Verwaltungsrecht

Übernahme des Schmerzensgeldanspruchs des Beamten durch den Dienstherrn bei tätlichem Angriff in einem Verfolgungsfall

Aktenzeichen  3 ZB 21.216

Datum:
3.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41350
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 97 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Ein „tätlicher rechtswidriger Angriff“ iSd Art. 97 Abs. 1 BayBG umfasst die von einem Menschen ausgehende vorsätzliche Verletzung der Rechtsgüter Leben und körperliche Integrität. Der Angriff erfordert eine objektive unmittelbare räumlich-zeitliche Gefährdung (objektives Element) aufgrund einer zielgerichteten Verletzungshandlung. Hieran fehlt es, wenn ein Polizeiwagen anlässlich einer Verfolgungsjagd bei winterlichen Straßenverhältnissen außer Kontrolle geriet und gegen einen Baum prallte, ohne dass dies dem Fahrverhalten des Verfolgten zuzuschreiben war. (Rn. 8 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 19.1095 2020-12-08 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 1.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger, ein Polizeibeamter, verfolgte in der Nacht vom 21./22. Januar 2016 mit seinem Dienst-Pkw den Fahrzeugführer K. über eine Strecke von etwa 62 km. Dieser hatte sich zuvor einer Fahrzeugkontrolle durch Flucht entzogen; er besaß – wie den ihn verfolgenden Polizeibeamten bekannt war – keine Fahrerlaubnis. Während der Verfolgung verlor der Kläger auf einem schneeglatten Weg die Kontrolle über den Dienstwagen und prallte mit der Beifahrerseite gegen einen Baum, wobei die Airbags ausgelöst wurden. Der Kläger erlitt durch den Aufprall insbesondere Platzwunden und Prellungen im Kopfbereich.
Mit Strafurteil des Amtsgerichts Hof vom 23. Januar 2017 wurde K. wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, tateinheitlich mit fünf weiteren Straftatbeständen (u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung), zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sechs Monaten verurteilt. Das Amtsgericht Hof verurteilte den K. mit (Teil-Versäumnis- und End-)Urteil vom 20. Juni 2017 zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.000 Euro an den Kläger und wies die auf ein höheres Schmerzensgeld gerichtete Klage ab; zudem wurde festgestellt, dass die Forderung des Klägers „aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung resultiert“. Der Kläger habe zumindest mit bedingten Vorsatz gehandelt, weil er letztendlich beabsichtigt habe, die Polizisten durch einen „provozierten Unfall von einer weiteren Verfolgung des Beklagtenfahrzeugs abzuhalten“. Die Verletzungen habe er billigend in Kauf genommen.
K. ist ausweislich eines Vermögensverzeichnisses vom 20. September 2017 vermögenslos und bezieht Arbeitslosengeld II. Der Beklagte lehnte den Antrag auf Erfüllungsübernahme vom 7. Dezember 2017 mit Bescheid vom 27. Juni 2018 und dem dazu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2019 ab. Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Verpflichtung des Beklagten, über den Antrag des Klägers vom 7. Dezember 2017 nach Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, abgewiesen. Das Dienstfahrzeug sei ohne unmittelbare körperliche Einwirkung seitens des flüchtenden Pkw-Fahrers ins Rutschen geraten und danach gegen einen Baum am Straßenrand geprallt. Der gegen das Urteil gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung wird im Kern damit begründet, das gesamte Fluchtverhalten des K. habe „zielgerichtet eine objektive, unmittelbare…Gefährdung des Klägers geschaffen, die auf eine physische Schädigung“ ausgerichtet gewesen sei.
II.
Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO gestützte Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend zu dem für die Abweisung der Klage maßgeblichen Schluss gekommen, dass der Kläger nicht die Erfüllung eines im Sinne von Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG durch einen „tätlichen rechtswidrigen Angriff“ entstandenen Anspruchs auf Schmerzensgeld begehrt.
1. Aus seinem Vorbringen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind dann zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Das ist hier nicht der Fall.
