Verwaltungsrecht

Schadensersatz wegen verspäteter Beförderung

Aktenzeichen  3 ZB 20.673

Datum:
30.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30444
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
BGB § 839 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Anspruchs auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberwahl (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch; BVerwG BeckRS 2019,20388 Rn. 31 mwN) ist ausgeschlossen, wenn der Dienstherr das Stellenbesetzungsverfahren aus sachlichen Gründen vor der Ernennung eines anderen Bewerbers abgebrochen hat. Dazu ist er aufgrund seines Beurteilungsspielraums bei der Bewerberauswahl berechtigt, wenn das Verfahren womöglich nicht (mehr) zu einer rechtsfehlerfreien Auswahlentscheidung führen kann und er es nicht unter Heilung der Fehler weiter betreiben, sondern mit einem neuen Verfahren gleichsam von vorne zu beginnen will (vgl. BVerwG BeckRS 2013, 48731 Rn. 15, 17 und 20). (Rn. 6 und 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es gibt keinen Anspruch auf die zügige Durchführung eines Auswahlverfahrens oder auf eine Entscheidung über die Bewerbung zu einem bestimmten Zeitpunkt, weil bereits kein Anspruch auf die Bereitstellung einer Stelle  besteht. Aus der Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsgewalt des Dienstherrn folgt auch, dass es ihm obliegt, nicht nur darüber zu entscheiden, ob und wann er welche Statusämter vorhält, sondern auch, wann er diese endgültig besetzen will (vgl. BVerwG BeckRS 2013, 486731 Rn. 29). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 19.234 2020-02-06 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Februar 2020 für beide Rechtszüge auf jeweils 24.145,88 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger verfolgt sein in erster Instanz erfolgloses Klagebegehren weiter, von der Beklagten im Wege des Schadensersatzes dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlich so gestellt zu werden, als sei er bereits zum 1. August 2017 zum Brandinspektor (Besoldungsgruppe A 9) befördert worden. In der Sitzung des Ausschusses für Finanzen, Inneres und Bürgerdienste der Beklagten am 22. Juni 2017 wurde beschlossen, den Kläger mit Wirkung zum 1. August 2017 zum Brandinspektor zu befördern. Auf gerichtlichen Hinweis während des Verfahrens über den hiergegen gerichteten Eilantrags eines unterlegenen Mitbewerbers (Au 2 E 17.1114) brach die Beklagte das Stellenbesetzungsverfahren ab, schrieb die Stelle erneut aus und beförderte den Kläger schließlich mit Wirkung zum 1. November 2018 nach A 9.
1. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B.v. 6.6.2018 – 2 BvR 350/18 – juris Rn. 16) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Dies ist hier nicht der Fall.
Rechtsgrundlage für das geltend gemachte Begehren ist der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Beamter danach von seinem Dienstherrn Ersatz des ihm durch eine Nichtbeförderung entstandenen Schadens verlangen, wenn der Dienstherr bei der Vergabe eines Beförderungsamtes den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch des Beamten auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl (Bewerbungsverfahrensanspruch) schuldhaft verletzt hat, dem Beamten das Amt ohne diesen Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden wäre und dieser es nicht schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 12.14 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Den zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil setzt der Kläger mit dem Zulassungsantrag nichts Stichhaltiges entgegen, das weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedürfte.
Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Anspruchs auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberwahl (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch; BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 2 C 1.18 – juris Rn. 31 f.) ist ausgeschlossen, weil der Dienstherr das Stellenbesetzungsverfahren aus sachlichen Gründen vor der Ernennung eines anderen Bewerbers abgebrochen hat (BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 2 C 6.11 – juris Ls. 1 und Rn. 13). Inwieweit die Ersatzpflicht darüber hinaus auch deshalb ausscheidet, weil der Kläger mögliche Rechtsbehelfe unmittelbar gegen die beanstandete Entscheidung ohne hinreichenden Grund nicht in Anspruch genommen hat (sog. Vorrang des Primärrechtsschutzes) kommt es damit nicht mehr entscheidungserheblich an.
