Verwaltungsrecht

Tierschutzrechtliche Einzelfallanordnungen zur Rinderhaltung

Aktenzeichen  23 CS 19.754

Datum:
4.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15149
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
TierSchG § 2, § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1, § 146 Abs. 4 S. 1, S. 6
GG Art. 12 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG und der sonstigen tierschutzrechtlichen Vorschriften eingehalten sind, kommt den Amtstierärzten eine vorrangige Beurteilungskompetenz zu. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Feststellung des Leidens von Tieren müssen keine (sichtbaren) Erkrankungen an den Tieren aufgetreten sein; eine entsprechende konkrete Gefahr reicht aus. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Mögliche negative wirtschaftliche Auswirkungen einer an die Weidefläche angepassten Bestandsreduzierung ermächtigen den Tierhalter nicht zu einer Tierhaltung entgegen den Bestimmungen Tierschutzgesetzes. Einschränkungen des Grundrechts der Berufsfreiheit sind insoweit durch höherrangige Gemeinwohlbelange gerechtfertigt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 23 S 19.1118 2019-03-25 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 5.000,- festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 25. März 2019 (M 23 S 19.1118), deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die fristgerecht dargelegten Gründe beschränkt ist, bleibt ohne Erfolg.
1. Die von dem Antragsteller vorgebrachten Einwendungen rechtfertigen nicht die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses, auf dessen Sachverhaltsdarstellung Bezug genommen wird.
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung bzw. hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 8. März 2019 hinsichtlich des Bescheids des Landratsamts E. vom 4. März 2019, mit dem er unter Anordnung des Sofortvollzuges (Nr. 4) verpflichtet wurde, die Weidefläche des Grundstücks, auf dem der Antragsteller Rinder untergebracht hat, so (z.B. durch Rindenmulch- oder Kiesaufschüttung) zu befestigen, dass die Rinder nicht mehr in tiefgründigem Morast einsinken (Nr. 1); außerdem wurde der Antragsteller verpflichtet, den Rinderbesatz auf der Weidefläche dauerhaft auf maximal 20 Rinder zu reduzieren (Nr. 2). Für den Fall, dass der Antragsteller die Verpflichtungen nicht oder nicht innerhalb der festgesetzten Fristen erfüllt, wurde ein Zwangsgeld von jeweils EUR 5.000,- angedroht (Nr. 3).
a) Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist die für die Verpflichtung unter den Nummern 1 und 2 erforderliche formelle Rechtmäßigkeit des angeordneten Sofortvollzugs (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) gegeben, insbesondere ist der Begründungspflicht gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt. Das Landratsamt hat die Notwendigkeit des Schutzes des Tierwohls und die Bewahrung der Tiere vor Leid und Schmerzen zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Es hat außerdem, wenn auch knapp, aber noch ausreichend, die Anordnung des Sofortvollzugs mit den Interessen des Antragstellers abgewogen. Darauf, dass es sich bei der Formulierung auf Seite 5, dritter Absatz von unten um einen offensichtlichen Schreibfehler handelt, hat das Verwaltungsgericht bereits hingewiesen. Im Hinblick darauf, dass sich das besondere Vollzugsinteresse jedenfalls in Fällen einer – vom Antragsgegner nachvollziehbar bejahten – konkreten Gefährdung der Tiere regelmäßig aus der Grundverfügung ergibt (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2016 – 9 CS 16.1257 – juris Rn. 16; B.v. 31.1.2017 – 9 CS 16.2021 – juris Rn. 12) und die Anordnung von Maßnahmen gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG nur zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erfolgen darf, ist hiergegen nichts zu erinnern.
b) Die in den Nummern 1 und 2 verfügten Anordnungen sind – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – rechtlich nicht zu beanstanden. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Tierschutzgesetz (TierSchG). Nach dieser Vorschrift kann die Behörde im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen. Diese Voraussetzungen liegen auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung (Schriftsätze vom 3.4. und vom 22.5.2019) nach dem summarischen Prüfungsmaßstab des Antragsverfahrens vor; die Anordnungen sind auch verhältnismäßig.
