Verwaltungsrecht

Schutzberechtigter, Verwaltungsgerichte, Beachtliche Wahrscheinlichkeit, Erniedrigende Behandlung, Mitgliedstaaten, Systemischer Mangel, Prozeßbevollmächtigter, Abschiebungsverbot, Prozeßkostenhilfeverfahren, Charta der Grundrechte, Asylverfahren, Internationaler Schutz, Asylbewerber, Abschiebungsandrohung, Asylantrag, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Aufenthaltsverbot, Abschiebungshindernis, Maßgeblicher Zeitpunkt

Aktenzeichen  M 11 K 17.44183

Datum:
3.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6306
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen. 
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Das Gericht konnte den Rechtsstreit trotz Ausbleibens der Beteiligten verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen wurden und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Falle des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG rechtmäßig als unzulässig abgelehnt, da nach Informationen durch die italienischen Behörden dem Kläger in Italien bereits subsidiärer Schutz zuerkannt wurde.
2. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Italien auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder entwürdige Behandlung im Sinne des Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) bzw. Art. 3 Europäische Konvention für Menschenrechte (EMRK). Andernfalls wäre nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ausgeschlossen (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 und C-541/17 – Abdel Hamid und Amar Omar – juris Rn. 34 ff.).
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938.93, 2 BvR 2315.93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – „Jawo“ – juris Rn. 80 f.; U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – „Ibrahim u.a.“ – juris Rn. 84.; U.v. 21.12.2011 – C- 411/10, C-493/10 – juris Rn. 79 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründet jedoch nur eine Vermutung (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 83 f.), welche durch den substantiierten Vortrag von Umständen widerlegt werden kann, die eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Es obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Daher ist das Gericht, das über die auf eine bereits erfolgte Gewährung internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat gestützte Unzulässigkeit eines Asylantrags zu entscheiden hat, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 und C-541/17 (Hamed) – juris, Rn. 37 f., sowie U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u. a. (Ibrahim) – juris Rn. 87 f., und – C-163/17 (Jawo) – juris, Rn. 88 f. m. w. N.). An die Feststellung systemischer Mängel sind dabei hohe Anforderungen zu stellen. Die Vermutung nach dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens ist nicht schon bei einzelnen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris). Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. zur Dublin-II-VO BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9). Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf der Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und darf sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417, Rn. 80; VGH BaWü, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41).
Diese Grundsätze konkretisierend hat der EuGH in seiner „Jawo“-Entscheidung ausgeführt, dass Schwachstellen im Asylsystem nur dann als Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zu werten sind, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Die hohe Schwelle der Erheblichkeit kann nach dem EuGH erreicht sein, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigen oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzen würde, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. dazu insgesamt EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 (Jawo)- juris Rn. 91 ff., m.w.N.).
Ein Verstoß liegt ausgehend hiervon erst dann vor, wenn die elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigt werden können, insbesondere eine Unterkunft zu finden, sich zu ernähren und zu waschen – „Bett, Brot, Seife“ – (vgl. OVG NRW, B.v. 16.12.2019 – 11 A 228/15.A – juris Rn. 29 ff., 44 ff.; VGH BaWü, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5). Der bloße Umstand, dass in dem Mitgliedstaat, in dem der neue Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als in dem bereits internationalen Schutz gewährenden Mitgliedstaat, kann nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung in den zuletzt genannten Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung zu erfahren (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u. a. (Ibrahim) – juris Rn. 93 f., und vom 19.3.2019 – C-163/17 (Jawo) – juris Rn. 97). Ebenso ist das Fehlen familiärer Solidarität keine ausreichende Grundlage für die Feststellung einer Situation extremer materieller Not. Auch Mängel bei der Durchführung von Programmen zur Integration von Schutzberechtigten reichen für einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK nicht aus (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540 und C-541/17 (Hamed) – juris Rn. 39, und U.v. 19.3.2019 -C-163/17 (Jawo) – juris Rn. 93 f. und 96 f). Der Verstoß muss schließlich unabhängig vom Willen des Betroffenen drohen. Hieran fehlt es, wenn der Betroffene nicht den Versuch unternimmt, sich unter Zuhilfenahme gegebener, wenn auch bescheidener Möglichkeiten und gegebenenfalls unter Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes eine Existenz im Abschiebezielstaat aufzubauen, wobei sich Schutzberechtigte auf den für Staatsangehörige des schutzgewährenden Staats vorhandenen Lebensstandard verweisen lassen müssen – sog. Grundsatz der Inländergleichbehandlung – (vgl. OVG NRW, B.v. 16.12.2019 – 11 A 228/15.A – juris Rn. 47 ff.; OVG Schl – H., U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – juris Rn. 71, 174 f.).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs droht dem Kläger bei einer Rückkehr nach Italien zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) nicht die ernsthafte Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden erniedrigenden Behandlung.
Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials in der ganz überwiegenden verwaltungsgerichtlichen und auch obergerichtlichen Rechtsprechung an (vgl. ausführlich etwa OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 20.5.2020 – 7 A 10228/20; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 15.12.2020 – 7 A 11038/18.OVG; VGH BaWü, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19; NdsOVG, U.v. 21.12 2018 – 10 LB 201/18 und U.v. 6.4.2018 – 10 LB 109/18; VG Cottbus, U.v. 24.11.2020 – 5 K 122/20.A; VG Aachen, U.v. 10.11.2020 – 9 K 6001/17.A; VG Karlsruhe, U.v. 14.9.2020 – A 9 K 3639/18; VG Freiburg, U.v. 19.8.2020 – A 10 K 3159/18; VG Arnsberg, U.v. 9.7.2020 – 5 K 2904/18.A; VG Kassel, U.v. 8.4.2020 – 4 K 1375/17.KS.A; VG Lüneburg, B.v. 19.9.2019 – 8 B 154/19 – jew. juris). Insbesondere das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat sich in den genannten Urteilen vom 21. Dezember und 6. April 2018 ausführlich mit der Situation anerkannter Schutzberechtigter in Italien befasst und mit Art. 4 GRCh unvereinbare Lebensverhältnisse verneint. Das Gericht betonte, dass international Schutzberechtigte in Italien grundsätzlich italienischen Staatsbürgern gleichgestellt seien und erforderlichenfalls staatliche Hilfen in Anspruch nehmen könnten, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelinge dies nicht sogleich bzw. vollständig, könnten sie die Hilfe karitativer Organisationen erhalten. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat sich im Jahr 2019 dieser Einschätzung ausdrücklich angeschlossen und eine andere Bewertung der Lage auch bei Auswertung der seit der Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ergangenen Umstände und insbesondere auch im Hinblick auf das „Decreto Legge No. 113 vom 4. Oktober 2018“ über Sicherheit und Migration (sog. Salvini-Dekret) nicht für angezeigt erachtet (vgl. VGH BaWü, U.v. 29. Juli 2019, a.a.O. – juris, Rn. 112 ff).
