Verwaltungsrecht

Störerauswahl bei Nutzungsuntersagung für ein durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts betriebenes Wettbüro

Aktenzeichen  AN 9 K 18.01014

Datum:
5.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21479
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 2

 

Leitsatz

Da eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, sofern sie am Rechtsverkehr teilnimmt, Trägerin eigener Rechte und Pflichten sein kann, kann sie ordnungsrechtlich als Störerin in Anspruch genommen werden, sodass regelmäßig eine Störerauswahl zwischen der Inanspruchnahme der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und der Inanspruchnahme ihrer Gesellschafter bzw. Geschäftsführer als Einzelpersonen zu erfolgen hat. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerinnen vom 11. Mai 2018 gegen die in den Bescheiden der Antragsgegnerin vom 24. April 2018 jeweils angeordnete Nutzungsuntersagung wird wiederhergestellt und hinsichtlich der jeweiligen Zwangsgeldandrohung angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Ordnungsverfügungen, mit denen die Nutzung von Räumen als Wettbüro untersagt wird.
Die Antragstellerinnen sind geschäftsführungsberechtigte Gesellschafterinnen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (…, …; im Folgenden GbR), die nach den Feststellungen der Antragsgegnerin im Anwesen…Str. … (FlNr. …, Gemarkung …) seit Februar 2018 das streitgegenständlichen Vorhaben betreibt. Das streitgegenständliche Anwesen liegt im Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans Nr. …, der zur Art der Nutzung keine Festsetzung enthält.
Nachdem Mitarbeiter der Antragsgegnerin im Juli 2014 feststellt hatten, dass im streitgegenständlichen Anwesen ein Wettbüro mit einer gewerblichen Nutzfläche von ca. 94 m² betrieben werde und ausweislich der Gewerbeanmeldung die Antragstellerin zu 1. dort seit dem 30. Juli 2014 Sportwetten vermittle, wurde zunächst die Antragstellerin zu 1. zur Beendigung der Nutzung aufgefordert. Im Januar 2015 beantragte die Antragstellerin zu 1. daraufhin bei der Beklagten eine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung von Laden zu Wettbüro. Mit planungsrechtlichen Stellungnahmen vom 28. Mai 2015 und 29. November 2016 verweigerte das Stadtplanungsamt der Beklagten das gemeindliche Einvernehmen. Bei dem Vorhaben handele es sich um eine Vergnügungsstätte, die in dem hier vorliegenden faktischen Mischgebiet nicht zulässig sei. Ausweislich einer Erweiterten Auskunft aus dem Gewerberegister vom 19. Februar 2018 wird der Betrieb „Abgabe von Imbissen und Alkoholfreien Getränken, Sportwettenvermittlung (nur in Verbindung mit der Erlaubnis nach dem Glücksspielstaatsvertrag)“ seit 2. Oktober 2017 von der GbR betrieben.
Mit Bescheiden vom 24. April 2018 – adressiert an den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen – versagte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin zu 1. die Erteilung der beantragten Baugenehmigung (Ziffer 1) und untersagte der Antragstellerin zu 1. – ebenso wie der anderen Mitgesellschafterin der GbR, der Antragstellerin zu 2., durch eine gleichlautende Verfügung – die Nutzung der Räume im Erdgeschoss des Anwesens …Str. … als Wettbüro und bestimmte, dass die Nutzung innerhalb einer Frist von einem Monat ab Zustellung des Bescheids einzustellen sei. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Ziffer 2 des Bescheids an die Antragstellerin zu 1. bzw. Ziffer 1 des Bescheids an die Antragstellerin zu 2.). Für den Fall der Nichteinhaltung der gesetzten Frist wurde ein Zwangsgeld von 10.000,00 EUR angedroht, wobei auf jede Gesellschafterin ein Anteil von 5.000,00 EUR entfallen soll (Ziffer 3 des Bescheids an die Antragstellerin zu 1. bzw. Ziffer 2 des Bescheids an die Antragstellerin zu 2.). Die Verfahrenskosten wurden beiden Antragstellerinnen als Gesellschafterinnen der GbR gesamtschuldnerisch auferlegt. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass die Genehmigung der Nutzungsänderung von Laden zu Wettbüro versagt werden müsse, da dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Anforderungen entgegenstünden. Bei dem geplanten Vorhaben handele es sich um ein Wettbüro und damit um eine Vergnügungsstätte. Eine solche sei in dem hier vorliegenden nicht gewerblich geprägten Teil des Mischgebiets jedoch weder allgemein zulässig, noch könne eine solche ausnahmsweise zugelassen werden, da die vorhandenen Wohnnutzungen dadurch unzumutbaren Störungen und Belästigungen ausgesetzt würden. Die Anordnung der Nutzungsuntersagung sei daher in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens geboten, weil anders kein den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entsprechender