Verwaltungsrecht

Ungültigerklärung der Wahl des ersten Bürgermeisters, Unzulässige Wahlbeeinflussung, Neutralitätsgebot für die mit der Durchführung der Wahl betrauten Behörden, Verteilung eines gemeindlichen Mitteilungsblattes zwei Tage vor der Wahl, Leistungs- Erfolgs- und Arbeitsbericht, Veröffentlichung nicht aus akutem Anlass geboten

Aktenzeichen  M 7 K 20.3380

Datum:
1.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28664
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GLKrWG Art. 50 Abs. 3
GLKrWG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 20 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamts vom 30. Juni 2020, mit dem die Wahl des ersten Bürgermeisters in der Gemeinde B. vom 15. März 2020 für ungültig erklärt wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 50 Abs. 3 GLKrWG hat die Rechtsaufsichtsbehörde die Wahl für ungültig zu erklären, wenn Wahlvorschriften verletzt wurden und es möglich ist, dass es dadurch zu einer unrichtigen Sitzverteilung oder Ämterverteilung gekommen ist, die nicht berichtigt werden kann.
Vorliegend war das Landratsamt nach Art. 50 Abs. 3 GLKrWG verpflichtet, die streitgegenständliche Wahl für ungültig zu erklären, da mit der Verteilung des gemeindlichen Mitteilungsblattes nur zwei Tage vor der Wahl, ohne dass dies aus akutem Anlass geboten gewesen wäre, gegen Art. 20 Abs. 3 GLKrWG verstoßen wurde und dieser Verstoß auch geeignet war, das Wahlergebnis zu verdunkeln.
Nach Art. 20 Abs. 3 GLKrWG, einer wahlrechtlichen Vorschrift i.S.d. Art. 50 Abs. 3 GLKrWG, ist es den mit der Durchführung der Wahl betrauten Behörden und den Wahlorganen u.a. untersagt, den Inhalt der Stimmrechtsausübung in irgendeiner Weise zu beeinflussen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können Wahlen demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG nur verleihen, wenn sie frei sind. Das erfordert nicht nur, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, wie es Art. 38 Abs. 1 GG gebietet, sondern ebenso sehr, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können. Damit unvereinbar ist eine auf Wahlbeeinflussung gerichtete, parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen als solchen zugunsten oder zulasten einzelner oder aller am Wahlkampf beteiligten politischen Parteien oder Bewerber. Sie verstößt gegen das Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf und verletzt die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen. Daher verbietet das in Art. 20 Abs. 2 GG und Art. 2, 4 BV verankerte Demokratieprinzip, dass sich öffentliche Organe im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern identifizieren und sie unter Einsatz öffentlicher Mittel unterstützen bzw. durch Werbung die Entscheidung des Wählers beeinflussen. Damit verbunden ist die verfassungsrechtliche Grundverpflichtung, dass alle Staatsgewalt am Wohl aller Bürger ausgerichtet werden und auch die Rechte der Minderheit beachten und ihre Interessen mitberücksichtigen muss. Sie verbietet, dass unter dem Mantel öffentlicher Hoheit parteiergreifend auf den Grundakt demokratischer Legitimation, die Wahlen, eingewirkt wird (vgl. BayVGH, U.v. 27.11.1991 – 4 B 91.601 – juris Rn. 16 und U.v. 22.6.1983 – 4 B 80 A.1769, BeckRS 1983, 03875 beide unter Verweis auf BVerfG, U.v. 2.3.1977 – 2 BvE 1/76 – juris).