Anerkannte Schutzberechtigte haben auch weiterhin einen Anspruch auf Unterbringung in den sog. SIPROIMI-Zentren (Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e minori stranieri non accompagnati – vormalige SPRAR-Zentren) für einen Zeitraum von sechs Monate. Innerhalb dieses Systems werden alle Maßnahmen zur Integration in die italienische Gesellschaft ergriffen, unter anderem Sprachkurse und berufliche Ausbildungsmaßnahmen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Italien vom 11. November 2020, S. 22 ff. – BFA-Länderinformation). Allerdings sind die dort zur Verfügung stehenden Plätze knapp. Soweit ein zugewiesener Platz vorzeitig verlassen wird, haben Rückkehrer mit Schutzstatus üblicherweise keinen Anspruch auf Unterbringung mehr. Der Anspruch kann auch verloren gehen, wenn bei Ausreise die Unterkunft lediglich zugewiesen, aber noch nicht in Anspruch genommen wurde (BFA-Länderinformation S. 23 f.). Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass hieraus folgende Schwierigkeiten für Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, auch daraus resultieren, dass die anerkannt Schutzberechtigten die Unterkunft ohne Berechtigung verlassen haben und sich damit dem staatlichen Aufnahmesystem entzogen haben. Dies darf nicht dazu führen, dass man diesen Personenkreis gleichsam privilegiert, indem man zu seinen Gunsten systemische Mängel annimmt. Die Regelung des Art. 20 Abs. 4 der RL 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahmerichtlinie) sieht im europäischen Asylrecht vielmehr ausdrücklich die Möglichkeit von Einschränkungen der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen vor (vgl. auch VG Aachen, U.v. 10.11.2020, a.a.O., juris Rn. 64). Ferner besteht in Italien für obdachlose Personen teilweise die Möglichkeit Notschlafunterkünfte zu nutzen, die von den Gemeinden bereitgestellt werden. Diese Einrichtungen sind zwar nur in der Nacht geöffnet, normalerweise ab 22 oder 23 Uhr, und müssen früh morgens wieder verlassen werden. Die Plätze können nicht reserviert werden, werden nach dem Prinzip first-come-first-served vergeben und stehen auch italienischen Obdachlosen zur Verfügung. Es gibt hierbei keine spezifisch für Begünstigte von internationalem Schutz reservierten Plätze. Jedoch sind die Unterbringungseinrichtungen auch für diesen Personenkreis zugänglich (Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und Pro Asyl, vom 29. Oktober 2020, S. 2). Es erscheint zwar fraglich, inwieweit diese Unterbringungsmöglichkeit für Familien mit kleinen Kindern geeignet ist (vgl. HessVGH, B.v. 11.1.2021 – 3 A 539/20.A – juris Rn. 22 f.), jedenfalls müssen sich junge, gesunde und arbeitsfähige Personen hierauf verweisen lassen. Zur aktuellen Unterbringungssituation in den SIPROIMI-Zentren einschließlich der Möglichkeiten zur Unterkunft zumindest in einer kommunalen oder caritativen Einrichtung sowie zum Erhalt öffentlicher oder auch caritativer Fürsorgeleistungen wird auch auf die ausführliche Darstellung des VG Cottbus (U.v. 24.11.2020, a.a.O., juris Rn. 40 f. m.w.N.) Bezug genommen. Zudem sind etwaige Mängel des italienischen Asyl- und Aufnahmesystems jedenfalls nicht auf staatliche Gleichgültigkeit zurückzuführen (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 14.9.2020, a.a.O., juris Rn. 59 f.). Insoweit ist festzustellen, dass der italienische Staat im Hinblick auf die bestehende Aufnahme- und Unterbringungssituation nicht untätig ist, sondern Maßnahmen zur Verbesserung der Situation ergreift. Dies ergibt sich etwa aus einem Schreiben des Ministerio dell‘ Interno vom 8. Februar 2021, welches mit Blick auf die Tarakhel-Rechtsprechung des EGMR Verbesserungen des Unterbringungssystems insbesondere für die Aufnahme von Familien in Aussicht stellt.
