Verwaltungsrecht

selbstständiges Beweisverfahren zur Maskenpflicht, rechtliches Interesse für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens vor Anhängigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage (verneint), Amtsermittlungsgrundsatz

Aktenzeichen  Au 9 K 21.1425

Datum:
19.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4158
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 98
ZPO § 485 Abs. 1
ZPO § 485 Abs. 2
15. BayIfSMV

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens über ihren Gesundheitszustand betreffend die Maskentragungspflicht in der Corona-Pandemie.
Die Antragstellerin besucht derzeit die 6. Klasse eines Gymnasiums im Landkreis ….
Die Fünfzehnte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (15. BayIfSMV) vom 23. November 2021 (BayMBl. Nr. 116) – BayRS 2126-1-19-G – zuletzt geändert durch Verordnung vom 17. Januar 2022 (BayMBl. Nr. 41) bestimmt in § 2 „Maskenpflicht“ u.a., dass in Gebäuden und geschlossenen Räumen einschließlich geschlossener öffentlicher Fahrzeugbereiche, Kabinen und Ähnlichem die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske (Maskenpflicht) besteht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 der 15. BayIfSMV). Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der 15. BayIfSMV sind von der Maskenpflicht Personen befreit, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Maske aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist, solange dies vor Ort sofort insbesondere durch Vorlage eines schriftlichen ärztlichen Zeugnisses im Original nachgewiesen werden kann, das den vollständigen Namen, das Geburtsdatum und konkrete Angaben zum Grund der Befreiung enthalten muss. Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 der 15. BayIfSMV müssen Kinder und Jugendliche zwischen dem sechsten und dem 16. Geburtstag nur eine medizinische Gesichtsmaske tragen.
Mit Schriftsatz vom 15. März 2021 hat die Antragstellerin beim Landgericht … die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens durch Anhörung eines Sachverständigen zum Gesundheitszustand der Antragstellerin in Bezug auf das Erfordernis des Tragens einer Gesichtsmaske gestellt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass beim Maskentragen der Kinder folgende Beschwerden festzustellen seien: Reizbarkeit durch Stress der Maske und Luftbehinderung im Sichtfeld, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche, Stimmungsschwankung, Lern-Probleme, Erschöpfung, Schwäche, Schwindel und Kurzatmigkeit. Das Rechtschutzinteresse an der sofortigen Feststellung des Gesundheitszustandes der Antragstellerin ergebe sich aus der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Auf dem Schulgelände, während des Unterrichts und der Pausen bestehe Maskenzwang. Die beantragte Sachverständigenbegutachtung diene beiden Seiten zur Klärung des Sachverhalts. Die von der Antragstellerin besuchte Schule müsse mit dem Schulausschluss drohen, wenn keine qualifizierten ärztlichen Atteste vorgelegt würden. Wenn der Schulbesuch ständig von formalen Attestvorlagen abhängig gemacht werde, führe dies nicht nur zu einer psychischen, sondern auch zu einer existenziell schulischen Beeinträchtigung. Hierfür sei das selbstständige Beweisverfahren ein probates Mittel, um Beweise eilig zu sichern und für beide Seiten eine Beweisgrundlage zu schaffen. Die Antragstellerin sei durch die bestehende Schulpflicht gezwungen, sich der Maskenordnung zu fügen, da die Atteste nur temporär mit Vorbehalt anerkannt würden.
Auf den weiteren Inhalt des Antragsschriftsatzes vom 15. März 2021 wird ergänzend verwiesen.
Mit Beschluss des Landgerichts … vom 23. Juni 2021 wurde der Rechtsstreit an das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg verwiesen.
Die Regierung von … ist für den Antragsgegner dem Antrag mit Schriftsatz vom 19. Juli 2021 entgegengetreten und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Eine weitergehende Begründung ist nicht erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens bleibt ohne Erfolg.
Gemäß § 98 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein selbstständiges Beweisverfahren nach § 485 Zivilprozessordnung (ZPO) durchgeführt werden, jedoch liegen weder die Voraussetzungen des § 98 VwGO i.V.m. § 485 Abs. 1 ZPO noch die des § 98 VwGO i.V.m. § 485 Abs. 2 ZPO zugunsten der Antragstellerin vor.
1. Aus § 485 Abs. 1 ZPO folgt kein Anspruch der Antragstellerin auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens. Nach dieser Vorschrift kann auf Antrag einer Partei u.a. die (schriftliche oder mündliche) Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert ist. Verlust oder Erschwernis der Beweismittel des Augenscheins und des Sachverständigengutachtens sind dann zu besorgen, wenn die zu besichtigende oder zu begutachtende Sache unterzugehen oder verändert zu werden droht.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Eine Zustimmung des Antragsgegners liegt nicht vor. Auch ist nicht zu befürchten, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird. Ziel des selbstständigen Beweisverfahrens ist nicht eine – wie hier beantragte – vorweggenommene Beweiswürdigung, sondern lediglich die rechtzeitige Klärung einer Tatsache zum Schutz vor dem drohenden Verlust oder der drohenden Erschwerung (vgl. BayVGH, B.v. 1.4.2014 – 13 S 14.358, 13 S 14.558 – juris Rn. 22; Bünnigmann in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, Vorbemerkung zu § 485 Rn. 2).
2. Auch die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Danach kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass (1.) der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, (2.) die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels, (3.) der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist nach § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO dann anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da die Frage der hier streitgegenständlichen Maskenpflicht einer dynamischen Entwicklung unterliegt und vom jeweiligen Pandemie-Geschehen abhängig ist. Die Vorgaben zur Maskenpflicht in der jeweils gültigen BayIfSMV (derzeit § 2 der 15. BayIfSMV vom 23. November 2021) sind ebenfalls nicht statisch festgelegt und bedürfen der Fortschreibung, so dass es einer abstrakten Beweiserhebung vor Anhängigkeit eines jeweiligen anlassbezogenen Verwaltungsverfahrens nicht bedarf. Im Einzelfall hat die Antragstellerin daher gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der 15. BayIfSMV glaubhaft zu machen, dass ihr das Tragen einer Maske aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist. Sie hat dies durch Vorlage eines schriftlichen ärztlichen Zeugnisses im Einzelfall nachzuweisen. Soweit sich der Antrag darauf bezieht, die Maskentragungspflicht für Kinder generell für unzulässig zu erklären bzw. in Frage zu stellen, wäre die Antragstellerin auf einen Normenkontrollantrag beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zu verweisen.
Der von der Antragstellerin begehrte Sachverständigenbeweis stellt sich damit zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als unzulässiger Ausforschungsbeweis dar, der den Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens nicht trägt (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 15 C 14.1592 – BeckRS 2017, 128018; VG Ansbach, B.v. 6.5.2019 – AN 17 X 18.01897 – juris Rn. 21).
3. Der Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens gemäß § 98 VwGO erweist sich folglich im Ergebnis als unzulässig und war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen hat die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Vom hier mangels anderweitiger Grundsätze zur Wertermittlung zugrunde zu legenden Auffangstreitwert in Höhe von 5.000,00 EUR ist in „eilverfahrensähnlichen“ Verfahren, wie dem selbstständigen Beweisverfahren in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Sonderbeilage BayVBl. Januar 2014) von der Hälfte des in einer Hauptsache gebotenen Streitwerts auszugehen (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs; BayVGH, B.v. 1.4.2014 – 13 S 14.358 – juris Rn. 29; BayVGH, B.v. 12.8.2002 – 13 S 01.1662 – juris).


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