Diese für die Wahl zum Bundestag entwickelten Grundsätze gelten über Art. 28 Abs. 1 GG auch für den kommunalen Bereich (vgl. BayVGH in st. Rspr. z.B. U.v. 27.11.1991 – 4 B 91.601 – juris Rn. 17). Daraus folgt – in landesrechtlicher Übernahme und Ausgestaltung der bundesrechtlichen Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG für den kommunalen Bereich – eine Neutralitätspflicht der mit der Wahl betrauten Behörden und der Wahlorgane im Kommunalwahlkampf, die ihren einfachgesetzlichen Niederschlag insbesondere in Art. 20 Abs. 3 GLKrWG gefunden hat. Diese Pflicht zur Neutralität gilt vor allem für die Gemeinde, und zwar sowohl für die der Gemeinde zugeordneten Wahlorgane (Art. 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GLKrWG), als auch für die anderen Organe der Gemeinde und die Gemeindeverwaltung. Denn die Gemeinde ist die zentrale „mit der Durchführung der Wahl betraute Behörde“ i.S.d. Art. 20 Abs. 3 GLKrWG. Ihr obliegen nach den allgemeinen kommunalrechtlichen Zuständigkeitsregelungen kraft staatlichen Auftrags im übertragenen Wirkungskreis wichtige Aufgaben bei der Vorbereitung, Durchführung und Abwicklung der Wahlen (vgl. BayVGH, U.v. 21.10.2003 – 4 BV 03.671 – juris Rn. 38).
Dieser strengen Neutralitätspflicht unterliegt indes auch der Bürgermeister der Mitgliedsgemeinde einer Verwaltungsgemeinschaft. Dies gilt vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Gebotenheit der Neutralitätspflicht für alle öffentliche Organe ungeachtet dessen, dass bei Mitgliedsgemeinden von Verwaltungsgemeinschaften die Aufgaben, die den Gemeinden im übertragenen Wirkungskreis zugewiesen sind, wozu auch die Durchführung der Kommunalwahlen gehört, von den Verwaltungsgemeinschaften zu erledigen sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgemeinschaftsordnung für den Freistaat Bayern). Denn im Hinblick auf das Demokratieprinzip verbietet sich jegliche auf Wahlbeeinflussung gerichtete, parteiergreifende Einwirkung öffentlicher Organe zugunsten oder zulasten von Wahlvorschlagsträgern und Bewerbern (vgl. Büchner, Kommunalwahlrecht in Bayern, Stand: 1.2.2020, Nr. 11.20, zu Art. 20 GLKrWG Anm. 5; vgl. auch VG Ansbach, U.v. 11.11.2014 – AN 4 K 14.01333 – juris Rn. 37 f., das im Hinblick auf die Zuständigkeit des Gemeinderats nach Art. 5 Abs. 1 GLKrWG auch eine Mitgliedsgemeinde als Wahlbehörde einstuft). Denn der alle Wahlen beherrschende Grundgedanke ist, dass amtliche Befugnisse nicht im Sinn einer Wahlwerbung ausgeübt werden dürfen (vgl. BayVerfGH, E.v. 11.3.1994 – Vf. 22-VI-92 – juris Rn. 31). Eine unzulässige Wahlbeeinflussung kann daher aber auch nur bei solchen Handlungen angenommen werden, die von Amtsträgern in amtlicher Eigenschaft ausgehen und sich gezielt an die Wähler wenden (vgl. BayVGH, U.v. 21.10.2003 – 4 BV 03.671 – juris Rn. 38). Auch Äußerungen in gemeindlichen Amtsblättern oder anderen Verkündungsorganen der Gemeinde, die in amtlicher Eigenschaft erfolgen, haben die gebotene Neutralität und Zurückhaltung zu wahren (vgl. VG Karlsruhe, U.v. 19.10.2018 – 14 K 3350/18 – juris Rn. 50).
Nach diesen Grundsätzen unterlag der Kläger bei der Veröffentlichung des gemeindlichen Mitteilungsblattes als amtierender erster Bürgermeister – einer verwaltungsgemeinschaftsangehörigen Gemeinde – zwei Tage vor der Wahl dem strengen Neutralitätsgebot öffentlicher Organe in der Vorwahlzeit. Auch ein Tätigwerden in amtlicher Eigenschaft liegt bei der Erstellung und Veröffentlichung des gemeindlichen Mitteilungsblattes – eines amtlichen Druckerzeugnisses – unzweifelhaft vor. Durch die Verteilung des Mitteilungsblattes an alle gemeindlichen Haushalte wurden auch gezielt die für die anstehende Kommunalwahl Wahlberechtigten angesprochen.
