Verwaltungsrecht

Sofortverfahren, Nigeria, unzulässiger Zweitantrag, Bezugnahme auf Bundesamtsbescheid, Bedrohung durch Ogboni-Kult, Vater eines deutschen Kindes, keine Änderung der Sach- und Rechtslage, interner Schutz, inländische Aufenthaltsalternative, Sicherung des Existenzminimums trotz Einschränkungen infolge COVID-19-Pandemie, kein extremer Ausnahmefall, keine beachtliche bzw. hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung an COVID-19 mit schwerwiegenden Folgen, inlandsbezogene Abschiebungshindernisse irrelevant, Ablehnung von Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  W 8 S 22.30069

Datum:
15.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2832
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AsylG § 36 Abs. 4
AsylG § 71a
AsylG § 77 Abs. 2
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7
EMRK Art. 3
ZPO § 114

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird sowohl im vorliegenden Sofortverfahren als auch im Verfahren W 8 K 22.30068 abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nigerianischer Staatsangehöriger, verließ sein Heimatland nach eigenen Angaben im Jahr 2009 und hielt sich mehrere Jahre in Griechenland und Italien auf. In Griechenland wurde sein Asylantrag zweimal abgelehnt. Am 26. August 2019 stellte der Antragsteller einen weiteren Asylantrag in Deutschland. Zur Begründung seines Asylantrages brachte er im Wesentlichen vor: Sein Vater sei Mitglied der Geheimgesellschaft der Ogboni Confraternity gewesen. Er habe diesem Kult nicht beitreten wollen. Er werde deshalb mit dem Tode bedroht. Auch in Griechenland sei er noch bedroht worden.
Mit Bescheid vom 28. Januar 2021 hob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) seinen Dublin-Bescheid vom 18. September 2019 auf (Nr. 1). Weiter lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 2) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat wurde angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrages durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 3 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 5). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Asylantrag sei unzulässig, wenn im Fall eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Der Antragsteller habe keinerlei neuen Tatsachen geltend gemacht, die geeignet wären, sich möglicherweise zu seinen Gunsten auszuwirken. Er habe sich nur auf die Sachverhalte berufen, die er schon in früheren Asylverfahren vorgebracht habe bzw. hätte vorbringen können. In der Gesamtschau beziehe sich das Vorbringen des Antragstellers auf Umstände, die bereits im Herkunftsland bzw. vor seiner Ankunft in Europa ereignet haben sollen. Selbst wenn aufgrund der damaligen Ereignisse und der beteiligten Personen noch eine Gefahr für den Antragsteller in seinem Heimatort oder in der näheren Umgebung ausgehen sollte, sei es ihm möglich und zumutbar, einen Wohnsitz in Benin City zu tätigen und auch dort zu bleiben. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass es bei einer Abschiebung zu einer Menschenrechtsverletzung komme. Die Reintegration in Nigeria könne zudem durch Möglichkeiten von Rückkehr- und Reintegrations-Programmen erleichtert werden. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit bestehen, ökonomisch eigenständig zu leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter zu überleben. Es bestünden keine durchgreifenden Zweifel daran, dass dem Antragsteller als jungem und arbeitsfähigem Mann ohne Unterhaltspflichten im Anschluss an eine Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz angesichts seiner in Griechenland erlernten Fähigkeiten und der in Italien in diesem Bereich ausgeübten Tätigkeiten als Klempner und in der Eisenverarbeitung zukünftig auch im Heimatland, unabhängig vom Wohnort, möglich sein werde. Das Bundesamt könne im verwaltungsgerichtlichen Asylrechtsstreit nur im Hinblick auf zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote verpflichtet werden. Die Ausländerbehörde bleibe demgegenüber für die Durchführung der Abschiebung und dabei auch für die Entscheidung über alle inlandsbezogenen und sonstigen tatsächlichen Vollstreckungshindernisse zuständig. Zu einem solchen, ausschließlich von der Ausländerbehörde zu prüfenden Vollstreckungshindernis zähle auch, ein etwaiges Verbot durch Abschiebung einer mit Art. 6 GG nicht vereinbaren Trennung von Familienmitgliedern zu bewirken. Der Schutz des Familienlebens im Bundesgebiet nach Art. 8 EMRK begründe deshalb kein Abschiebungsverbot, das im Asylverfahren berücksichtigungsfähig sei. Etwaige durch Art. 8 EMRK geschützte Bindungen des Antragstellers im Bundesgebiet seien allein von der Ausländerbehörde im aufenthaltsrechtlichen Verfahren zu prüfen. Zu den vom Antragsteller vorgebrachten Hüftschmerzen habe er keinerlei medizinischen Unterlagen eingereicht. Dem Antragsteller drohe nach Rückkehr auch nicht hoher Wahrscheinlichkeit wegen der dortigen COVID-19-Erkrankung und deren Folgen eine Extremgefahr. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde auf drei Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Dabei seien die schutzwürdigen Belange des Antragstellers berücksichtigt worden. Beim Antragsteller liege eine Vaterschaft zu einem deutschen Kind vor. Dies sei durch Vorlage einer Vaterschaftsanerkennung sowie der Erklärung über die gemeinsame Sorge glaubhaft gemacht.
