Verwaltungsrecht

Schließung von Ladengeschäften des Einzelhandels mit elektronischen Zigaretten während der Corona-Epidemie

Aktenzeichen  20 CE 20.725

Datum:
14.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6751
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146
BayIfSMV § 2 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Bei der Regelung des § 2 Abs. 4 S. 1 BayIfSMV handelt es sich um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt, so dass der Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 4 S. 2 BayIfSMV eng auszulegen ist.  (Rn. 5 und 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Begriff des Lebensmittels in § 2 Abs. 4 BayIfSMV entspricht dem des allgemeinen Lebensmittelrechts, so dass Tabakerzeugnisse und E-Zigarettenprodukte nicht unter den Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 4 S. 2 BayIfSMV fallen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26 E 20.1343 2020-03-31 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 31. März 2020 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO zulässig erhobene Beschwerde ist unbegründet.
Die von der Antragstellerin mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und der Antragstellerin den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren.
Die Antragstellerin begehrt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihr die Öffnung ihres Ladengeschäfts des Einzelhandels mit elektronischen Zigaretten und Nachfüllbehältern im Sinne des Tabakerzeugnisgesetzes zu erlauben.
1.
Die Antragstellerin wendet gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ein, dass es sich entgegen dessen Ansicht bei sog. E-Zigaretten bei teleologischer Auslegung des § 2 Abs. 4 Satz 2 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmeverordnung (BayIfSMV) um ein Lebensmittel handele, dessen Handel bereits nach der Verordnung ausnahmsweise erlaubt sei. Zum einen verwende der Verordnungsgeber den Begriff des „Lebensmittels“ nicht durchgehend im dogmatisch lebensmittelrechtlichen Sinne, zum anderen hätte ein anderes Verständnis zur Folge, dass eine Grundversorgung mit E-Zigaretten im stationären Handel grundsätzlich ausgeschlossen wäre.
Damit dringt die Antragstellerin nicht durch. Das Verbot nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BayIfSMV ist als repressives Verbot mit Befreiungsmöglichkeit ausgestaltet. Danach ist die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art verboten. § 2 Abs. 4 Satz 2 BayIfSMV enthält einzelne von diesem Verbot enumerativ genannte ausdrückliche Ausnahmen wie z.B. Ladengeschäfte des Lebensmittelhandels. Schließlich können nach § 2 Abs. 4 Satz 3 BayIfSMV die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden auf Antrag Ausnahmegenehmigungen für andere, für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendige Geschäfte erteilen, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.
Bei einem repressiven Verbot mit Befreiungsmöglichkeit verbietet der Normgeber generell ein bestimmtes Verhalten als unerwünscht, gestattet aber, dass in besonders gelagerten Ausnahmefällen eine Befreiung von diesem Verbot erteilt wird. Abzugrenzen ist es von der präventiven Kontrollerlaubnis oder dem präventiven Verbot mit Befreiungsmöglichkeit. Dort verbietet der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten nicht, weil es generell unterbleiben soll, sondern um vorweg prüfen zu können, ob die einzelnen materiellen Anforderungen eingehalten werden (vgl. zum Ganzen: Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 9 Rn. 51 ff, insb. 55). Erfordert der Schutzzweck danach ein Verbot, ist es regelmäßig sachgerecht, dieses als repressives Verbot auszugestalten und lediglich die Möglichkeit einer Befreiung von dem Verbot vorzusehen (BVerwG, U.v. 5.2.2009 – 7 CN 1.08 – NVwZ 2009, 719). Auch bei einer solchen gesetzlichen Ausgestaltung ist der Verwaltung die Möglichkeit eröffnet, durch eine Genehmigung im Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, U.v. 4.2.1975 – 2 BvL 5/74 – BVerfGE 38, 348 ).
Bei einer solchen Konzeption einer Norm liegt der Schluss jedoch nahe, dass ein Ausnahmetatbestand wie § 2 Abs. 4 Satz 2 BayIfSMV eng auszulegen ist (vgl. auch BVerwG, U.v. 21.09.2004 – 2 WD 11.04 – NVwZ-RR 2006, 554; U.v. 15.7.2016 – 9 C 3.16 – juris), so dass eine über den Wortlaut der Vorschrift hinausgehende Auslegung, wie es die Antragstellerin meint, nicht in Betracht kommt. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass das Geschäft der Klägerin, Einzelhandel mit E-Zigaretten und Zubehör, kein Ladengeschäft des Lebensmittelhandels im Sinne des § 2 Abs. 4 Satz 2 BayIfSMV ist. Denn der Begriff des Lebensmittels in § 2 Abs. 4 BayIfSMV entspreche dem des allgemeinen Lebensmittelrechts, so dass Tabakerzeugnisse und E-Zigarettenprodukte nicht unter den Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 4 Satz 2 BayIfSMV fielen (S. 5 bis 7 des Beschlusses). Diese Einschätzung des Verwaltungsgerichts hat die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde nicht in Frage gestellt, vielmehr beigepflichtet, dass E-Zigaretten und Zubehör im engeren Sinn nicht der Definition des Lebensmittels unterfallen.
2.
Soweit die Antragstellerin weiter rügt, ihr stehe zumindest ein Anspruch auf Erteilung eine Ausnahmegenehmigung nach § 4 Abs. 2 Satz 3 BayIfSMV zu, so trifft dies nicht zu. Danach können die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden auf Antrag Ausnahmegenehmigungen für andere, für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendige Geschäfte erteilen, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist. Bereits der Wortlaut dieses Befreiungstatbestandes ist sehr eng gefasst. Zudem gilt auch hier, dass Ausnahmetatbestände ihrem Sinn und Zweck nach eng auszulegen sind. Es ist bereits nicht ersichtlich, warum die Versorgung mit E-Zigaretten und Zubehör im stationären Einzelhandel unbedingt erforderlich sein soll. Dagegen spricht bereits, dass eine Grundversorgung über den Online- und Versandhandel sowie über Einzelhandelsgeschäfte, welche der generellen Ausnahme des § 2 Abs. 4 Satz 2 BayIfSMV unterfallen, grundsätzlich möglich ist. Abstriche in der Versorgung mit diesen Produkten sind während der kurzen Geltungsdauer der BayIfSMV bis einschließlich 19. April 2020 grundsätzlich hinzunehmen.
3.
Ob diese Auslegung des § 4 Abs. 2 BayIfSMV den verfassungsrechtlichen Grundsätzen, insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG, entspricht, kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren abschließend nicht entschieden werden (kritisch zur vergleichbaren Regelung in Baden-Württemberg: VGH BW, B.v. 9.4.2020 – 1 S 925/20 – bisher unveröffentlicht).
Eine Folgenabwägung (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, § 80 VwGO Rn. 376) zwischen den betroffenen Rechtsgütern geht jedoch beim gegenwärtigen Sachstand zum Nachteil der Antragstellerin aus (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 – 1 BvQ 28/20 – http:// … B.v. 9.4.2020 – 1 BvQ 29/20 – http:// … B.v. 7.4.2020 – 1 BvR 755/20 – juris).
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 2 i.V.m. 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Der Senat geht davon aus, dass eine Reduzierung des Streitwertes wegen der voraussichtlich nur im Eilverfahren zu treffenden Entscheidung nicht angezeigt ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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