Verwaltungsrecht

Rücküberstellung nach Italien, Familie mit Kleinkind, keine systemischen, allgemeinen oder personenbezogenen Mängel und eines daraus resultierenden Verstoßes gegen Art. 4 EU-GR-Charta

Aktenzeichen  B 4 K 19.50363

Datum:
30.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16425
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a
Dublin-III-VO Art. 18 Abs. 1b
EU-GR-Charta Art. 4

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 11.06.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG als unzulässig abgelehnt.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der VO (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.
1.1. Für die Prüfung des Asylantrags des Klägers ist Italien zuständig.
Gemäß Art. 18 Abs. 1 b Dublin-III-VO ist die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrags des Klägers gegeben, weil der Kläger dort bereits internationalen Schutz beantragt hat, ohne dass ersichtlich wäre, dass ihm unanfechtbar internationaler Schutz gewährt worden ist. Die italienischen Behörden haben mit Schreiben vom 10.06.2019 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 b Dublin-III-VO erklärt. Die Überstellungsfrist von 6 Monaten (Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO) ist nicht abgelaufen, weshalb kein Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO in Betracht kommt. Die Anfechtungsklage gegen die vorliegend verfügte Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG hat aufschiebende Wirkung. Diese wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 05.09.2019 (B 4 S 19.50362) angeordnet. Die Einlegung eines Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung gegen die Überstellungsentscheidung bzw. gegen die damit verbundene Abschiebungsandrohung führt dazu, dass die Überstellung unterbrochen wird. Sie läuft erst mit dem Ende der aufschiebenden Wirkung nach § 80b VwGO neu an (BVerwG, U.v. 08.01.2019 – 1 C 16.18 – juris Rn. 17 ff.), d.h. im vorliegenden Falle gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO 3 Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des Antrags auf Zulassung der Berufung (§ 78 Abs. 4 Satz 1, 4 AsylG).
1.2. Die Überstellung des Klägers nach Italien ist auch nicht wegen systemischer, allgemeiner oder personenbezogener Mängel und eines daraus resultierenden Verstoßes gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gemäß Art. 4 EU-GR-Charta ausgeschlossen. Die Überstellung des Klägers nach Italien ist möglich.
Das auf der Grundlage des Art. 78 Abs. 2 AEUV eingerichtete gemeinsame europäische Asylsystem (GEAS) beruht auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens. Danach beachten alle am GEAS beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte, welche ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) haben (vgl. EUGH, U.v. 19.03.2019 – Jawo – C-163/17- juris Rn. 80). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-GR-Charta sowie der GFK und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, C – 411/10, C-493/19- juris).
“Systemische oder allgemeine oder personenbezogene” Mängel sind nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht wird, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese Schwelle ist aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden ist, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats muss zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation materieller Not befinden, die ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EuGH, U.v. 19.03.2019 – Jawo, – C-163/17- juris Rn. 80).
Diesen Vorgaben des höherrangigen Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) sowie des für die EU und ihre Mitgliedstaaten verbindlichen internationalen Rechts trägt für den Fall systemischer Mängel die Regelung des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-VO Rechnung. Danach besteht ein Überstellungshindernis, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta mit sich bringen (VG Würzburg, U.v. 13.11.2020 – W 10 K 19.31019- juris Rn. 29).
Gemessen an diesen Maßstäben geht das Gericht auf der Basis einer Gesamtwürdigung nach dem Erkenntnisstand im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2.HS AsylG) nicht davon aus, dass das Verfahren in Italien unionsrechtlichen Maßstäben widerspricht bzw. dort unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 EU-GR-Charta gewährleisteten Rechte führen. Bei der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C – 411/10, C-493/19- juris) entsprechen das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien zumindest den internationalen und europäischen Mindeststandards und decken jedenfalls die elementaren Bedürfnisse der Asylbewerber. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass es sich bei dem Kläger mit seiner Frau und zwei Kleinkindern, um eine vulnerable Personengruppe handelt.
Es ist daher nicht davon auszugehen, dass das italienische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta ausgesetzt wären (vgl. BayVGH, U.v. 28.02.2014 – 13a B 13.30295; VGH BW, U.v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13; vgl. auch BVerfG, B.v. 17.09.2014 – 2 BvR 732/14; VG Augsburg, U.v. 07.08.2020 – Au 3 K 19.50624; VG Gera, B.v. 13.10.2020 – 6 E 1148/20 Ge; VG Würzburg, U.v. 13.11.2020 – W 10 K 19.31019- alle juris).
