Verwaltungsrecht

Rüge der Verletzung der Amtsermittlung und des rechtlichen Gehörs im Berufungszulassungsverfahren

Aktenzeichen  13a ZB 17.30985

Datum:
26.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 131734
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
GG Art. 103 Abs.1
VwGO § 86 Abs. 1, Abs. 3, § 138 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Für das Tatsachengericht besteht keine generelle Pflicht, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es den Tatsachenvortrag des Klägers bewertet, da die Beweiswürdigung der Schlussberatung des Gerichts vorbehalten bleibt und sich deshalb einer Voraberörterung mit den Beteiligten entzieht. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit der Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3 Hätte der Kläger aus dem Prozessverlauf ersehen können, dass an der Stimmigkeit seines Vorbringens Zweifel bestehen, und sind Widersprüche und Steigerungen im Vortrag offenkundig, darf das Gericht seine Entscheidung auch auf nicht erörterte tatsächliche Gesichtspunkte stützen, ohne die gerichtliche Hinweispflicht zu verletzen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
4 Wird ein Beweisantrag nicht in der mündlichen Verhandlung gestellt, sondern das Begehren in der schriftlichen Berufungsbegründung formuliert, handelt es sich um eine bloße Beweisanregung zur weiteren Erforschung des Sachverhalts durch das Gericht. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
5 Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes einer behandlungsbedürftigen PTBS sind zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags Mindestanforderungen (insbesondere nachvollziehbare Angaben, worauf sich die Diagnose stützt) an die vorzulegenden fachärztlichen Atteste zu stellen.  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 K 16.31386 2017-06-20 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 20. Juni 2017 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht vorliegen. Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt.
Der Kläger trägt hierzu vor, das Verwaltungsgericht habe Anforderungen an den Sachvortrag gestellt, mit denen er nicht hätte rechnen müssen. Die Wertung im angefochtenen Urteil, er sei unglaubwürdig, sei für ihn überraschend. Auch sei das Gericht seinem Beweisantrag aus dem Schriftsatz vom 8. Juni 2017, die behandelnde Fachärztin für Psychiatrie hinsichtlich des Vorliegens einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu hören, nicht nachgegangen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395 = NJW 2003, 1924). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, der weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde, auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen als fernliegend anzusehen war und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete Wendung gab (BVerwG, B.v. 27.7.2015 – 9 B 33.15 – NJW 2015, 3386; BVerwG, B.v. 19.7.2010 – 6 B 20.10 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 = NVwZ 2011, 372). Für das Tatsachengericht besteht keine generelle Pflicht, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es den Tatsachenvortrag des Klägers bewertet, da die Beweiswürdigung der Schlussberatung des Gerichts vorbehalten bleibt und sich deshalb einer Voraberörterung mit den Beteiligten entzieht. Aus den asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe nach § 86 Abs. 1 VwGO folgen keine weitergehenden Anforderungen an die gerichtliche Hinweispflicht (BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52). Das Gericht muss keinen Hinweis geben, wenn die Verfolgungsgeschichte nicht schlüssig ist; es darf seine Entscheidung nur dann auf einen nicht erörterten tatsächlichen Gesichtspunkt stützen, wenn die dem Kläger angelasteten Widersprüche und Steigerungen im Vortrag offenkundig sind oder der Kläger aus dem Prozessverlauf hätte ersehen können, dass hinsichtlich der Stimmigkeit seines Vorbringens Zweifel bestehen (BVerwG, B.v. 28.12.1999 – 9 B 467.99 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51).
