Verwaltungsrecht

Schwangerschaft als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis

Aktenzeichen  M 1 S7 17.52014

Datum:
4.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 7
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Der Abschiebungsschutz werdender Mütter orientiert sich an dem Zeitraum des gesetzlichen Mutterschutzes.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Das Bundesamt für … (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 26. Januar 2017 den Asylantrag der am … geborenen Antragstellerin als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Zudem befristete es das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Die Antragstellerin erhob am … März 2017 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht mit dem Ziel der Aufhebung des genannten Bescheids (M 1 K 17.50717). Zugleich hatte die Antragstellerin am selben Tag einen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt (M 1 S. 17.50737). Das Gericht hat hierüber mit Beschluss vom 26. April 2017 entschieden und den Eilantrag der Antragstellerin als unbegründet abgelehnt.
Mit Schriftsatz vom … August 2017 – eingegangen beim Gericht am selben Tag – beantragt die Antragstellerin durch ihre Verfahrensbevollmächtigte, unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. April 2017 die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Für den Fall der Ablehnung des Abänderungsantrags beantragt sie,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, sicherzustellen, dass die Antragstellerin in eine ordnungsgemäße Unterkunft – geeignet für Schwangere und später auch für Mutter-Kind – untergebracht wird, und dass diese Unterkunft und die einhergehende ärztliche Betreuung vor der Abschiebung zu benennen seien.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin schwanger sei und der Kindsvater ebenfalls in Deutschland lebe und ein beim Bayerischen Verwaltungsgericht München unter dem Aktenzeichen M 13 K 17.40523 anhängiges Asylverfahren habe.
Die Antragsgegnerin hat sich zu diesem Antrag nicht geäußert.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten und insbesondere auf die Gründe des Beschlusses vom 26. April 2017 (M 1 S. 17.50737) Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO auf Abänderung des gerichtlichen Beschlusses ist abzulehnen.
Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Voraussetzung hierfür ist jedoch das Vorliegen veränderter oder im vorausgegangenen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände, die ein Abweichen von der ursprünglichen Entscheidung rechtfertigen können. Im vorliegenden Verfahren besteht hierzu kein Anlass.
1. Insbesondere folgt aus dem Umstand, dass die Antragstellerin schwanger ist, kein inlands- oder zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Im Fall der Schwangerschaft einer Antragstellerin nimmt das Gericht in ständiger Rechtsprechung nur für den Zeitraum des gesetzlichen Mutterschutzes ein Abschiebungsverbot an (VG München, B.v. 8.5.2017 – M 1 S. 17.50991; B.v. 9.11.2016 – M 1 S. 16.50757; B.v. 19.7.2016 – M 12 S. 16.50456 – juris Rn. 33). In Anlehnung an das Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (MuSchG) beginnt der Abschiebungsschutz sechs Wochen vor der Entbindung (§ 3 Abs. 2 MuSchG) und endet acht bzw. bei Früh- und Mehrlingsgeburten zwölf Wochen nach der Entbindung (§ 6 Abs. 1 MuSchG). Nachdem der voraussichtliche Geburtstermin des Kindes der Antragstellerin laut der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung erst der 27. März 2018 ist und sich die Antragstellerin somit ca. in der zwölften Schwangerschaftswoche befindet, besteht kein gesetzlicher Mutterschutz. Der Fall einer Risikoschwangerschaft, bei dem die Betrachtung der Mutterschutzfristen nicht ausreichen würde, ist nicht vorgetragen.
Der Vortrag der Antragstellerin, dass der Kindsvater in Deutschland lebe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es wurden weder die angebliche Vaterschaft noch ein etwaiges Aufenthaltsrecht des angeblichen Kindsvaters belegt.
2. Da der Hauptantrag abzulehnen war, ist die Bedingung für den hilfsweise gestellten Antrag eingetreten und über diesen zu entscheiden. Der Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, sicherzustellen, dass die Antragstellerin in eine ordnungsgemäße Unterkunft – geeignet für Schwangere und später auch für Mutter-Kind – untergebracht wird, und dass diese Unterkunft und die einhergehende ärztliche Betreuung vor der Abschiebung zu benennen seien, ist als Antrag auf Einholung einer sog. individuellen Garantieerklärung auszulegen (§ 88 VwGO).
Eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Einholung einer individuellen Garantieerklärung besteht vorliegend jedoch nicht (vgl. hierzu auch VG München, B.v. 20.3.2017 – M 9 S. 17.50539 – juris Rn. 42).
a) Eine solche Verpflichtung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in dem genannten Verfahren in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf.
Ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Forderung nach der Abgabe von sog. Garantieerklärungen in der genannten Entscheidung liegt darin, dass garantiert werden soll, dass die Familie als solche zusammenbleibt (vgl. auch BVerfG, B.v. 17.9.2015 – 2 BvR 1795/14 – juris Rn. 14); das ist vorliegend kein relevanter Gesichtspunkt, da die Antragstellerin ohnehin nur bis zum Einsetzen der Mutterschutzfrist, d.h. sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, nach Italien zurückgeschoben werden darf.
b) Auch aus dem zweiten wesentlichen Gesichtspunkt in der Tarakhel-Entscheidung für das Verlangen einer sog. Garantieerklärung – die Befürchtung, dass ein Kind in Italien nicht in einer dem Alter des Kindes adäquaten Art und Weise behandelt wird (so auch BVerfG, B.v. 17.9.2015 – 2 BvR 1795/14 – juris Rn. 14) – folgt nichts anderes. Das Gericht teilt die Auffassung, dass die Gesichtspunkte der körperlichen Unversehrtheit, der Achtung des Grundsatzes der Familieneinheit und der Gewährleistung des Kindeswohls besonderer Berücksichtigung bedürfen und diese Gesichtspunkte auch auf den Fall einer Schwangeren und ihr ungeborenes Kind zutreffen. Dem Gericht ist aber in tatsächlicher Hinsicht nichts bekannt, was dafür spricht, dass eine werdende Mutter in Italien nicht in Einklang mit diesen Erwägungen behandelt würde (so auch VG München, B.v. 20.3.2017 – M 9 S. 17.50539 – juris Rn. 42).
c) Hinsichtlich der Frage, ob die Antragstellerin aufgrund ihrer Schwangerschaft einer besonderen medizinischen Betreuung bedarf und ob sie ihr Kind in Italien gefahrlos auf die Welt bringen kann, ist das Gericht der Auffassung, dass die medizinische Versorgung in Italien ohne weiteres auch für die medizinische Betreuung einer Schwangerschaft und der Geburt des Kindes der Antragstellerin ausreicht. Italien verfügt über eine umfassende Gesundheitsfürsorge, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v.11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 –, juris Rn. 26 m.w.N.). Der vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellte Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v.19.09.2015 – Au 7 S. 15.50412 –, juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v. 5.11.2014 – M 18 S. 14.50356 –, juris). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass die Antragstellerin in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat (vgl. VG München, B.v. 20.3.2017 – M 9 S. 17.50539 – juris Rn. 40, 42).
3. Der Antrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO war deshalb sowohl im Hauptals auch im Hilfsantrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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