Das im Auftrag des Klägers verteilte gemeindliche Mitteilungsblatt stellt als „Leistungs-, Erfolgs- oder Arbeitsbericht“ (auch) des ersten Bürgermeisters eine in der „heißen Phase des Wahlkampfes“ unzulässige Wahlbeeinflussung dar.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung anerkannt, dass Öffentlichkeitsarbeit der Regierung nicht nur zulässig, sondern auch notwendig ist, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. In den Rahmen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit fällt danach, die Politik der Regierung, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie künftig zu lösende Fragen darzulegen und zu erläutern. Zulässige Öffentlichkeitsarbeit findet indessen dort ihre Grenze, wo die Wahlwerbung beginnt (vgl. BVerfG, B.v. 23.2.1983 – 2 BvR 1765/82 – Rn. 53 f.).
Hinweise dafür, dass ein Hineinwirken in den Wahlkampf bezweckt ist, können sich aus der äußeren Form und der Aufmachung von Anzeigen, Broschüren, Faltblättern und anderen Druckschriften ergeben. Tritt der informative Gehalt einer Druckschrift oder Anzeige eindeutig hinter die reklamehafte Aufmachung zurück, so kann das ein Anzeichen dafür sein, dass die Grenze zur unzulässigen Wahlwerbung überschritten ist. Entsprechendes gilt, wenn sich im Vorfeld der Wahl Druckschriften oder Anzeigen häufen, die bei unbefangener Betrachtung mehr der Steigerung des Bekanntheitsgrades und der Sympathiewerbung für Mitglieder der Bundesregierung als der Befriedigung eines von der Sache her gerechtfertigten Informationsbedürfnisses der Bürger dienen (vgl. BVerfG, U.v. 2.3.1977 – 2 BvE 1/76 – juris Rn. 74).
Als Anzeichen für eine Grenzüberschreitung zur unzulässigen Wahlwerbung kommt weiterhin ein Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe in Betracht, das sowohl in der größeren Zahl von Einzelmaßnahmen ohne akuten Anlass, wie in deren Ausmaß und dem gesteigerten Einsatz öffentlicher Mittel für derartige Maßnahmen zum Ausdruck kommen kann. Die Grenze, die das Grundgesetz zwischen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und unzulässiger Wahlwerbung zieht, kann in der Vorwahlzeit nämlich auch bereits dort überschritten sein, wo regierungsamtliche Veröffentlichungen sich auf eine sachliche Information des Bürgers beschränken, sich also weder durch ihren Inhalt noch durch ihre Aufmachung als Werbemaßnahmen zugunsten eigener Machterhaltung oder für eine politische Partei zu erkennen geben. Derartige Informationen stehen nicht frei im politischen Raum; sie können nur im Rahmen des Zusammenhanges sachgerecht gewürdigt werden. Unterrichtet die Regierung im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit den Bürger über ihre Leistungen und Erfolge, so entfaltet dies regelmäßig Wirkungen auch zugunsten der die Regierung tragenden Parteien. Das ist verfassungsrechtlich zwar unbedenklich, solange die betreffende Veröffentlichung nicht in unmittelbarer zeitlicher Beziehung zu einer bevorstehenden Wahl steht, sich also voraussichtlich nur in begrenztem Umfang werbend auf das Wahlergebnis auswirken wird. Hingegen kann die Regierung ihre Pflicht, die Wahlentscheidung des Bürgers nicht zugunsten einer Partei oder im Interesse ihrer eigenen Machterhaltung zu beeinflussen, verletzen, wenn sie im nahen Vorfeld der Wahl ihrem Inhalt und ihrer Aufmachung nach nicht zu beanstandende Veröffentlichungen, insbesondere in Form von sogenannten Arbeits-, Leistungs- oder Erfolgsberichten mit beträchtlichem Aufwand und in erheblicher Menge veröffentlicht oder gegen ihre Verbreitung keine ausreichenden Vorkehrungen trifft, die ihre Verwendung zu wahlwerbenden Zwecken verwehren (vgl. BVerfG, U.v. 2.3.1977 – 2 BvE 1/76 – juris Rn. 75 f.; B.v. 23.2.1983 – 2 BvR 1765/82, Rn. 55).
