Verwaltungsrecht

Unterrichtsausschluss eines Schülers wegen Unterrichtsstörungen

Aktenzeichen  AN 2 S 18.02197

Datum:
14.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 30981
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEUG Art. 86 Abs. 2 Nr. 5, Art. 88 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Um die unterbliebene Anhörung vor Unterrichtsausschluss (Art. 88 Abs. 3 Nr. 2 BayEUG) zu heilen, muss der Betroffene von den entscheidungserheblichen Tatsachen Kenntnis erlangen und die Gelegenheit erhalten, sich zu diesen Tatsachen zu äußern.   (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Wahl der Ordnungsmaßnahme ist eine pädagogische Ermessensentscheidung, welche gerichtlich nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar ist, ob die Ordnungsmaßnahme gegen das Verbot der Verhältnismäßigkeit verstößt und ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller besucht im aktuellen Schuljahr die 7. Jahrgangsstufe des … Mit Bescheid vom 9. November 2018 verfügte die Schule gegenüber dem Antragsteller für die Zeit vom 14. November bis 19. November 2018 und vom 21. November bis 22. November 2018 den Ausschluss vom Unterricht und erteilte ihm insoweit ein Betretungsverbot für das Schulgelände. Dem Antragsteller wurde aufgegeben, die Schulaufgabe im Fach Französisch am 13. November 2018 sowie die Schulaufgabe im Fach Mathematik am 20. November 2018 mitzuschreiben. Es wurde ihm gestattet, die Mathematikstunden vor der Schulaufgabe (am 14.11.2018 und 15.11.2018 jeweils in der fünften Stunde sowie am 16. November 2018 in der dritten Stunde) zu besuchen.
Der Bescheid beinhaltete auch die Ladung der Erziehungsberechtigten zu einer für den 22. November 2018 anberaumten Sitzung des Disziplinarausschusses der Schule. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe am 10. Oktober 2018 einen Verweis sowie am 22. Oktober 2018 einen verschärften Verweis wegen zahlreicher nicht akzeptabler Unterrichtsstörungen erhalten. Dies habe jedoch nicht zu einer dauerhaften Verhaltensänderung geführt. Zudem habe der Antragsteller eine Lehrkraft in ordinärer Weise beleidigt. Er störe den Unterricht weiterhin in einer Weise, die das erfolgreiche Unterrichten massiv gefährde. Zusätzlich habe er in den letzten Wochen mehrfach auch Mitschülerinnen in gleicher Weise beleidigt.
Der Antragsteller ließ hiergegen über seinen Bevollmächtigten Widerspruch erheben und mit bei Gericht am 13. November 2018 eingegangenem Schriftsatz beantragen,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des …- … vom 9. November 2018 anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, die Maßnahme der Schule sei bereits formell rechtswidrig, weil eine Anhörung der Eltern nicht erfolgt sei. Inhaltlich seien die genauen Gründe für den angeordneten Unterrichtsausschluss aus dem Bescheid nicht ersichtlich. Die Begründung sei floskelhaft und es werde nicht deutlich, wann der Unterricht durch welches Verhalten des Antragstellers gestört worden sei. Es werde auch nicht deutlich, wann der Antragsteller welche Mitschülerinnen mit dem im Bescheid genannten Schimpfwort belegt habe. Was genau ihm vorgeworfen werde, sei aus dem Bescheid nicht ersichtlich. Die Eltern des Antragstellers seien mit dem angeordneten Unterrichtsausschluss vollkommen überrascht worden. In einer dem Antrag beigefügten eidesstattlichen Versicherung geben die Eltern des Antragstellers an, von dem am 9. November 2018 angeordneten Unterrichtsausschluss am 12. November 2018 aus der Post erfahren zu haben. Von der Schule habe sich diesbezüglich im Vorfeld niemand bei ihnen gemeldet.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs im Hinblick auf den Bescheid des Gymnasiums vom 9. November 2018, die gemäß Art. 88 Abs. 8 BayEUG ausgeschlossen ist, anzuordnen, ist zulässig, sachlich jedoch nicht begründet. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine förmliche Ordnungsmaßnahme der Schule gemäß Art. 86 Abs. 2 Nr. 5 BayEUG und damit gegen einen Verwaltungsakt, der im Widerspruchsverfahren beseitigt werden kann.
