Verwaltungsrecht

Unzulässige Befristung der Stundung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag

Aktenzeichen  6 ZB 19.1292

Datum:
16.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27439
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5a Abs. 9, Art. 13 Abs. 1 Nr. 3b
AO § 120 AO
BauGB § 135 Abs. 4

 

Leitsatz

Wenn und solange die gesetzlichen Voraussetzungen des § 135 Abs. 4 BauGB vorliegen, hat der betroffene Landwirt einen zwingenden Rechtsanspruch auf eine unbefristete zinslose Stundung; die Vorschrift vermittelt keine Rechtsgrundlage für die Befristung der Stundung. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 4 K 18.148 2019-05-08 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 8. Mai 2019 – B 4 K 18.148 – wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 8. Mai 2019 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 5.519,70 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die beklagte Stadt wendet sich gegen die Aufhebung der Befristung der Stundung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück durch das Verwaltungsgericht.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2016 hatte die Beklagte gegenüber dem Kläger als Eigentümer des Grundstücks FlNr. 555, das mit einer landwirtschaftlichen Hofstelle bebaut ist, für die Erschließungsanlage „Orts straße Baugebiet F.“ eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 26.284,28 € festgesetzt. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2016 erhob der Kläger vorsorglich Widerspruch und beantragte gemäß § 135 Abs. 4 BauGB die zinslose Stundung des festgesetzten Vorausleistungsbetrages. In seiner Stellungnahme vom 12. Januar 2017 hielt das eingeschaltete Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Voraussetzungen für eine zinslose Stundung für gegeben. Die Beklagte stundete mit Bescheid vom 14. März 2017 den Vorausleistungsbetrag befristet bis zum 31. Dezember 2020. In einem Begleitschreiben gleichen Datums wies sie den Kläger darauf hin, dass er nach Ablauf des 31. Dezember 2020 einen neuen Antrag stellen könne. Am 6. April 2017 erhob der Kläger Widerspruch gegen die Befristung der Stundung. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2018 wies das Landratsamt Bayreuth den Widerspruch des Klägers zurück.
Auf die hiergegen gerichtete Klage hin hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Mai 2019 die im Stundungsbescheid vom 14. März 2017 enthaltene Befristung der Stundung bis zum 31. Dezember 2020 und den Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2018 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Stundungsbescheid hinsichtlich der Befristung bis zum 31. Dezember 2020 und der Widerspruchsbescheid rechtswidrig seien und den Kläger in seinen Rechten verletzten. Der Kläger habe einen Rechtsanspruch auf unbefristete zinslose Stundung der ihm gegenüber festgesetzten Vorausleistung. Es gebe keine rechtliche Grundlage für eine Befristung.
2. Den zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil setzt die Beklagte mit dem Zulassungsantrag nichts Stichhaltiges entgegen, das weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedürfte.
a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Senatsrechtsprechung zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Befristung der Stundung rechtlich unzulässig ist. Das ergibt sich aus folgendem:
Nach Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 135 Abs. 4 Satz 1 BauGB ist, wenn Grundstücke landwirtschaftlich oder als Wald genutzt werden, der Beitrag so lange zinslos zu stunden, wie das Grundstück zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebs genutzt werden muss. Voraussetzung ist demnach, dass das entsprechende Grundstück – zumindest zu einem Teil – (tatsächlich) landwirtschaftlich genutzt wird, es zu einem rentablen landwirtschaftlichen Betrieb gehört und es zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit dieses Betriebes weiterhin wie bisher genutzt werden muss. Durch diese Regelung soll vermieden werden, dass der Erschließungsbeitrag den Inhaber eines rentablen landwirtschaftlichen Betriebs zu einer Trennung von einem der Erschließungsbeitragspflicht unterliegenden Grundstück aus dem Betrieb veranlasst, das zur Erhaltung seiner Wirtschaftlichkeit notwendig ist; damit soll gewährleistet werden, dass die Erschließungsbeitragspflicht Wirtschaftlichkeit und Existenz rentabler landwirtschaftlicher Betriebe nicht beeinträchtigt (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 8 C 34.94 – juris Rn. 14, 19). Die Pflicht zur zinslosen Stundung erstreckt sich über den Wortlaut des § 135 Abs. 4 BauGB hinaus auch auf eine festgesetzte Vorausleistung (Schmitz, Erschließungsbeiträge, § 19 Rn. 7; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 26 Rn. 27). Dass die Voraussetzungen des § 135 Abs. 4 Satz 1 BauGB beim herangezogenen klägerischen Grundstück erfüllt sind, hat das eingeschaltete Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in seiner Stellungnahme vom 12. Januar 2017 bestätigt und ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, gibt es keine rechtliche Grundlage für eine Befristung der Stundung.
Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3b KAG i.V.m. § 120 Abs. 1 AO darf ein Verwaltungsakt, auf den – wie hier – ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschriften zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden. Die Nebenbestimmungsfeindlichkeit gebundener Verwaltungsakte erklärt sich daraus, dass Nebenbestimmungen den gesetzlichen Anspruch auf den Verwaltungsakt einschränken oder erschweren, also das Gesetz verschärfen würden. Dazu sind die Verwaltungsbehörden aber ohne konkrete gesetzliche Grundlage nicht berechtigt (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 120 AO Rn. 4).
Eine Befristung der Stundung ist im vorliegenden Fall nicht durch Rechtsvorschriften zugelassen. Vielmehr ist nach dem Wortlaut und der Zweckbestimmung der einschlägigen Vorschrift des § 135 Abs. 4 Satz 1 BauGB eine Befristung der Stundung grundsätzlich unzulässig („ist …so lange zinslos zu stunden, wie …“).
Sie dient entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht der Sicherstellung, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Stundung erfüllt werden. § 120 Abs. 1 2. Alt. AO erfasst nicht den Fall, dass eine Vergünstigung – wie hier die Stundung – gewährt werden soll, gleichzeitig jedoch unsicher ist, ob die Anspruchsvoraussetzungen zu einem späteren Zeitpunkt wieder entfallen werden. Liegen die Anspruchsvoraussetzungen vor, ist die Vergünstigung (ohne Nebenbestimmung) zu gewähren (Füssenich in BeckOK AO, § 120 Rn. 25). Der betreffende Landwirt hat in diesem Fall kraft Gesetzes einen zwingenden Rechtsanspruch auf eine unbefristete zinslose Stundung, wenn und solange die gesetzlichen Voraussetzungen des § 135 Abs. 4 BauGB vorliegen. Dies hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 25. Januar 2013 (- 6 B 12.355 – juris Rn. 25) rechtskräftig entschieden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich – wie hier – um den erstmaligen Ausspruch einer Stundung mit Befristung handelt oder die nachträgliche Befristung einer Stundung. Eine derartige Befristung mag zwar aus Sicht der Gemeinde zweckmäßig sein, um das – dauerhafte – Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu kontrollieren. Eine Rechtsgrundlage hierfür gibt es jedoch nicht. Abgesehen davon würde ein verlässliches und zeitgerechtes Wiedervorlagesystem der Gemeinde den Kontrollzweck ebenso erfüllen können, wobei der Kläger zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet ist (Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. cc Dreifachbuchst. ccc KAG i.V.m. § 90 AO).
b) Die Rechtssache weist aus den unter 2. genannten Gründen keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf, die die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
c) Sie hat auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Beklagte wirft im Zulassungsantrag die Frage auf, ob „die Befristung einer Stundung nach Art. 5a Abs. 9 KAG, § 135 Abs. 4 BauGB eine nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3b KAG, § 120 Abs. 1 AO zulässige Nebenbestimmung ist, die insbesondere der Sicherstellung der gesetzlichen Voraussetzungen der Stundung (bzw. des die Stundung aussprechenden Verwaltungsakts) dient. Diese Frage ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Sie lässt sich auf der Grundlage des Gesetzes und der Rechtsprechung des Senats (BayVGH, U.v. 25.1.2013 – 6 B 12.355 – juris Rn. 25; B.v. 15.2.2012 – 6 ZB 12.304 – juris Rn. 3) ohne weiteres im Sinne des Verwaltungsgerichts beantworten. Ein weiterer Klärungsbedarf ist weder erkennbar noch dargetan.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 3 ‚ § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG i.V.m. Nr. 3.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, § 238 AO, § 9 ZPO (26.284,28 € x 6% x 3,5 = 5.519,70 €; vgl. BayVGH, U.v. 25.1.2013 – 6 B 12.355 – juris Rn. 29; B.v. 6.3.2006 – 6 ZB 03.2947 – juris Rn. 8).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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