1.1 Der Kläger sieht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs „tätlicher Angriff“ durch das Verwaltungsgericht, die weder dem Wortlaut von Art. 97 Absatz 1 BayBG noch der Gesetzesbegründung noch Sinn und Zweck der Vorschrift gerecht werden. Allein aus dem Wortlaut ergebe sich keine Antwort auf die Frage, ob das sich in Verfolgungsfällen ergebende herausforderungstypische Risiko von der Vorschrift erfasst sei. Ein Rückgriff auf straf- oder sozialrechtliche Regelungen (§ 114 StGB, § 1 OEG) sei nicht erforderlich, denn der Gesetzgeber habe zur Definition des Begriffs auf Ziffer 46.4.1 der Verwaltungsvorschriften zum Versorgungsrecht (BayVV-Versorgung) verwiesen. Der Schädiger habe den Kläger durch sein gesamtes Fahrverhalten (weit überhöhte Geschwindigkeit, abruptes Abbremsen) auf winterlichen Straßen einer unmittelbaren, auf eine physische Schädigung gerichteten Gefährdung ausgesetzt. Der von K. jedenfalls billigend in Kauf genommene Schaden habe sich schließlich aufgrund seiner herausfordernden Fahrweise auf dem verschneiten Feldweg realisiert. Sinn und Zweck von Art. 97 Abs. 1 BayBG erforderten eine Anwendung auch in Verfolgungsfällen, um dem hohen Verletzungsrisiko für Polizeibeamte auch Rechnung zu tragen.
1.2 Der unbestimmte Rechtsbegriff des „tätlichen rechtswidrigen Angriffs“ bestimmt als Eingangsmerkmal des Art. 97 BayBG die geschützten Rechtsgüter, zu denen in erster Linie die körperliche Unversehrtheit des Beamten zählt (Buchard in BeckOK, Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, Stand 30.12.2019, Art. 97 BayBG Rn. 12, 13.3). Der Gesetzgeber wollte – vor dem Hintergrund der ihm aus § 45 BeamtStG obliegenden Fürsorgepflicht – mit der zum 1. Januar 2015 eingeführten Vorschrift den jeweiligen Dienstherrn verpflichten, einen in dienstlichem Zusammenhang erlangten (uneinbringlichen und rechtskräftig festgestellten) Schmerzensgeldanspruch seines Beamten zu übernehmen. Die Vorschrift sollte im Rahmen eines auf schwerwiegende Übergriffe beschränkten Ausnahmetatbestands Fälle erfassen, in denen der Beamte ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit erbracht hat (Begründung des Gesetzentwurfs, LT-Drs. 17/2871, S. 48; Conrad in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Juni 2021, Art. 97 BayBG Rn. 3).
Ein „Angriff“ im Sinne des Art. 97 Abs. 1 BayBG umfasst die von einem Menschen ausgehende vorsätzliche Verletzung der Rechtsgüter Leben und körperliche Integrität. Der Angriff erfordert eine objektive unmittelbare räumlich-zeitliche Gefährdung (objektives Element) aufgrund einer zielgerichteten Verletzungshandlung (subjektives Element; BayVV-Versorgung Nr. 46.4.1). „Tätlich“ ist ein Angriff, wenn er auf einen physischen Schaden gerichtet ist; damit werden grundsätzlich nur vollendete körperliche Beeinträchtigungen oder Gesundheitsschädigungen erfasst. In der Gesetzesbegründung (LT-Drs., a.a.O.) wird an mehreren Stellen erkennbar, dass der Gesetzgeber die Formulierung „tätlicher Angriff“ gewählt hat, um nur auf den Körper zielende, gewaltsame Einwirkungen zu erfassen und etwa verbale Angriffe in Form von Beleidigungen oder Bedrohungen vom Anwendungsbereich der Norm auszuschließen (Buchard in BeckOK, a.a.O. Rn. 13; BayVGH, B.v. 18.1.2021 – 3 ZB 20.591 – juris Rn. 4, 5; zum gleichen Begriff in § 80a Abs. 1 LBG-BW: VGH BW, B.v. 18.12.2020 – 4 S 3260/20 – juris Rn. 6 f.). Ein Rückgriff auf die für § 114 Abs. 1 StGB („Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“) oder § 1 Abs. 1 OEG anwendbaren Definitionen des Begriffs ist nicht erforderlich und kommt auch noch wegen der Eigenständigkeit der jeweils verfolgten Gesetzeszwecke (Strafrecht, Opferentschädigungsrecht, Beamtenrecht) nicht in Betracht.