Der EGMR hat im Urteil vom 04.11.2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12) – bezogen auf den Sachstand 2014 – entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Zusicherungen von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass sie in Italien in einer dem Alter der Kinder entsprechenden Weise aufgenommen werden und die Familieneinheit gewahrt wird.
Mittlerweile ist die sog. Tarakhel-Rechtsprechung des EGMR vom November 2014 auch insofern als überholt anzusehen, als Italien auf diese Rechtsprechung mit verschiedensten Maßnahmen reagiert hat und die Betreuungsplätze für Familien ausgebaut hat, und es seitens Italien gesichert ist, dass das Bundesamt vor der Überstellung einer Familie im Falle mangelnder Verfügbarkeit von adäquater Unterbringung rechtzeitig informiert wird (vgl. hierzu auch EGMR, U.v. 04.10.2016 – 30474/14 – juris). Im Übrigen hat der EGMR (U.v. 04.10.2016 – 30474/14 – juris) entschieden, dass die allgemeinen Zusicherungen Italiens zum Schutz vulnerabler Personen als Garantien im Sinne seiner Tarakhel-Rechtsprechung zu akzeptieren und ausreichend sind. Dies gilt auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Denn Italien hat mit Schreiben vom 08.01.2019 – und damit auch nach Inkrafttreten des sog. “Salvini-Dekrets” – eine allgemeine Zusicherung der adäquaten Unterbringung für alle Personen, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien überstellt werden, erteilt. Diese schließt Familien mit Kindern unter drei Jahren mit ein (vgl. Antwort der Bundesregierung zu Frage 8 auf die Anfrage BT-Drs. 19/8340 vom 13. März 2019).
Bekräftigt wird dies durch das aktuelle Schreiben (Circular Letter) des italienischen Innenministeriums vom 08.02.2021, in dem darauf hingewiesen wird, dass nunmehr das Dekret Nr. 130/2020 vom 21.10.2020 das Gesetz Nr. 132/2018 vom 01.12.2018 über das sog. SIPROIMI-Schutzsystem ersetzt. Es werde ein neues Schutzsystem, genannt SAI (Sistema di accoglienza e integrazione – Aufnahme und Integrations-System) mit einigen signifikanten Änderungen geschaffen. Im Rahmen des neuen Systems würden auch aus Mitgliedsstaaten zurücküberstellte Familien mit minderjährigen Kindern aufgenommen, um die Familieneinheit zu gewährleisten und den Anforderungen der Tarakhel-Rechtsprechung zu entsprechen.
Einer Rückführung des Klägers steht auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.10 2019 (BVerfG, B.v. 10.10 2019 – 2 BvR 1380/19 – juris), nicht mehr entgegen, in dem die Einholung einer konkret-individuellen Zusicherung bei den italienischen Behörden, dass eine Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, gefordert wurde. Ausgangspunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war die Annahme, dass Dublin-Rückkehrer in Italien nach ihrer Ankunft zunächst mit Obdachlosigkeit rechnen müssten.
Auf der Basis der aktuellen Erkenntnislage ist das Gericht jedoch davon überzeugt, dass Familien bzw. alleinerziehende Personen mit minderjährigen Kindern auch ohne individuelle Garantieerklärung unmittelbar nach ihrer Rückkehr eine Unterkunft erhalten, die ihren besonderen Bedürfnissen entspricht. Dies ergibt sich insbesondere aus dem ausführlichen “Bericht des Bundesamts zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 02.04.2020”. Aufgrund umfangreicher Vor-Ort-Recherchen des Bundesamts, rechtlicher wie tatsächlicher Natur, wird in dem Bericht aufgezeigt, dass die Sorge, eine Familie könne nach ihrer Dublin-Rückkehr ungewollt auf der Straße landen, unbegründet und eine angemessene Unterbringung von Dublin-Rückkehrern in Aufnahmeeinrichtungen gewährleistet ist (vgl. Bundesamt, Bericht zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 02.04.2020, S. 5 f., 17 ff., 25 ff., 51).
