Aktenzeichen 8 ZB 16.60
ZPO ZPO § 85 Abs. 1 S. 1, § 87 Abs. 1
BGB BGB § 119 ff.
Leitsatz
1. Nach § 173 S. 1 VwGO iVm § 85 Abs. 1 S. 1 ZPO sind die vom Bevollmächtigten für den Verfahrensbeteiligten vorgenommenen Prozesshandlungen für diesen verpflichtend. Ein Erlöschen der Vollmacht erlangt im Anwaltsprozess nach § 173 S. 1 VwGO iVm § 87 Abs. 1 ZPO erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts rechtliche Wirksamkeit. (redaktioneller Leitsatz)
2. Klage- oder Rechtsmittelrücknahme oder sonstige Handlungen, die unmittelbar die Einleitung, Führung oder Beendigung eines Prozesses betreffen, unterliegen nicht der Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
8 ZB 15.2491 2015-12-10 Bes VGHMUENCHEN VG Regensburg
Tenor
I.
Der Antrag auf Fortführung des Verfahrens wird abgelehnt. Das Verfahren ist beendet.
II.
Die Kosten des Verfahrens über die Fortführung trägt die Klägerin. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Fortsetzung eines durch Antragsrücknahme beendeten Berufungszulassungsverfahrens.
Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2015, beim Gericht eingegangen am gleichen Tag, haben die vormaligen Bevollmächtigten der Klägerin den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. September 2015 zurückgenommen. Daraufhin hat das Gericht das Verfahren mit Beschluss vom 10. Dezember 2015 eingestellt.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2015, beim Gericht eingegangen am 14. Dezember 2015, hat das Verwaltungsgericht dem Verwaltungsgerichtshof ein Schreiben der Klägerin vom 9. Dezember 2015 vorgelegt, wonach das Mandatsverhältnis zum vormaligen Bevollmächtigten am 9. Dezember 2015 gekündigt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2015, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, hat die nunmehrige Bevollmächtigte der Klägerin unter Vorlage einer Vollmacht vom gleichen Tag ihre Mandatierung angezeigt.
Die nunmehrige Bevollmächtigte der Klägerin trägt vor, dass der Schriftsatz des damaligen Bevollmächtigten der Klägerin vom 9. Dezember 2015 gegen den ausdrücklichen Willen der Klägerin und ohne deren Wissen abgegeben worden sei. Es liege ein offensichtlicher Missbrauch der eingeräumten Vollmacht vor.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Verfahren über den Antrag auf Zulassung der Berufung fortzuführen.
Der Beklagte und der Beigeladene beantragen,
den Antrag auf Fortführung des Verfahrens zurückzuweisen.
Ein etwaiger Missbrauch der eingeräumten Vollmacht betreffe nur das Innenverhältnis zwischen Klägerin und deren Bevollmächtigten.
II.
Der Antrag der Klägerin, das Verfahren über den Antrag auf Zulassung der Berufung fortzuführen, ist unbegründet. Das Verfahren wurde im Wege der Antragsrücknahme wirksam, unanfechtbar und unwiderruflich beendet.
1. Die Verfahrensbeendigung ist durch Schriftsatz des vormaligen Bevollmächtigten der Klägerin vom 9. Dezember 2015, mit dem die Rücknahme des Antrags auf Zulassung der Berufung ausdrücklich erklärt worden ist, wirksam erfolgt. Das Verfahren wurde demgemäß entprechend § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt. Nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind die vom Bevollmächtigten für den Verfahrensbeteiligten vorgenommenen Prozesshandlungen für diesen verpflichtend. Ein Erlöschen der Vollmacht erlangt im Anwaltsprozess (vgl. § 67 Abs. 4 VwGO) nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 87 Abs. 1 ZPO erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts rechtliche Wirksamkeit. Eine solche Anzeige ist vorliegend erst am 17. Dezember 2015 erfolgt.
2. Die Rücknahmerklärung ist unanfechtbar. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Klage- oder Rechtsmittelrücknahme oder sonstige Handlungen, die unmittelbar die Einleitung, Führung oder Beendigung des Prozesses betreffen, nicht der Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB unterliegen. Weder die Verwaltungsgerichtsordnung noch die nach § 173 VwGO sinngemäß anwendbare Zivilprozessordnung enthält den bürgerlich-rechtlichen Anfechtungsregelungen entsprechende Vorschriften. Auch eine analoge Anwendung der für privatrechtliche Willenserklärungen geltenden Anfechtungsregeln verbietet sich, weil die Interessenlage im Prozessrechtsverhältnis anders zu bewerten ist als in Rechtsbeziehungen im rein privaten Rechtskreis (BVerwG, B. v. 7.8.1998 – 4 B 75/98 – NVwZ-RR 1999, 407/408 m. w. N.; BayVGH, B. v. 4.8.2010 – 10 ZB 09.2745 – juris Rn. 5 m. w. N.).
3. Widerrufsgründe liegen nicht vor. Insoweit ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt, dass Prozesshandlungen unter bestimmten Umständen widerrufen werden können. Ein Widerruf kommt insbesondere in Betracht, wenn ein Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO vorliegt. Denn lässt der Gesetzgeber es nach Maßgabe der §§ 578 ff. ZPO, die nach § 153 VwGO auch im Verwaltungsprozess anwendbar sind, ausdrücklich zu, sich selbst von der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil zu lösen, so entspricht es seinem Regelungswillen, die von ihm gezogenen Konsequenzen unter den in § 580 ZPO genannten – engen – Tatbestandsvoraussetzungen (wie etwa dem Vorliegen einer Urkundenfälschung oder einer sonstigen Straftat, vgl. § 580 Nr. 2 und Nr. 4 ZPO) auch dann zu ziehen, wenn ein Verfahren anderweitig beendet worden ist. Ein Widerruf kommt ferner dann in Betracht, wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben, der das gesamte Recht unter Einschluss der Verwaltungsgerichtsordnung beherrscht, unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten (vgl. BVerwG, B. v. 7.8.1998 – 4 B 75/98 – NVwZ-RR 1999, 407/408 m. w. N.; BayVGH, B. v. 4.8.2010 – 10 ZB 09.2745 – juris Rn. 5 m. w. N.). Derartige Widerrufsgründe sind jedoch vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Eine etwaige Überschreitung der dem Prozessbevollmächtigten eingeräumten Vertretungsmacht im Innenverhältnis zum Vollmachtgeber – hier der Klägerin – genügt für einen derartigen Widerruf nicht.
4. Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO (zur Nichterstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten Beigeladener im Zulassungsverfahren vgl. BayVGH, B. v. 11.10.2001 – 8 ZB 01.1789 – BayVBl 2002, 378).
5. Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt entsprechend § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).