Verwaltungsrecht

Somalia, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen drohender Zwangsehe

Aktenzeichen  W 4 K 18.31894

Datum:
23.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30947
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1
AsylG § 3a Abs. 1
AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 6
AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4 Hs. 3
AsylG § 3c Nr. 3
AsylG § 3d
AsylG § 3e
GG Art. 16a

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. August 2018 (Az. …*) werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
1. Die Klägerin hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 28. August 2018 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S.d. § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 -, BVerwGE 1989, 162 f.; BVerwG, U.v. 15.3.1988 – 9 C 278/86 -, BVerwGE 1979, 143 f.). Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 3a AsylG vorliegt, ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie – QRL – in der Neufassung vom 13. Dezember 2011, RL 2011/95/EU) ergänzend anzuwenden. Danach ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (BVerwG, U.v. 24.11.2009 – 10 C 24.08 – juris Rn. 14).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asyl- bzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 – InfAuslR 1991, 94/95; BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 113).
1.2. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil ihr in Somalia seitens nichtstaatlicher Akteure im Sinne der § 3c Nr. 3 AsylG eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 i.V. § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6, § 3b Abs. 1 Nr. 4 Hs. 3 AsylG droht und die in § 3c Nummern 1 und 2 AsylG genannten Akteure erwiesenermaßen nicht in der Lage sind, ihr im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor dieser Verfolgung zu bieten. Eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne von § 3e AsylG steht der Klägerin ebenfalls nicht zur Verfügung.
Der erkennende Einzelrichter ist davon überzeugt, dass die Klägerin Somalia verlassen hat, um einer ihr unmittelbar drohenden Zwangsheirat zu entgehen. Ausweislich ihrer detaillierten und glaubhaften Schilderungen in der mündlichen Verhandlung hatte ihr Bruder sie unter Ausübung körperlicher Gewalt dazu zwingen wollen, einen von ihm ausgesuchten Ehemann zu heiraten, damit sie nicht mehr zu ihrem eigentlichen Ehemann, welcher aus einem Minderheitenclan stammte und den die Klägerin heimlich geheiratet hatte, zurückkehren würde (Protokoll, Seite 3 ff.). Entgegen der Auffassung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei den geschilderten Vorfällen auch nicht lediglich um das Einholen eines grundsätzlichen Einverständnisses für eine in unbestimmter Zukunft stattfindende Heirat handelte. Zwar konnte die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung den Namen ihres vorgesehenen Ehemanns nicht nennen, jedoch erscheint es dem Gericht durchaus plausibel, dass einer Frau bei einer Zwangsheirat der zukünftige Ehemann nicht zwingend vor der Eheschließung vorgestellt wird. Das übrige Vorbringen der Klägerin lässt demgegenüber den Schluss zu, dass der Klägerin eine zwangsweise Verheiratung mit einem von ihrem Bruder bereits ausgesuchten Ehemann unmittelbar bevorstand. Nach Angaben der Klägerin hatte der Mann ihrem Bruder bereits Geld für die Eheschließung bezahlt sowie eine Wohnung für sie als Ehepaar vorbereitet. Eine Zwangsehe stand der Klägerin damit aus Sicht des Gerichts unausweichlich bevor.
Die Klägerin machte in der mündlichen Verhandlung am 23. Februar 2021 einen sehr ehrlichen, ernsthaften und authentischen Eindruck. Ihre Antworten auf die Fragen des Gerichts waren stets spontan und ohne Zögern. Die Klägerin hat das Verfolgungsgeschehen in eigenen Worten anschaulich, nachvollziehbar und detailreich geschildert. An keiner Stelle drängte sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Klägerin inhaltlich übertreiben würde oder auswendig Gelerntes wiedergeben würde. Vielmehr ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin wahrheitsgemäß von tatsächlichen eigenen Erlebnissen berichtet hat. Hierfür spricht auch, dass die Klägerin ihr Verfolgungsschicksal bereits bei der Anhörung vor dem Bundesamt am 9. August 2018 in detaillierter Weise geschildert hatte und sich ihr dortiges Vorbringen inhaltlich mit ihren Darstellungen in der mündlichen Verhandlung – auch hinsichtlich etwaiger Detailangaben – deckt. Die Klägerin erscheint dem Gericht daher persönlich glaubwürdig. Letztlich ist der Vortrag der Klägerin auch deshalb glaubhaft, da sich das geschilderte Geschehen mit der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittellage für Somalia deckt. So ist die Ehe in Somalia extrem wichtig und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Zwangsehen sind weit verbreitet. Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele von ihnen waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, Gesamtaktualisierung vom 17.9.2019, Seite 92 f.).
Bei einer Zwangsheirat handelt es sich um eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 6 AsylG. Nach § 3a Abs. 2 Nr. 6 AsylG gelten als Verfolgung auch Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen. Infolge einer zwangsweisen Verheiratung wird für eine Frau die individuelle und selbstbestimmte Lebensführung sowie ihre sexuelle Selbstbestimmung aufgehoben und ihre sexuelle Identität als Frau grundlegend in Frage gestellt. Die Frau wird als reines Objekt der Familienplanung und der sexuellen Befriedigung behandelt. Damit handelt es sich bei den mit einer aufgenötigten Eheschließung einhergehenden Rechtsverletzungen, die insbesondere auch die Anwendung physischer und psychischer Gewalt miteinschließen, auch um eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG (vgl. VG Würzburg, U.v. 14.3.2020 – W 3 K 19.31997 – n.V.; VG Ansbach, U.v. 16.3.2017 – AN 1 K 16.32047 – juris Rn. 76). Zwangsverheiratungen verstoßen gegen die Freiheit der Eheschließung, die in internationalen Konventionen (Art. 12 EMRK, Art. 9 GR-Charta, Art. 16 Abs. 2 UN-Menschenrechtserklärung) garantiert ist (vgl. BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 15.30241 – juris – Rn. 21 zu § 4 AsylG; VG Würzburg, U.v. 14.3.2020 – W 3 K 19.31997 – n.V.).
Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 Hs. 3 AsylG kann eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen, wenn diese allein an das Geschlecht anknüpft. Der Verfolgungsgrund im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG liegt vorliegend in der Zugehörigkeit der Klägerin zu der sozialen Gruppe der Frauen (vgl. VG Ansbach, U.v. 22.8.2019 – AN 9 K 16.31675 – juris Rn. 14; VG Würzburg, U.v. 14.3.2019 – W 9 K 17.31742 – juris Rn. 31; U.v. 4.5.2018 – W 4 K 17.32008 – n.V.).
Die geschlechtsspezifische Verfolgung der Klägerin geht von nichtstaatlichen Akteuren im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG aus. Die Klägerin wurde vor ihrer Ausreise von ihrem Bruder mittels körperlicher Gewalt dazu gedrängt, einen von ihm ausgewählten Ehemann zu heiraten. Effektiver Schutz vor der drohenden Zwangsverheiratung durch nichtstaatliche Akteure steht der Klägerin in Somalia weder durch den Staat noch durch sonstige Stellen im Sinne der § 3d Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG zur Verfügung. Zwangsehen sind in Somalia verbreitet. Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen. Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, Gesamtaktualisierung vom 17.9.2019, Seite 93). Zwar verbietet die somalische Verfassung die Diskriminierung von Frauen, tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen werden in der somalischen Gesellschaft systematisch den Männern untergeordnet und genießen nicht die gleichen Rechte. Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, Gesamtaktualisierung vom 17.9.2019, Seite 88 ff.).
Für die Klägerin besteht in Somalia auch keine Möglichkeit eines internen Schutzes nach § 3e AsylG. Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3e AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Vorliegend wäre die Klägerin bei einer Rückkehr nach Somalia dort auf sich allein gestellt. Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Klägerin aufgrund ihrer Weigerung, den von ihrem Bruder bestimmten Ehemann zu heiraten, den Rückhalt ihrer Familie verloren hat und somit bei einer Rückkehr nicht mehr auf familiäre Unterstützung zurückgreifen könnte (vgl. insoweit auch BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, Gesamtaktualisierung vom 17.9.2019, Seite 93). Auch könnte sie kein Unterkommen bei ihrem Schwiegervater finden, ohne von ihrer Familie und insbesondere von ihrem Bruder gefunden zu werden, da ihr Schwiegervater und ihre Familie nach den glaubhaften Angaben der Klägerin im selben Stadtteil von Q* … leben. So geht das Gericht mit der Klägerbevollmächtigten davon aus, dass der Schwiegervater der Klägerin zwar bei deren Flucht aus Somalia behilflich sein konnte, jedoch bei einem dauerhaften Verbleib der Klägerin in Somalia keine Unterstützung wird leisten können. Die Klägerin wäre somit bei einer Rückkehr nach Somalia auf sich alleine gestellt. Bei den zweifellos nicht einfachen Verhältnissen in Somalia ist es aus Sicht des Gerichts für eine alleinstehende Frau ohne familiäre Unterstützung aber kaum möglich, sich ein Existenzminimum zu sichern. Gerade die Situation der Rückkehrer wird oftmals als prekär beschrieben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, 2.4.2020, S. 21 f.). Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, Gesamtaktualisierung vom 17.9.2019, Seite 131). Hinzukommt, dass der Klägerin in Deutschland die Gebärmutter entfernt worden ist, sodass diese keine Kinder mehr bekommen kann, was zu einer zusätzlichen Stigmatisierung in Somalia führen dürfte. Insgesamt ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin, welche keinen Beruf erlernt hat und in Somalia in der Vergangenheit auch keiner Berufstätigkeit nachgegangen ist, bei einer Rückkehr nach Somalia nicht in der Lage sein wird, ihr Existenzminimum zu sichern. Es kann von der Klägerin daher nicht vernünftigerweise erwartet werden, sich in einem anderen Landesteil Somalias niederzulassen. Eine interne Schutzmöglichkeit im Sinne des § 3e AsylG ist damit nicht gegeben.
2. Da der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, waren folglich auch die Ziffern 3 bis 6 des streitgegenständlichen Bescheids aufzuheben. Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots liegen deren Voraussetzungen nicht vor (vgl. § 34 AsylG, § 11 Abs. 1 und § 75 Nr. 12 AufenthG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG). Bezüglich der Hilfsanträge auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes und auf Feststellung eines nationalen Abschiebeverbotes bedurfte es aufgrund des erfolgreichen Hauptantrags keiner eigenen Entscheidung (vgl. § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG); die Ziffern 3 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids waren aus Klarstellungsgründen gleichwohl aufzuheben.
3. Hinsichtlich des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG ist die Klage jedoch unbegründet. Einem dahingehenden Anspruch der Klägerin steht entgegen, dass sie auf dem Landweg nach Deutschland eingereist ist und damit der verfassungsrechtlich angeordnete Ausschlusstatbestand nach Art. 16a Abs. 2 GG zu ihren Lasten eingreift.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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