Gemessen an diesen höchstrichterlichen Grundsätzen war dem Kläger das rechtliche Gehör nicht versagt. Eine Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Bereits in dem ablehnenden Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. August 2016 wird festgestellt, dass es an einem schlüssigen Sachvortrag des Klägers mangele. Sein Vortrag wird als nicht glaubhaft gewürdigt (S. 4 des Bescheids). In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wurde der Kläger erneut ausführlich zu seiner Verfolgungsgeschichte befragt und wiederholt „auf Nachfrage“ gehört. Seine Bevollmächtigte hatte ebenfalls Gelegenheit, Fragen zu stellen, wovon sie ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung auch Gebrauch gemacht hat. Für den Kläger konnte daher kein Zweifel bestehen, dass die Glaubwürdigkeit seiner Verfolgungsgeschichte ein zentraler Punkt des Verfahrens war. Letztlich wendet sich der Kläger gegen die ausführliche tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung (UA S. 17 f.). Mit der Kritik daran kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör jedoch grundsätzlich nicht begründet werden (BVerfG, B.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267/273; BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris; B.v. 15.5.2014 – 9 B 14.14 – juris Rn. 8).
Auch die Ablehnung des „Beweisantrags“ des Klägers im Schriftsatz vom 8. Juni 2017 ist nicht zu beanstanden und verletzt diesen ebenfalls nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Beweisanträge müssen in der mündlichen Verhandlung gestellt werden. Sie gehören zu den wesentlichen Vorgängen der Verhandlung und sind als solche im Protokoll aufzunehmen (BVerwG, B.v. 10.3.2011 – 9 A 8.10 – NVwZ-RR 2011, 383). Bei einem entsprechenden Begehren in der schriftlichen Klage- oder Berufungsbegründung handelt es sich lediglich um die Ankündigung eines Beweisantrags, die, wenn sie in der mündlichen Verhandlung nicht wahrgemacht wird, als bloße Anregung zu verstehen ist, in der gewünschten Weise im Rahmen der gerichtlichen Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO zu ermitteln. Mit ihm wird lediglich die weitere Erforschung des Sachverhalts durch das Gericht angeregt (BVerwG, B.v. 20.8.2010 – 8 B 27.10 – juris). Demgemäß kommt eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG nur in Betracht, soweit das Gericht die Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris).
Das Verwaltungsgericht hat sich ausführlich mit der vorgetragenen psychischen Erkrankung des Klägers befasst (UA S. 29 ff.) und ausgeführt, dass durch das einen Tag vor der mündlichen Verhandlung vorgelegte Attest einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie eine relevante Erkrankung des Klägers schon nicht glaubhaft gemacht sei. Es entspreche bereits nicht den nach der Rechtsprechung gebotenen Mindestanforderungen und setze sich in keiner Weise mit den umfangreichen Angaben des Klägers auseinander. Von einer PTBS sei nicht die Rede. Nachvollziehbare Angaben, worauf sich die Diagnose stütze, fehlten. Das ist nicht zu beanstanden. Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes einer behandlungsbedürftigen PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome sind zur Substantiierung eines entsprechenden Sachverständigenbeweisantrags gewisse Mindestanforderungen an die vorzulegenden fachärztlichen Atteste zu stellen (BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251 = NVwZ 2008, 330). Dies ist – abgesehen davon, dass hier nur eine Beweisanregung vorliegt – nicht der Fall. In der fachärztliche Bescheinigung vom 8. Juni 2017 wie in der fast gleichlautenden Bescheinigung vom 21. Dezember 2016 wird im Wesentlichen lediglich ausgeführt, der Kläger befinde sich seit 9. November 2016 in psychiatrischer Behandlung und müsse bestimmte, im einzelnen genannte Medikamente einnehmen. Als Diagnose wird „mittelschwere bis schwere depressive Episode F32.1-2“ genannt. Weitere Angaben enthalten die Bescheinigungen nicht. Bei der ebenfalls vorgelegten Stellungnahme eines Diplom-Psychologen vom 10. September 2016, wonach der Kläger an einer PTBS leide, handelt es sich bereits um keine fachärztliche Diagnose. Angesichts dessen musste sich dem Gericht keine Beweiserhebung aufdrängen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Dr. Mayr
Dr. Köhler-Rott
Dengler


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