rechtmäßiger Zustand geschaffen werden könne und somit ein öffentliches Interesse an der Nutzungsuntersagung bestehe. Da eine Baugenehmigung weder vorliege, noch erteilt werden könne, sei insofern auch die durch die Antragstellerin zu 1. im Juli 2014 aufgenommene und zwischenzeitlich von der GbR weitergeführte Nutzung formell und materiell illegal. Die Antragstellerinnen seien Gesellschafterinnen der GbR und damit Betreiberinnen des Wettbüros und insofern Handlungsstörerinnen und daher für die Beendigung der unzulässigen Nutzung verantwortlich. Die Antragstellerin zu 1. sei darüber hinaus auch als Mieterin der Räumlichkeiten und Bauherrin des Bauantragsverfahrens für eine ordnungsgemäße Nutzung verantwortlich. Auch die Anordnung des Sofortvollzugs liege im besonderen öffentlichen Interesse, da eine Verfestigung baurechtswidriger Zustände zu befürchten sei.
Gegen diese Bescheide haben die Antragstellerinnen mit Schriftsätzen ihres Bevollmächtigten vom 11. Mai 2018 Klage erhoben (AN 9 K 18.00892) bzw. vom 29. Mai 2018 – eingegangen bei Gericht am 30. Mai 2018 – vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Die Antragstellerinnen führen im Wesentlichen aus, ihr Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sei begründet. Das Vorhaben sei genehmigungsfähig. Überdies bestehe auch kein vorrangiges öffentliches Interesse für den Sofortvollzug. Hier liege die Besonderheit vor, dass die streitgegenständliche Nutzung – unabhängig davon, dass diese zunächst von einem anderen Betreiber erfolgt sei – schon seit mehreren Jahren stattfinde und von der Antragsgegnerin, obwohl ihr dies bekannt gewesen sei, nicht beanstandet worden sei. Es sei insofern nicht nachvollziehbar, dass eine bereits seit knapp 10 Jahren unbeanstandet bestehende Nutzung nun unter Anordnung des Sofortvollzugs untersagt werde. Auch habe die Antragstellerin zu 1. bereits vor über 3 Jahren einen Bauantrag eingereicht, über den die Antragsgegnerin zunächst jahrelang nicht entschieden habe. Auch vor diesem Hintergrund hätte es einer Begründung bedurft, warum die Durchsetzung der Baugenehmigungspflicht auf einmal dringlich sei. Es liege hier kein Normalfall vor, bei dem ein bloßer Verweis darauf, dass die beantragte Nutzung nicht legal sei und die Verfestigung baurechtswidriger Zustände drohen würde, ausreichend sei. Selbst wenn man die Erfolgsaussichten der Klage als offen einstufen würde, fiele eine Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerinnen aus. Diesen drohe ein nicht wieder gutzumachender Schaden aufgrund Umsatzeinbußen sowie Verlust des Mietvertrages und des Kundenstamms. Die Verweisung auf etwaige Sekundäransprüche berge grundsätzlich das Risiko des Nichtgelingens des Nachweises des Verschuldens der Antragsgegnerin. Letztlich bedeute die Nutzungsuntersagung praktisch die Vernichtung der Existenz des Betriebes. Im Hinblick auf die dargelegten Besonderheiten des Einzelfalls (jahrelange Duldung und jahrelanges „Liegenlassen“ des Bauantrages) sei jedenfalls die sofortige Vollziehung der angegriffenen Untersagung unangemessen und im Übrigen auch nicht hinreichend begründet.
Die Antragstellerinnen lassen sinngemäß beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage AN 9 K 18.00892 gegen die Nutzungsuntersagungen vom 24. April 2018 wiederherzustellen bzw. hinsichtlich der Zwangsgeldandrohungen anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 18. Juni 2018,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei unbegründet. Die streitgegenständliche Nutzungsuntersagung wie auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung seien rechtmäßig. Die Begründung entspricht im Wesentlichen den Gründen des streitgegenständlichen Bescheids. Weiter wurde mitgeteilt, dass bis zur Entscheidung des Gerichts von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässigen Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 11. Mai 2018 gegen die von der Antragsgegnerin in Ziffer 1 (hinsichtlich der Antragstellerin zu 2.) bzw. Ziffer 2 (hinsichtlich der Antragstellerin zu 1.) der streitgegenständlichen Bescheide ausgesprochenen Nutzungsuntersagungen und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der angedrohten Zwangsgelder haben Erfolg.
Ungeachtet der zwischen den Beteiligten strittigen Frage, ob wegen der über Jahre hinweg (ggf. unbeanstandet) ausgeübten Nutzung hier überhaupt die Dringlichkeit für eine sofortige Vollziehung des angefochtenen Bescheids vorliegen kann (vgl. dazu BayVGH, B.v. 23.8.2012 – 15 CS 12.130 – juris Rn. 15), bestehen nach der im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung im Hinblick auf die getroffene Störerauswahl. Im angefochtenen Bescheid finden sich keine Ausführungen dazu, warum die Antragsgegnerin nicht (auch) die GbR als Adressatin der Nutzungsuntersagung in Betracht gezogen hat. Ein überwiegendes (öffentliches) Interesse der Antragsgegnerin am sofortigen Vollzug der Nutzungsuntersagung ist insofern nicht erkennbar.