Wann diese Grenze überschritten ist, der voraussichtliche Einfluss solcher Veröffentlichungen auf die politische Meinungsbildung des Wählers also verfassungsrechtlich nicht mehr gerechtfertigt ist, lässt sich nicht allgemeingültig festlegen; dies hängt vor allem von Zahl und Umfang solcher Maßnahmen, der Nähe des Wahlzeitpunktes und der Intensität des Wahlkampfes ab. Je näher die Veröffentlichungen an den Beginn der „heißen Phase“ des Wahlkampfes heranrücken, desto weniger können ihre Auswirkungen auf das Wahlergebnis ausgeschlossen werden. Deshalb tritt hier die Aufgabe und Kompetenz der Regierung, den Bürger auch über zurückliegende politische Tatbestände, Vorgänge und Leistungen sachlich zu informieren, zunehmend hinter das Gebot zurück, die Willensbildung des Volkes vor den Wahlen nach Möglichkeit von staatlicher Einflussnahme freizuhalten. Aus der Verpflichtung der Bundesregierung, sich jeder parteiergreifenden Einwirkung auf die Wahl zu enthalten, folgt schließlich das Gebot äußerster Zurückhaltung und das Verbot jeglicher mit Haushaltsmitteln betriebenen Öffentlichkeitsarbeit in Form von sogenannten Arbeits-, Leistungs- oder Erfolgsberichten. Denn in der „heißen Phase des Wahlkampfes“ gewinnen solche Veröffentlichungen in aller Regel den Charakter parteiischer Werbemittel in der Wahlauseinandersetzung, in die einzugreifen der Regierung verfassungskräftig versagt ist. Von diesen Beschränkungen der Öffentlichkeitsarbeit unberührt bleiben dagegen auch im Vorfeld der Wahl informierende, wettbewerbsneutrale Veröffentlichungen, die aus akutem Anlass geboten sind (vgl. BVerfG, U.v. 2.3.1977 – 2 BvE 1/76 – juris Rn. 77; B.v. 23.2.1983 – 2 BvR 1765/82, Rn. 55).
Unter Berücksichtigung dieser für die Wahl zum Bundestag entwickelten Grundsätze, die – wie ausgeführt – über Art. 28 Abs. 1 GG auch für den kommunalen Bereich Geltung beanspruchen (vgl. BayVGH in st. Rspr. z.B. U.v. 27.11.1991 – 4 B 91.601 – juris Rn. 17; HessVGH, U.v. 10.10.1991 – 6 UE 2578/90 – juris Rn. 46 m.w.N.), stellt das nur zwei Tage vor der Wahl an alle gemeindlichen Haushalte verteilte gemeindliche Mitteilungsblatt keine zulässige Öffentlichkeitsarbeit, sondern eine unzulässige Wahlbeeinflussung dar.
Zwar drängt sich das Mitteilungsblatt seiner äußeren Form und Aufmachung nach nicht als Wahlwerbung des Klägers auf, da es bereits an einer reklamehaften Aufmachung fehlt, hinter der der informative Gehalt des Mitteilungsblattes zurücktreten könnte. Jedoch handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Mitteilungsblatt inhaltlich um einen in amtlicher Eigenschaft verfassten und mit öffentlichen Mitteln finanzierten „Erfolgs-, Leistungs- bzw. Arbeitsbericht“ der Gemeinde und damit (auch) des Klägers in seiner Funktion als erster Bürgermeister. Da die im Mitteilungsblatt enthaltenen Informationen dabei sämtlich nicht aus akutem Anlass geboten waren, stellt die Veröffentlichung nur zwei Tage vor der Wahl eine unzulässige Wahlbeeinflussung dar.