Am 7. Februar 2022 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 22.30068 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und – neben Prozesskostenhilfe – im vorliegenden Verfahren b e a n t r a g e n:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird hergestellt.
Zur Begründung ließ der Antragsteller im Wesentlichen ausführen: Im Hinblick auf die geänderte familiäre Situation des Antragstellers seit Ende des Vorverfahrens hätte der Antrag nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfen. Vorgelegt würden die Geburtsurkunde des Sohnes des Antragstellers mit deutscher Staatsangehörigkeit, die Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft mit Zustimmung der Kindsmutter und die Urkunde über die gemeinsame elterliche Sorge.
Der Antragsgegner b e a n t r a g t e mit Schriftsatz vom 8. Februar 2022, den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 22.30068) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.
Bei verständiger Würdigung (§ 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO) ist der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage herzustellen, dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach Nigeria in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheides begehrt.
Der so verstandene Antrag ist statthaft. Die Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheides hat nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, §§ 75 Abs. 1, 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 AsylG keine aufschiebende Wirkung, weil kein Fall des § 38 Abs. 1 AsylG vorliegt. Soweit in der Rechtsprechung vereinzelt die Auffassung vertreten wird, dass die einwöchige Ausreisefrist nach § 36 Abs. 1 AsylG nur in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 AsylG gelte, im Falle der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG hingegen 30 Tage betrage und die Klage kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung habe (vgl. VG Regensburg, B.v. 3.9.2020 – RN 14 S 20.31446 – juris Rn. 18 ff.; BayVGH, B.v. 16.7.2020 – 10 ZB 20.31374 – juris Rn. 6), ist dem nicht zu folgen. Denn bei § 71a Abs. 4 AsylG, nach dem die §§ 34 bis 36 AsylG entsprechend anzuwenden sind, handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung und nicht um eine Rechtsgrundverweisung, wie insbesondere die Gesetzgebungshistorie belegt. Als Rechtsgrundverweisung liefe die Vorschrift ins Leere (vgl. im Einzelnen VG Bremen, B.v. 21.12.2021 – 5 V 2053/21 – juris Rn. 20; VG Würzburg, B.v. 30.6.2021 – W 10 S 21.30694 – BA S. 9 f.; VG Düsseldorf, B.v. 9.3.2021 – 24 L 262/21.A – juris Rn. 10 ff.; OVG Bremen, U.v. 3.11.2020 – 1 LB 28/20 – juris Rn. 58; VG Greifswald, B.v. 23.9.2020 – 3 B 1214/20 HGW – juris Rn. 15; VG Regensburg, B.v. 21.9.2020 – RN 2 S 20.31401 – juris Rn. 21 ff.).
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen (§ 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 und 4 AsylG). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es darauf an, ob die Entscheidung in Bezug auf die geltend gemachten Wiederaufgreifens- und Asylgründe sowie Abschiebungshindernisse bei der hier gebotenen summarischen Prüfung mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann.
Der Asylantrag des Antragstellers ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG unzulässig, weil dieser nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG, insbesondere eine entscheidungsrelevante Veränderung der dem Erstverfahren zugrundeliegenden Sach- oder Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, liegen nicht vor. Ebenso bestehen keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
Die Regelung des alten § 71a Abs. 1 AsylG steht offensichtlich auch mit dem EU-Recht, insbesondere mit Art. 33 Abs. 2 Buchstabe d) und Art. 2 Buchstabe q) der Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU), im Einklang, weil die dortige Formulierung „Folgeanträge“ auch Zweitanträge erfasst (vgl. nur VG Gelsenkirchen, U.v. 1.12.2021 – 10a K 5051/18.A – juris Rn. 23 ff.).
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insbesondere von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes decken sich mit den vorliegenden Erkenntnissen.