aa) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Beschwerde mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu, warum sich die Anordnung unter Nummer 2 auch unabhängig von den Bodenverhältnissen als erforderlich erweisen dürfte, weil der Antragsteller auf der streitgegenständlichen Weidefläche, gemessen an deren Größe, eine viel zu hohe Zahl von Rindern hält, überhaupt nicht auseinandersetzt. Die vom Verwaltungsgericht hierfür gegebene Begründung ist überzeugend, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass das vom Verwaltungsgericht herangezogene Merkblatt (vgl. Beschlussausfertigung Seite 8) als Grundlage einer plausiblen und nachvollziehbaren Einschätzung nicht geeignet wäre. Insofern, als damit nach Auffassung des Verwaltungsgerichts die Voraussetzungen gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG hinsichtlich der Anordnung in Nummer 2 des Bescheids vorliegen, genügt die Beschwerde mangels überhaupt einer Auseinandersetzung hiermit nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO (zur Verhältnismäßigkeit sogleich unter cc.). Die Vorlage der Lichtbilder als Anlage zum Schriftsatz vom 3. April 2019 vermag dagegen nicht zu belegen, dass die Rinder ausreichend Platz hätten. Das kann den Fotos, die naturgemäß nur Teilausschnitte darstellen, nicht entnommen werden, unabhängig davon, dass sich der Antragsteller nicht mit den entsprechenden Ausführungen im Beschluss des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt.
bb) Auch im Übrigen bestehen gegen die unter den Nummern 1 und 2 angeordneten Verpflichtungen des Antragstellers keine rechtlichen Bedenken. Die Anordnungen beruhen auf den Feststellungen des beamteten Tierarztes – die sehr wohl in der Behördenakte enthalten sind -, die vom Verwaltungsgericht für maßgeblich gehalten wurden, was der Rechtsprechung, die den Amtstierärzten bei der Beurteilung der Frage, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG und der sonstigen tierschutzrechtlichen Vorschriften eingehalten sind, schon von Gesetzes wegen eine vorrangige Beurteilungskompetenz einräumt (vgl. statt vieler BayVGH, B.v. 12.11.2013 – 9 CS 13.1946 – juris Rn. 16 m.w.N.), entspricht. Die Einwände in der Beschwerdebegründung zeigen nicht auf, dass und warum den Einschätzungen des hierfür vorrangig zur Beurteilung kompetenten beamteten Tierarztes vom 27. Februar (Bl. 14 einschließlich Rückseite der Behördenakte) und vom 1. März 2019 (Bl. 13 der Behördenakte) nicht zu folgen sein sollte. Ein gegenteiliger, fachlich adäquater Beleg wurde im Antragsverfahren nicht vorgelegt, so dass es an der erforderlichen Glaubhaftmachung fehlt. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich im Wesentlichen darin, zu behaupten, dass die auf die Auskünfte des beamteten Tierarztes gestützten Feststellungen des Landratsamts nicht stimmen würden. Das genügt vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsprechung nicht. Aus den Feststellungen des beamteten Tierarztes geht ausdrücklich u.a. auch ein Leiden der Rinder, verursacht durch die Bodenverhältnisse, hervor (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 10.9.2012 – 9 B 11.1216 – juris Rn. 33), mögen dadurch auch derzeit noch keine (sichtbaren) Erkrankungen an den Rindern aufgetreten sein; eine entsprechende konkrete Gefahr reicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2005 – 25 CS 05.1075 – juris Rn. 11). Die Vorlage der Lichtbilder als Anlage zum Schriftsatz vom 3. April 2019 ist, ebenso wie die schriftsätzlichen Ausführungen, nicht geeignet, dies in Frage zu stellen. Ob ein Leiden der Rinder bzw. eine Haltung der Tiere entgegen den Anforderungen des § 2 TierSchG vorliegt, lässt sich den undatierten Momentaufnahmen der Fotos nicht, jedenfalls aber nicht besser als den gegenteiligen Feststellungen des beamteten Tierarztes, entnehmen. Dazu kommt noch, dass die Fotos zu einem Zeitpunkt aufgenommen wurde, als