Verwaltungsrecht

Rückwirkende Ermessensentscheidung zur Einbehaltung von Dienstbezügen

Aktenzeichen  16a DS 19.435

Datum:
29.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7163
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 3, Art. 39 Abs. 3, Art. 61 Abs. 2
BayVwVfG Art. 26 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Disziplinarbehörde entscheidet nach pflichtgemäßen Ermessen, ob sie die Einbehaltung von Dienstbezügen eines vorläufig des Dienstes enthobenen Beamten ganz oder teilweise mit Wirkung ex nunc oder ex tunc aufhebt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist die Aussetzung der Einbehaltung von Bezügen beantragt, so kann das Gericht eine schon anfänglich rechtsfehlerbehaftete Einbehaltensanordnung mit Wirkung ex tunc aufheben. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die aus der Sicht der Disziplinarbehörde verzögerte Mitwirkung des Beamten führt nicht dazu, dass Ratenzahlungsverpflichtungen für die Vergangenheit ausgeblendet werden dürfen. Das (bayerische) Disziplinarverfahren kennt weder einen Verlust der Mitwirkungsmöglichkeiten noch von Abwehransprüchen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensprüfung kann das Gericht sein Ermessen nicht an die Stelle der Disziplinarbehörde setzen und den Einbehaltenssatz ändern oder selbständig bestimmen. Eine ermessenfehlerhafte Verfügung ist daher mit rückwirkender Kraft auszusetzen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 19L DA 18.5428 2019-02-11 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Verfügung der Landesanwaltschaft Bayern vom 30. Januar 2019 wird die Monate Dezember 2018 und Januar 2019 betreffend ausgesetzt. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 11. Februar 2019 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe

I.
Der mit Verfügung der Landesanwaltschaft Bayern (Disziplinarbehörde) vom 26. September 2018 vorläufig des Dienstes enthobene Antragsteller wendet sich gegen die monatliche Einbehaltung eines Teils seiner Dienstbezüge.
Die Disziplinarbehörde ordnete mit Verfügung vom 16. Oktober 2018 die Einbehaltung von 50 v.H. der monatlichen Dienstbezüge des Antragstellers an. Im Rahmen dieser Entscheidung hatte die Disziplinarbehörde entsprechend der Angaben des Antragstellers eine monatliche Ratenzahlungsverpflichtung in Höhe von 500 Euro für die im Strafverfahren tätigen Rechtsanwälte berücksichtigt. Mit Verfügung vom 4. Januar 2019 wurde der Einbehaltensbetrag auf 30 v.H. reduziert, wobei aus Sicht der Disziplinarbehörde nicht belegt war, dass der Antragsteller eine höhere Ratenverpflichtung hat, als die unter dem 20. September 2018 geltend gemachten 500 Euro. Der Antragsteller habe zwar nunmehr eine Einzelüberweisung für den Monat Oktober 2018 i.H.v. 1.000 Euro und einen Dauerauftrag vorgelegt, wonach er ab Dezember 2018 einen Betrag i.H.v. 1.000 Euro monatlich an die Rechtsanwaltskanzlei überweise, zum Nachweis einer höheren Zahlungsverpflichtung sei jedoch die Vorlage einer Zahlungsvereinbarung mit der Kanzlei erforderlich. Der Bevollmächtigte des Antragstellers legte daraufhin mit Schreiben vom 25. Januar 2019 eine Bestätigung der Rechtsanwälte vom 21. Januar 2019 vor, wonach mit dem Antragsteller eine monatliche Ratenzahlung in Höhe von 1.000 Euro vereinbart und Ratenzahlungen in der genannten Höhe für die Monate Oktober 2018 bis Januar 2019 geleistet worden sind. Die Disziplinarbehörde erkannte daraufhin die Rechtsanwaltskosten in voller Höhe an und ordnete mit Verfügung vom 30. Januar 2019 mit Wirkung auf dem die Zustellung dieser Verfügung folgenden Fälligkeitstag die Einbehaltung von 20 v.H. der monatlichen Dienstbezüge des Antragstellers an. Der Antragsteller habe erst mit der mit Schreiben vom 25. Januar 2019 vorgelegten Bestätigung der Rechtsanwaltskanzlei seine Zahlungsverpflichtung belegt und damit seiner Mitwirkungspflicht genügt. Selbst wenn die Vorlage des Dauerauftrags vom 12. Dezember 2018 als hinreichender Nachweis für eine Zahlungsverpflichtung i.H.v. 1.000 Euro anzusehen wäre, hätte dies – bei entsprechender Abänderung im Rahmen der Verfügung vom 4. Januar 2019 – auch erst ab dem auf die Zustellung der Verfügung vom 4. Januar 2019 folgenden Fälligkeitstag, also in Bezug auf den Monat Februar und folgende Monate, berücksichtigt werden können.
Das Verwaltungsgericht München lehnte mit Beschluss vom 11. Februar 2019 den Antrag des Antragstellers ab,
die Verfügung der Landesanwaltschaft Bayern vom 30. Januar 2019 insoweit auszusetzen, als darin eine rückwirkende Berücksichtigung der Strafverteidigerkosten in Höhe von 1.000 Euro ab November 2018 abgelehnt wird.
Auf die Gründe dieses Beschlusses wird verwiesen.
Am 25. Februar 2019 erhob der Antragsteller Beschwerde. Er beantragte nunmehr,
die Verfügung der Landesanwaltschaft Bayern vom 30. Januar 2019 insoweit auszusetzen, als darin eine rückwirkende Berücksichtigung der Strafverteidigerkosten in Höhe von 1.000 Euro ab Dezember 2018 abgelehnt wird.
Die Landesanwaltschaft Bayern beantragte,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde, im Rahmen derer der Senat nicht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf eine Prüfung der in der Beschwerde dargelegten Gründe beschränkt ist (BayVGH, B.v. 6.11.2007 – 16a CD 07.2007 – juris Rn. 14 f.) hat im tenorierten Umfang Erfolg.
1. Der Antrag des Antragstellers vom 25. Februar 2019 ist auszulegen. Es entspricht dem erkennbaren Rechtsschutzziel des Antragstellers, dass die gesamten Kosten der Strafverteidigung in Höhe der monatlichen Rate von jeweils 1.000 Euro bei der Entscheidung über die Einbehaltung der Dienstbezüge auch für die Monate Dezember 2018 und Januar 2019 Berücksichtigung finden sollen.
2. Nach Art. 61 Abs. 2 BayDG ist die Einbehaltung der Bezüge ganz oder zum Teil auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Der Senat hat bereits entschieden, dass das Gericht eine schon anfänglich rechtsfehlerbehaftete Einbehaltensanordnung mit Wirkung ex tunc aufheben kann (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2007 – 16a CD 07.2007 – juris Rn. 18; Findeisen, Bayerisches Disziplinargesetz, Stand: Mai 2017, Art. 61 Anm. 2.2; BVerwG, B.v. 22.5.2000 – 1 DB 8.00 – juris Rn. 28; VG Magdeburg, B.v. 9.7.2018 – 15 B 9/18 – juris Rn. 24; a.A. Conrad in Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: Aug. 2018, Art. 61 Rn. 7).
