Verwaltungsrecht

Unzulässige Popularklage für ein inklusives Wahlrecht

Aktenzeichen  Vf. 4-VII-19

Datum:
7.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2022, 152
Gerichtsart:
VerfGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verfassungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayLWG Art. 3 Abs. 4, Abs. 5 S. 3, Art. 22 S. 1
BayGLKrWG Art. 3 Abs. 4, Abs. 5 S. 3
BV Art. 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Art. 98 S. 4, Art. 118a
BayVfGHG Art. 55 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Unzulässige Popularklage gegen frühere Wahlrechtsausschlüsse, gegen die geltenden Bestimmungen über die Grenzen zulässiger Assistenz bei Ausübung des Wahlrechts in Art. 3 Abs. 4 und 5 Satz 3 LWG sowie Art. 3 Abs. 4 und 5 Satz 3 GLKrWG und gegen das uneingeschränkte passive Wahlrecht gemäß Art. 22 Satz 1 LWG.
Aus dem Schutz- und Fördergebot des Art. 118a S. 2 BV folgt kein im Wege der Popularklage durchsetzbarer Auftrag der Verfassung, eine Ausnahme vom Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahl zu normieren, um ein umfassendes inklusives aktives Wahlrecht zu erreichen. (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag wird abgewiesen.

