Verwaltungsrecht

Umgestaltung der öffentlichen Einrichtung durch neue Entwässerungssatzung

Aktenzeichen  20 N 16.546

Datum:
27.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32952
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
KAG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1
BGS-EWS § 9, § 10, § 11
GO Art. 24 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Nichtigkeit einer Stammsatzung (hier: Entwässerungssatzung) erstreckt sich in der Regel auch auf die mit ihrem Erlass bestimmte Aufhebung der Vorgängersatzung, so dass diese weiter Bestand haben kann. (Rn. 24 – 25)
Für einen Normenkontrollantrag fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn sich die Inanspruchnahme des Gerichts als nutzlos erweist, weil die begehrte Entscheidung die Rechtsstellung des Antragstellers nicht verbessern kann. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, sofern nicht der Antragsgegner vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Antrag ist unzulässig, weil die Antragstellerin kein Rechtsschutzbedürfnis dafür hat, dass der Beitragsteil der BGS-EWS (2015) für unwirksam erklärt wird. Denn selbst wenn die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel, den Beitragsteil der Beitrags- und Gebührensatzung des Antragsgegners vom 23. März 2015 für unwirksam zu erklären, erreichen würde, wäre die in wesentlichen Teilen gleichlautende Beitrags- und Gebührensatzung des Antragsgegners vom 27. März 2012 bei der Frage, ob für die Grundstücke der Antragstellerin Beitragspflichten für die Entwässerungsanlage entstanden sind, zu berücksichtigen. Gegen diese Satzung hat die Antragstellerin keinen Normenkontrollantrag erhoben, was auch nicht mehr möglich ist, weil die einjährige Antragsfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO abgelaufen ist (1.). Zudem ist der Erlass eines Herstellungsbeitragsbescheides hinsichtlich der bestehenden Betriebsgrundstücke nicht zu erwarten. Bezüglich der aufgrund des Planfeststellungsbeschlusses für die Verlegung der Tank- und Rastanlage vorgesehenen Betriebsgrundstücke ist die Antragstellerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder Eigentümerin noch Erbbauberechtigte, so dass sie durch eine möglicherweise bestehende Beitragspflicht nicht beschwert ist (2.).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B. v. v. 11.10.2016 – 3 BN 1/15 – juris Rn. 4, B. v. 30.7.2014 – 4 BN 1.14 – juris Rn. 7 und U. v. 28.4.1999 – 4 CN 5.99 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 134 S. 11 m.w.N.) ist von einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag u.a. dann auszugehen, wenn sich die Inanspruchnahme des Gerichts als nutzlos erweist, weil der Antragsteller mit der begehrten Entscheidung seine Rechtsstellung nicht verbessern kann. Wann dies der Fall ist, richtet sich im Wesentlichen nach den jeweiligen Verhältnissen im Einzelfall (BVerwG, Beschlüsse v. 28.8.1987 – 4 N 3.86 – BVerwGE 78, 85 und v. 9.2.1989 – 4 NB 1.89 – juris Rn. 6).
1. Eigentliches Rechtsschutzziel der von der Antragstellerin erhobenen Normenkontrollen gegen die Beitragssatzungen des Antragsgegners (Az.: 20 N 16.546 und 20 N 17.1760) ist es, festzustellen, dass auf Grundlage dieser Abgabesatzungen keine Beitragspflichten entstanden sind. Hierbei ist zu beachten, dass vor der Herstellungsbeitragssatzung vom 23. März 2015 die in wesentlichen Teilen gleichlautende Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 27. März 2012 erlassen worden ist. Selbst wenn also die Antragstellerin mit dem vorliegenden Normenkontrollantrag Erfolg hatte und die Herstellungsbeitragssatzung vom 23. März 2015 für unwirksam erklärt würde, könnte eine möglicherweise bestehende Beitragspflicht auf die Herstellungsbeitragssatzung vom 27. März 2012 gestützt werden. Dies wäre nur dann nicht der Fall, wenn diese Herstellungsbeitragssatzung offensichtlich unwirksam wäre. Das Verwaltungsgericht ist im Anfechtungsprozess davon ausgegangen, dass sowohl die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung als auch die Beitragssatzung zur Verbesserung und Erneuerung der Entwässerungssatzung jeweils vom 27. März 2012 nichtig seien, weil die Entwässerungssatzung vom 12. September 2008 (EWS 2008) ihrerseits nichtig sei.