1.3 Wenn man das Geschehen im vorliegenden Fall betrachtet, wie es vom Amtsgericht für die Zuerkennung des Schmerzensgeldausspruchs zugrunde gelegt wurde, ergibt sich folgendes: im Rahmen einer Betrachtung des gesamten Ablaufs der Verfolgung des K. ist unzweifelhaft, dass er mit der Flucht seine Festnahme und die Feststellung seiner Personalien verhindern wollte, weil andernfalls die neuerlichen Straftaten – Fahren ohne Fahrerlaubnis unter Einfluss verbotener Betäubungsmittel, zudem in offener Bewährung – zu weiteren strafrechtlichen Sanktionen geführt hätten. Allein mit dieser Motivation kann jedoch kein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit der ihn verfolgenden Polizeibeamten begründet werden, denn die Gefahr eines körperlichen Schadens und die mögliche Realisierung dieser Gefahr (Verletzungserfolg) beruhen in erster Linie auf einem eigenen Willensentschluss des Verfolgers – mag dieser auch dienstlich vorgegeben sein – und nicht auf dem bloßen Fluchtverhalten. Geht das Verhalten des flüchtigen Fahrers jedoch darüber hinaus und weist zielgerichtete, direkt auf die körperliche Unversehrtheit des Verfolgers gerichtete Fahrmanöver aus, dürfte damit das Tatbestandsmerkmal „tätlicher Angriff“ im dargestellten Sinne (1.2) erfüllt sein.
Hier hat K. zwar zu Beginn des Geschehens unter Verstoß gegen etliche Verkehrsvorschriften, etwa durch plötzliche Bremsmanöver versucht, den ihn zunächst allein verfolgenden, später auch weitere hinzukommende Polizeiwagen „abzuschütteln“. Dabei hat er zur Erreichung dieses Ziels billigend in Kauf genommen, dass der Kläger die Gewalt über den Dienstwagen infolge der verschiedenen Manöver des Fluchtwagens verliert, verunfallt und dabei gegebenenfalls körperlichen Schaden erleidet. Diese auf aktiven Handlungen des K. beruhenden Gefährdungen des Klägers und seines Kollegen können als zielgerichtete tätliche Angriffe im Sinne von Art. 97 BayBG angesehen werden.
Allerdings waren sie nicht (mehr) ursächlich für den (später eingetretenen) Körperschaden, der den Schmerzensgeldanspruch ausgelöst hat. Denn der die maßgeblichen Verletzungsfolgen verursachende Unfall des Polizeiwagens war nicht dem geschilderten Fahrverhalten des K. zuzuschreiben, sondern dem Umstand, dass der Polizeiwagen bei winterlichen Straßenverhältnissen auf einem unbeleuchteten, schneebedeckten und zu einem Gehöft führenden Weg an einem rechtwinkligen Abzweig außer Kontrolle geriet und gegen einen Baum prallte (vgl. hierzu Lichtbildtafel der VPI Hof v. 11.3.2016, Bild 47 f.). Das geschilderte aggressive Fahrverhalten des K. zu Beginn seiner Flucht in der Absicht, einen Auffahr- oder Ausweichunfall zu provozieren, war hingegen ohne Bedeutung für den konkreten Unfall, weil es zum maßgeblichen Unfallzeitpunkt bereits längere Zeit und etliche Kilometer zurücklag, so dass der erforderliche Zurechnungszusammenhang für den Eintritt des Körperschadens fehlt. Das vorangegangene (zielgerichtete Fahr-)Verhalten des K. kann hinweggedacht werden, ohne dass damit der letztendlich eingetretene Verletzungserfolg ausgeblieben wäre. Im konkret eingetretenen Unfall hat sich gerade nicht die typische (abstrakte) Gefährlichkeit des aggressive Fahrverhalten des K. zu Beginn seiner Flucht realisiert (Pflichtwidrigkeitszusammenhang); der Gefahrerfolg ist nicht in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem regelwidrigen Fahrvorgang eingetreten.