Gründe

I.
Gegenstand der Popularklage sind die bis 31. Juli 2019 im Landeswahlgesetz sowie im Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz enthaltenen Wahlrechtsausschlüsse für Menschen, die durch eine dauerhafte Vollbetreuung unterstützt werden, sowie für schuldunfähige Straftäter, die auf Grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuchs in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind. Die Popularklage betrifft zudem die nach Aufhebung dieser Bestimmungen zum 1. August 2019 in beide Gesetze aufgenommenen Regelungen über die Grenzen zulässiger Assistenz bei Ausübung des Wahlrechts sowie die im Landeswahlgesetz enthaltene Bestimmung über die Wählbarkeit von stimmberechtigten Personen. Des Weiteren hat sie die Frage zum Gegenstand, ob der Landtag verpflichtet ist, eine Ausnahme vom Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahl für volljährige Menschen zu erlassen, die aufgrund psychischer Krankheit oder Behinderung nicht imstande sind, selbstbestimmte Wahlentscheidungen zu treffen, sowie deren Wählbarkeit einschränkend zu regeln.
1. Bis 31. Juli 2019 enthielten Art. 2 Nrn. 2 und 3 des Gesetzes über Landtagswahl, Volksbegehren, Volksentscheid und Volksbefragung (Landeswahlgesetz – LWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli 2002 (GVBl S. 277, Ber. S. 620, BayRS 111-1-I), zuletzt geändert durch § 8 des Gesetzes vom 12. Juli 2017 (GVBl S. 362; im Folgenden: LWG a. F.), sowie Art. 2 Nrn. 2 und 3 des Gesetzes über die Wahl der Gemeinderäte, der Bürgermeister, der Kreistage und der Landräte (Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz – GLKrWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 2006 (GVBl S. 834, BayRS 2021-1/2-I), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 22. März 2018 (GVBl S. 145; im Folgenden: GLKrWG a. F.), Regelungen über den Ausschluss vom Wahlrecht für die dort genannten Personen.
Art. 2 LWG a. F. (Ausschluss vom Stimmrecht) und Art. 2 GLKrWG a. F. (Ausschluss vom Wahlrecht) hatten inhaltlich nahezu übereinstimmend folgenden Wortlaut:
Art. 2 Ausschluss vom Stimmrecht/Wahlrecht Ausgeschlossen vom Stimmrecht/Wahlrecht ist,
1. wer infolge (deutschen) Richterspruchs das Stimmrecht/Wahlrecht nicht besitzt,
2. derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; dies gilt auch, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten nicht erfasst,
3. wer sich auf Grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuchs in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet.
Art. 3 LWG a. F. enthielt – auszugsweise – folgende Bestimmung:
„Art. 3 Ausübung des Stimmrechts
(4) Jede stimmberechtigte Person kann ihr Stimmrecht nur einmal und nur persönlich ausüben.“
Art. 3 GLKrWG a. F. lautete – auszugsweise – wie folgt:
„Art. 3 Stimmrecht
(4) 1Jede stimmberechtigte Person kann ihr Stimmrecht nur einmal und nur persönlich ausüben. 2Ist sie des Lesens unkundig oder wegen einer körperlichen Behinderung nicht in der Lage, ihr Stimmrecht auszuüben, kann sie sich der Hilfe einer Person ihres Vertrauens bedienen.“
Art. 2 Nrn. 2 und 3 LWG a. F. und Art. 2 Nrn. 2 und 3 GLKrWG a. F. waren bereits Gegenstand einer im Jahr 2001 erhobenen Popularklage. Der Verfassungsgerichtshof hat seinerzeit den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Vorschriften mit der Begründung abgewiesen, sowohl die typisierende Entscheidung des Gesetzgebers, eine Person vom Wahlrecht auszuschließen, für die eine Betreuung zur Besorgung aller Angelegenheiten angeordnet worden ist, als auch der Ausschluss des von § 63 i. V. m. § 20 StGB erfassten Personenkreises seien verfassungsgemäß (VerfGH vom 9.7.2002 VerfGHE 55, 85). Eine weitere, im Jahr 2017 erhobene Popularklage gegen die Wahlrechtsausschlüsse bei Vollbetreuung in beiden Bestimmungen wurde als unzulässig abgewiesen (VerfGH vom 31.10.2018 BayVBl 2019, 303).
2. Mit Beschluss vom 29. Januar 2019 (BVerfGE 151, 1) erklärte das Bundesverfassungsgericht die bundesrechtlichen Wahlrechtsausschlüsse in § 13 Nr. 2 (Betreute in „allen“ Angelegenheiten) und Nr. 3 (wegen Schuldunfähigkeit untergebrachte Straftäter) des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) in der damals geltenden Fassung für mit dem Grundgesetz unvereinbar, § 13 Nr. 3 BWahlG zudem für nichtig. Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht könne verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen sei, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maß bestehe. § 13 Nr. 2 BWahlG verfehle die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gesetzliche Typisierung, weil er den Kreis der von einem Wahlrechtsausschluss Betroffenen ohne hinreichenden sachlichen Grund in gleichheitswidriger Weise bestimme. § 13 Nr. 3 BWahlG sei nicht geeignet, Personen zu erfassen, die typischerweise nicht über die Fähigkeit zur Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess verfügten. Zu § 13 Nr. 2 BWahlG stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass es Sache des Gesetzgebers sei, zu entscheiden, wie er die festgestellte verfassungswidrige Ungleichbehandlung gleichermaßen betreuungsbedürftiger Personen im Wahlrecht beseitige und dabei den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes zum Ausgleich bringe.