Bei der vom Gericht im Rahmen des hier durchzuführenden summarischen Verfahrens vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, von den Auswirkungen des Unterrichtsausschlusses einstweilig verschont zu bleiben, und dem betroffenen öffentlichen Vollzugsinteresse ist letzterem größeres Gewicht beizumessen. Eine Schulordnungsmaßnahme der in Rede stehenden Art duldet regelmäßig keinen Aufschub bis zum Abschluss eines um die Hauptsache geführten Rechtsstreits, es sei denn, gegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme als solche bestünden durchgreifende Bedenken. Solche Bedenken vermag die Kammer bei summarischer Kontrolle nicht zu erkennen. Die Entscheidung der Schule, den Antragsteller für den genannten Zeitraum vom Unterricht auszuschließen, erscheint unter Berücksichtigung der Vorläufigkeit des Verfahrens sowie des derzeitigen Verfahrensstandes rechtmäßig und verletzt den Antragsteller voraussichtlich nicht in seinen Rechten. Insoweit ist insbesondere auch die, durch die späte Stellung des Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, welche allerdings durch den erst kurz vorher erlassenen Bescheid bedingt ist, für das Gericht entstandene zeitliche Enge zu berücksichtigen, die es nicht mehr erlaubt, den Sachverhalt in der gebotenen Weise weiter aufzuklären.
Die angeordnete Maßnahme der Schule ist nach dem gegenwärtigen Stand in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden und hält sich auch materiell im Rahmen ihrer Rechtsgrundlage (Art. 86 Abs. 2 Nr. 5 BayEUG). Der verfügte Ausschluss vom Unterricht für bis zu sechs Unterrichtstage fällt in die Kompetenz des Schulleiters gemäß Art. 88 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG. Der antragstellerseitig erhobene Einwand, die Eltern seien nicht ordnungsgemäß zuvor angehört worden, vermag im Ergebnis nicht durchzugreifen. Vor der Anwendung von Ordnungsmaßnahmen ist dem Schüler sowie den Erziehungsberechtigten des Schülers gemäß Art. 88 Abs. 3 Nr. 2 BayEUG Gelegenheit zur Äußerung zu geben, um ihre Argumente und Einwendungen vorbringen zu können. Aufgrund des weiten Spielraums bei der Anwendung des Ordnungsmaßnahmenkatalogs kommt dieser Verfahrensregelung keine unwesentliche Bedeutung zu. Mit Blick auf den erzieherischen Charakter schulischer Ordnungsmaßnahmen bietet eine Anhörung des betroffenen Schülers sowie der Erziehungsberechtigten die Möglichkeit, auf die individuelle, auch familiäre, Situation des Schülers einzugehen und eine pädagogisch geeignete Erziehungsmaßnahme zu finden. Erhalten die Betroffenen vor Anordnung der Ordnungsmaßnahme keine Gelegenheit zur Äußerung, kann grundsätzlich die Aufhebung der Maßnahme verlangt werden, es sei denn, die Anhörung wurde noch vor Vollzug der Ordnungsmaßnahme nachgeholt (vgl. VG Ansbach, B. v. 3.6.2013, AN 2 S 13.01000 m.w.N.). Um die unterbliebene Anhörung heilen zu können, muss der Betroffene von den entscheidungserheblichen Tatsachen Kenntnis erlangen und die Gelegenheit erhalten, sich zu diesen Tatsachen zu äußern. Diesen Anforderungen wurde im vorliegenden Verfahren aller Voraussicht nach noch Rechnung getragen. Laut der unbestritten gebliebenen Aussage der Schule, an deren Glaubwürdigkeit das Gericht keine Zweifel hat, wurde mit dem Antragsteller vor Erlass des Unterrichtsausschlusses ein Gespräch geführt. Eine förmliche Anhörung der Eltern erfolgte zwar vor Erlass der Ordnungsmaßnahme nicht. Da die Erziehungsberechtigten allerdings nach ihrem eigenen Bekunden den angefochtenen Bescheid am 12. November 2018 und damit noch zwei Tage vor Vollzug des Unterrichtsausschlusses erhielten, bestand für sie noch ausreichend Gelegenheit, sich zu dem Verhalten ihres Sohnes zu äußern und eventuell zu erreichen, dass der Schulleiter seine Entscheidung noch einmal überdenkt und gegebenenfalls rückgängig macht. Dies hätte aus Sicht der Kammer von den Erziehungsberechtigten auch ohne weiteres erwartet werden können. Immerhin ist in Art. 74, 76 BayEUG gesetzlich normiert, dass Schule und Erziehungsberechtigte im Rahmen einer von gegenseitigem Vertrauen getragenen Zusammenarbeit die gemeinsame Erziehungsaufgabe des Schülers zu erfüllen haben und die Erziehungsberechtigten verpflichtet sind, auf die gewissenhafte Erfüllung der schulischen Pflichten des Kindes zu achten und die Erziehungsarbeit der Schule zu unterstützen. Daher erscheint es aus Sicht des Gerichts unverständlich, dass die Erziehungsberechtigten nach Bekanntgabe der angefochtenen Maßnahme sich nicht mit der Schule in Verbindung gesetzt haben, einen Termin vereinbart und die Angelegenheit spätestens am 13. November 2018 noch mit der Schulleitung besprochen haben.