Das streitgegenständliche gemeindliche Mitteilungsblatt enthält eine überblicksmäßige Darstellung diverser gemeindlicher Projekte, mit der ganz überwiegend über Bauprojekte in der Gemeinde und deren Fortschritt informiert wird. So wird gleichermaßen über bereits erfolgreich abgeschlossene Projekte, wie die erfolgte Bachgrabenräumung sowie die Aufstellung einer neuen Panoramaliege und die Herrichtung des Fußweges am hinteren B. …, berichtet, wie auch über derzeit in Umsetzung befindliche Projekte, namentlich über das Dorfgemeinschaftshaus (hier: Räumung, Rückbau und Baubeginn) sowie das Baugebiet S. … straße und „M. … Garten“ (hier: voraussichtlicher Abschluss der Erschließungsarbeiten zur Ermöglichung des Baubeginns). Im Übrigen werden für die (nähere) Zukunft geplante Projekte aufgezeigt: Bau des Waldkindergartens sowie Sanierung des bestehenden Kindergartens, Kauf des Molkereigebäudes, Feldwege- und Straßenbau, Erweiterung des Friedhofs, Instandsetzungsarbeiten am Feuerwehrhaus, Anschaffung eines neuen Feuerwehrautos sowie der Straßenbau an der W. … Zudem finden sich im Zusammenhang mit den Projekten überwiegend auch Ausführungen über die Finanzierung der Maßnahmen. Abschließend wird unter der Überschrift „Finanzen“ nochmals eigens darauf hingewiesen, dass es die Rücklagen in der Gemeindekasse ermöglichten, alle zuvor genannten Baumaßnahmen ohne Kreditaufnahme zu verwirklichen. Den Gemeinderäten wird in diesem Zusammenhang eine vorausschauende Finanzpolitik („Ich danke den Gemeinderäten für die gute Zusammenarbeit und für die vorausschauende Finanzpolitik“), der Gemeinde ein gewissenhafter, sparsamer Umgang mit den Steuergeldern unter Ausschöpfung aller staatlicher Zuschüsse („Das Ausschöpfen aller staatlichen Zuschüsse und der gewissenhafte, sparsame Umgang mit Ihren Steuergeldern wird von der Gemeinde gewährleistet“) zugeschrieben. Diese Aussagen sind in der Zusammenschau mit der Vielzahl der aufgeführten Projekte, den Hinweisen auf die Finanzierung aus Haushaltsrücklagen, den individuellen Danksagungen für freiwillige Arbeitsleistungen, der Betonung einer Auftragsvergabe an einheimische Firmen sowie der Förderung junger Familien über das Einheimischenmodell geeignet, die Arbeit der Gemeinde positiv hervorzuheben. In der „heißen Phase des Wahlkampfes“ gewinnt eine solche Veröffentlichung in Form eines „Leistungs-, Erfolgs- oder Arbeitsberichts“ den Charakter eines parteiischen Werbemittels in der Wahlauseinandersetzung zugunsten derjenigen, die die Durchführung der dargestellten Gemeindeprojekte ermöglichen und für diese verantwortlich zeichnen. Dies sind ausweislich der Danksagung am Ende des Mitteilungsblattes zunächst die Mitglieder des Gemeinderats, ganz vorrangig aber auch der amtierende Bürgermeister selbst, der als Unterzeichner und Herausgeber des Mitteilungsblattes auftritt, welches aus der „Ich-Perspektive“ (vgl. Formulierungen „danke ich“, „mein besonderer Dank gilt“, „sage ich ein herzliches Dankeschön“, „Ihr Bürgermeister“) formuliert ist, und als solcher eine besonders hervorgehobene Stellung in der Wahrnehmung der Lesenden einnimmt.
Die Veröffentlichung erfolgte vorliegend auch in der „heißen Phase des Wahlkampfes“. Ungeachtet dessen, ab welchem konkreten Zeitpunkt in der Vorwahlzeit diese und damit das Gebot äußerster Zurückhaltung und das Verbot jeglicher mit Haushaltsmitteln betriebenen Öffentlichkeitsarbeit in Form von sogenannten Arbeits-, Leistungs- oder Erfolgsberichten beginnt, fällt jedenfalls eine Veröffentlichung nur zwei Tage – und damit unmittelbar – vor dem Wahltermin unzweifelhaft in diese „heiße Phase“ (vgl. auch HessVGH, U.v. 10.10.1991 – 6 UE 2578/90 – juris Rn. 49; VG Meiningen, U.v. 24.10.2006 – 2 K 444/06 – juris Rn. 47).
