Verwaltungsrecht

Unbegründete Asylklage – Einzelfall

Aktenzeichen  M 6 K 17.34171

Datum:
16.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49653
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Für einen alleinstehenden und arbeitsfähigen jungen Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen besteht regelmäßig sogar ohne nennenswertes Vermögen oder ein familiäres Netzwerk die Möglichkeit, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und bleibt daher ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz (AsylG), keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG oder auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sowie das dreißigmonatige Einreise- und Aufenthaltsverbot sind nicht zu beanstanden.
Zur Begründung wird auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG, und lediglich mit Blick auf das klägerische Vorbringen und die aktuelle Auskunftslage ergänzend ausgeführt:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Über den Anspruch war vorliegend auch noch zu entscheiden, da der Kläger seine Klage am 3. März 2017 auch auf die Aufhebung von Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamts erstreckt und diesen Antrag auch in der mündlichen Verhandlung gestellt hat. Zwar beschränken sich die mit der Vertretungsanzeige der Prozessbevollmächtigten vom 9. März 2017 gestellten Anträge auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes bzw. hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten. Dem war jedoch keine teilweise Klagerücknahme zu entnehmen, so dass der Kläger nicht daran gehindert war, in der mündlichen Verhandlung – wieder – auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu beantragen. Ein solcher Anspruch wurde allerdings von der Beklagten zurecht verneint, § 3 Abs. 4 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die in § 3a Abs. 1 AsylG definierten Verfolgungshandlungen werden in § 3a Abs. 2 AsylG exemplarisch verdeutlicht und müssen gemäß § 3a Abs. 3 AsylG kausal mit den Verfolgungsgründen aus § 3b AsylG verknüpft sein und von einem Akteur i.S.v. § 3c AsylG ausgehen. Weiter muss es an einem effektiven Schutz vor Verfolgung im Herkunftsstaat fehlen, §§ 3d, 3e AsylG.
Ob eine begründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen ist, hat das Gericht im Wege einer Verfolgungsprognose unter zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts zu beurteilen und dabei als Prognosemaßstab die beachtliche Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32). Dabei gilt auch kein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wenn der Betroffene bereits vor seiner Ausreise verfolgt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 22). Es kommt dem Betroffenen aber im Falle der Vorverfolgung die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU, der keine nationale Entsprechung hat, zugute (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2017 – 1 B 123.17 u. a. – juris Rn. 8; B.v. 11.7.2017 – 1 B 116.17 u. a. – juris Rn. 8). Danach ist maßgeblich, ob in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann, so dass im Wege einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise eine Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände zu erfolgen hat (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32; VGH BW, U.v. 16.10.2017 – A 11 S 512/17 – juris Rn. 31 ff; BayVGH, U.v. 14.2.2017 – 21 B 16.31001 – juris Rn. 21).
Dabei ist für die richterliche Überzeugungsbildung eine bewertende Gesamtschau des gesamten Vorbringens des Schutzsuchenden unter Berücksichtigung seiner individuellen Aussagekompetenz und seiner Glaubwürdigkeit erforderlich, die die Stimmigkeit des Vorbringens an sich, dessen Detailtiefe und Individualität, sowie dessen Übereinstimmung mit den relevanten und verfügbaren Erkenntnismitteln ebenso berücksichtigt wie die Plausibilität des Vorbringens (vgl. OVG Bremen, U.v. 26.5.2020 – 1 LB 56/20 – juris Rn. 38; VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 370).
Das zugrunde gelegt rechtfertigen die vom Kläger vorgetragenen Gründe nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er ist nicht vorverfolgt ausgereist und es droht ihm auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.
