Verwaltungsrecht

Unterbringung jüdischer Zuwanderer aus der Ukraine

Aktenzeichen  M 4 E 20.3109

Datum:
28.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23323
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 117 Abs. 3, § 123
AufenthG § 23 Abs. 2 S. 1
AVSG § 127 Abs. 1, § 128 Abs. 1, Abs. 2
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

1. Ein in Deutschland geborener Antragsteller fällt nicht unter den von § 127 Abs. 1 Nr. 2 AVSG erfassten Personenkreis. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mangels gemeinsamer Einreise mit seinem als jüdischer Emigrant aufgenommenen Vater und familiärer Lebensgemeinschaft in der Ukraine konnte der in Deutschland geborene Antragsteller nicht gemeinsam mit seinem Vater aufgenommen werden.  (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren die Unterbringung in der Unterkunft für jüdische Zuwanderer in der … in …
Der Antragsteller zu 1) ist jüdischer Zuwanderer aus der Uk. und erhielt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf seinen Antrag mit Schreiben vom 26. August 2019 eine Aufnahmezusage nach Maßgabe des § 23 Abs. 2 AufenthG i.V.m. der Anordnung des Bundesministeriums des Inneren gemäß § 23 Abs. 2 AufenthG über die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus den ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der Baltischen Staaten vom 24. Mai 2007, zuletzt geändert am 21. Mai 2015 (im Folgenden: Anordnung BMI).
Wegen der erfolgten Äußerung eines Unterbringungswunsches nach der Einreise wurde der Antragsteller mit Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom … befristet in das vom Antragsgegner betriebene Übergangswohnheim in der … in … eingewiesen.
Der Antragsteller zu 1) reiste am … ein und nahm Wohnsitz im zugewiesenen Übergangswohnheim. Ihm wurde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG erteilt.
Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt im Januar bzw. Februar 2020 reiste die hochschwangere Mutter des Antragstellers zu 2) von der Uk. nach … Die Ehe der hochschwangeren Mutter des Antragstellers zu 2) mit dem Antragsteller zu 1) sei nach Auskunft der Regierung von Oberbayern im Jahr 2019 geschlossen worden.
Am … wurde der Antragsteller zu 2), nach Angaben des Antragstellers zu 1) dessen Sohn, in … geboren.
Der Antragsteller zu 1) beantragte nach eigenen Angaben mit Schreiben an die Zentrale Aufnahmeeinrichtung Bayern vom 30. April 2020 und anschließend telefonisch bei der Regierung von Oberbayern die Aufnahme des Antragstellers zu 2) im Übergangswohnheim in der …, was von beiden Behörden abgelehnt wurde.
Der Antragsteller zu 1) erhob am … 2020 für sich und den Antragsteller zu 2) zur Niederschrift beim Urkundsbeamten des Sozialgerichts … handschriftlich „Klage“ gegen den Antragsgegner. Er beantragte
die Gewährleistung eines Zimmers für den Antragsteller zu 2) und sich selbst in der Unterkunft für jüdische Zuwanderer.
Zur Begründung schilderte der Antragsteller zu 1), dass sein Antrag von der Zentralen Aufnahmeeinrichtung und der Regierung von Oberbayern abgelehnt worden sei.
Das Sozialgericht München legte das als „Klage“ bezeichnete Rechtsmittel der Antragsteller als einstweiliges Rechtsschutzverfahren aus (S 22 SO 270/20 ER) und verwies das Verfahren nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 29. Juni 2020 an das Bayerische Verwaltungsgericht München, wo das Verfahren unter dem Aktenzeichen … fortgeführt wurde.
Mit Schriftsatz vom 30. Juli 2020, eingegangen am 3. August 2020, legte die Regierung von Oberbayern die Akte vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass ein Anspruch auf Unterbringung des Antragstellers zu 2) und der Ehefrau des Antragstellers zu 1) nicht bestehe. Die Einweisung vom … … … sei lediglich für den Antragsteller zu 1) erfolgt. Ein Antrag für die Ehefrau sei bereits nicht gestellt worden. Weder für die Ehefrau, noch für den Antragsteller zu 2) liege eine Einweisung durch den Beauftragten des Freistaates Bayern für die Aufnahme und Verteilung ausländischer Flüchtlinge oder ein Antrag im Rahmen der Familienzusammenführung vor. § 128 Sozialgesetzausführungsverordnung Bayern (im Folgenden: AVSG) sehe keinen Anspruch für den Ehegatten und das ledige Kind eines Eingewiesenen vor. Zudem sei im Übergangswohnheim … … bereits aus Kapazitätsgründen eine Unterbringung nicht möglich.
