt., U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 41; BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 7 AS 19.50020 – juris Rn. 17 f.). Dieser obergerichtlichen Rechtsprechung folgend, geht das Gericht daher derzeit davon aus, dass für die Antragsteller als besonders schutzbedürftige Personen eine Verletzung von Art. 3 EMRK bei der Rückführung nach Italien nur dann ausgeschlossen ist, wenn zuvor entsprechende individuelle Garantien eingeholt werden, dass eine angemessene Unterbringung und Versorgung und gegebenenfalls Gesundheitsversorgung sichergestellt sind. Die Aussage der Antragsteller zu 1.) und zu 2.), man habe sich während ihres Aufenthalts in dem italienischen Camp nicht ausreichend um die schwangere Antragstellerin zu 2.) gekümmert, ist aufgrund des zu dieser Zeit verhängten Quarantänezustands zwar nur bedingt für generalisierende Aussagen geeignet, ist aber dennoch gewisses Indiz für das Erfordernis einer gesonderten Zusicherung.
Die in den zuletzt verfügbaren Erkenntnismitteln geäußerten Bedenken, dass nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass vulnerable Personen sofort nach ihrer Ankunft in Italien Zugang zu einer angemessenen Unterkunft haben werden (SFH Januar 2020, a.a.O. S. 16, 102; Italy, Update 2019, Stand: 27.5.2020, S. 61), können auch weder durch den Bericht des Bundesamts vom April 2020 (BAMF, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien, 2.4.2020) noch durch den Circular Letter des italienischen Innenministeriums vom 8. Februar 2021 (Regulation (EU) No. 604/2013) zur Aufnahme nach Italien zurückkehrender Familien ausgeräumt werden. Die in letztgenannten Schreiben genannte Umstand, dass die SIPROIMI – Einrichtungen nunmehr durch sog. SAI ersetzt würden, beantwortet zunächst noch nicht die Frage, wem der Zugang zu ihnen offensteht. Abgesehen davon spricht das Schreiben zwar von der Verabschiedung eines neuen Gesetzes, Anhaltspunkte dafür, inwieweit die Änderungen bereits tatsächlich umgesetzt wurden, sind hieraus nicht zu entnehmen.
Im Ergebnis ist im vorliegenden Fall aufgrund der vorliegenden individuellen Zusicherung ausreichend sichergestellt, dass für die Antragsteller geeignete Vorkehrungen zu ihrem Schutz getroffen und eine gemeinsame Unterbringung sichergestellt werden.
1.2.3. Soweit sich angesichts der weltweiten Corona-Pandemie die wirtschaftlichen Verhältnisse auch in Italien verschlechtert haben, führt dies nicht dazu, dass eine Abschiebung gegen Art. 3 EMRK oder Art. 4 Gr-Charta verstoßen würde.
Eine Prognose über die Entwicklung der italienischen Wirtschaft und Arbeitsmöglichkeiten durch die Corona-Pandemie im Jahr 2021 zu treffen, die die Antragsteller erst mit einer Schutzanerkennung unmittelbar treffen würden, ist derzeit aus Sicht des Gerichts nicht valide möglich. Vielmehr ist die weitere wirtschaftliche und humanitäre Entwicklung Italiens durch die vorliegende Krise nicht absehbar, ebenso wenig wie finanzielle Hilfen der EU konkret zu würdigen, aber in gewisser Hinsicht zu erwarten sind.
Ist aber eine entsprechende Prognose über die wirtschaftliche und humanitäre Entwicklung nicht möglich – was nicht nur in Bezug auf Italien angesichts der weltweiten Pandemie gilt -, ist zur Überzeugung des Gerichts vor dem Hintergrund des dargestellten strengen Maßstabs im Rahmen der Dublin III-VO im Spannungsfeld mit Art. 3 EMRK und Art. 4 Gr-Charta noch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit feststellbar, dass dieser erfüllt wäre. Dass Italien einer etwaig weiteren Verschlechterung der Existenzsicherungsmöglichkeiten anerkannt Schutzbedürftiger gleichgültig gegenüberstehen wird, Unterstützungsprogramme der EU nicht greifen und anerkannt Schutzbedürftige auch mit zumutbar hohem Maß an Eigeninitiative, Ausschöpfung rechtlicher Möglichkeiten und tatsächlicher Unterstützung durch NGOs etc. dem real risk extremer materieller Not ausgesetzt sein werden, vermag das Gericht daher nicht festzustellen. Insoweit ist auch nicht von offenen Erfolgsaussichten auszugehen, sondern sind solche zum derzeit maßgeblichen Zeitpunkt zu verneinen.
1.2.4. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids bleibt auch ohne Erfolg, soweit Abschiebungshindernisse zu prüfen sind. Einschlägige persönliche Abschiebungshindernisse, die über die allgemeinen Verhältnisse für Asylbewerber in Italien hinausgehen, sind im Falle der Antragsteller nicht ersichtlich. Insbesondere die von den Antragstellern geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden stehen einer Überstellung nicht entgegen. Hierfür wäre die Annahme einer Gefahrenlage i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 bis 3 AufenthG erforderlich. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – BVerwGE 127, 33). Im vorliegenden Fall liegt bei den geltend gemachten Beschwerden nach summarischer Prüfung keine solche Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 bis 3 AufenthG vor.
Schließlich sind auch individuelle außergewöhnliche Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen, nicht ersichtlich.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
2. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten der Antragsteller bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
Prozesskostenhilfe ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO einer Partei auf Antrag zu gewähren, wenn diese nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Ungeachtet der Frage, ob die Antragsteller die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint, ist der zulässige Prozesskostenhilfeantrag jedenfalls deshalb unbegründet, da die mit dem vorliegenden Antrag beabsichtigte Rechtsverfolgung wie unter 1. dargelegt keine Aussicht auf Erfolg bot.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Der umfassende Ausschluss der Beschwerde für Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem AsylG (§ 80 AsylG) erstreckt sich auch auf sämtliche Nebenverfahren eines Rechtsstreits wie insbesondere das der Prozesskostenhilfe (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2016 – 10 C 16.324 – juris Rn 3).


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