Zum einen ergibt sich schon aus dem vom Kläger geschilderten Sachverhalt keine Verfolgung „wegen“ seiner „Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“. Es kann offenbleiben, ob in dem geschilderten Rekrutierungsversuch eine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG liegt, denn auch bei Wahrunterstellung der beschriebenen Handlung durch die Taliban, wird dennoch nicht an ein in den §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG genanntes flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal, insbesondere nicht an den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung im Sinne von § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG, angeknüpft. Gerade auch, weil es sich bei dem Kläger zum Zeitpunkt der geschilderten Ereignisse um einen noch zur Koranschule gehenden – wenn auch schon älteren – Jungen handelte, ergibt sich aus den gesamten Umständen nicht, dass ihm persönlich von den Taliban als Akteur i.S.v. § 3c AsylG eine oppositionelle Grundhaltung zugeschrieben wird. Auch wenn es den aktuellen Erkenntnismittel zufolge vorkommt, dass die Taliban Kinder oder junge Männer zu rekrutieren versuchen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 16.07.2020, S. 12), knüpft dies jedoch nicht daran an, dass die von dieser Zwangsrekrutierung bedrohten Personen eine von der Auffassung der Taliban abweichende Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG vertreten. Vielmehr ist eine solche Rekrutierung ein Mittel, das Ziel der Taliban, das staatliche Sicherheitsgefüge als solches zu erschüttern und durch fortwährende Verstärkung ihrer Kämpfer infrage zu stellen und herauszufordern, zu fördern (vgl. VG Augsburg, U.v. 18.6.2018 – Au 5 K 17.31949 – juris Rn. 31).
Zum anderen muss sich der Kläger jedenfalls auf internen Schutz nach § 3e AsylG verweisen lassen. Denn dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt, § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslands die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 AsylG erfüllt, sind die dort vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen, § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG. Es ist nicht erkennbar, dass es dem Kläger nicht möglich sein sollte, sich andernorts niederzulassen und dort unbehelligt zu leben. Insbesondere in den Großstädten Kabul, Herat und Masar-e Sharif besteht keine Verfolgungsgefahr. In diesen Städten ist nicht zuletzt aufgrund der Anonymität der Großstadt und einem nach wie vor nichtexistierenden Meldewesen nicht mit Verfolgung zu rechnen. Zwar ist nach aktuellen Erkenntnissen davon auszugehen, dass die Taliban durch ihre breiten Netzwerke und Allianzen jederzeit fähig sind, verfeindete Personen im ganzen Land ausfindig zu machen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 16.7.2020, S. 6). Das Gericht verkennt auch nicht, dass aufgrund der hohen sozialen Kontrolle selbst in den Großstädten ein vollkommen anonymes Leben auf Dauer nur schwer möglich sein dürfte (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 16.7.2020, S. 18). Es ist aber in größeren Städten deutlich schwieriger, gesuchte Personen zu verfolgen und aufzuspüren, weshalb sich diese Suche grundsätzlich auf Personen beschränkt, an denen die Taliban ein gesteigertes Interesse haben. Bei den übrigen Personen ist davon auszugehen, dass die Taliban sie oder ihre Familienmitglieder nach ihrer Übersiedlung in die Städte wahrscheinlich nicht ins Visier nehmen werden, es sei denn, es bestehen persönliche Feindschaften, Rivalitäten oder Streitigkeiten (vgl. VG Augsburg, U.v. 26.5.2020 – 3 K 17.32611 – juris Rn. 37; VG Cottbus, U. v. 26.3.2020 – 3 K 1392/17 – juris Rn. 31; VG Ansbach, U.v. 27.2.2020 – AN 18 K 17.30240 – juris Rn. 30). Vorliegend ist nicht erkennbar, dass der Kläger sich gegenüber den Taliban in einer derart besonderen Weise exponiert hat, dass diese ihn mit erheblichem Einsatz verfolgen werden. Er hat sich ihnen gegenüber nicht gravierend illoyal verhalten, sondern hat sich der Zwangsrekrutierung – lediglich – durch Flucht widersetzt. Auch wenn eine Weigerung der Zusammenarbeit durchaus – auch schwere – Folgen haben kann (vgl. ACCORD, Rekrutierungsmaßnahmen der Taliban, vom 13.8.2018, S. 8/9), kommt dem Kläger weder durch sein – gerade nicht ungewöhnliches – Verhalten noch durch sonstige Umstände eine herausgehobene Stellung zu, die ein landesweites Verfolgungsinteresse auch nur ansatzweise plausibel erscheinen lässt. Außerdem sind seit der Ausreise des Klägers aus Afghanistan über fünf Jahre vergangen, so dass auch deshalb nicht zu erwarten ist, dass die Taliban noch und dann auch noch landesweit nach dem Kläger suchen.