Dublin-Rückkehrern stehen im italienischen Unterkunftssystem derzeit Unterkünfte in hinreichender Zahl zur Verfügung. Danach können vulnerable Personen nach Wiedereinreise in Ersteinrichtungen unterkommen, in denen eine umfassende Betreuung gewährt wird. Während des Asylverfahrens haben die Asylbewerber Anspruch auf Unterbringung, Verpflegung, medizinische Versorgung, psychologische Hilfe und Dolmetscher. Kleidung wird gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch. Asylsuchende bzw. Flüchtlinge werden auch in den sonstigen Unterkünften mit Nahrung und Kleidung versorgt, hierfür werden auch private Dienstleister herangezogen. In dem vorgenannten Bericht des Bundesamtes (S. 34) heißt es: “Laut dem Leiter der Migrationsabteilung der Quästur [von Crotone] seien Rückkehrende verpflichtet ihr Asylverfahren in Italien fortzuführen. Jeder Dublin-Rückkehrer habe das Recht auf Anhörung seines Asylgesuches und Unterkunft in Italien. Endgültige Ablehnungen, nur weil sich Antragsteller durch das Untertauchen und die Weiterreise dem ersten Anhörungstermin entzogen haben, gebe es in Italien nicht. Die Akte werde nur geschlossen, wenn sich Rückkehrer schriftlich gegenüber der Quästur weigern das Verfahren fortzuführen.”
Es wird weiter ausgeführt, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Überstellung wie Erstantragsteller behandelt würden, so dass der Verlust des Anspruchs auf einen Unterkunftsplatz allenfalls dann drohe, wenn sie untertauchen. Zurücküberstellte Familien mit Kindern und Vulnerable würden danach, unabhängig davon, wie lange sie die Einrichtung verlassen haben, wieder in die Einrichtung aufgenommen (Bundesamt, a. a. O., S. 35 f.). Das Salvini-Dekret habe zwar zu deutlichen Verzögerungen bei den Berufungsverfahren geführt, allerdings sei der Platz in der Erstaufnahmeunterkunft auch für den Zeitraum der Berufung reserviert (vgl. Auskunft des Direktors des italienischen Flüchtlingsrates CIR, Bundesamt, a. a. O., S. 40). Hinzu kommt aktuell die Information des italienischen Innenministeriums vom 08.02.2021, wonach die Unterbringung von überstellten Familien mit kleinen Kindern im Rahmen des SAI-Systems, in denen die Grundbedürfnisse abgedeckt werden, gewährleistet wird (vgl. VG Bayreuth, U.v. 17.02.2021- B 4 K 19.50331; VG Würzburg, U.v. 13.11.2020- W 10 K 19.31019- juris).
Der Kläger hat nach eigenen Angaben zuletzt in Reggio Emilia gelebt, so dass es naheliegt, dass der Kläger und seine Familie nach dort überstellt wird. Überstellungen durch die deutsche Vollzugsbehörde werden rechtzeitig vor dem Transfer unter Angabe aller sensiblen, insbesondere gesundheitlichen Besonderheiten angekündigt, damit die italienischen Stellen ausreichend Zeit haben, eine geeignete Unterkunft für die Rückkehrer zur Verfügung zu stellen. Somit besteht keine Wahrscheinlichkeit, dass sie nach der Überstellung von Obdachlosigkeit bedroht sein werden.
Italien verfügt über ein umfassendes Gesundheitssystem, das medizinische Behandlungsmöglichkeiten auf hohem Niveau bereitstellt. Asylbewerber haben in gleicher Weise wie italienische Bürger einen Anspruch auf medizinische Versorgung, der mit der Registrierung eines Asylantrags entsteht. Bis zum Zeitpunkt der Registrierung werden medizinische Basisleistungen, wie beispielsweise kostenfreie Notfallversorgung, gewährleistet. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmeeinrichtungen Ärzte beschäftigt, die medizinische Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen vornehmen und die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Es ist somit davon auszugehen, dass in Italien als EU-Mitgliedstaat medizinische Behandlungsmöglichkeiten wie generell in der EU in ausreichendem Maße verfügbar sind. (Bundesamt a.a.O., S. 10 f., 15 f., 21 f., 37 f., 45 f.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien vom 09.10.2019, S. 19 ff.).