Richtig ist zwar, dass die Entwässerungssatzung 2008 in § 5 Abs. 5 Satz 1 EWS 2008 eine unwirksame Regelung zum Anschluss- und Benutzungszwang enthielt. Danach war auf Grundstücken, die an die öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossen sind, im Umfange des Benutzungsrechts alles Abwasser in die öffentliche Entwässerungsanlage einzuleiten (Benutzungszwang). Das Benutzungsrecht wurde in § 4 EWS jedoch umfassend gewährt. Eine solche Regelung ist nach der Rechtsprechung des Senates jedoch nichtig, weil keine besonderen Gründe des öffentlichen Wohls ersichtlich sind, welche eine solche Maßnahme rechtfertigen würden. Die Pflicht zur Einleitung von Niederschlagswasser in eine öffentliche Entwässerungsanlage bedarf – namentlich auch wegen der Möglichkeit der Durchsetzung des Anschluss- und Benutzungszwangs gegen den Willen betroffener Grundstückseigentümer – einer besonderen Rechtfertigung (vgl. BayVGH, U. v. 28.10.1994 – 23 N 90.2272 – NVwZ-RR 1995, 345). Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) ist verletzt, wenn eine gemeindliche Satzung gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 GO zur Beseitigung des Niederschlagswassers den Anschluss an eine gemeindliche Entwässerungseinrichtung und deren Benutzung anordnet, ohne dass hierfür hinreichende Gründe des öffentlichen Wohls ersichtlich sind (BayVerfGH, E. v. 10.11.2008 – Vf.4-VII-06 – VerfGH 61, 262 = NVwZ 2009, 298). Solche Gründe hat der Antragsgegner nicht vorgetragen noch sind sie sonst wie ersichtlich. Die teilweise Nichtigkeit der EWS 2008 bedingt die Nichtigkeit der Herstellungsbeitragssatzung bis zum Erlass einer neuen gültigen Stammsatzung. Aufgrund des Fehlens wirksamer Benutzungsregelungen bezüglich der Niederschlagswasserbeseitigung kommt die Erhebung eines Herstellungsbeitrags für die Grundstücksfläche, welche den Vorteil für die Niederschlagswasserbeseitigung abgelten soll, nicht in Betracht. Vor diesem Hintergrund bewirkt das Fehlen unerlässlicher Satzungsbestandteile im Sinne des Art. 2 Abs. 1 KAG verbunden mit ihrer weitreichenden Bedeutung auf das Beitragsgefüge und die Finanzierung der öffentlichen Entwässerungseinrichtung die Nichtigkeit der Beitragssatzung im fraglichen Zeitraum, zumal entsprechend dem in § 139 BGB zum Ausdruck gekommenen Rechtsgrundsatz nicht angenommen werden kann, dass der Beklagte, hätte er die Rechtslage erkannt, an der verbleibenden Restregelung unverändert festgehalten hätte (BayVGH, U. v. 24.11.2011 – 20 B 11.518 – juris Rn. 19). Dies gilt allerdings nicht, wenn der Antragsgegner trotz Nichtigkeit der EWS 2008 wie hier mit der Entwässerungssatzung vom 1. Oktober 1990 (EWS 1990) über eine wirksame Vorgängerentwässerungssatzung verfügt hat, die bis zum Erlass der Entwässerungssatzung vom 18. September 2012 fortgegolten hat. Die EWS 1990 war wirksam, weil in § 4 Abs. 5 ein Benutzungsrecht nicht bestand, soweit eine Versickerung oder anderweitige Beseitigung von Niederschlagswasser ordnungsgemäß möglich ist und daran gekoppelt nach § 5 Abs. 5 EWS dementsprechend auch insoweit kein Anschluss- und Benutzungszwang für Niederschlagswasser bestand. Allerdings hat die EWS 2008 in § 22 Abs. 2 bestimmt, dass die vorherige Entwässerungssatzung außer Kraft tritt. Fraglich ist damit, ob diese Aufhebungsregelung von der Nichtigkeit der Teilregelung des § 4 Abs. 5 EWS 2008 miterfasst wurde, mit der Folge, dass die Entwässerungssatzung aus dem Jahr 1990 fort gilt oder aber, ob die Aufhebungsregelung des § 22 Abs. 2 trotzdem Gültigkeit beansprucht, mit der Folge, dass der Antragsgegner über keine wirksame Stammsatzung verfügt hat und somit die BGS-EWS 2012 und die VES 2012 tatsächlich nichtig wären.
Grundsätzlich ist in einer solchen Situation davon auszugehen, dass das vorher erlassene Recht wegen der Unwirksamkeit der späteren Norm fort gilt (BVerwG, U.v. 10.8.1990 – 4 C 3.90 – NVwZ 1991,673 zu Bebauungsplänen). Bei Straßenausbaubeitragssatzungen ist der 6. Senat des BayVGH der Ansicht, dass jedenfalls wenn die neue Satzung einen Systemwechsel vollzieht, die alte Satzung nicht fortgelten soll (BayVGH, U.v. 16.8.2011 – 6 B 97.111 – NVwZ-RR 2002,875). Der 23. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes ging bei leitungsgebundenen Einrichtungen davon aus, dass eine Abgabesatzung entsprechend § 139 BGB dann insgesamt nichtig ist, wenn die nichtige Regelung mit den übrigen Bestimmungen so verflochten ist, dass sie eine untrennbare Einheit bilden, die nicht in einzelne Bestandteile zerlegt werden kann, wenn es wegen der Teilnichtigkeit einer Regelung an einem für die ganze Satzung unerlässlichen Bestandteil fehlt oder wenn anzunehmen ist, dass bei objektiver, am Sinn und Zweck der Norm orientierter Betrachtungsweise die gesamte Regelung ohne die nichtige Regelung so nicht getroffen worden wäre (BayVGH, U. v. 24.2.2005 – 23 N 04.1291 – BayVBl 2005, 757 = juris Rn. 49).