Der Kläger kann darüber hinaus auch sicher und legal in die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif reisen. Zwar enden Abschiebungen in der Regel in Kabul, wo es einen internationalen Flughafen gibt. Aber auch Mazar-e Sharif und Herat verfügen jeweils über einen internationalen Flughafen und können auch legal und sicher vom Kläger, jedenfalls von Kabul aus, erreicht werden, da innerstaatlich Flüge von Kabul nach Mazar-e Sharif und Herat gehen (vgl. Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.5.2020, S. 220 ff.). Diese Einschätzung wird auch nicht durch die aktuelle Covid-19-Pandemie in Frage gestellt. Nach einer dreimonatigen Pause und nach der Wiederaufnahme internationaler Flugverbindungen wurden auch Inlandsflugverbindungen wiederaufgenommen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes vom 27.7.2020). Selbst wenn aufgrund der aktuellen Pandemielage bei einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan der Flugverkehr eingeschränkt sein sollte, gibt es keine Anhaltspunkte, dass dies für unbestimmte Zeit gelten könnte (vgl. auch OVG Bremen, U.v. 26.5.2020 – 1 LB 56/20 – juris Rn. 59 ff).
Auch unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel kann vom Kläger vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in einer der genannten Städte niederlässt, § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Die Großstädte Kabul, Herat und Masar-e Sharif sind im Hinblick auf die gegenwärtige Sicherheitslage nach wie vor allgemein als Fluchtalternative geeignet. Ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG droht den Betroffenen dort nicht (siehe hierzu auch noch unten bei der Prüfung des subsidiären Schutzes). Zwar ist dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu entnehmen, dass die Taliban und andere bewaffnete regierungsfeindliche Gruppen seit dem Abzug des Großteils der internationalen Truppen mit größerer Bewegungsfreiheit agieren (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 13.7.2020, S. 19). Dennoch wird das eine Verletzung von Art. 3 EMRK begründende Maß eines außergewöhnlichen Schädigungsrisikos weiterhin nicht erreicht (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris; OVG Bremen, U.v. 26.5.2020 – 1 LB 56/20 – juris Rn. 55 ff). Der Zumutbarkeit steht auch nicht die für den Kläger bestehende schwierige wirtschaftliche Situation entgegen (vgl. VG Ansbach, U.v. 22.6.2020 – AN 18 K 17.30767 – juris Rn. 32; VG München, U.v. 18.3.2020 – M 31 K 17.33141 – Rn. 31 ff.). Das Gericht verkennt dabei nicht, dass Afghanistan nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt zählt und die mit der Covid-19-Pandemie einhergehende wirtschaftliche Rezession die privaten Haushalte stark belastet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 13.7.2020, S. 22). Die erkennende Einzelrichterin geht aber mit der obergerichtlichen ständigen und jüngst bestätigten Rechtsprechung davon aus, dass sich auch unter Berücksichtigung der vorliegenden neuesten Erkenntnismittel aus den allgemeinen Lebensverhältnissen in Afghanistan keine Verletzung von Art. 3 EMRK ergibt, da für einen alleinstehenden und arbeitsfähigen Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen wie den Kläger regelmäßig sogar ohne nennenswertes Vermögen oder ein familiäres Netzwerk die Möglichkeit besteht, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten (u.a. BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817, Rn. 47; BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004, juris Rn. 24). Dabei verkennt das Gericht nicht, dass der Zumutbarkeitsmaßstab bzw. das Zumutbarkeitsniveau hier über das Fehlen einer im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK maßgeblichen Sicherung des Existenzminimums hinausgeht (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12, VGH Mannheim, B.v. 8.8.2018 – A 11 S 1753/18 – juris Rn. 22 und BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a bB 20.31004, juris Rn. 39). So scheidet die Zumutbarkeit in wirtschaftlicher Hinsicht grundsätzlich dann aus, wenn das zu einem menschenwürdigen Leben erforderliche wirtschaftliche Existenzminimum auf einfachem Niveau nicht mehr erreichbar ist, d.h. wenn die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen am Ort der inländischen Fluchtalternative weder durch eine ihm zumutbare Beschäftigung noch auf sonstige Weise gewährleistet ist (BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 u.a. – NVwZ 2017, S. 1531 Rn. 114 ff.). Ein verfolgungssicherer Ort bietet erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich also immer dann, wenn sie dort durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (BVerwG, B.v. 17.5.2006 – 1 B 100.05 – juris Rn. 11; U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06, NVwZ 2007, S. 590 Rn. 11). Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten als Tätigkeiten im Bereich einer „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ bezeichnet werden. Des Weiteren geht das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sowohl die mögliche Unterstützung durch Verwandte im In- oder Ausland als auch sonstige Hilfen, also auch nichtstaatliche, in die gerichtliche Prognose mit einzubeziehen sind (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 1 VR 3.17 u.a. – NVwZ 2017, S. 1531 Rn. 119).