sonnige, trockene Witterung herrschte, wohingegen aus den Feststellungen des Antragsgegners hervorgeht, dass sich der Untergrund bei schlechter Witterung in eine morastige Fläche verwandelt, was auch ohne weiteres nachvollziehbar ist, und dadurch die nicht regelgerechten Haltungsbedingungen noch intensiviert werden. Soweit in der Beschwerdebegründung der schlechte Zustand des Bodens auf die Witterung in den Wintermonaten zurückgeführt wird, ist das schon kein tauglicher Einwand gegen die in Nummer 1 des Bescheids angeordnete Verpflichtung, da diese Verpflichtung begrifflich dauerhaft gelten soll, d.h. der Antragsteller soll zu jeder Jahreszeit ordnungsgemäße Verhältnisse herstellen. Die Stellungnahme des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren ist auch nicht widersprüchlich, vielmehr geht aus ihr ohne Weiteres hervor, dass die unsachgemäße Beschaffenheit des Bodens durch den zu hohen Besatz der Weide verursacht und, was auch nachvollziehbar ist, durch bestimmte Witterungen noch verschlechtert wird. Auch die Anordnungen in den Nummern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids verhalten sich zueinander nicht widersprüchlich. Die Anordnung unter Nummer 2 verpflichtet den Antragsteller zu einer Reduzierung der Rinder, die, wie aus den insoweit unwidersprochenen Annahmen des Verwaltungsgerichts hervorgeht, jedenfalls schon wegen der für den Rinderbesatz zu geringen Fläche des Weidegrundstücks erforderlich ist. Dass darüber hinaus aber auch bis zur Reduzierung sowie für die reduzierte Rinderanzahl sachgerechte und den Pflichten aus § 2 TierSchG gerecht werdende Verhältnisse auf dem Weidegrundstück zu herrschen haben, ist Regelungsinhalt der Verpflichtung in Nummer 1 des Bescheids und nicht widersprüchlich.
cc) Beide Anordnungen sind auch ermessensgerecht und verhältnismäßig. Soweit in Bezug auf die unter Nummer 2 angeordnete Reduzierung des Rinderbestands eingewandt wird, dass diese als Eingriff in das Recht des Antragstellers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 12 Abs. 1 GG) zur Existenzbedrohung führen würde, da der Antragsteller die Rinder in sehr kurzer Zeit veräußern müsste, steht das der Anordnung nicht entgegen. Soweit ausgeführt wird, dass „beim Antragsteller“ eine Ersatzfläche nicht vorhanden sei, ist bereits nicht, geschweige denn ausreichend, glaubhaft gemacht, dass das zutrifft, noch dargelegt, warum der Antragsteller nicht eine entsprechende Fläche beispielsweise pachten könnte. Selbst wenn das jedoch im Einzelfall nicht möglich sein sollte, ist zu bedenken, dass der Antragsteller ja lediglich die überzähligen Tiere verkaufen müsste, wofür auch der zur Verfügung stehende Zeitraum ausreichend erscheint und nicht glaubhaft gemacht ist, dass sich die kurze Zeit in hohen wirtschaftlichen Einbußen niederschlägt, zumal der Antragsteller nichts Gegenteiliges substantiiert vorträgt; der bloße Verweis darauf, dass hierzu ein Sachverständigengutachten einzuholen sei, ist im Antragsverfahren keine ausreichende Glaubhaftmachung. Im Übrigen ermächtigte auch eine mögliche negative wirtschaftliche Auswirkung den Antragsteller nicht dazu, die Rinder entgegen den Bestimmungen des § 2 TierSchG zu halten. Einschränkungen des Grundrechts der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG sind insoweit durch höherrangige Gemeinwohlbelange gerechtfertigt (BayVGH, B.v. 9.5.2005 – 25 CS 05.813 – juris Rn. 8; B.v. 29.1.2007 – 25 CS 06.2206 – juris Rn. 4).
c) An der Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung bestehen nach dem oben Dargelegten dem Grunde nach keine Bedenken, ein Verstoß gegen spezifisch vollstreckungsrechtliche Regelungen ist weder dargetan noch ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung des Umstands, dass zwei selbständige Anordnungen angegriffen wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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