Auf den Telefonvermerk der Einzelrichterin vom 6. August 2020 wird Bezug genommen, § 117 Abs. 3 VwGO analog.
Mit Beschluss vom 28. August 2020 wurde das Verfahren auf die Einzelrichterin übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Der Antrag ist hinsichtlich des Antragstellers zu 1) bereits unzulässig.
Soweit der Antragsteller in der Niederschrift vom … … 2020 für sich persönlich eine Unterbringung im Übergangswohnheim in der … … beantragte, ist der Antrag unzulässig. Dem Antragsteller zu 1) fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Verpflichtung des Antragsgegners.
Das Rechtsschutzbedürfnis an einer gerichtlichen Entscheidung entfällt unter anderem wenn die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht erforderlich ist. Ein Antrag wird mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, wenn der Antragsteller klaglos gestellt wird oder ein Erfolg in einem angestrengten Gerichtsverfahren seine Rechtsstellung nicht verbessern würde (Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, Vor. §§ 40 – 53 VwGO Rn. 11; § 123 VwGO Rn. 34).
Das Bundesverwaltungsamt wies den Antragsteller zu 1) nach seiner Ankunft am …  ausweislich der Auskunft der Regierung von Mittelfranken vom 6. August 2020 ordnungsgemäß dem Freistaat Bayern zu, Punkt II. Nr. 3 Satz 2 i.V.m. III. Nr. 1 Anordnung BMI. Anschließend hat die Regierung von Mittelfranken den Antragsteller zu 1) mit Schreiben vom … … … in den Bereich der Regierung von Oberbayern verteilt in das Übergangswohnheim in der … … eingewiesen, §§ 127 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 i.V.m. 128 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AVSG.
Nach Auskunft der Antragsgegnerin vom 6. August 2020 ist der Antragsteller zu 1) immer noch in der Unterkunft eingewiesen und hält sich dort auch regelmäßig auf. Etwas Anderes hat der Antragsteller zu 1) nicht geltend gemacht. Mit einer gerichtlichen einstweiligen Anordnung, in das Übergangswohnheim eingewiesen zu werden, verbessert sich die Rechtsstellung des Antragstellers zu 1) also nicht, da er die begehrte Rechtsstellung bereits innehat.
2. Der Antrag des Antragstellers zu 2) ist zwar zulässig, aber unbegründet.
2.1. Das Gericht legt den Antrag vom … 2020 dahingehend aus, dass der Antragsteller zu 1) – trotz fehlender Angabe des Antragstellers zu 2) als „Kläger“ – auch für diesen eine Einweisung in das Übergangswohnheim im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO begehrt.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder wenn andere Gründe vorliegen. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete Recht (Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
2.2. Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers zu 2) gegen den Antragsgegner auf Einweisung bzw. Unterbringung im Übergangswohnheim ist nicht glaubhaft gemacht worden.
Nach § 128 Abs. 1 Nr. 1 AVSG nehmen die Regierungen in Einrichtungen der vorläufigen Unterbringung Personen, die vom Landesbeauftragten eingewiesen werden, auf. Nach § 128 Abs. 2 AVSG nimmt der Landesbeauftragte die Einweisung in Einrichtungen der vorläufigen Unterbringung im Einvernehmen mit der Regierung vor. Der Landesbeauftragte ist nach § 127 Abs. 1 Nr. 2 AVSG unter anderem für die Verteilung jüdischer Emigranten und Emigrantinnen zuständig, die mit einem gültigen und auf Grund einer Aufnahmezusage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erteilten Sichtvermerk aus dem Ausland einreisen.
