Verwaltungsrecht

Streitwert bei gaststättenrechtlichen Anordnungen

Aktenzeichen  22 C 18.90

Datum:
23.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2019, 776
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 52 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1 Die Prüfung, ob sich aus dem Sach- und Streitstand, insbesondere dem Antrag des Rechtsuchenden, genügende Anhaltspunkte ergeben, um die Bedeutung der Sache für ihn ermessen zu können, oder ob – mangels solcher Anhaltspunkte – der Auffangwert anzunehmen ist (§ 52 Abs. 2 GKG), geschieht grundsätzlich zu Beginn des Gerichtsverfahrens (Anschluss an BayVGH BeckRS 2016, 53470). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für den Streitwert kommt es beim Rechtsstreit um eine Gaststättenkonzession, mithin um die Aufnahme oder die Aufgabe eines Gaststättenbetriebs in seiner Gesamtheit, auf den Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns an. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 4 K 16.1011 2017-12-07 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Festsetzung des Streitwerts im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 7. Dezember 2017 wird geändert. Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtsgebührenfreien Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
1. Der Kläger wandte sich gegen einen für sofort vollziehbar erklärten zwangsgeldbewehrten Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2016, mit dem ihm nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG für den Betrieb seiner Gaststätte (1.) das Geschlossenhalten von Türen und Fenstern während des Anzündens und Rauchens von „Shishas“ (Wasserpfeifen) aufgegeben, (2.) das Zubereiten und das Rauchen solcher Pfeifen im Außenbereich der Gaststätte untersagt, (3.) die Verwendung einer nachweislich ordnungsgemäß eingebauten und funktionierenden mechanischen Belüftungsanlage in den Betriebsräumen aufgegeben und (4.) bis zur Erfüllung der unter (3.) genannten Anordnung das Zubereiten und das Rauchen von Shishas untersagt worden waren.
Mit seiner zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 11. Mai 2016 und dem zugleich gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO machte der Kläger u.a. geltend, das rechtswidrige Verbot des Shisha-Rauchens auf der Freifläche bedrohe seine wirtschaftliche Existenz. Denn in den Umbau des auf einen Geschäftsbetrieb als „Shisha-Lounge“ ausgerichten Lokals habe er mehr als 250.000 € investiert.
Mit Beschluss vom 30. Juni 2016 gab das Verwaltungsgericht dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz statt; die Erfolgsaussichten der Klage seien offen, die Abwägung zwischen Aussetzungs- und Vollzugsinteresse falle zugunsten des Antragstellers aus. Den Streitwert im Eilverfahren setzte das Gericht auf 2.500 € fest.
Anlässlich eines Augenscheins und der anschließenden mündlichen Verhandlung am 18. Juli 2017 erklärte der Kläger, er wolle in den Räumen des Lokals zum 1. September 2017 eine Pizzeria eröffnen und den Betrieb der Shisha-Bar vollständig einstellen; dies sei schon alles vorbereitet. Die Beklagte äußerte daraufhin, wenn dies so sei, habe sich der angefochtene Bescheid erledigt. Nach Vertagung des Rechtsstreits und nach Einigungsbemühungen der Beteiligten erklärten diese übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Sie äußerten dabei aber weit auseinander gehende Ansichten zur Höhe des festzusetzenden Streitwerts (Kläger: mindestens 50.000 €; Beklagte: allenfalls doppelter „Auffangwert“).
Mit Beschluss vom 7. Dezember 2017 stellte das Verwaltungsgericht (Einzelrichterin) das Verfahren ein, hob die Kosten gegeneinander auf und setzte den Streitwert gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000 € fest.
2. Gegen diese Streitwertfestsetzung legte der Kläger Beschwerde ein. Anstelle des Auffangwerts gemäß § 52 Abs. 2 GKG sei der Streitwert gemäß § 52 Abs. 1 GKG festzusetzen; angeregt werde eine Festsetzung auf 50.000 €. Bei der nach § 52 Abs. 1 GKG gebotenen Beurteilung sei zu beachten, dass der Kläger mehr als 100.000 € allein dafür investiert habe, dass er die Shisha-Bar eröffnen könne; dies sei etwa die Hälfte der Gesamtinvestition von über 200.000 €. Der gegenstandslos gewordene Bescheid wäre einer vollständigen Betriebsuntersagung gleichgekommen, weil mit ihm das Rauchen von Shishas sowohl auf der Freifläche aus auch in den Innenräumen der Gaststätte untersagt worden sei. Damit wären die gesamten Investitionen in das Lokal, mindestens aber der auf die Spezialisierung als Shisha-Lokal entfallende Anteil, wertlos gewesen.
Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Beklagte hält den vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwert für zutreffend. Der Kläger habe im Klageverfahren selbst argumentiert, dass er das Rauchen von Shishas nur als Zusatzleistung anbiete; der angefochtene Bescheid sei daher einer Betriebsuntersagung nicht gleich gekommen. Nach Nr. 54 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (nachfolgend: Streitwertkatalog) sei nicht auf getätigte Investitionen, sondern auf den Jahresgewinn abzustellen. Dass der Kläger nur mit dem Angebot, in seinem Lokal Shisha rauchen zu können, mehr als 5.000 € hätte erwirtschaften können, sei nicht ersichtlich.
II.
Die Beschwerde, über die gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG der Einzelrichter zu befinden hat, ist zum geringen Teil begründet. Das Verwaltungsgericht ist im Ausgangspunkt zu Recht davon ausgegangen, dass vorliegend der Antrag des Klägers sowie der Sach- und Streitstand (bezüglich aller angegriffenen Verfügungen) keine genügenden Anhaltspunkte bieten, um die Bedeutung der Sache für den Kläger mit einem bestimmten Geldbetrag bewerten zu können (§ 52 Abs. 1 GKG), so dass der sogenannte Auffangwert zum Zuge kommt (§ 52 Abs. 2 GKG). Das Gericht hat aber hierbei nicht berücksichtigt, dass die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid (a) dem Kläger eine bestimmte Art des Gaststättenbetriebs (Shisha-Betrieb auf der Freifläche) vollständig untersagt und außerdem (b) die Fortführung der Gaststätte als Shisha-Lokal auch in den Innenräumen vom Einbau zusätzlicher Lüftungstechnik abhängig gemacht hat. Angemessen ist es daher, für beide Anordnungen jeweils den Auffangwert, also insgesamt 10.000 €, festzusetzen.
Eine an den geltend gemachten Investitionen orientierte Streitwertfestsetzung von 50.000 € oder mehr, wie sie der Kläger begehrt, kommt dagegen nicht in Betracht. Die Prüfung, ob sich aus dem Sach- und Streitstand, insbesondere dem Antrag des Rechtsuchenden, genügende Anhaltspunkte ergeben, um die Bedeutung der Sache für ihn ermessen zu können, oder ob – mangels solcher Anhaltspunkte – der Auffangwert anzunehmen ist (§ 52 Abs. 2 GKG), geschieht grundsätzlich zu Beginn des Gerichtsverfahrens (näher hierzu: BayVGH, B.v. 14.10.2016 – 22 C 16.1849 – juris Rn. 7). Vorliegend ist daher in erster Linie die Klage- und Antragsbegründung vom 10. Juni 2016 auf solche Anhaltspunkte zu untersuchen. Sie erlaubt indes keine eindeutige Beurteilung. Der Vortrag des Klägers insgesamt ist in Bezug auf die „Bedeutung der Sache“ für ihn und deren in Euro zu beziffernden Wert auch nicht ganz stringent. Einerseits argumentierte der Kläger mit der existenzbedrohenden Wirkung des angefochtenen Bescheids und mit der „wertlosen“ Investition von über 250.000 € (Schriftsatz vom 10.6.2016, S. 19; demgegenüber jetzt: 200.000 €). Andererseits erklärte er gegenüber dem Verwaltungsgericht, Shishas lediglich als Zusatzleistungen anzubieten und gemäß der am 23. Dezember 2014 eingereichten Betriebsbeschreibung als „Hauptzweck … Speisen und Getränke anzubieten“ (Schriftsatz vom 29.6.2016, S. 3 unten u. S. 4 oben, S. 6); außerdem machte er geltend, die Anordnung, eine mechanische Belüftungsanlage einzubauen, gehe ins Leere, weil eine solche Anlage schon seit der Eröffnung vorhanden sei (Schriftsatz vom 10.6.2016, S. 15). Zu Letzterem hatte die Beklagte auf den Unterschied zwischen der (eingebauten, aber nach ihrer Ansicht nicht ausreichenden) Entlüftungsanlage und der (noch nicht vorhandenen, aber nach ihrer Ansicht nötigen) Belüftungsanlage hingewiesen (Schriftsatz vom 22.6.2016, S. 4). Mit dem Bescheid wurde zudem entgegen dem Klägervortrag nicht der Betrieb eines Shisha-Lokals insgesamt (auf der Freifläche und im Innenbereich) untersagt; die Anordnung kam auch nicht einer vollständigen Untersagung des Betriebs als Shisha-Lokal gleich. Vielmehr blieb in den Innenräumen – den Einbau einer (zusätzlichen) Belüftung vorausgesetzt – das Shisha-Rauchen bei geschlossenen Fenstern und Türen erlaubt (Bescheid vom 11.5.2016, Nrn. 1 bis 3 des Tenors). Dass die Beklagte kurz nach Inbetriebnahme des Shisha-Lokals diese Art des Betriebs vollständig (innen wie außen) habe untersagen wollen, wie der Kläger jetzt geltend macht (Schriftsatz vom 30.1.2018), ist unmaßgeblich; entscheidend ist nur der Bescheid.
