Verwaltungsrecht

Sicherung des dienstlichen Email-Accounts ohne Durchsuchungsanordnung (§ 27 BDG)

Aktenzeichen  16b DZ 17.795

Datum:
16.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 131756
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BDG § 3, § 17, § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 2, § 27, § 30, § 41
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1 Die Berufung wurde zugelassen, weil die Frage, ob die Sicherung eines dienstlichen Email-Accounts einer Durchsuchungsanordnung (§ 27 BDG) bedurfte, tatsächlich und rechtlich besonders schwierig ist. Gleiches gilt für die Frage, ob für den Fall einer rechtswidrigen Durchsuchung ein Beweisverwertungsverbot eingreift. (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da die Disziplinargerichte zur umfassenden Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts von Amts wegen verpflichtet sind, kommt es auf eine mögliche Befangenheit von Mitarbeitern im behördlichen Disziplinarverfahren nicht an (vgl. BVerwG BeckRS 2011, 56044). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 13a D 16.1085 2017-01-20 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

1. Die Berufung ist zuzulassen, weil die Frage, ob die Sicherung des dienstlichen Email-Accounts einer Durchsuchungsanordnung nach § 27 BDG bedurfte, tatsächlich und rechtlich besonders schwierig ist (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Gleiches gilt für die Frage, ob für den Fall einer rechtswidrigen Durchsuchung ein Beweisverwertungsverbot greift.
2. Die weiteren vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe greifen hingegen nicht.
2.1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nicht.
2.1.1 Das Verwaltungsgericht hat in der Ablehnung der beantragten Fristverlängerung im Rahmen der abschließenden Anhörung (§ 30 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 2 BDG) zu Recht keinen wesentlichen Verfahrensmangel erkannt und auf die Heilung durch Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren verwiesen (§ 3 BDG i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Diese Auffassung steht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang. Das Bundesverwaltungsgericht betont in seinem Urteil vom 8. Dezember 2012 (2 WD 24/09 – juris Rn. 11), dass unterbliebene Verfahrensschritte nachzuholen sind, um ein „Leerlaufen“ einer zwingenden Verfahrensvorschrift zu verhindern. Außerhalb des Disziplinarklageverfahrens hält die Kommentarliteratur eine Heilung im Widerspruchsverfahren – wie hier – für zulässig (Weiss, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Stand: Juli 2017, § 30 BDG Rn. 31a und § 41 BDG Rn. 85; vgl. auch NdsOVG, U.v. 28.1.2014 – 20 LD 10/13 – juris Rn. 50).
2.1.2 Selbst wenn die Besorgnis der Befangenheit des mit der Führung der Ermittlungen beauftragten Mitarbeiters begründet wäre, wäre der darin liegende Verfahrensmangel unbeachtlich. Auch im Disziplinarrecht gilt der gerichtliche Untersuchungsgrundsatz (§ 3 BDG i. V. m. § 86 Abs. 1 VwGO), der die Disziplinargerichte zur umfassenden Aufklärung und Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und der für den Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme bedeutsamen Umstände von Amts wegen verpflichtet, sodass es auf eine mögliche Befangenheit von Mitarbeitern im behördlichen Disziplinarverfahren nicht ankommt (vgl. BVerwG, B.v. 26.10.2011 – 2 B 69.10 – juris Rn. 17, 18 m.w.N.; SächsOVG, U.v. 25.9.2015 – 6 A 518/14.D – juris Rn. 27).
2.1.3 Es war nicht erforderlich, das behördliche Disziplinarverfahren über die in der Einleitungsverfügung vom 11. Februar 2011 genannten disziplinarrechtlichen Vorwürfe gemäß § 19 BDG auszudehnen. Eine Ausdehnung des Verfahrens nach § 19 Abs. 1 BDG auf neue Handlungen setzt voraus, dass diese durch die Einleitung nach § 17 Abs. 1 BDG noch nicht erfasst worden sind. Handlungen sind Verhaltensweisen des Beamten, die in einem aktiven Tun oder in einem pflichtwidrigen Unterlassen bestehen können. Die Handlungen sind „neu“, wenn sie bisher noch nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens waren (vgl. Weiss a.a.O. § 19 BDG Rn. 11). Da bereits in der Einleitungsverfügung der Verdacht eines Verstoßes gegen die Gehorsamspflicht (Benutzerrichtlinie für die Nutzung des Internets in der Bundesfinanzverwaltung) wegen der nicht erlaubten Verwendung des Dienst-PCs während der Dienstzeit zur Versendung privater Emails sowohl an Kollegen als auch an Außenstehende (2 Emails wurden beispielhaft genannt) formuliert worden ist, bedurfte es keiner Ausdehnung, nachdem weitere (615) private Emails nach der Sicherung des dienstlichen Email-Accounts in das Disziplinarverfahren einbezogen worden waren.
2.1.4 Das Verwaltungsgericht ist mit der Beklagten davon ausgegangen, dass der Kläger durch seine in mehreren Emails verwendete Wortwahl wiederholt die zulässigen Grenzen kritischer Äußerungen überschritten hat. Damit hat es den bereits von der Einleitungsverfügung umrissenen Sachverhalt bei der disziplinarrechtlichen Bemessungsentscheidung rechtlich gewürdigt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Einleitungsverfügung selbst hat nur die Sachverhalte und Handlungen zu benennen, die disziplinarrechtlich geahndet werden sollen. Zu eröffnen sind nur die Tatsachen, d.h. der den Verdacht ausmachende, schon bekannte Sachverhalt. Werturteile oder erste disziplinarrechtliche Einschätzungen müssen nicht mitgeteilt werden (vgl. Weiss a.a.O. § 20 BDG Rn. 32). Unschädlich ist daher, dass in der Einleitungsverfügung dieser Komplex nur unscharf mit der „Wohlverhaltensklausel“ umschrieben ist.
2.2. Die Rechtssache weist keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf. Der Kläger hält für grundsätzlich die Klärung der Frage, welche inhaltlichen Anforderungen an eine Einleitungsverfügung zu stellen sind. Grundsätzliche Bedeutung misst er auch der Frage nach der Rechtswidrigkeit der Sicherstellung des Email-Accounts sowie der Frage, ob sich hieraus ein Beweisverwertungsverbot ergibt.
Damit formuliert der Kläger keine konkreten Rechtsfragen und legt auch sonst keine grundsätzliche Bedeutung dar. Die inhaltlichen Mindestanforderungen an eine Einleitungsverfügung ergeben sich bereits aus § 20 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BDG (vgl. Wittkowski in Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Auflage 2017, § 17 Rn. 17 mit Hinweis auf BVerwG, B.v. 18.11.2008 – 2 B 63/08 – juris). Die gestellten Fragen nach der Rechtswidrigkeit der Sicherstellung bzw. der Verwertbarkeit der sichergestellten Emails lassen sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls und nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten.
2.3 Der geltend gemachte Zulassungsgrund der (Rechtssatz-)Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt. Eine solche Divergenz liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der benannten Rechtsprechung des Divergenzgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht; diese Voraussetzung muss der Rechtsmittelführer durch eine Gegenüberstellung der divergierenden (abstrakten) Rechtssätze darlegen (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 73). Daran fehlt es.


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