Soweit sich der Kläger dagegen wendet, dass das Erstgericht verkannt habe, dass die ausgeschriebene Stelle nicht mit einem Dritten (UA Rn. 21), sondern mit dem Kläger selbst hätte besetzt werden sollen, begründet dies keine ernstlichen Zweifel an dem erstinstanzlichen Urteil. Zum einen wird – wie der Kläger selbst in seiner Zulassungsbegründung konstatiert – aus der angegriffenen Entscheidung hinreichend deutlich, dass dem Erstgericht die beabsichtigte Stellenbesetzung mit dem Kläger bewusst war (UA Rn. 4). Zum anderen lassen die Ausführungen des Klägers nicht erkennen, inwieweit die als Einleitungssatz aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 31.3.2011 – 2 A 2.09 – juris Rn. 16) entnommene Formulierung („bevor das Beförderungsamt durch Ernennung eines Dritten besetzt wurde“) ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung hervorrufen sollte. In dem vom Kläger gerügten Einleitungssatz wird unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass der geltend gemachte Schadensersatzanspruch deshalb ausgeschlossen ist, weil der Dienstherr das maßgebliche Auswahlverfahren aus sachlichen Gründen abgebrochen hat, bevor das Beförderungsamt besetzt wurde – gleichgültig ob durch Ernennung eines Dritten oder des Klägers.
Der Dienstherr ist aufgrund seines Beurteilungsspielraums bei der Bewerberauswahl berechtigt, ein Auswahlverfahren aus sachlichem Grund vor der Auswahlentscheidung abzubrechen, wenn kein Bewerber den Erwartungen entspricht oder das Verfahren womöglich nicht (mehr) zu einer rechtsfehlerfreien Auswahlentscheidung führen kann (BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 2 C 6.11 – juris Rn. 17). Letzteres ist hier der Fall, weil die der Auswahlentscheidung zugrundeliegenden Anlassbeurteilungen – was zwischen den Beteiligten außer Streit steht – rechtswidrig waren. Die jeweiligen Gesamturteile wurden durch die Zusammenrechnung und anschließende Teilung der für die Einzelmerkmale vergebenen Punkte, also rein arithmetisch, gebildet (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2007 – 2 C 2.06 – juris Rn. 14; U.v. 24.11.1994 – 2 C 21.93 – juris Rn. 18). Leidet ein Auswahlverfahren aber – wie hier – an wesentlichen Fehlern liegt es im Ermessen des Dienstherrn, dieses nicht unter Heilung der Fehler weiter zu betreiben, sondern mit einem neuen Verfahren gleichsam von vorne zu beginnen (vgl. BVerwG, B.v. 27.2.2014 – 1 WB 7.13 – juris, Rn. 29; U.v. 29.11.2012 – 2 C 6.11 – juris Rn. 20). Dass der Grund des Abbruchs vorliegend nicht in der Erkenntnis lag, ein besser qualifizierter Bewerber müsse nach den Grundsätzen des Art. 33 Abs. 2 GG zum Zuge kommen, steht der Rechtmäßigkeit der Beendigung des Stellenbesetzungsverfahrens nicht entgegen.
Der Kläger meint, ihm stehe unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten ein Schadensersatzanspruch wegen der rechtsfehlerhaft erstellten Beurteilung zu, weil die Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 16.2.2017 – 6 ZB 16.1586 – juris) einen solchen wegen einer unterbliebenen Beförderung anerkannt habe. Dabei verkennt er jedoch, dass die rekurrierte Entscheidung nicht auf den streitgegenständlichen Fall übertragen werden kann. Ihr lag weder der Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens zugrunde noch betraf sie eine ansatzweise vergleichbare Fallkonstellation. Der seinerzeitige Kläger erhielt über einen längeren Zeitraum weder eine dienstliche Beurteilung noch eine Konkurrentenmitteilung.
