Verwaltungsrecht

Unglaubhaftes Vorbringen zur Vorverfolgung

Aktenzeichen  B 9 K 17.31406

Datum:
5.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41850
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 87b Abs. 3 S. 1, § 108 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 31. Januar 2019 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
Der angefochtene Bescheid vom 31. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter noch auf Zuerkennung internationalen Schutzes. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind nicht zu beanstanden.
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (§ 3c Abs. 1 Nr. 2 AsylG) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Abs. 1 Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt Folgendes:
Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft muss sich das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (EU-Qualifikations-RL) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird.
Es obliegt dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Das Gericht schließt sich zunächst den zutreffenden Gründen im angefochtenen Bescheid der Beklagten an und sieht daher insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist zum gerichtlichen Verfahren des Klägers Folgendes auszuführen:
Selbst unter Berücksichtigung der Schilderungen des Klägers im Klageverfahren besteht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger hat vor dem Bundesamt lediglich eine fragmentarische Rahmengeschichte geschildert, die nicht den Eindruck erweckt, als dass es sich hierbei um tatsächliche Erlebnisse der Familie handeln würde. Das Gericht ist vielmehr davon überzeugt, dass eine Fluchtgeschichte referiert wurde, die er so jedenfalls nicht erlebt hat, sondern die sich der Kläger zurechtgelegt hat, um seine Chancen im Asylverfahren zu verbessern.
a) Die Glaubwürdigkeit des Klägers und auch die Glaubhaftigkeit des gesamten Vorbringens, werden bereits durch die nachgewiesenermaßen falschen Angaben des Klägers und seiner Ex-Frau hinsichtlich der Einreise nach Deutschland schwer erschüttert.
Die Frage des Reisewegs ist zwar kein wesentlicher Bestandteil der Schilderung des Verfolgungsschicksals. Allerdings stellt der Tatsachenvortrag zu den Reisemodalitäten ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit eines Verfolgungsschicksals und der Glaubwürdigkeit eines Asylsuchenden dar (vgl. VG Augsburg, U.v. 10.7.2013 – Au 7 K 13.30163 – juris m.w.N.).
Der Kläger gab – übereinstimmend mit seiner Ex-Frau – im Gespräch zur Vorbereitung der Anhörung am 4. November 2013 und auch zunächst in der mündlichen Verhandlung am 31. Januar 2019 an, die Familie habe Tschetschenien am 26. Oktober 2013 um 7 Uhr morgens in einem weißen Kleinbus verlassen. In der Ukraine sei die Familie dann in einen Lastwagen umgestiegen. Hinter Kisten versteckt, auf der Ladefläche des Lastwagens sei die Fahrt nach Berlin fortgesetzt worden. Mit dem Fahrer habe sich die Familie über Klopfzeichen verständigt. Insgesamt habe die Flucht 3.000 Euro gekostet. Dieses Geld habe sich die Familie von einem Freund des Klägers geliehen.
In der Behördenakte des Klägers findet sich allerdings ein Schreiben des Grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten vom 21. November 2013 an das Bundespolizeipräsidium in Potsdam. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Französische Botschaft die Deutsche Botschaft Moskau über das mutmaßliche Verschwinden russischer Staatsangehöriger in Deutschland während einer organisierten Busreise informiert habe. Der Mitteilung zufolge seien in der Nacht 26./27. Oktober 2013 während ihrer Übernachtung im Hotel „…“ im Rahmen einer organisierten Busreise zehn Personen verschwunden. Diese Personen seien nicht programmgemäß zur Weiterreise nach Frankfurt erschienen. Es handele sich hierbei um eine tschetschenische Familie und vier weitere Personen. Die Personalien seien aus der Anlage des Schreibens zu entnehmen. Das Programm habe planmäßig eine Reise von Moskau über Brest und Berlin nach Paris (mit Besuch des Disneylands), anschließendem Transfer nach Luxemburg und die Rückreise über Tschechien und Polen vom 24. Oktober 2013 bis 2. November 2013 beinhaltet.
In der genannten Anlage des Schreibens informiert der Reiseveranstalter die Konsularabteilung der Französischen Botschaft, dass die Touristen
1. …, geb. …, Passnr. …
2. …, geb. …, Passnr. …
3. …, geb. …, Passnr. …
4. …, geb. …, Passnr. …
5. …, geb. …, Passnr. …
6. …, geb. …, Passnr. …
auf dem Weg nach Frankreich im geplanten Zeitraum 24. Oktober 2013 – 2. November 2013 ihre Reisegruppe während der Übernachtung in Düsseldorf vom 26. Oktober 2013 bis 27. Oktober 2013 verlassen hätten.