Der Vortrag des Klägers ist auch nicht überzeugend, soweit er einerseits geltend machte, ohne den Shisha-Betrieb im Außengastronomiebereich könne das Lokal wirtschaftlich nicht existieren, andererseits aber erklärte, allein für den Shisha-Betrieb innerhalb der Gasträume einen Betrag von ca. 100.000 € und somit 2/5 bis 1/2 seiner gesamten Investitionen ausgegeben zu haben. Derart beträchtliche Investitionen wären nicht nachvollziehbar, wenn allein der Shisha-Betrieb auf der Freifläche, für den es keiner Lüftungseinrichtung bedarf, für die Gaststätte existenziell wichtig – der Shisha-Betrieb in den Innenräumen also relativ unbedeutend – gewesen wäre. Die existentielle Bedeutung allein des Shisha-Betriebs im Außengastronomiebereich ist auch anzuzweifeln vor dem Hintergrund, dass a) dem Kläger mit dem angefochtenen Bescheid der Shisha-Betrieb in den Gasträumen (bei Einbau einer Lüftungsanlage) gerade nicht untersagt worden ist (siehe oben) und b) ein Shisha-Betrieb im Freien während der kalten Jahreszeit nicht oder nur in geringem Umfang oder nur mit hohem Aufwand (Heizstrahler) möglich gewesen wäre.
Hinzu kommt, dass es nach den Empfehlungen im Streitwertkatalog (Nrn. 54.1 und 54.2.1) für den Streitwert beim Rechtsstreit um eine Gaststättenkonzession, mithin um die Aufnahme oder die Aufgabe eines Gaststättenbetriebs in seiner Gesamtheit (also nicht nur in Bezug auf eine besondere Art des Betriebs – hier: zum Shisha-Rauchen), auf den Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns (mindestens 15.000 €) ankommt. Auf die vom Kläger wiederholt ins Feld geführten Investitionen, die ein Gastronom für die Eröffnung seines Lokals aufgebracht hat und die bei einem Scheitern des Vorhabens möglicherweise ganz oder teilweise verloren sind, wird nach den Empfehlungen im Streitwertkatalog dagegen nicht abgestellt. Zwar sind diese Empfehlungen für das Gericht nicht bindend und entbinden es vor allem nicht davon, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen in § 52 GKG den Streitwert selbst festzusetzen. Die Empfehlungen in Nrn. 54.1 und 54.2.1 des Streitwertkatalogs sind aber sachgerecht. Denn der unmittelbare wirtschaftliche Zweck einer Gaststättenerlaubnis liegt nicht darin, getätigte einmalige Investitionen wieder „hereinzubekommen“, sondern darin, aus dem Gaststättenbetrieb – unabhängig von der Höhe der einmaligen Investition – laufend Gewinn (oder wenigstens keinen Verlust) erwirtschaften zu können. Investitionen für bauliche oder technische Maßnahmen wie im vorliegenden Fall steigern unmittelbar den Wert des Hauses oder des Lokals als Gewerbeimmobilie, nicht aber unmittelbar den „Wert“ der behördlichen Erlaubnis für den Betrieb der Gaststätte. Zur Höhe des mit dem Shisha-Betrieb im Außengastronomiebereich erzielbaren jährlichen (Mehr-)Gewinns (der demjenigen Gewinn gegenüberzustellen wäre, den der Kläger erzielen könnte, wenn er in seinem Lokal nur in den Innenräumen das Shisha-Rauchen anböte) bietet der Sachverhalt keine hinreichenden Anhaltspunkte.
Der sachlichen Richtigkeit des Vortrags der Beklagten, wonach der Einbau einer Belüftungsanlage höchstens 5.000 € gekostet hätte (Schriftsatz vom 1.12.2017, S. 2), ist der Kläger nicht entgegen getreten; er hat sich nur gegen die Maßgeblichkeit dieses Arguments gewandt, ohne eigene Zahlen zu nennen. Das Verwaltungsgericht ist im Eilverfahren (Beschluss vom 30.6.2016) immerhin davon ausgegangen, dass es sich hierbei um eine „kostenintensive“ Maßnahme handle. Ermessensgerecht im Sinn von § 52 Abs. 1 und 2 GKG ist es daher, sowohl für den – hinsichtlich der Kosten nicht näher bezifferten – Einbau einer Belüftungsanlage als auch für den gleichfalls nicht näher bezifferten Gewinnrückgang bei Wegfall des Shisha-Rauchangebots auf der Freifläche den Auffangwert (2 x 5.000 €) anzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 68 Abs. 3 GKG (die Beklagte ist nur geringfügig unterlegen; Kosten werden nicht erstattet).
Gegen diesen Beschluss ist nach § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG kein Rechtsmittel eröffnet.


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