Nach Würdigung der Umstände des Einzelfalls ist das Gericht der Überzeugung, dass es dem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Kläger ohne Unterhaltsverpflichtungen, der mit Paschtu eine der Landessprachen spricht und erst als junger Erwachsener seine Heimat verlassen hat und mit den dortigen Gepflogenheiten also vertraut ist, bei einer Rückkehr in eine der drei genannten Großstädte gelingen wird, zumindest durch Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er kann darüber hinaus auch von verschiedenen Rückkehrhilfen profitieren (z.B. im Rahmen der Programme Assisted Voluntary Return, REAG/GARP- und des ERRIN-Programms, vgl. auch Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 13.7.2020, S. 24), die neben finanziellen Hilfen entweder für einen begrenzten Zeitraum selbst eine Unterkunft bereitstellen oder bei der Suche nach einer Unterkunft behilflich sind.
Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG besteht damit nicht.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG, da ihm jedenfalls interner Schutz zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG, s.o.).
Dem Kläger droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG. Er hat keinen Sachverhalt vorgetragen, wonach ihm im Heimatland die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht, zumal hier die im Einzelfall individuell drohende Todesstrafe aufgrund eines gerichtlichen Urteils maßgeblich ist, nicht also „extralegale Hinrichtungen“ (vgl. VG Ansbach, U.v. 22.6.2020 – AN 18 K 17.30767 – juris Rn. 53).
Auch fehlen konkrete Anhaltspunkte für das Drohen eines ernsthaften Schadens nach § § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Die Formulierung „Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wird weder im Asylgesetz noch in der dadurch umgesetzten RL 2011/95/EU definiert. Bei der Auslegung der Norm, die die Vorgaben des – an Art. 3 EMRK orientierten – Art. 15 Buchst. b der RL 2011/95/EU in das nationale Recht umsetzt, ist die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 59 f.; OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 137 ff.). Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist unter einer unmenschlichen Behandlung die vorsätzliche Zufügung entweder körperlicher Verletzungen oder intensiven physischen oder psychischen Leids zu verstehen. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie geeignet ist, das Opfer zu demütigen, zu erniedrigen oder zu entwürdigen (vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 142). Es ist vorliegend nicht ersichtlich, dass und weshalb dem Kläger im Falle einer Rückkehr jedenfalls in einer der als Schutzalternative genannten Städte wegen der geltend gemachten (individuellen) Gefährdung gerade Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Afghanistan in Betracht, da es am erforderlichen Akteur fehlt, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG. Die humanitären Verhältnisse in Afghanistan beruhen gerade auf einer Vielzahl von Faktoren, zu welchen die allgemeine wirtschaftliche Lage, Umweltbedingungen wie Klima und Naturkatastrophen ebenso wie die Sicherheitslage gehören. Es ist jedenfalls nicht feststellbar, dass der afghanische Staat, die in Afghanistan aktiven internationalen Streitkräfte oder ein sonstiger (nichtstaatlicher) Akteur die maßgebende Verantwortung tragen. Insbesondere ist nicht feststellbar, dass die notwendige medizinische oder humanitäre Versorgung gezielt vorenthalten würde (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris Rn. 21; VGH BW U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 176).