Das Bundesamt hat schon zutreffend auf das Schreiben der griechischen Behörden vom 20. Januar 2022 verwiesen, wonach das Verfahren zur Prüfung eines (weiteren) Antrags auf internationalen Schutz in Griechenland mit einer als endgültig angesehenen Ablehnung am 19. August 2015 erfolglos abgeschlossen worden sei. Auch der Antragsteller hat selbst bei seiner Anhörung angegeben, dass er in Griechenland zwei Asylanträge erfolglos gestellt habe. Seine Angaben decken sich mit den Angaben aus Griechenland, sodass hinreichend gesicherte Erkenntnisse über den negativen Abschluss des Asylverfahrens in Griechenland vorliegen, ohne dass es weitergehender Ermittlungen des Bundesamtes bedurft hätte (vgl. nur VG Würzburg, B.v. 12.5.2021 – W 1 S 21.30527 – BA S. 7 f. m.w.N.). Auf die Frage, ob zusätzlich auch die späteren Asylverfahren in Italien abgeschlossen sind, wofür ebenfalls einiges spricht, kommt es nicht mehr entscheidungserheblich an, weil genügt, dass ein vorhergehendes Asylverfahren in einem Drittstaat erfolglos abgeschlossen ist (OVG Bremen, B.v. 3.11.2020 – 1 LB 28/20 – juris Rn. 23 ff.).
Das Bundesamt hat des Weiteren zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antragsteller keine neuen relevanten Wiederaufgreifensgründe geltend gemacht hat, sondern vielmehr die Gründe vorgebracht hat, die er auch schon in seinem erfolglosen Asylverfahren in Griechenland angegeben hatte bzw. hätte vorbringen können.
Darüber hinaus ist es dem Antragsteller jedenfalls möglich und zumutbar, sich in einem anderen Landesteil Nigerias niederzulassen, in welchem er vor eventuellen Verfolgern – gerade auch angesichts der angeblichen Bedrohung durch Mitglieder des Ogboni-Kultes – sicher wäre (vgl. § 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Der Antragsteller kann sich beispielsweise in einer der zahlreichen Großstädte Nigerias, insbesondere in der Hauptstadt Abuja, oder im christlich geprägten Südwesten des Landes, beispielsweise in Lagos oder in einer anderen Stadt niederlassen. Er genießt Freizügigkeit in ganz Nigeria, so dass er seinen Wohn- und Aufenthaltsort grundsätzlich frei bestimmen kann. Wenn der Antragsteller seinen Heimatort meidet, ist es unwahrscheinlich, dass er in einer anonymen Großstadt nach mehrjähriger Abwesenheit (seit dem Jahr 2009) außerhalb der Heimatregion aufgefunden würde, zumal Nigeria etwa 200 Millionen Einwohner hat, eine Fläche von 925.000 m² aufweist und dabei nicht über ein funktionsfähiges Meldesystem verfügt. Grundsätzlich besteht nach der Erkenntnislage in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Nigeria, Stand September 2020, vom 5.12.2020, S. 17). Dem Antragsteller ist ein Umzug in einen anderen Landesteil Nigerias auch zumutbar. Zwar geht aus den vorliegenden Erkenntnissen hervor, dass ein Umzug in einen anderen Landesteil unter Umständen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein kann, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem sie kein soziales Umfeld haben. Insbesondere familiären Bindungen kommt in der nigerianischen Gesellschaft eine gesteigerte Bedeutung zu (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 31.1.2022, S. 56 ff., 60 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: September 2020, vom 5.12.2020, S. 23 ff.). Der Antragsteller könnte jedoch im Fall der Rückkehr nach Nigeria – wie auch schon vom Bundesamt im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid zutreffend ausgeführt – auch ohne solche Bindungen ohne gravierende gesundheitlichen Einschränkungen in einer der zahlreichen Großstädte eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller im Falle einer freiwilligen Rückkehr sowohl Start- als auch Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen kann. Zudem hat er sich auch schon in der Vergangenheit mit einfachen Arbeiten beholfen. Er hat berufliche Erfahrungen gesammelt und ist auch mit den Umständen in Nigeria vertraut. Somit ist davon auszugehen, dass sich der Antragsteller seinen Lebensunterhalt zumindest am Rande des Existenzminimums erwirtschaften kann (VG Regensburg, U.v. 18. 1.2022 – RN 16 K 18.30165 – Milo S. 7 f.; U.v. 16.12.2021 – RN 15 K 21.31190, 8394973 – juris S. 13 ff.; VG Lüneburg, U.v. 13.1.2022 – 6 A 74/20, 7529647 – juris S. 9 f.; VG Würzburg, B.v. 20.8.2021 – W 1 S 21.30873 – BA S. 11 ff.; B.v. 30.6.2021 – W 10 S 21.30694 – BA S. 18 ff.; VG Würzburg, B.v. 1.7.2020 – W 8 S 20.30762 – juris Rn. 12; ausführlich OVG NRW, U.v. 22.6.2021 – 19 A 4386/19.A – juris Rn. 40 ff. 65 ff. und 164 ff.; jeweils m.w.N.).