Bauaufsichtsrechtliche Anordnungen haben gegenüber derjenigen Person zu ergehen, die die sicherheitsrechtliche Verantwortung für den baurechtswidrigen Zustand trägt. Liegt eine Störermehrheit vor, hat die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Inanspruchnahme eines Störers zu entscheiden. Gesetzliche Richtschnur für die fehlerfreie Ausübung des Auswahlermessens unter mehreren Störern sind die Umstände des Einzelfalles, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und auch das Gebot der schnellen und effektiven Gefahrbeseitigung. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Handlungsstörer durch seine Tätigkeit mehr zur Störung der Rechtsordnung beiträgt als etwa der Grundstückseigentümer als Zustandsstörer, wird es dabei regelmäßig sachgerecht sein, den Handlungsstörer vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen, wenn nicht die Wirksamkeit der Maßnahme eine andere Reihenfolge gebietet (BayVGH, B.v. 28.5.2001 – 1 ZB 01.664).
Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben begegnet die Heranziehung der Antragstelleinnen erheblichen Bedenken. Vorliegend hat die Antragsgegnerin die Antragstellerinnen gerade in deren Funktion als Gesellschafterinnen der GbR als Störer herangezogen. Hieraus folgt zugleich die Vorstellung der Antragsgegnerin, dass die als Störung qualifizierten Handlungen der GbR solche der Antragsstellerinnen seien. Nicht thematisiert wird hingegen, dass die GbR aufgrund dieser Handlungen selbst als Störerin in Betracht kommt und mithin eine Störerauswahl erforderlich gewesen wäre. Seit 2001 ist nämlich anerkannt, dass eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, sofern sie am Rechtsverkehr teilnimmt, Trägerin eigener Rechte und Pflichten sein kann (vgl. BGH, U.v. 29.1.2001 – II ZR 331/00 – juris). Mit Blick auf das Verwaltungsverfahren folgt hieraus, dass eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ordnungsrechtlich als Störerin in Anspruch genommen werden kann. Materiellrechtlich ist daher regelmäßig zwischen der Inanspruchnahme der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und der Inanspruchnahme ihrer Gesellschafter bzw. Geschäftsführer als Einzelpersonen zu unterscheiden (vgl. SächsOVG, U.v. 20.1.2016 – 5 A 126/14 – juris Rn. 30; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 37 Rn. 16). Daher hätte die GbR hier als Betreiberin des untersagten Wettbüros von der Antragsgegnerin als mögliche Adressatin der Nutzungsuntersagung (sofern überhaupt die Antragstellerinnen als Störer in Betracht kommen können, dazu sogleich) zumindest in die Störerauswahl einbezogen werden müssen. (vgl. NdsOVG, U.v. 28.2.2018 – 9 LC 217/16 – juris Rn. 40). Es ist auch nicht erkennbar oder vorgetragen, dass hier eine Inanspruchnahme der GbR insbesondere aus rechtlichen Gründen von vornherein nicht möglich wäre oder dass durch die Inanspruchnahme der Antragstellerinnen hier eine raschere Einstellung des Wettbürobetriebs zu erreichen gewesen wäre, so dass hinsichtlich des Auswahlermessens eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen werden könnte.
Ungeachtet dessen dürfte darüber hinaus jedenfalls hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. auch fraglich sein, ob diese allein aufgrund ihrer Funktion als Gesellschafterin ohne einen darüberhinausgehenden eigenständigen Störerbeitrag geleistet zu haben, überhaupt neben der GbR als Störerin in Betracht kommen kann. Letztlich kommt es hierauf aber nicht an, da sich die getroffene Auswahl bereits mit Blick darauf, dass die Antragsgegnerin hier keinerlei Überlegungen zur Inanspruchnahme der GbR als Inhaltsadressatin angestellt hat, als ermessensfehlerhaft erweisen dürfte. Vor diesem Hintergrund besteht vorliegend kein überwiegendes öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug der angefochtenen Bescheide, so dass dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wie tenoriert stattzugeben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Da die Höhe des hinsichtlich der Nutzungsuntersagung angedrohten Zwangsgeldes vorliegend 10.000,00 EUR beträgt und für die Grundverfügung selbst ein Streitwert von bis zu höchstens 10.000,00 EUR angemessen erscheint, ist hier in Anlehnung an Nr. 1.7.2 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit der höhere Wert festzusetzen, der für das Eilverfahren halbiert wurde (vgl. Nr. 1.5 Streitwertkatalog).


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