Dem Kläger droht auch wegen der derzeitigen allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Eine solche Gefahr kann sich zwar grundsätzlich auch aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem. Allerdings begründet nicht schon jede allgemeine Situation der Gewalt eine solche Gefahr. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist nur in äußerst extremen Fällen anzunehmen; es setzt voraus, dass die Situation allgemeiner Gewalt so intensiv ist, dass die betreffende Person dieser Gewalt bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich ausgesetzt ist. Erforderlich ist danach eine Gefahrverdichtung, die zu einer individuellen Betroffenheit des Betreffenden führt (vgl. OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 146 ff.). Dabei ist § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG dahingehend auszulegen, dass er nur solche Situationen erfasst, in denen der den subsidiären Schutz Beantragende spezifisch der Gefahr ausgesetzt ist, einen Schaden ganz bestimmter Art zu erleiden. Demgegenüber umfasst der in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG definierte Schaden infolge willkürlicher Gewalt eine Schadensgefahr allgemeinerer Art (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 – juris Rn. 32 f.; NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 74). Eine für § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erforderliche spezifische Gefahr ist für den Kläger jedenfalls nicht erkennbar.
Der Kläger ist aber auch nicht subsidiär schutzberechtigt i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG hat er nach Überzeugung des Gerichts nicht zu befürchten. Dabei kann offenbleiben, ob die in Afghanistan oder in Teilen von Afghanistan stattfindenden Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher Konflikt zu qualifizieren sind, weil der Kläger nach Überzeugung des Gerichts keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre, § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG. Denn eine ernsthafte individuelle Bedrohung ist nicht schon dann anzunehmen, wenn der (etwaige) innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Voraussetzung ist vielmehr, dass sich eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr individuell verdichtet (vgl. Nds.OVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 80). Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen – hier also A* … – in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, B.v. 14.11.2012 – 10 B 22/12 – juris). Persönliche Umstände, die den Kläger von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen gezwungen wäre, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten, sind angesichts des geschilderten Sachverhalts ebenso wenig ersichtlich wie solche, aufgrund derer er als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt wäre (vgl. Nds.OVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 80; OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 133).
Wenn aber individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr nur bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl. Nds.OVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 80). Für die Feststellung der hiernach erforderlichen Gefahrendichte können die Kriterien, die im Bereich des Flüchtlingsrechts für den Begriff der Verfolgungsdichte bei einer Gruppenverfolgung gelten, entsprechend herangezogen werden. Zur Ermittlung einer für die Annahme einer erheblichen Gefahr ausreichenden Gefahrendichte ist aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Herkunftsregion lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie die Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Bezug zu setzen; erst auf der Grundlage dieser quantitativen Ermittlung bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 Rn. 22 f.) ist die Annahme einer individuellen Gefährdung auch bei einer Gefahrendichte von 0,125% noch fernliegend (vgl. zusammenfassend BayVGH, B.v. 16.10.2019 – 5 ZB 19.33656 – juris Rn. 7). Eine für die Annahme einer erheblichen Gefahr ausreichende Gefahrendichte kann für A* … nicht festgestellt werden; zu Gunsten des Klägers ausgehend von einer von UNAMA in ihrem Jahresbericht 2019 angenommenen Einwohnerzahl von 570.534 (im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik, Österreich vom 13.11.2019 wird von über 600.000 Einwohnern ausgegangen, S. 182) und 218 Opfern besteht dort eine Opferwahrscheinlichkeit für das Jahr 2019 von rund 0,038% (vgl. UNAMA, Annual Report 2019, S.103). Diesbezüglich haben sich seither keine grundlegenden Änderungen ergeben.