Es lag auch im Zeitpunkt der Körperverletzung keine von einem einheitlichen Willensentschluss des K. getragene „Gemengelage aus Angriffs- und Fluchtreaktion“ vor, die die (hier vorgenommene) Unterteilung in verschiedene Handlungsabschnitte ausschließen könnte (Buchard in BeckOK, a.a.O. Rn. 11.4). Denn es hatte sich im objektiven Geschehensablauf dadurch eine Zäsur ergeben, dass K. sein Fluchtfahrzeug im Schnee festgefahren hatte und vom Kläger sowie seinem Beifahrer „gestellt“ worden war, ohne dass sie ihn trotz gezogener Schusswaffe und eingesetzten Pfeffersprays festnehmen konnten. Vielmehr gelang es dem K., sein Fahrzeug zu „befreien“ und die Flucht fortsetzen. Anschließend wurde die Verfolgung unmittelbar von einem Zivilfahrzeug der Polizei übernommen, während sich das Dienstfahrzeug des Klägers – so auch im Zeitpunkt des Unfalls – nur noch an zweiter Verfolgerposition befand (vgl. Protokoll der Strafverhandlung gegen K. vor dem Amtsgericht Hof am 23.1.2017, S. 6 u. 9). Der Besatzung des Zivilfahrzeugs gelang es schließlich, den K. nach weiterer Flucht zu Fuß festzunehmen (vgl. Bl. 50, 51 Akte d. Staatsanwaltschaft H.). Vor dem Hintergrund dieses Geschehensablaufs beruht der hier maßgebliche Unfall (Verletzungserfolg) nicht mehr auf dem vorangegangenen aggressiven Fahrverhalten des Flüchtenden. Nach der geschilderten Zäsur im Geschehensablauf (Wiederaufnahme der Flucht) ist ein erneuter „tätlicher Angriff“ auf den Kläger nicht erkennbar.
Im Rahmen der fast eine Stunde andauernden Verfolgungsjagd waren noch weitere Dienstwagen sowie ein Polizeihubschrauber beteiligt, außerdem wurden Straßensperren errichtet. Der Frage, wie weit in einem derart umfangreichen Verfolgerfall der Kreis der in den Schutzbereich des Art. 97 BayBG einzubeziehenden (verfolgenden) Einsatzkräfte zu ziehen ist, braucht hier aber nicht nachgegangen zu werden, weil es bereits an einem für den Körperschaden des Klägers ursächlichen „tätlichen Angriff“ fehlt. Im Übrigen befassen sich weder das Zivil- noch das Strafurteil mit den geschilderten Einzelheiten des Verfolgungsgeschehens unter dem Gesichtspunkt, ob der konkrete Verletzungserfolg noch in zurechenbarer Weise auf einem Verhalten des Flüchtenden beruht.
1.4 Das Zulassungsvorbringen vermag keine ernstlichen Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des Urteils aufzuwerfen. Es geht nicht darauf ein, dass das Verwaltungsgericht im Verhalten des K. zum maßgeblichen Zeitpunkt der Verletzung keinen tätlichen Angriff erkannt hat, der sich als über die bloße Fortsetzung der Fahrt hinausgehendes, unmittelbar auf die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Klägers gerichtetes Verhalten darstellt. Keinen anderen Schluss lässt auch die Feststellung im zivilgerichtlichen Urteils zu, der Kläger sei Opfer einer unerlaubten Handlung geworden. Auch die rechtskräftige Verurteilung des K. durch das Strafgericht wegen „vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen“ – im Übrigen ohne Festlegung einer konkreten Verletzungshandlung und Begründung des Vorsatzes – bedeutet nicht, dass damit zugleich das Tatbestandsmerkmal des „tätlichen Angriffs“ erfüllt ist (für eine Anlehnung an die strafrechtliche Rechtsprechung im Falle des Anspuckens eines Beamten: Buchard in BeckOK, a.a.O. Rn. 13.5). Eine einfache Übertragung der strafgerichtlichen Aussagen auf die beamtenrechtliche Situation verbietet sich schon im Hinblick auf die unterschiedlichen Schutzzwecke, die zum einen mit den Straftatbeständen des Strafgesetzbuches verfolgt werden, zum anderen mit der als Ausfluss des beamtenrechtlichen Fürsorgeprinzips geschaffenen Ausnahmebestimmung zur Übernahme eines uneinbringlichen Schmerzensgeldanspruchs durch den Dienstherrn.
Die Ausführungen im Zulassungsvorbringen lassen außer Acht, dass im vorliegenden Verfahren zur Beurteilung des Rechtsbegriffs „tätlicher Angriff“ nicht das Verhalten des Schädigers über die gesamte Verfolgung hinweg betrachtet werden kann, sondern nur derjenige Sachverhalt, der ursächlich zum konkreten Verletzungserfolg und dem sich daraus ergebenden Schmerzensgeldanspruch, dessen Übernahme durch den Dienstherrn begehrt wird, geführt hat. K. hat zwar versucht, den Kläger durch seine auf einen provozierten Auffahr- oder Ausweichunfall gerichteten Fahrmanöver körperlich zu schädigen und so an einer weiteren Verfolgung zu hindern; die Versuche blieben aber ohne Erfolg. Diese Tathandlungen vermögen daher ungeachtet ihrer zivilrechtlichen Bewertung durch das Amtsgericht keinen beamtenrechtlichen Übernahmeanspruch zu begründen. Damit ist im vorliegenden Zusammenhang auch ohne Belang, ob der Schädiger eine „Körperverletzung zumindest billigend in Kauf genommen“ hat, wie im Zulassungsverfahren vorgetragen wird.
Der Kläger verlangt letztlich die Übernahme seines Schmerzensgeldanspruchs unabhängig vom Vorliegen eines tätlichen Angriffs. Hätte der Gesetzgeber diese Rechtsfolge im Auge gehabt, wäre es ohne weiteres möglich gewesen, in Art. 97 BayBG auf das einschränkende Tatbestandsmerkmal zu verzichten und eine strikte Parallelität von einem „dienstlich“ bedingten Schmerzensgeldanspruchs mit einem beamtenrechtlichen Übernahmeanspruch vorzusehen. In der gegebenen Gesetzeslage stellt Art. 97 BayBG jedoch gerade kein (unselbstständiges) beamtenrechtliches Abbild des zivilrechtlichen Schmerzensgeldanspruchs dar (Buchard in BeckOK, a.a.O. Rn. 11.3).
2. Die Rechtssache weist nicht die behaupteten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
Sie ergeben sich nicht aus dem Vortrag des Klägers, das Verwaltungsgericht habe den maßgeblichen Begriff des „tätlichen Angriffs“ falsch angewendet, weil er zu Unrecht in Anlehnung an straf- und sozialrechtliche Definitionen und nicht an solche des Beamtenversorgungsrechts ausgelegt worden sei. Denn ungeachtet dessen hat das Verwaltungsgericht das in der Rechtsprechung hinreichend geklärte Tatbestandsmerkmal richtig angewendet und die Klage zu Recht abgewiesen; insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen zum geltend gemachten Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils verwiesen werden.
3. Der Rechtssache fehlt auch die behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Eine Rechts- oder Tatsachenfrage ist dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich ist, höchstrichterlich oder durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts noch nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist. Die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B.v. 16.11.2010 – 6 B 58.10 – juris Rn. 3; B.v. 17.12.2010 – 8 B 38.10 – juris Rn. 7f.).
Die vom Kläger aufgeworfene Frage, „ob Schmerzensgeldansprüche aus Schäden, die aus den herausforderungstypischen Risiken von Verfolgungsfällen…resultieren,…unter den Anwendungsbereich des Art. 97 Abs. 1 BayBG fallen“, entzieht sich einer allgemeingültigen Beantwortung in grundsätzlicher Form. Sie kann nur – wie der vorliegende Fall exemplarisch zeigt – unter Berücksichtigung sämtlicher Tatumstände des Einzelfalls beantwortet werden. Wären die Verletzungen des Klägers bereits zu Beginn der Verfolgungsjagd unmittelbar infolge der dargestellten Fahrmanöver des K. verursacht worden, wäre die aufgeworfene Frage möglicherweise anders zu beantworten gewesen. Auch der Hinweis auf das Ergebnis einer schriftlichen Anfrage von Abgeordneten des Bayerischen Landtags (LT-Drs 18/11422 v. 23.12.2020), wonach immerhin 481 Polizeibeamte (seit 2015) einen Antrag auf Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG – davon letztlich 228 mit Erfolg – gestellt haben, liefert keine Aussage über die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Allein die anhand von Zahlen zweifellos erkennbare praktische Bedeutung einer Vorschrift lässt noch keinen Rückschluss auf eine für den konkreten Fall bestehende Grundsatzfrage zu.
4. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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