Auch die Einführung des Bürgergeldes in Italien hat für sich genommen nicht dazu geführt, dass nunmehr davon auszugehen wäre, dass Schutzberechtigten in Italien mit Art. 4 GRCh unvereinbare Lebensverhältnisse drohen würden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 20.5.2020, a.a.O.; VG Aachen, U.v. 10.11.2020, a.a.O., juris Rn 45; VG Karlsruhe, U.v. 14.9.2020, a.a.O., juris Rn. 48 f.; VG Freiburg, U.v. 19.8.2020, a.a.O., juris Rn. 45; VG Arnsberg, a.a.O., juris Rn. 48; VG Lüneburg, a.a.O. juris Rn. 15). Nichts anderes gilt in Hinblick auf die anhaltende Corona-Pandemie. Zwar ist aufgrund dieser Pandemie in ganz Europa ein Rückgang der Beschäftigungsquote und der Wirtschaftsleistung zu verzeichnen, jedoch beginnt sich die Wirtschaft langsam zu erholen und der italienischen Wirtschaft werden in den nächsten Jahren durch den EU-Wiederaufbaufonds zusätzliche 209 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die italienische Regierung die Möglichkeit zur Legalisierung für illegal arbeitende Migranten in der Landwirtschaft oder als Pflegekräfte geschaffen hat (VG Karlsruhe, U.v. 14.9.2020, a.a.O., juris Rn. 42 ff.; VG Freiburg, U.v. 19.8.2020, a.a.O., juris Rn. 46.). Gerade im Bereich der Landwirtschaft aber auch im Bereich des Tourismus besteht die Möglichkeit eine Beschäftigung auch ohne vorherige Ausbildung zu finden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 15.12.2020 – 7 A 11038/18.OVG – juris Rn. 41 ff.).
Für die Personengruppe der alleinstehenden und arbeitsfähigen Männer ist demnach nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass diese bei einer Rückkehr nach Italien eine gegen Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung erleiden. Zu dieser Personengruppe zählt auch der Kläger. Im Rahmen der Anhörungen beim Bundesamt hat er keine besonderen Umstände vorgetragen. Als alleinstehender und arbeitsfähiger Mann ist der Kläger in erster Linie darauf zu verweisen, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften, auch wenn sich eine erfolgreiche Arbeitssuche als schwierig darstellen mag. Der Kläger hat bereits in der Vergangenheit seit seiner Ankunft in Europa im Jahr 2008 in verschiedenen Mitgliedstaaten – auch in Italien – bewiesen, dass er selbst in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt auch unter schwierigen Bedingungen zu erwirtschaften. Ein von dem Willen des Klägers unabhängiger „Automatismus der Verelendung“ bei einer Rückkehr nach Italien lässt sich nicht feststellen. Im Falle des Klägers ist nicht mit dem erforderlichen Grad beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine extreme materielle Notlage zu besorgen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger durchaus eine realistische Chance hätte, sich in Italien eine Existenz aufzubauen. Das gleichwohl nicht auszuschließende Risiko, dass er für den Fall seiner Rückkehr nach Italien künftig in eine Situation geraten könnte, die für die Prüfung des Art. 4 GRCh relevant wäre, stellt sich jedenfalls nicht als in einem Maße wahrscheinlich dar, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh zu bejahen wäre. Ferner ist der Kläger ggf. auf die Möglichkeit eines etwaigen Nachsuchens um Rechtsschutz bei den italienischen Gerichten zu verweisen (vgl. dazu ausführlich VG Aachen, U.v. 10.11.2020, a.a.O., juris Rn. 73 ff. m.w.N.).
3. Auch die Feststellung in Ziff. 2 des angegriffenen Bescheids des Bundesamts, dass kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Die Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK liegen nicht vor, da dem Kläger in Italien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Relevante gesundheitliche Einschränkungen des Klägers oder sonstige Gründe sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
4. Die Abschiebungsandrohung in Ziff. 3 des Bescheids findet ihre Rechtsgrundlage in § 35 AsylG und begegnet dem Grunde nach keinen rechtlichen Bedenken. Hinsichtlich der zur Ausreise gesetzten Frist von 30 Tagen liegt diese allerdings über der eigentlich nach § 36 Abs. 1 AsylG zwingend zu setzenden Frist von einer Woche. Die rechtswidrige Fristsetzung verlängert die Ausreisefrist jedoch zu Gunsten des Klägers und verletzt ihn daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
5. Die in Ziff. 4 des angegriffenen Bescheids geregelte Befristung des gesetzlichen Ausreise- und Aufenthaltsverbots begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
III.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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