Sämtliche im Mitteilungsblatt enthaltenen Informationen waren dabei auch nicht aus akutem Anlass geboten, sodass sich die Veröffentlichung in der Gesamtschau eine in der „heißen Phase“ des Wahlkampfes unzulässige Wahlbeeinflussung darstellt. Aus den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien des akuten Anlasses und der Gebotenheit ergibt sich, dass nicht bereits jeder aktuelle Anlass für die Veröffentlichung eines Leistungs-, Erfolgs- oder Arbeitsberichts in der Vorwahlzeit genügen kann. Im Hinblick darauf, dass die Aufgabe der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit mit näher rückendem Wahltermin hinter das Gebot zurücktritt, die Willensbildung der Wähler von staatlicher Einflussnahme bestmöglich freizuhalten, bleibt in der „heißen Phase des Wahlkampfes“ allgemeine Öffentlichkeitsarbeit in Form von Leistungs-, Erfolgs- und Arbeitsberichten nur in solchen Fällen möglich, in denen dies aus akutem Anlass geboten ist, die Information des Bürgers also mit einem akuten Informationsbedürfnis von einigem Gewicht korreliert. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Information des Bürgers ausnahmsweise so dringlich und gewichtig sein muss, dass ein Zuwarten bis nach der Wahl vernünftigerweise nicht in Betracht zu ziehen ist und selbst eine Einflussnahme auf den Wählerwillen wegen übergeordneter Interessen in Kauf genommen werden muss. Ein solcher dringender und gewichtiger Anlass dürfte sich etwa im Hinblick auf das ebenfalls vom Kläger im März 2020 veröffentlichte gemeindliche „Corona Sonderblatt“ betreffend die Einrichtung eines Lieferservices für ältere Menschen durch den ersten Bürgermeister angesichts des akuten Pandemiegeschehens ohne weiteres erschließen. Hinsichtlich der im streitgegenständlichen Mitteilungsblatt enthaltenen Informationen allgemeiner Art fehlt es jedoch sämtlich an einem eine Wahlbeeinflussung rechtfertigenden akuten Anlass. Einzig, soweit in Bezug auf das Dorfgemeinschaftshaus mitgeteilt wird, dass das alte Gemeindehaus nur noch bis zum 28. März 2020 genutzt werden könne und anschließend bis zum 15. April 2020 durch die Vereine in Eigenleistung geräumt werde, könnte aufgrund der zeitlichen Nähe eine gewisse Dringlichkeit der Mitteilung gegeben sein. Gleichwohl fehlt es aber auch diesbezüglich an der Gebotenheit der Mitteilung nur zwei Tage vor der Wahl in Gestalt eines an alle Haushalte verteilten – inhaltlich sehr weit darüber hinausgehenden – Mitteilungsblattes. Zum einen hätte diese Information – losgelöst von den übrigen Mitteilungen – etwa per Anschlag am alten Gemeindehaus den betroffenen Kreisen oder durch Mitteilung an die betroffenen Vereine in ausreichender Weise bekannt gemacht werden können, ggf. auch durch Verteilung eines solchen Hinweises an einen größeren Empfängerkreis. Zum anderen hätte insoweit auch noch eine Veröffentlichung am Tag nach der Wahl ausgereicht, wenn zuvor ein Zuwarten bis zum 13. März 2020 ohne weiteres möglich gewesen ist. Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Gebotenheit der äußersten Zurückhaltung öffentlicher Organe in der Vorwahlzeit lässt sich der Veröffentlichungszeitpunkt zwei Tage vor der Wahl insbesondere auch nicht aufgrund einer ohnehin stattfindenden Austragerunde von Jugendlichen oder durch einen – vorliegend überdies nicht erkennbaren – regelmäßigen Veröffentlichungsturnus rechtfertigen. Selbst wenn eine Veröffentlichung im März angestanden hätte, wäre eine Veröffentlichung erst nach der Wahl mangels akuten Anlasses bedenkenlos möglich gewesen.
Demnach liegt in der Veröffentlichung und Verteilung des streitgegenständlichen Mitteilungsblattes nur zwei Tage vor der eine unzulässige Wahlbeeinflussung vor. Dies gilt unabhängig von der Frage der Richtigkeit der dort getroffenen Aussagen. Soweit der Wahrheitsgehalt einzelner Angaben im Mitteilungsblatt, insbesondere im Zusammenhang mit der Finanzthematik, durch die Beigeladenen und auch beklagtenseits angezweifelt wurde, kam es hierauf vorliegend daher nicht mehr streitentscheidend an.
Durch die sich aus der streitgegenständlichen Veröffentlichung ergebende unzulässige Wahlbeeinflussung konnte auch das Wahlergebnis i.S.d. Art. 50 Abs. 3 GLKrWG verdunkelt werden.