Wie schon erwähnt kann der Antragsteller, abgesehen von privaten Hilfemöglichkeiten und Hilfsorganisationen, auf Rückkehr- und Starthilfen sowie auf Reintegrationsprogramme zurückgreifen (vgl. dazu ausführlich VG Regensburg, U.v. 18. 1.2022 – RN 16 K 18.30165 – Milo S. 11; U.v. 16.12.2021 – RN 15 K 21.31190, 8394973 – juris S. 18 ff.; OVG NRW, U.v. 22.6.2021 – 19 A 4386/19.A – juris Rn. 65 ff. und 164 ff.; siehe auch schon VG Würzburg, B.v. 1.7.2020 – W 8 S 20.30762 – juris Rn. 13 f.). So hat der Antragsteller die Option, seine finanzielle Situation in Nigeria aus eigener Kraft zu verbessern, um Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr besser zu überbrücken. Gegen diese Möglichkeiten kann der Antragsteller nicht mit Erfolg einwenden, dass Start- bzw. und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehr, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung, erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris).
Ernstliche Zweifel ergeben sich nach den vorstehenden Ausführungen des Weiteren nicht mit Bezug auf § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG, sowohl im Hinblick auf das wirtschaftliche Existenzminimum als auch auf sonstige Gefahren, auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie.
Laut den allgemein zugänglichen Quellen gibt es in Nigeria im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ca. 254.000 Infizierte und 3.140 Todesfälle, während es gleichzeitig in Deutschland ca. 12,6 Millionen Infizierte und 120.000 Todesfälle sind. Zudem ist der nigerianische Staat nicht tatenlos geblieben, wobei in einzelnen Bundesstaaten teils unterschiedliche Maßnahmen getroffen wurden, sowohl mit Blick auf den Infektionsschutz als auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation (vgl. z.B. nur BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Nigeria vom 31.1.2022, S. 1; VG Regensburg, U.v. 18.1.2022 – RN 16 K 18.30165 – Milo S. 15 f.; OVG NRW, U.v. 22.6.2021 – 19 A 4386/19.A – juris Rn. 41 ff. und 188 ff.; sowie ausführlich VG Würzburg, B.v. 20.8.2021 – W 1 S 21.30873 – BA S. 13 ff.; B.v. 30.6.2021 – W 10 S 21.30694 – BA S. 20 ff.; B.v. 1.7.2020 – W 8 S 20.30762 – juris Rn. 19 ff.; jeweils m.w.N.).
Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert, hält es das Gericht zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt weiterhin nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann. Schlechte humanitäre Verhältnisse können dabei nur in ganz außergewöhnlichen Fällen zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen, nämlich dann, wenn es sich hierbei um zwingende humanitäre Gründe handelt (vgl. OVG NRW, U.v. 22.6.2021 – 19 A 4386/19.A – juris Rn. 36 f.; U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris m.w.N.). Aus der Rechtsprechung des EGMR (U.v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07 und 11449/07 – BeckRS 2012, 8036 – Rn. 278) und des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12) ergibt sich, dass die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraussetzt. Nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind. Entscheidend ist, dass die Person keiner Situation extremer materieller Not ausgesetzt wird, die es ihr unter Inkaufnahme von Verelendung verwehrt elementare Bedürfnisse zu befriedigen.
Für den Eintritt einer dahingehenden Verschlechterung der humanitären Verhältnisse in Nigeria fehlen dem Gericht zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) greifbare Anhaltspunkte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein Gegensteuern des nigerianischen Staates erkennbar ist (vgl. im Einzelnen m.w.N. OVG NRW, U.v. 22.6.2021 – 19 A 4386/19.A – juris Rn. 46 ff. und 194 ff.; VG Würzburg, B.v. 20.8.2021 – W 1 S 21.30873 – BA S. 15 ff.; B.v. 30.6.2021 – W 1 S 21.30527 – BA S. 20 ff. sowie schon VG Würzburg, B.v. 1.7.2020 – W 8 S 20.30762 – juris Rn. 23 ff.).
Entsprechendes gilt auch im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund der COVID-19-Pandemie.
Zunächst ist insoweit festzustellen, dass der Antragsteller mangels entgegenstehender Anhaltspunkte nicht mit dem neuartigen SARS-CoV-2 („Coronavirus“) infiziert ist bzw. nicht an der hierdurch hervorgerufenen Erkrankung COVID-19 leidet.
Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten tagesaktuellen Fallzahlen und des damit einhergehenden Ansteckungsrisikos besteht in Nigeria derzeit – gerade auch im Vergleich zur Situation in Deutschland – keine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Verlaufs der Erkrankung für die Personengruppe, welcher der Antragsteller angehört. Darüber hinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland – individuell persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske, die Einhaltung von Hygieneregeln (z.B. Händewaschen) oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren (VG Regensburg, U.v. 18.1.2022 – RN 16 K 18.30165 – juris S. 15 f.; OVG NRW, U.v. 22.6.2021 – 19 A 4386/19.A – juris Rn. 188 ff., 193).
Wie schon ausgeführt hat das Gericht weiter keine triftigen Anhaltspunkte, geschweige denn konkrete Belege, dass die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen in Folge der Covid-19-Pandemie in Nigeria in der Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern würden, dass generell für jeden Rückkehrer eine extreme Gefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit landesweit drohen würde. Gerade angesichts der regionalen Unterschiede und dem unterschiedlichen Vorgehen der einzelnen Bundesstaaten in Nigeria bestehen weiterhin ausreichende Möglichkeiten, sich ein Existenzminimum zu erwirtschaften, so dass eine Rückkehr nach Nigeria zumutbar ist. Dies gilt gerade auch unter Einbeziehung des wichtigen informellen Sektors in Nigeria. Nach alledem es gibt keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich Wirtschaft und Versorgungslage der Bevölkerung trotz internationaler humanitärer Hilfe, trotz Gegensteuerns des nigerianischen Staates und trotz lokaler Hilfsbereitschaft infolge der Pandemie derart verschlechtern würde, dass der Antragsteller nicht mehr in der Lage wäre, den existenzwahrenden Lebensunterhalt für sich sicherzustellen (vgl. VG Augsburg, U.v. 13.1.2022 – Au 9 K 19.31593 – Milo Rn. 31 ff.; VG Regensburg, U.v. 16.12.2021 – RN 15 K 21.31190, 8394973 – juris S. 23 ff.; VG Würzburg, B.v. 20.8.2021 – W 1 S 21.30873 – BA S. 18 ff.; B.v. 30.6.2021 – W 10 S 21.30694 – BA S. 23 ff.; U.v. 17.7.2020 – W 10 K 19.31704 – juris Rn. 34 ff.; B.v. 1.7.2020 – W 8 S 20.30762 – juris Rn. 23 ff.; OVG NRW, U.v. 22.6.2021 – 19 A 4386/19.A – juris 194 ff.; VG München, G.v 22.3.2021 – M 32 K 20.30176 – juris Rn. 22 ff.; G.v 17.3.2021 – M 32 K 19.33817 – juris Rn. 28 ff., 37 ff.).
Das Gericht verkennt – auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie – nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Nigeria. Diese betreffen jedoch nigerianische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
Im Übrigen wird – auch im Hinblick auf die COVID-19-Situation – auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Des Weiteren ist die Ausländerbehörde (und nicht die Antragsgegnerin) zuständig, über eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse – wie etwa Ehe und Familie (Art. 6 GG) oder Reiseunfähigkeit – zu entscheiden (vgl. schon VG Würzburg, B.v. 1.7.2020 – W 8 S 20.30762 – juris Rn. 38). Denn die Aspekte des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK sind der Vollzugsentscheidung der Ausländerbehörde einschließlich der dagegen eröffneten Rechtsschutzmöglichkeiten vorbehalten, so dass die Antragsgegnerin, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, weiterhin nicht zur Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse berufen ist, weil auch das Europäische Recht keine Aussage des Inhalts trifft, welche nationale Behörde die betreffende Prüfung – etwa mit Blick auf das Kindeswohl (auch dann, wenn Adressat der Rückkehrentscheidung sein Elternteil ist) – vorzunehmen hat (vgl. OVG NRW, U.v. 23.4.2021 – 19 A 810/16.A – juris Rn. 100; anderer Ansicht VG Bremen, B.v. 21.12.2021 – 5 V 2053/21 – juris Rn. 40; auch mit weiteren Nachweisen zu den gegenläufigen Rechtsauffassungen). Demgemäß ist die Ausländerbehörde allein zuständig, über eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu entscheiden (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) und damit auch über den Umstand, dass der Antragsteller Vater eines deutschen Kindes ist. Auch insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen werden.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war nach alledem abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Schließlich war – nach den vorstehenden Ausführungen – auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 und § 121 Abs. 2 ZPO). Dies gilt sowohl für das vorliegende Antragsverfahren als auch für das Klageverfahren W 8 K 22.30068.


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