Aus dem Bericht der UNAMA für den Zeitraum Januar bis Juni 2020 ergibt sich aktuell sogar eine Verbesserung der Sicherheitslage für Afghanistan insgesamt. So wurden für diesen Zeitraum insgesamt 3.458 zivile Opfer gemeldet (2.176 verletzte Personen und 1.282 getötete Personen). Damit sind die Opferzahlen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 13% gesunken (UNAMA, Afghanistan Protection of Civilians in Armed Conflicts – Midyear Report: 1 January – 30 June 2020, S. 1). Die Provinz B* … gehört zwar mit 233 getöteten und verletzten Zivilpersonen zu den besonders stark getroffenen Gebieten (UNAMA, Afghanistan Protection of Civilians in Armed Conflicts – Midyear Report: 1 January – 30 June 2020, S. 3). Aber hochgerechnet auf ein Jahr wird die Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auch hier nicht erreicht.
Darüber hinaus verfügt der Kläger wie unter 1. ausgeführt über eine innerstaatliche Schutzalternative.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 AufenthG.
3.1. Ein Abschiebungsverbot gemäß auf § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. Umfasst sind bei dem Verweis auf die EMRK nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich die zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse, die also in Gefahren begründet liegen, welche dem Betroffenen im Zielstaat der Abschiebung drohen (BVerwG, U. v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – BVerwGE 105, 322). Bei der Beurteilung ist auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob entsprechende Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (Nds. OVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 118; OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 175).
Zunächst ist, wie im Rahmen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes bereits ausgeführt, nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf Grund der allgemeinen Sicherheitslage droht (hierzu ausführlich BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris Rn. 20, 25 ff.; BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris Rn. 49 ff.).
Auch schlechte sozio-ökonomische und humanitäre Verhältnisse im Bestimmungsland können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen Art. 3 EMRK verletzten; dies ist dann der Fall, wenn die gegen die Abschiebung sprechenden humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – Rn. 21, 32; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 28). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Armut oder auf fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien, ist darauf abzustellen, ob der Ausländer seine elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft befriedigen kann und ob Aussicht auf Verbesserung seiner Lage in angemessener Zeit besteht (BVerwG, U.v. 31.1.13 – 10 C 15/12 – juris Rn. 25aE). Bei der Bewertung der Situation ist eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw. (VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – Rn. 97).
In tatsächlicher Hinsicht genügt es den Anforderungen des Art. 3 EMRK, wenn der Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rand des Existenzminiums finanzieren kann (BVerwG U.v. 31.1.13 – 10 C 15/12 – juris Rn. 27).
In Afghanistan liegen trotz der sich aus den neueren Erkenntnismitteln ergebenden besorgniserregenden humanitären Situation keine Erkenntnisse vor, die hinreichend verlässlich den Schluss zuließen, dass jeder alleinstehende, männliche, arbeitsfähige afghanische Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte (vgl. jüngst EGMR U.v. 25.2.2020 – 68337/17, 530/18 – A.S.N. and Others/The Netherlands – beckonline BeckRS 2020, 10613 Rn. 126f. und EGMR, U.v. 9.7.2020 – M.H./Finnland – 42255/18 – Rn. 48ff; BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris Rn. 47 – 67, BayVGH, B.v. 29.6.2020 – 13a ZB 19.33342 – Rn. 7f.). Zudem liegen Erkenntnisse dahingehend, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer in Afghanistan in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger oder Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, trotz hoher Rückkehrzahlen nicht vor (BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – Rn. 32 ff.; BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris Rn. 63). Der fast 23-jährige Kläger spricht mit Paschtu eine der afghanischen Landessprachen, hat in Deutschland die Mittelschule besucht und absolviert nach derzeitigem Stand erfolgreich eine Ausbildung zum Fachlageristen. Er wäre somit in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten etwa in Kabul oder einer anderen afghanischen Großstadt ein hinreichendes – wenn auch kleines – Einkommen zu erzielen, sich selbst zu versorgen und seinen Lebensunterhalt zumindest auf niedrigem Niveau zu sichern. Außerdem besteht, wie bereits ausgeführt, für den Kläger – insbesondere im Fall der freiwilligen Ausreise – die Möglichkeit, in nicht unerheblichem Umfang Rückkehr- und Starthilfen im Rahmen des REAG/GARP- und des ERRIN-Programms sowie weitere Unterstützungsleistungen für Rückkehrer in Anspruch zu nehmen.