In der mündlichen Verhandlung fragte das Gericht den Kläger zunächst noch einmal, ob er dabei bleibe, mit dem LKW nach Deutschland eingereist zu sein. Daraufhin erklärte der Kläger: „Ja sicher, warum sollte ich hier gelogen haben!“. Erst als ihm das Schreiben des Grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten samt Anlage, aus der sich eindeutig die Personalien des Klägers und seiner gesamten Familie ergeben (übereinstimmende Namen, Geburtsdaten und Passnummern), in der mündlichen Verhandlung vorgehalten wurde, gab er zu, dass die Familie nicht mit dem LKW gefahren sei.
Die Erklärung des Klägers hierfür, nämlich dass die Familie bei wahrheitsgemäßen Angaben Angst gehabt habe, direkt wieder ausgewiesen zu werden und unbedingt ein Asylverfahren in Deutschland durchlaufen wollte, überzeugt das Gericht nicht. Das klägerische Verhalten lässt vielmehr darauf schließen, dass der Kläger nicht davor zurückschreckt, auch unwahre Tatsachen für eine dramatische Fluchtgeschichte vorzuspiegeln, um das gewünschte Ziel – die Zuerkennung internationalen Schutzes – mit allen Mitteln zu erreichen.
b) Abgesehen von den unwahren Angaben zum Reiseweg der Familie, hält das Gericht auch die vorgetragene Verfolgungsgeschichte und die angegebenen Nachfluchtgründe nicht für glaubhaft.
aa) Die Schilderungen des Klägers hinsichtlich der vor der Ausreise der Familie behaupteten Vorkommnisse im Jahr 2013 sind nicht glaubhaft, denn sie sind in vieler Hinsicht nicht nachvollziehbar und sehr detailarm. Darüber hinaus sind die Ausführungen vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung teilweise widersprüchlich und wurden gesteigert.
Insgesamt entstand in der mündlichen Verhandlung der Eindruck, dass der Kläger und seine Ex-Frau bemüht waren, die gemeinsame Fluchtgeschichte und ihre Angaben hierzu gut miteinander abgestimmt in der mündlichen Verhandlung zu präsentieren. Diese Abstimmung fand jedoch offensichtlich trotzdem nur oberflächlich statt. Als das Gericht in der mündlichen Verhandlung nach Details fragte, war es dem Kläger nicht möglich, diese wiederzugeben. Stattdessen versuchte er konsequent, mit der Erzählung seiner vorbereiteten Fluchtgeschichte fortzufahren. Besonders deutlich wurde dies bei der Bitte des Gerichts an den Kläger, die Männer, welche die Familie überfallen hatten, näher zu beschreiben. Zunächst gab der Kläger nur an, die Männer hätten Militärkleidung getragen. Auf Bitte des Gerichts, dies etwas genauer zu beschreiben, erklärte der Kläger, dies nicht mehr zu wissen. Erst auf weitere gezielte Nachfragen führte er aus, dass die Männer Schlagstöcke und Waffen bei sich getragen hätten. Die einfache Frage nach der Farbe der Uniform konnte oder wollte der Kläger – wohl auch um der Gefahr eines Widerspruchs zu den vorherigen Angaben seiner getrennt von ihm angehörten Ex-Frau zu begegnen – auch auf mehrfache Nachfrage hin nicht beantworten. In diesem Punkt handelt es sich offensichtlich auch nicht um ein unwesentliches Detail, vielmehr wäre insoweit zu erwarten, dass es dem Kläger auch zum heutigen Zeitpunkt noch präsent wäre, da sich ein derart gravierendes Ereignis fest in das Gedächtnis eingeprägt habe müsste.
Überdies steigerte der Kläger seinen Vortrag auch erheblich, indem er in der mündlichen Verhandlung geltend machte, den Cousin … immer unterstützt (u.a. finanziell) zu haben. … sei immer zum Nachbarn des Klägers gegangen und habe dort die vom Kläger für ihn hinterlegten Dinge abgeholt. Bei seiner Anhörung beim Bundesamt sprach der Kläger noch lediglich von einem einzigen Anruf des Cousins am 15. Oktober 2013 mit belanglosem Inhalt. Von weiteren Unterstützungstätigkeiten war nicht die Rede. Die Tatsache, ob die Familie einen angeblich gesuchten Rebellen über Jahre unterstützt hat oder aufgrund eines einzigen Telefonats mit ihm aufgesucht wird, macht einen erheblichen Unterschied und wäre sicher nicht von beiden Eheleuten in den getrennten Anhörungen unerwähnt geblieben. Die vom Kläger und seiner Ex-Frau in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte „erweiterte“ Unterstützung stellt daher eine ganz erhebliche Steigerung im Vortrag dar, die nach der Überzeugung des Gerichts rein verfahrenstaktische Gründe hat und damit nicht glaubhaft ist. Der Kläger hat sich damit – neben den gelogenen Angaben zum Reiseweg – auch hierdurch in seiner Person unglaubwürdig gemacht.
Gegen das Vorliegen eines staatlichen Verfolgungsinteresses am Kläger spricht außerdem maßgeblich, dass dem Kläger die Ausreise im Rahmen der organisierten Reise nach Disneyland mit seinem eigenen Pass und einem Visum möglich war, obwohl er angeblich verfolgt wurde. Der Kläger reiste mit seiner Familie nachgewiesenermaßen ganz legal aus Russland aus. Die Reise führte mit dem Zug von Moskau nach Brest und dort über die Grenze nach Polen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass der Kläger, sollte er tatsächlich als Unterstützer eines gesuchten Rebellen angesehen worden sein, auf diesem Weg – trotz stattfindender Grenzkontrollen – hätte ausreisen können.
Allgemein ist außerdem festzustellen, dass der Kläger Geschehnisse am Rande, Gefühlsregungen, Zeitangaben oder ähnliche Angaben, die normalerweise zur Schilderung eines wahrheitsgemäßen Sachverhaltes gehören und die dem Hörer dieser Schilderung ein anschauliches Bild vermitteln, nicht erwähnte. Für das Gericht ist es deshalb nicht glaubhaft, dass der Kläger ein reales Geschehen geschildert hat.
bb) Es liegt auch kein Nachfluchtgrund vor, auf welchen sich der Kläger mit Erfolg berufen könnte. Zwar ermöglich § 28 Abs. 1a AsylG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch dann, wenn die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignissen beruht, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat. Der Kläger konnte jedoch nichts Entsprechendes zur Überzeugung des Gerichts vortragen.
In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger erstmals an, homosexuell zu sein. Das Gericht hält diese Aussage nicht für glaubhaft. Es ist nicht ersichtlich, warum der Kläger diese wichtige Tatsache das erste Mal über fünf Jahre nach seiner Einreise nach Deutschland vorbrachte, vor allem wenn er – wie er selbst auf Nachfrage des Klägerbevollmächtigten angab – angeblich bereits direkt nach der Einreise damit begann, seine homosexuelle Orientierung auszuleben. Die Anhörung des Klägers erfolgte erst drei Jahre nach der Einreise im Jahre 2016 – hier erwähnte der Kläger eine Homosexualität noch mit keinem Wort. Auch im Laufe des Klageverfahrens wurde nichts Entsprechendes vorgetragen. Die Erklärung des Klägers, er habe nicht gewusst, dass es wichtig sei, dass er dies anführe, glaubt ihm die Einzelrichterin nicht.
Überdies macht das Gericht diesbezüglich – ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt – von seinem Ermessen Gebrauch und weist den klägerischen Vortrag hinsichtlich der Homosexualität als verspätet zurück (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 13.2.2015 – 13a ZB 14.30432 – juris). Die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel sind nämlich nicht gemäß § 74 Abs. 2 AsylG innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung der Beklagten angegeben worden (vgl. auch OVG Bautzen, B.v. 18.11.2013 – A 1 A 544/13 – juris). Die Voraussetzungen der Anwendung des § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO, der gemäß § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG entsprechende Anwendung findet, lagen vor. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht Tatsachen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der Frist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würden (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO), der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) und der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumnis belehrt worden ist (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 VwGO). Es bestehen vorliegend keine Zweifel daran, dass die Zulassung der erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten angeblichen Homosexualität des Klägers die Erledigung des entscheidungsreifen Rechtsstreits verzögern würde, da das Gericht u.U. weitere Nachforschungen anstellen müsste. Eine genügende Entschuldigung dieser Verspätung durch den Kläger ist nicht ersichtlich und auch nicht erfolgt. Es wurde nicht dargelegt warum die Aspekte nicht rechtzeitig in das Klageverfahren eingeführt wurden. Die Beklagte hat den Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrung:des angefochtenen Bescheids über die Folgen einer Versäumung der Frist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG belehrt. Auch die Klageeingangsmitteilung des Gerichts vom 21. April 2017 enthielt eine Belehrung gemäß § 74 Abs. 2 AsylG i.V.m. § 87b Abs. 3 VwGO, so dass die Voraussetzungen des § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO vorlagen. (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, B.v. 18.11.2013 – A 1 A 544/13 – juris; BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 21 ZB 14.30468 – juris). Zudem wurde in der Ladung vom 14. Dezember 2018*von der Einzelrichterin unter Hinweis auf § 87b Abs. 3 VwGO eine Ausschlussfrist verfügt.