Die Abänderung der Verfügung vom 4. Januar 2019 lediglich mit Wirkung für die Zukunft durch die hier verfahrensgegenständliche Verfügung vom 30. Januar 2019 ist rechtsfehlerbehaftet.
Nach Art. 39 Abs. 3 kann die Disziplinarbehörde u.a. die Einbehaltung von Dienstbezügen ganz oder teilweise jederzeit ganz oder teilweise aufheben, wobei die Aufhebung sowohl ex nunc (= mit Wirkung für die Zukunft) als auch ex tunc (= rückwirkend) getroffen werden kann (Conrad in Zängl a.a.O. Art. 39 Rn. 58 unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 18.8.1969 – II DB 5.69 – BVerwGE 33, 332/334). Die Entscheidung, ob die Aufhebung ex nunc oder ex tunc erfolgt, steht im pflichtgemäßen Ermessen der Disziplinarbehörde (Conrad in Zängl a.a.O. Rn. 59).
Die Ermessensentscheidung obliegt der nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Sie ist insbesondere insoweit zu überprüfen, ob die Disziplinarbehörde der ihr obliegenden Verpflichtung ausreichend Rechnung getragen hat, ihr Ermessen zweckgerecht und unter Wahrung der bestehenden Grenzen auszuüben (BVerwG, B.v. 22.5.2000 – 1 DB 8.00 – juris Rn. 15).
Vorliegend hat die Disziplinarbehörde das durch Art. 39 Abs. 3 BayDG eröffnete Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Die Entscheidung, von einer rückwirkenden Aufhebung abzusehen, beruht auf zwei eigenständigen Ermessenserwägungen. Zum einen, dass eine Abänderung nur für die Zukunft möglich ist, was nach dem Vorstehenden nicht zutreffend ist. Zum anderen gehen auch die Erwägungen zur Missachtung der Mitwirkungslast rechtlich fehl. Der Antragsteller ist seiner Pflicht zur Mitwirkung nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayVwVfG i.V.m. Art. 3 BayDG jedenfalls mit der Vorlage der Bestätigung der Rechtsanwaltskanzlei vom 21. Januar 2019 nachgekommen. Die Disziplinarbehörde hätte damit ihrer Abänderungsentscheidung die nachweislich seit Oktober 2018 geleisteten Ratenzahlung in Höhe von 1.000 Euro zugrunde legen müssen. Die aus der Sicht der Disziplinarbehörde verzögerte Mitwirkung führt nicht dazu, dass die Ratenzahlungen für die Vergangenheit ausgeblendet werden dürften. Das (bayerische) Disziplinarverfahren kennt weder einen Verlust der Mitwirkungsmöglichkeiten (formelle Präklusion, vgl. z.B. § 82 Abs. 1 Satz 4 AufenthG) noch von Abwehransprüchen (materielle Präklusion, vgl. z.B. Art. 73 Abs. 4 Satz 3 BayVwVfG). Die Disziplinarbehörde hat mit der Berücksichtigung der Ratenzahlung in Höhe von 1.000 Euro erst ab dem Zeitpunkt der Vorlage der Ratenzahlungsvereinbarung vom 21. Januar 2019 in der Sache die Verletzung von Mitwirkungspflichten unzulässig sanktioniert (vgl. zur Änderung der Sachlage bei verspäteter Mitwirkung: OVG LSA, B.v. 4.7.2000 – 1 M 36/00 – juris).
3. Die Nichtberücksichtigung der vollen Kosten der Strafverteidigung für die Monate Dezember 2018 und Januar 2019 lässt die Verfügung vom 30. Januar 2019 ermessensfehlerhaft erscheinen, was zum Erfolg des Antrags führt. Die Neuberechnung obliegt dem Antragsgegner. Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensprüfung zur Einbehaltung überhaupt und zum Einbehaltenssatz kann der Senat sein Ermessen nicht an die Stelle der Disziplinarbehörde setzen und den Einbehaltenssatz ändern oder selbständig bestimmen. Die Verfügung ist daher auszusetzen, und zwar mit rückwirkender Kraft, da der Beamte Anspruch auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung nicht erst im gegenwärtigen Zeitpunkt hat, sondern für den gesamten Zeitraum, in dem die Maßnahme seine Rechte beeinträchtigt (BVerwG, B.v. 3.4.2000 – 1 D 65.98 – juris Rn. 44). Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass auch bei einer neuen ermessensfehlerfeien Berechnung des Kürzungssatzes für die allein verfahrensgegenständlichen Monate Dezember 2018 und Januar 2019 die neue Festsetzung rückwirkend zum 1. Dezember 2018 erfolgen kann. Denn diesbezüglich entscheidend ist, dass nur die Höhe des Kürzungsanteils streitgegenständlich ist und nicht die Entscheidung dem Grunde nach. Kommt es danach für die Monate Dezember 2018 und Januar 2019 künftig zur einer Absenkung des Kürzungssatzes, ist der sich ergebende Differenzbetrag auszuzahlen (a.A. Findeisen, Bayerisches Disziplinargesetz, Stand: Mai 2017, Art. 61 BayDG Erl. 2.2.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, Art. 72 Abs. 4, Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Art. 3 BayDG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO).


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