Auch die allgemeinen Gefahren, die derzeit durch die aktuelle Covid-19-Pandemie verursacht werden, erfüllen nicht die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m Art. 3 EMRK. Das erkennende Gericht schließt sich insoweit den Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 1. Oktober 2020 (13a B 20.31004 – juris Rn. 43 ff.) an, wonach unter Auswertung der vorhandenen aktuellen Erkenntnismittel derzeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass Personen wie der Kläger infolge der Pandemie eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung erfahren werden (vgl. a. VG Freiburg U.v. 19.5.2020 – A 8 K 9604/17 – juris Rn. 40 ff.; VG München, U.v. 18.6.2020 – M 25 K 17.41700 – Rn. 22 ff.).
3.2 Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Konkret ist die Gefahr, wenn sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Aus den Tatbestandsmerkmalen der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer ergibt sich zudem das zusätzliche Erfordernis einer auf den Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretenden Gefahrensituation. Diese Gefahrensituation muss landesweit drohen, wobei unerheblich ist, ob die Gefahr vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 224).
Von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst werden nur solche Gefahren die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris).
Die allgemeine humanitäre oder Sicherheitslage in Afghanistan begründet kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann nur ausnahmsweise gewährt werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz der fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Dabei hängt es wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung, wann allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen. Jedenfalls aber müssen die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Es ist dabei bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer also mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert dann die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Diese Gefahren müssen sich darüber hinaus alsbald nach der Rückkehr realisieren, wobei sie nicht gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen, sondern eine solch extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann besteht, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris Rn. 54; BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 23.10 – NVwZ 2012, 244).
Eine solche Gefahr kann allerdings von vorherein nicht angenommen werden, wenn bereits – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen allgemeiner Gefahren zu verneinen sind (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13; BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004 – juris Rn. 58; BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris Rn. 37). Für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG besteht daher hier kein Bedarf.
Individuelle Anhaltspunkte in der Person des Klägers, die zu einer konkreten Gefahr führen und einer Abschiebung entgegenstehen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Sie besteht, wie ausgeführt, namentlich nicht wegen der vom Kläger geltend gemachten Gefährdung durch Angehörige der Taliban (siehe oben).
Eine erhebliche konkret-individuelle Gefahr besteht für den Kläger auch nicht aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Es wurde weder vorgetragen noch ist es sonst ersichtlich, dass der Kläger an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet. Die Gefahr, nach Rückkehr in Afghanistan am Coronavirus zu erkranken, stellt eine allgemeine Gefahr dar, bei der nur ausnahmsweise in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz beansprucht werden kann, wenn der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Eine Auswertung der aktuellen Erkenntnismittel lässt jedoch keine signifikant höhere Gefahr als weltweit bestehend erkennen. Auch im Fall einer Erkrankung des Klägers in Afghanistan und unter der Annahme, dass die Gesundheitsversorgung in Afghanistan dem deutschen oder europäischen Standard nicht entsprechen und eine entsprechende Versorgung möglicherweise nicht gewährleistet sein sollte, lässt sich den Erkenntnismitteln keine höhere Gefahr als beispielsweise in Deutschland entnehmen. Die Sterblichkeitsquote beträgt in beiden Ländern nach den aktuell verfügbaren Daten der Weltgesundheitsorganisation 3-4% (https://covid19.who.int/region/emro/country/af, Stand 18.9.2020 und https://covid19.who.int/region/euro/country/de, Stand 30.9.2020). Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass den Kläger ein besonderes Risiko trifft, bei einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus schwer zu erkranken oder gar zu versterben. Bei jungen und gesunden Menschen geht eine derartige Infektion zumeist nur mit leichten Symptomen einher, die von selbst ausheilen. Rund 80% der Erkrankungen verlaufen milde bis moderat (vgl. Steckbrief des RKI, https://www.rki.de/DE/Content /InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steck-brief.html, abgerufen am 22.9.2020). Es ist daher nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger schwerwiegend oder gar lebensbedrohlich erkranken würde. Damit hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
4. Die von der Beklagten auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung und das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage der § 11 Abs. 1 AufenthG begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung.


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