Bei der Prüfung, ob ein festgestellter Verstoß gegen Wahlvorschriften zur Verdunkelung des Wahlergebnisses führt, dürfen keine Wahrscheinlichkeitserwägungen angestellt werden. Es kommt nur darauf an, ob die Möglichkeit bestand, dass ein anderes Wahlergebnis zustande gekommen wäre, wenn die Wahlbestimmungen eingehalten worden wären. Bei einer unzulässigen Wahlbeeinflussung muss das grundsätzlich angenommen werden. Es kann daher nicht darauf ankommen, wie sich die Wahlberechtigten nachträglich zu der Frage äußern, wie sie gestimmt hätten, wäre die unzulässige Wahlbeeinflussung unterblieben. (vgl. BayVGH in st. Rspr., z.B. U.v. 27.11.1991 – 4 B 91.601 – juris Rn. 29; vgl. auch BayVerfGH, E.v. 11.3.1994 – Vf. 22-VI-92 – juris Rn. 36). Unbeachtlich sind demnach Vermutungen, die festgestellten Wahlrechtsverstöße ließen auf weitere schließen, wie umgekehrt die Überlegung, dass die unter Beeinflussung oder unter Bruch des Wahlgeheimnisses abgegebenen Stimmen bei einwandfreiem Wahlvorgang mit dem gleichen Votum abgegeben worden wären. Ausschlaggebend ist, ob die festgestellten Wahlrechtsverstöße ohne solche Wahrscheinlichkeitsberechnungen so viele Stimmen erfassen, dass der gewählte Bewerber, wären diese Stimmen nicht auf ihn, sondern gegebenenfalls auf seinen Mitbewerber entfallen, nicht gewählt gewesen wäre (vgl. BayVGH, U.v. 21.10.2003 – 4 BV 03.671 – juris Rn. 47).
Nach diesen Grundsätzen begründet der festgestellte Wahlrechtsverstoß die nach der Lebenserfahrung nicht ganz fernliegende Möglichkeit der Verfälschung des Wählerwillens; das heißt, die Wahlbeeinflussung ruft Zweifel an der Richtigkeit des festgestellten Wahlergebnisses hervor, die nicht zu beheben sind. Angesichts der Tatsache, dass das streitgegenständliche Mitteilungsblatt an sämtliche Haushalte verteilt worden ist und damit nahezu alle Wahlberechtigten potentiell erreicht worden sind – noch dazu lediglich zwei Tage vor der Wahl und damit den Wahlberechtigten am Wahltag noch frisch in Erinnerung – sind Auswirkungen auf das Wahlergebnis vorliegend nicht auszuschließen. Dies gilt insbesondere angesichts des konkreten Stimmenvorsprungs von 150 Stimmen, wonach bereits dann, wenn von den abgegebenen 1.007 gültigen Stimmen 76 Stimmen nicht auf den Kläger, sondern auf den Beigeladenen zu 1) entfallen wären, letzterer gewählt gewesen wäre. Insbesondere ist auch nicht auszuschließen, dass das streitgegenständliche Mitteilungsblatt auch noch auf solche Briefwähler Einfluss nehmen konnte, die ihre Stimme erst am Tag vor der Wahl oder am Wahltag selbst im Wege der Briefwahl abgegeben haben. Selbst wenn man jedoch zugrunde legen würde, dass sämtliche 547 im Wege der Briefwahl abgegebenen Stimmen bereits vor der Verteilung des Mitteilungsblattes abgegeben waren und von dem vorliegenden Wahlrechtsverstoß mithin nicht betroffen gewesen wären, wären noch immer mindestens 433 Abstimmende potentiell in ihrer Stimmrechtsausübung beeinflusst worden, sodass selbst in diesem Fall noch ausreichend viele Stimmen von der Wahlrechtsverletzung betroffen wären, dass konkret die Möglichkeit bestünde, dass ohne die festgestellte Wahlrechtsverletzung nicht der Kläger sondern der Beigeladene zu 1) gewählt worden wäre.
Daher war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, da sie keinen Antrag gestellt haben und sich damit nach § 154 Abs. 3 VwGO keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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