Darüber hinaus ist der vom Kläger geltend gemachte Einwand, die Beklagte trage die Verantwortlichkeit für die rechtsfehlerhafte Erstellung der Beurteilungen, weil von ihr erwartet werden könne, dass sie die Sach- und Rechtslage unter Heranziehung aller ihnen zu Gebote stehenden Hilfsmittel gewissenhaft prüfe, nicht geeignet, das erstinstanzliche Urteil (vgl. hierzu UA Rn. 30) in Zweifel zu ziehen. Denn der rechtmäßige Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens schließt einen Schadensersatzanspruch aus, weil den Bewerbern kein Schaden entstanden sein kann (BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 2 C 6.11 – juris Rn. 15). Neben seiner objektiven Zielsetzung, die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes durch die Vergabe der Ämter an den am besten geeigneten Bewerber zu gewährleisten (Art. 33 Abs. 2 GG), dient das Stellenbesetzungsverfahren auch dem berechtigten Interesse des Beamten oder Richters an einem angemessenen beruflichen Fortkommen; deshalb begründet es einen Anspruch des Bewerbers auf eine rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung. Der Dienstherr ist aber rechtlich nicht gehindert, ein eingeleitetes Stellenbesetzungsverfahren jederzeit zu beenden und von einer ursprünglich geplanten Ernennung bzw. Beförderung abzusehen, wenn dies sachlich geboten ist (BVerwG a.a.O. Rn. 15). In dem hier vorliegenden Fall sollte der Abbruch gerade sicherstellen, dass die Bewerbungsverfahrensansprüche der Bewerber in einem weiteren, neuen Verfahren gewahrt werden.
Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils erweist sich ferner nicht deswegen als ernstlich zweifelhaft, weil das neue Auswahlverfahren entgegen der Ankündigung des Dienstherrn nicht zügig durchgeführt worden sei. Hierauf gibt es genauso wenig einen Anspruch wie auf eine Entscheidung über die Bewerbung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dies beruht darauf, dass bereits kein Anspruch auf Bereitstellung einer Stelle besteht. Aus der Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsgewalt des Dienstherrn folgt auch, dass es ihm obliegt, nicht nur darüber zu entscheiden, ob und wann er welche Statusämter vorhält, sondern auch, wann er diese endgültig besetzen will (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 2 C 6.11 – juris Rn. 29).
2. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 40, § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 GKG.
Der Streitwert der Schadenersatzklage des Klägers als Beamter auf Lebenszeit wegen verspäteter Beförderung beträgt die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge des von ihm angestrebten Amtes (vgl. BVerwG, B.v. 15.1.2020 – 2 B 39.19 – juris Rn. 17; B.v. 15.4.2015 – 2 B 10.14 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 20.3.2019 – 3 ZB 16.2597 – juris Rn. 12; B.v. 26.6.2018 – 6 ZB 17.2287 – juris Rn. 9; OVG NW, B.v. 30.9.2020 – 1 E 727/20 – juris), wobei auch die jährliche Sonderzahlung (Art. 82 ff. BayBesG) Berücksichtigung findet (BayVGH, B.v. 3.7.2019 – 3 CE 19.1118 – juris). Dies ist gerechtfertigt, weil das klägerische Interesse am Prozesserfolg nicht allein mit der entgangenen Differenz der Besoldung aus dem Amt, das er innehatte, und dem Beförderungsamt, das ihm seiner Auffassung nach hätte übertragen werden müssen, gleichzusetzen ist, sondern auch durch weitere Auswirkungen der späten Beförderung, unter anderem durch Auswirkungen versorgungsrechtlicher Art, bestimmt wird (vgl. schon zur Rechtslage nach § 13 Abs. 4 Satz 2 GKG a. F.: BVerwG, B.v. 26.9.2002 – 2 B 23.02 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 29.6.2005 – 15 C 05.369 – juris Rn. 3).
Danach beträgt hier der Streitwert für das Klage- und Zulassungsverfahren jeweils 24.145,88 Euro, der sich unter Anwendung der Anlage III zum BayBesG für das Jahr 2020 wie folgt errechnet:
Grundgehalt A 9 (Endstufe) 42.524,76 €
Strukturzulage, Art. 33 BayBesG 1.164,96 €
Feuerwehrzulage, Art. 34 BayBesG 1.940,28 € Bruttobezüge 45.630,00 €
70% von 1/12 der Bruttobezüge (Art. 83 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 1. Halbs. BayBesG) 2.661,75 €
48.291,75 € davon 1/2 24.145,88 €
Entsprechend war die erstinstanzliche Festsetzung von Amts wegen gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG auf diesen Betrag zu ändern.
4. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben