Verwaltungsrecht

Schutzfähigkeit des georgischen Staates bei Übergriffen privater Dritter

Aktenzeichen  B 1 K 17.32876

Datum:
26.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17194
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 3b, § 4, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Nach der Präsidentschaftswahl im November 2013 kam es in Georgien zu einem Regierungswechsel: Das bisherige Staatsoberhaupt Saakashvili wurde von Giorgi Margvelashvili abgelöst. Es ist nicht ersichtlich, dass es noch politische Verfolgung wegen politischer Äußerungen gegen den Amtsvorgänger gegeben hätte. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist davon auszugehen, dass der georgische Staat bei Übergriffen privater Dritter schutzwillig und -fähig ist. Im georgischen Polizeiwesen wurden erhebliche Fortschritte in den Bereichen Verwaltungskontrolle, Korruptionsbekämpfung und Strafverfolgung erzielt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des … vom … ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dieser hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Asylanerkennung noch Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG bzw. auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung nach Georgien und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Gericht verweist zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid.
Ergänzend ist zum Vorbringen des Klägers im gerichtlichen Verfahren Folgendes auszuführen:
1. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG ist nicht gegeben.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft dann nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG). Dabei ist sowohl bei der Prüfung des Flüchtlingsschutzes (§ 3 Abs. 1 AsylG) als auch des subsidiären Schutzes durch die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote als Prognosemaßstab einheitlich der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen. Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG). Danach besteht bei vorverfolgt Ausgereisten die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (hierzu: BVerwG, U. v. 27. April 2010 – 10 C 5/09 – juris).
Der Kläger hat Georgien nicht wegen Verfolgungsgründe gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG (Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) verlassen. Zwar macht der Kläger geltend, dass im Jahr 2009 ein Mann von der Regierung gekommen sei, der von ihm und seinem Trauzeugen 1 Mio. Dollar wegen der Teilnahme an Demonstrationen, die gegen das Staatsoberhaupt Saakashvili gerichtet waren, gefordert habe. Die aktuell behauptete Verfolgung knüpft aber nicht an eine politische Betätigung oder den Vorwurf einer früheren politischen Betätigung an, da der Kläger zum einen vortrug, am 29. Oktober 2013 von Saakashvili begnadigt worden zu sein und von Januar 2014 bis zu einem Vorfall im April 2017 unbehelligt in Georgien gelebt zu haben. Zum anderen kam es bei den Präsidentschaftswahlen 2013 zu einem Regierungswechsel. Dabei setzte sich der seit 17. November 2013 bis heute amtierende Staatspräsident Giorgi Margvelashvili der Partei Georgischer Traum gegen den Wunschkandidaten des früheren Präsidenten Mikheil Saakashvili, der der Partei Vereinte Nationale Bewegung angehörte und nach zwei Amtszeiten nicht mehr bei der Wahl antreten durfte, durch (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Georgien, Gesamtaktualisierung am 22. März 2017, Seite 9 f.). Es ist nicht ersichtlich, dass nach dem Regierungswechsel noch eine Verfolgung wegen einer politischen Äußerung gegen den Amtsvorgänger, der noch dazu der nun agierenden Oppositionspartei angehört, gegeben wäre.
Das Gericht ist deshalb der Überzeugung, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Georgien von staatlicher Seite keine Verfolgungshandlungen zu befürchten hätte.
2. Aus den unter 1.) dargestellten Gründen scheidet eine Anerkennung als Asylberechtigter aus, da auch die Asylanerkennung die Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal voraussetzt (vgl. hierzu Will in Sachs, Grundgesetz, Art. 16a GG, Rn. 24 ff. m.w.N.).
3. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Georgien auch kein ernsthafter Schaden i.S.v.§ 4 AsylG.
Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Georgien weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Asyl) noch Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Er läuft auch nicht Gefahr, wegen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts einer ersthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).
Nach § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Abs. 3 AsylG kommen als verfolgende Akteure neben dem Staat auch nichtstaatliche Akteure in Betracht, sofern der Staat oder Organisationen nach § 3c Nr. 2 AsylG nicht in der Lage oder willens sind, wirksamen Schutz vor Verfolgung zu gewährleisten.
Soweit der Kläger angibt, dass ihm heute noch vorgeworfen würde, dass er Unterlagen gefälscht habe, oder er in Zusammenhang mit illegalen Grundstücksgeschäften seines Trauzeugen in Verbindung gebracht werde, so würde es sich um eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure handeln. Der Kläger gab hierzu in der mündlichen Verhandlung an, dass ihn Ende April 2017 drei Männer an seiner Arbeitsstelle aufgesucht hätten, ihn geschlagen hätten, gesagt hätten, dass er noch 1 Mio. Dollar zu zahlen habe und auch sein Sohn in Gefahr sei. Der Kläger gab hierzu sowohl beim … als auch in der mündlichen Verhandlung an, dass er an den illegalen Grundstücksgeschäften des Trauzeugen nicht beteiligt gewesen sei. Sollte ihm dennoch – von wem auch immer (der Kläger gab an, dass er nicht wisse, um welche Personen es sich dabei handele) – ein solches Vorgehen vorgehalten werden, so wäre der Kläger auf staatlichen Schutz zu verweisen. Dies würde auch für den Fall gelten, dass es sich bei den drei Erpressern um Polizisten handeln würde, die ihre staatliche Stellung missbrauchen (der Kläger gab hierzu an, dass er unterstelle, dass es sich um Polizisten oder Staatsanwälte gehandelt habe, da ihm ansonsten nicht hätte gedroht werden können, dass ihm Drogen untergeschoben würden).