Eine Einweisung des Antragstellers zu 2) durch den Landesbeauftragten für die Aufnahme und Verteilung ausländischer Flüchtlinge ist bisher nicht erfolgt, so dass die Regierung von Oberbayern den Antragsteller zu 2) nach § 128 Abs. 1 Nr. 1 AVSG nicht in das Übergangswohnheim aufnehmen kann.
Der Antragsteller zu 2) fällt nicht unter den von § 127 Abs. 1 Nr. 2 AVSG erfassten Personenkreis, da er in Deutschland geboren wurde und seine Mutter nach aktueller Kenntnis des Gerichts nicht mit einem Sichtvermerk aufgrund einer Aufnahmezusage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge einreiste. Eine erforderliche gemeinsame Einreise mit dem Antragsteller zu 1) fand auch nicht statt. Bereits aus diesem Grund ist es dem Antragsgegner verwehrt, den Antragsteller zu 2) nach § 127 Abs. 1 Nr. 2 AVSG zu verteilen und nach § 128 Abs. 2 AVSG im Übergangswohnheim einzuweisen.
2.3. Im Übrigen wurde für den Antragsteller zu 2) auch das Vorliegen der Aufnahmevoraussetzungen nach § 23 Abs. 2 AufenthG i.V.m. I. Anordnung BMI für einen daran anschließenden Anspruch auf Einweisung in das Übergangswohnheim nicht glaubhaft gemacht. Unabhängig von der fehlenden Passivlegitimation des Antragsgegners für eine Aufnahmezusage nach § 23 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, für die die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge passivlegitimiert wäre, ist ein solcher Anspruch nach summarischer Prüfung nicht ersichtlich.
2.3.1. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller zu 2) oder dessen Mutter selbst die Aufnahmevoraussetzungen für jüdische Emigranten in eigener Person erfüllen, I. Nr. 1, 2 Anordnung BMI. So ist weder die rechtliche Vaterschaft des Antragstellers zu 2) vom Antragsteller zu 1) glaubhaft gemacht, noch das notwendige formelle Aufnahmeverfahren vor der Einreise des Antragstellers zu 2) nach II. Anordnung BMI durchgeführt worden.
2.3.2. Die Aufnahmevoraussetzungen für Ehegatten und minderjährige Kinder von jüdischen Emigranten nach I. Nr. 4 Anordnung BMI liegen in der Person des Antragstellers zu 2) und der Ehefrau des Antragstellers zu 1) nach summarischer Prüfung nicht vor. Bereits ein vor der Einreise erforderliche Antrag auf Aufnahmezusage nach II. Anordnung BMI wurde von diesen nicht gestellt. Auch die materiellen Voraussetzungen des I. Nr. 4 Anordnung BMI wurden nicht glaubhaft gemacht.
Nach I. Nr. 4 Anordnung BMI können Ehegatten und minderjährige ledige Kinder, die mit dem Aufnahmeberechtigten in familiärer Lebensgemeinschaft leben und selbst nicht die Voraussetzungen für eine Aufnahme erfüllen, nur gemeinsam mit diesem aufgenommen werden. Die Ehe muss zum Zeitpunkt der Antragstellung seit mindestens drei Jahre bestanden haben.
Mangels gemeinsamer Einreise, familiärer Lebensgemeinschaft zwischen den Antragstellern in der Uk. und wegen der Ehedauer von unter drei Jahren zwischen dem Antragsteller zu 1) und der Mutter des Antragstellers zu 2) wurde ein Anordnungsanspruch auf Aufnahme als jüdischer Emigrant für den Antragsteller zu 2) nicht glaubhaft gemacht.
2.3.3. Von der möglichen nachträglichen Einbeziehung des Antragstellers zu 2) in den Antrag des Antragstellers zu 1) vor dessen Einreise ist kein Gebrauch gemacht worden (vgl. Punkt IV. des Merkblatts zum Aufnahmeverfahren für jüdische Zuwanderinnen und Zuwanderer des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Stand Mai 2020, abrufbar unter https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/MigrationAufenthalt/merkblatt-aufnahmeverfahren-deutsch.pdf? blob= publicationFile& v=4).
3. Im Ergebnis ist der Antrag des Antragstellers zu 1) als unzulässig und der Antrag des Antragstellers zu 2) als unbegründet abzulehnen.
4. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog der Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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