Die im Rahmen des schulischen Ermessens getroffene Maßnahme trägt auch ersichtlich dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung. Die Schule hat berücksichtigt, ob und in welchem Maß der Bildungsauftrag gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule sowohl im Hinblick auf den Antragsteller als auch auf dessen Mitschüler beeinträchtigt wurde. Die Wahl der Ordnungsmaßnahme erweist sich damit als pädagogische Ermessensentscheidung, welche gerichtlich nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar ist, ob die Ordnungsmaßnahme gegen das Verbot der Verhältnismäßigkeit verstößt und ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat. Nach dieser Prämisse musste sich die vom Antragstellerbevollmächtigten postulierte Möglichkeit einer Versetzung in die Parallelklasse als „mildere“ Ordnungsmaßnahme nicht aufdrängen. Ob eine Versetzung in eine andere Klasse zu einer Verhaltensänderung beim Antragsteller führen würde, kann angesichts seiner zahlreichen individuellen Verfehlungen in der Vergangenheit durchaus in Zweifel gezogen werden.
Das dem Antragsteller zur Last gelegte Fehlverhalten ist im angefochtenen Bescheid auch hinreichend konkretisiert und belegt. Dass im vorliegenden Fall nicht etwa ein singuläres Fehlverhalten in Rede steht, welches am 22. Oktober 2018 mit einem verschärften Verweis „geahndet“ und mit dem angefochtenen Unterrichtsausschluss gewissermaßen doppelt bestraft wurde, wie antragstellerseitig vorgetragen, liegt vorliegend auf der Hand. Ausweislich der vorgelegten Auszüge aus der Schülerakte wurden gegenüber dem Antragsteller allein von Beginn des Schuljahres 2017/2018 bis zum heutigen Tag sechs Verweise und ein verschärfter Verweis sowie diverse Erziehungsmaßnahmen verhängt. Laut dem Sachvortrag der Schule ist es darüber hinaus am 5. November 2018 und 7. November 2018 zu weiteren Disziplinlosigkeiten gekommen, die die Klassenleitung jeweils mit Verweisen beantworten wollte. Dies hat dazu geführt, dass die Schule die Einberufung des Disziplinarausschusses beschlossen hat, um über weitere Maßnahmen zu befinden. Bei den beleidigenden Äußerungen des Antragstellers handelt es sich um ein völlig inakzeptables Verhalten im schulischen Bereich, welches aufgrund seiner Intensität die Verwirklichung der Aufgabe der Schule gefährdet und laut dem Sachvortrag des Gymnasiums auch bereits zu Beschwerden von Eltern anderer Kinder in der Klasse geführt hat.
Demgegenüber ist das Gymnasium ersichtlich darum bemüht, das schulische Fortkommen des Antragstellers im Hinblick auf seine Leistungen von der Ahndung seines Fehlverhaltens zu trennen, was durch das faire Angebot, die Mathematikschulaufgabe am 20. November 2018 mitschreiben und die Vorbereitungsstunden dazu besuchen zu können, dokumentiert wird.
Nach alledem war daher der Antrag mit der auf § 154 Abs. 1 VwGO beruhenden Kostenfolge abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.


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