Bei einer Entwässerungssatzung als Stammsatzung kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass sie die Grundlage der Widmung ist und die Benutzung der öffentlichen Einrichtung nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 GO regelt sowie die Grundlage für die Erhebung von Beiträgen und Gebühren bildet. Deswegen ist davon auszugehen, dass eine Gemeinde in der Regel keine satzungslose Zeit in Kauf nehmen möchte, sondern darin interessiert ist, im Sinne einer Kontinuität über eine wirksame Stammsatzung zu verfügen. Etwas anderes mag vielleicht gelten, wenn die Gemeinde mit dem Erlass einer neuen Entwässerungssatzung die öffentliche Einrichtung rechtlich und dann auch tatsächlich völlig umgestaltet. Davon kann hier jedoch bei der punktuellen Regelung hinsichtlich der Ausweitung des Benutzungszwanges auf das Niederschlagswasser nicht die Rede sein. Die Nichtigkeit des § 4 Abs. 5 EWS 2008 erstreckt sich daher nicht auf die Aufhebungsregelung in § 22 Abs. 2 EWS. Weder die BGS-EWS 2012 noch die VES 2012 waren deshalb offensichtlich unwirksam.
Es ist damit nicht zutreffend, dass die Antragstellerin ihre Rechtsposition durch den Erfolg des gegenständlichen Normenkontrollantrages verbessern kann.
2. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin gegenwärtig oder in naher Zukunft den Erlass eines Herstellungsbeitragsbescheids für eines ihrer Grundstücke aufgrund der streitgegenständlichen Herstellungsbeitragssatzung zu befürchten hat.
Hinsichtlich der bestehenden Betriebsgrundstücke der Tank- und Rastanlage wurde kein Herstellungsbeitragsbescheid erlassen, welcher noch nicht bestandskräftig ist. Weiter beabsichtigt der Antragsgegner in absehbarer Zeit nicht, einen solchen zu erlassen. Zwar vertritt die Antragstellerin die Auffassung, dass es sich bei den Verbesserungsmaßnahmen eigentlich um eine Neuherstellung einer Entwässerungsanlage handelt, so dass nur der erneute Erlass eines Herstellungsbeitrags in Betracht käme. Für eine solche Konstellation (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 16.2.2017 – 20 BV 16.90 – BayVBl 2018, 131 m.w.N.) ist hier aber nichts ersichtlich, zumal der Antragsgegner vorträgt, dass die Abwasseranlage des Antragsgegners zum 31. Dezember 2006 einen Buchwert in Höhe von 5.198.548,89 Euro gehabt hätte und der Investitionsaufwand insgesamt ca. 3.879.859 Euro betragen habe. Den diesbezüglichen Beweisanträgen musste der Senat jedoch nicht nachgehen, weil wiederum gilt, dass selbst bei Nichtigerklärung der BGS-EWS 2015 im Beitragsteil die im wesentlichen inhaltsgleiche Vorgängersatzung zur Anwendung käme, ohne dass sie noch Gegenstand einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO sein könnte.
Bezüglich der zukünftigen, aufgrund des rechtskräftigen Planfeststellungsbeschlusses der Regierung von Mittelfranken vom 29. Februar 2016 vorgesehenen Betriebsgrundstücke ist ebenso wenig festzustellen, dass die Antragstellerin eine Herstellungsbeitragspflicht aufgrund der streitgegenständlichen Beitragssatzung vom 15. März 2015 trifft oder treffen könnte. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist die Antragstellerin weder Eigentümerin noch Erbbauberechtigte nach § 6 BGS-EWS und unterliegt somit nicht der persönlichen Beitragspflicht. Der von ihr angeführte Planfeststellungsbeschluss kann ihr keine entsprechende Rechtsstellung verleihen, denn er regelt nicht und kann es auch nicht, wer die Beitragspflicht im Zeitpunkt seines Wirksamwerdens trägt. Beitragspflichtig sind vielmehr diejenigen Rechtspersonen, welche im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Planfeststellungsbeschlusses Grundstückseigentümer und Erbbauberechtigte der zukünftigen Betriebsgrundstücke waren. Denn mit dem Entstehen des Baurechts durch den Planfeststellungsbeschluss wäre die Beitragspflicht nach § 2 BGS-EWS 2015 entstanden. Die Antragstellerin war jedoch zu diesem Zeitpunkt weder Eigentümerin noch Erbbauberechtigte an den neuen Betriebsgrundstücken.
Fehlt der Antragstellerin demnach das Rechtsschutzbedürfnis, ist der Normenkontrollantrag bereits unzulässig. Nachdem die von der Antragstellerin gestellten Beweisanträge thematisch die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Herstellungsbeitragssatzung und damit die Begründetheit des Normenkontrollantrags betrafen, kam es auf diese im Ergebnis nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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