Auf der Basis der vorstehenden Ausführungen schließt sich das Gericht unter Auswertung neuerer Erkenntnismittel in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung der Einschätzung zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte an, dass Italien grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das als funktionsfähig betrachtet werden kann (vgl. VG München, B.v. 04.06.2019 -M 19 S 19.50513; BayVGH, B.v. 17.09.2019 – 10 ZB 19.50031; B.v. 09.09.2019 – 10 ZB 19.50024; OVG NW, U.v. 22.09.2016 – 13 A 2448/15.A; VG Würzburg, U.v. 13.11.2020- W 10 K 19.31019- juris m.w.N.).
1.3. Es sind auch keine sonstigen außergewöhnlichen Umstände ersichtlich, welche ausnahmsweise eine Pflicht der Beklagten zum Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO begründen könnten (EuGH, U.v. 16.02.2017 – C – 578/16 PPU – juris Rn. 88; U.v. 30.05.2013 – halaf, C – 528/11_ juris Rn. 35 ff.) Im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen einer grundrechtlich begründeten Pflicht zum Selbsteintritt nicht vor. Auf der Grundlage neuer Erkenntnisse ist das Gericht davon überzeugt, dass dem Kläger mit seiner Familie bei einer Rückkehr nach Italien keine vorübergehende Obdachlosigkeit droht (VG Würzburg, U.v. 13.11.2020 – W 10 K 19.31019 – juris Rn. 48).
1.4. Der Kläger kann sich auch nicht auf das Bestehen von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten i.S.d. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen. Insoweit schließt sich das Gericht den Ausführungen in den Gründen des Bescheids vom 11.06.2019 an, auf die Bezug genommen wird, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend ist auszuführen, dass nach § 60 Abs. 5 AufenthG ein Ausländer nicht abgeschoben werden darf, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Das in Art. 3 EMRK normierte Verbot von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung kann ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn ein Ausländer im Fall seiner Abschiebung im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Verhältnisse trifft, dass darin eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu sehen ist.
Für die Gefahrenprognose ist dabei von einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der – wenngleich notwendig hypothetischen – Rückkehrsituation und damit bei tatsächlicher Lebensgemeinschaft der Kernfamilie im Regelfall davon auszugehen, dass diese entweder insgesamt nicht oder nur gemeinsam im Familienverband zurückkehrt. Dies gilt auch dann, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie nationaler Abschiebungsschutz festgestellt worden ist. Bereits für die Bestimmung der voraussichtlichen Rückkehrsituation ist daher im Grundsatz davon auszugehen, dass ein nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr – grundrechtlich geschütztes – familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder im Herkunftsland fortzusetzen. Diese Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose setzt eine familiäre Gemeinschaft voraus, die zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern (Kernfamilie) bereits im Bundesgebiet tatsächlich als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft (fort-)besteht und infolgedessen die Prognose rechtfertigt, sie werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland dort fortgesetzt werden (BVerwG – U.v. 04.07.2019 – 1 C 45.18 – juris Rn. 15 ff.).
Dem Kläger droht unter den oben genannten Voraussetzungen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen würde.
Auch die weltweite Covid-19-Pandemie rechtfertigt keine andere Beurteilung in Bezug auf das Vorliegen etwaiger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach den aktuellen Fallzahlen in Italien (https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/italien/ abgerufen am 27.04.2021) besteht keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder sogar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs, so dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger bei seiner Rückkehr nach Italien krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre. Der Kläger gehört nicht zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19 Erkrankung (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Risikogruppen.html, abgerufen am 13.04.2021).
Im Übrigen unterscheidet sich die Ansteckungsgefahr derzeit nicht signifikant von der in Deutschland. Die Einreise nach Italien aus Ländern der Europäischen Union und damit auch aus Deutschland ist grundsätzlich gestattet (Auswärtiges Amt: Italien: Reise- und Sicherheitshinweise (Covid-19-bedingte Reisewarnung), Stand 27.04.2021). Die Vollzugsbehörde hat beim konkreten Überstellungstermin die maßgeblichen Einreisebestimmungen zu beachten. Bei Einhaltung der in Italien angeordneten Einschränkungen besteht für eine Ansteckung kaum eine höhere Wahrscheinlichkeit als in Deutschland.
1.5. Auch gegen die Anordnung der Abschiebung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG bestehen keine Bedenken.
2. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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