Georgien hat in den letzten Jahren anerkennenswerte Fortschritte im Polizei- und Justizwesen erzielt. Im Rahmen der Justizreform wurde der Instanzenzug neu geregelt und eine radikale Verjüngung der Richterschaft durchgesetzt. Der Aufbau eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der aktuellen Regierung. Zwei Reformwellen wurden bereits durchgeführt, die dritte stehe bevor und betreffe die unparteiische Zuteilung von Rechtsfällen an Richter und die Ernennung von Richtern aufgrund von Qualifikation und Eignung in einem transparenten Verfahren. Zwar wird kritisiert, dass keine Aufsichtsbehörde für die Staatsanwaltschaft existiert, seit 2012 stellt der Umfang der Strafverfahren gegen die ehemalige Führung eine Herausforderung für die aktuelle Regierung dar. Auch wird die Staatsanwaltschaft kritisiert, dass sie Fälle von Beamten oder Polizisten nicht untersucht habe, die ihre Befugnisse überschritten hätten. Dennoch fällt auf, dass seit dem Regierungswechsel eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von Anträgen der Staatsanwaltschaft erfolge. (BFA, Länderinformationsblatt, a.a.O., S. 18 ff.). Im georgischen Polizeiwesen wurden durch umfassende Reformen, verbunden mit einem Austausch von großen Teilen des Polizeipersonals und der Einrichtung des Amts eines Ombudsmanns für Bürgerbeschwerden und Menschenrechtsverletzungen, erhebliche Fortschritte in den Bereichen Verwaltungskontrolle, Korruptionsbekämpfung und Strafverfolgung erzielt. Die Umgestaltung der Polizei hin zu einem transparenten, serviceorientierten Verwaltungsorgan hat für die georgische Regierung hohe Priorität (vgl. die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 19.07.2012 an das VG Sigmaringen, Gz. 508-9-516.80/47214). Nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln ist davon auszugehen, dass der georgische Staat bei Übergriffen privater Dritter schutzwillig und schutzfähig ist (ebenso VG Augsburg, B.v. 06.06.2016 – Au 6 S 16.30662 – juris Rn. 25).
Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts haben Personen nach dem erfolgten Regierungswechsel wegen ihrer Tätigkeit für die vormalige georgische Regierung in der Regel nicht mit strafrechtlicher Verfolgung zu rechnen, solange sie nicht selbst straffällig wurden. Die strafrechtliche Aufarbeitung gegen ehemalige Staatsbedienstete (wegen Veruntreuung) erfolgt nach Einschätzung des Auswärtigen Amts nach rechtsstaatlichen Standards, eine politisch motivierte Strafverfolgung ist nicht zu erkennen, schon gar nicht gegenüber Mitarbeitern niederer Verwaltungsebenen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Georgien, Stand: 11.12.2017, Seite 7 und Auskunft an das BAMF vom 11.04.2013 – Gz. 508-9-516.80/47585).
Der Kläger ist somit gehalten, sich an die georgischen Sicherheitsbehörden zu wenden. Soweit der Kläger angibt, dass dies keinen Zweck hätte, da es sich bei den Verfolgern um Polizisten oder Staatsanwälte handele, ist er gehalten, sich bei übergeordneten Dienststellen und/oder z.B. dem Georgischen Ombudsmann (vgl. hierzu BFA, Länderinformationsblatt, Stand: 13.04.2017, S. 27 f. m.w.N.) über ein etwaiges Fehlverhalten zu beschweren, um den begehrten und regelmäßig gewährten Schutz zu erhalten. Soweit der Kläger vortrug, dass er sich über seinen Anwalt an das Justizministerium gewandt habe (Blatt 85 der Behördenakte, Schreiben vom 20. Juni 2017) und hierauf nichts geschehen sei, so ist auszuführen, dass der Kläger nicht angeben konnte, wer die angeblichen Erpresser sind und es deshalb jedem Staat schwerfallen dürfte, bei Anzeige gegen Unbekannt gegen die Betreffenden vorzugehen, zumal der Kläger unmittelbar nach dem angeblichen Vorfall ausgereist ist und somit persönlich auch nichts weiter zur Aufklärung beitragen konnte. Dies kann nicht als mangelnde Schutzfähigkeit des georgischen Staats ausgelegt werden.
4. National begründete Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Zutreffend ist das Bundesamt insoweit davon ausgegangen, dass der Kläger prognostisch dazu in der Lage sein wird, sich eine zumindest existenzsichernde Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Dass dem Kläger eine konkrete, erhebliche und individuelle Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG), ist nicht ersichtlich.
5. Zu Recht hat das … somit den Asylantrag des Klägers abgelehnt und ihm gestützt auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG die Abschiebung nach Georgien angedroht. Die Ausreisefrist von 30 Tagen folgt aus § 38 Abs. 1 AsylG.
6. Auch die nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG von Amts wegen vorzunehmende Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie hält sich im Rahmen des § 11 Abs. 3 AufenthG. Ermessensfehler sind nicht erkennbar (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 11.3.2016 – 17 L 472/16.A – juris). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
II.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 83b AsylG abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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