cc) Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Es fehlt schon offensichtlich an den inhaltlichen Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG. Auf die vorstehenden Ausführungen zum Flüchtlingsschutz wird verwiesen.
3. Dem Kläger steht des Weiteren kein Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG zu. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die Gefahr eines ernsthaften Schadens kann nicht nur vom Staat drohen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keiner Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist, weil er dort Zugang zu Schutz vor einem solchen ernsthaften Schaden i.S.d. § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG). Zunächst wird auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Über das geschilderte Verfolgungsschicksal hinausgehende Gründe für die Gewährung subsidiären Schutzes wurden vom Kläger nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
4. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird ebenfalls auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 VwGO).
a) Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Russischen Föderation führen nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Der Kläger ist gesund und erwerbsfähig und hat selbst angegeben, vor seiner Ausreise in Russland selbstständiger Unternehmer mit eigenem Geschäft und einem eigenen Haus gewesen zu sein. Es ist nicht ersichtlich und nichts vorgetragen, dass der Kläger an diese Verhältnisse nicht anknüpfen könnte. Selbst wenn er einer Tätigkeit wie vor der Ausreise nicht mehr nachgehen kann, ist es ihm zur Sicherung des Existenzminimums zumutbar, sämtliche Tätigkeiten – auch schlichte Hilfstätigkeiten – auszuüben. Darüber hinaus verfügt der Kläger über familiären Rückhalt in der Russischen Föderation, sodass bei einer Rückkehr in Notsituationen von einer Unterstützung im Rahmen des Familienverbundes auszugehen ist. Überdies hat die Russische Föderation ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation – Stand 7.5.2018; S. 101 ff.). Auch hier könnte der Kläger ggf. auf Unterstützungsleistungen zurückgreifen. Die hohen Voraussetzungen für die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind daher schon im Ansatz nicht erfüllt.
b) Dem Kläger droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Aus den für den Kläger im Laufe des Verfahrens angegebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergibt sich kein Anhaltspunkt für das Vorliegen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach der Rechtsprechung ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris). Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat wesentlich verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Darüber hinaus kann sich – trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung – das Abschiebungsverbot aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung mit einzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer wesentlichen Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ genügt jedoch nicht die bloße theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr entspricht der Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dem asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr für „diesen Ausländer“ das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten oder erheblichen Gefährdungssituation statuiert (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris; VG Bayreuth, U.v. 8.8.2018 – B 7 K 17.33133 – juris).
Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene schwerwiegende Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Von einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes gesprochen werden, sondern nur bei außergewöhnlichen schweren physischen oder psychischen Schäden oder Zuständen. Dies stellt auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG klar, wonach eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt. Insbesondere ist es gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation mit der der Versorgung in Deutschland vergleichbar ist (vgl. zum Ganzen auch VG Bayreuth, U.v. 25.01.2018 – B 7 K 17.31917 – juris und VG Bayreuth, U.v. 8.8.2018 – B 7 K 17.33133 – juris).
Es ist nicht ersichtlich, dass beim Kläger eine wesentliche Verschlechterung einer schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung alsbald nach der Rückkehr in die Russische Föderation droht. Eine psychische Erkrankung des Klägers wurde nicht substantiiert dargelegt, da keine aktuellen Atteste vorgelegt wurden. Die letzten, im behördlichen Verfahren eingereichten Atteste datieren auf Juli 2014 – Rückschlüsse auf den momentanen Gesundheitszustand des Klägers lassen sich offensichtlich aus über viereinhalb Jahre alten Attesten nicht ziehen.
Die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c AufenthG, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, kann damit dementsprechend nicht widerlegt werden.
5. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gem. § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn er ist, wie oben ausgeführt, nicht als Flüchtling anzuerkennen. Ihm steht auch kein subsidiärer Schutz oder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu. Er besitzt zudem keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
6. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, liegen nicht vor.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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