In der Folge wurden auf Bundesebene mit Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und anderer Gesetze vom 18. Juni 2019 (BGBl I S. 834) zum 1. Juli 2019 die beiden Wahlrechtsausschlüsse im Bundeswahlgesetz und inhaltlich gleiche Bestimmungen im Europawahlgesetz aufgehoben sowie – neben erforderlichen Folgeänderungen u. a. in der Bundeswahlordnung – Regelungen über die Grenzen zulässiger Assistenz bei der Ausübung des Wahlrechts geschaffen und die Vorschrift des § 107 a StGB über die Strafbarkeit der Wahlfälschung im Hinblick darauf ergänzt.
Mit dem Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 24. Juli 2019 (GVBl S. 342) hob der Bayerische Landtag zum 1. August 2019 die inhaltsgleichen Wahlrechtsausschlüsse in Art. 2 Nrn. 2 und 3 des Landeswahlgesetzes a. F. sowie des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes a. F. auf. Neben der Neufassung von Art. 2 LWG und GLKrWG durch Beschränkung des Wahlrechtsausschlusses auf Personen, die infolge Richterspruchs das Stimmrecht/Wahlrecht nicht besitzen, wurden Art. 3 LWG und GLKrWG jeweils in Absatz 4 geändert und um einen Absatz 5 erweitert.
Seither hat Art. 2 LWG folgenden Wortlaut:
Art. 2 Ausschluss vom Stimmrecht Ausgeschlossen vom Stimmrecht ist, wer infolge Richterspruchs das Stimmrecht nicht besitzt.
Davon (unwesentlich) abweichend ist Art. 2 GLKrWG wie folgt verfasst:
Art. 2 Ausschluss vom Wahlrecht Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist, wer infolge deutschen Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzt.
Art. 3 LWG lautet in den maßgeblichen Passagen:
Art. 3 Ausübung des Stimmrechts
(4) 1Jede stimmberechtigte Person kann ihr Stimmrecht nur einmal und nur persönlich ausüben. 2Eine Ausübung des Stimmrechts durch einen Vertreter anstelle der stimmberechtigten Person ist unzulässig.
(5) 1Eine stimmberechtigte Person, die des Lesens unkundig oder wegen einer Behinderung an der Abgabe ihrer Stimme gehindert ist, kann sich hierzu der Hilfe einer anderen Person bedienen. 2Die Hilfeleistung ist auf technische Hilfe bei der Kundgabe einer von der stimmberechtigten Person selbst getroffenen und geäußerten Wahlentscheidung beschränkt. 3Unzulässig ist eine Hilfeleistung, die unter missbräuchlicher Einflussnahme erfolgt, die selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung der stimmberechtigten Person ersetzt oder verändert oder wenn ein Interessenkonflikt der Hilfsperson besteht.
Art. 3 GLKrWG hat in den maßgeblichen Passagen folgende Fassung:
Art. 3 Stimmrecht
(4) 1Jede stimmberechtigte Person kann ihr Stimmrecht nur einmal und nur persönlich ausüben. 2Eine Ausübung des Wahlrechts durch einen Vertreter anstelle des Wahlberechtigten ist unzulässig.
(5) 1Ein Wahlberechtigter, der des Lesens unkundig oder wegen einer Behinderung an der Abgabe seiner Stimme gehindert ist, kann sich hierzu der Hilfe einer anderen Person bedienen. 2Die Hilfeleistung ist auf technische Hilfe bei der Kundgabe einer vom Wahlberechtigten selbst getroffenen und geäußerten Wahlentscheidung beschränkt. 3Unzulässig ist eine Hilfeleistung, die unter missbräuchlicher Einflussnahme erfolgt, die selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung des Wahlberechtigten ersetzt oder verändert oder wenn ein Interessenkonflikt der Hilfsperson besteht.
Der zudem im Landeswahlgesetz enthaltene Art. 22 Satz 1 blieb durch die Novellierung der wahlrechtlichen Vorschriften unverändert und lautet wie folgt:
„Art. 22 Wählbarkeit
1Wählbar ist jede stimmberechtigte Person. …
II.“
1. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2019 (BVerfGE 151, 1) beantragte der Antragsteller mit seiner am 15. März 2019 erhobenen Popularklage zunächst, Art. 2 Nrn. 2 und 3 LWG a. F. sowie Art. 2 Nrn. 2 und 3 GLKrWG a. F. für verfassungswidrig und nichtig zu erklären (Anträge zu 1 und 2) sowie festzustellen, dass der Staat verpflichtet ist, allen Bürgern, die aufgrund ihrer Behinderung das Stimmrecht/Wahlrecht nicht ausüben können, dies mithilfe eines gesetzlichen Vertreters zu ermöglichen, wenn es ihrem Willen nicht widerspricht (Antrag zu 3).
Mit am 21. Mai 2019 eingegangenem Schreiben erweiterte der Antragsteller seine Popularklage um den Antrag, Art. 22 Satz 1 LWG wegen Verfassungswidrigkeit für nichtig zu erklären.
Am 1. August 2019 nahm er seinen ursprünglichen Antrag zu 3 zurück, hielt aber im Übrigen seine Anträge zu den Vorschriften alter Fassung sowie zum (unveränderten) Art. 22 Satz 1 LWG aufrecht. Er erweiterte die Popularklage nunmehr dahingehend, auch Art. 3 LWG und Art. 3 GLKrWG in der Fassung der zum 1. August 2019 in Kraft getretenen Änderungen wegen Verfassungswidrigkeit teilweise für nichtig zu erklären, und zwar jeweils Absatz 4 Satz 2 vollständig, in Absatz 4 Satz 1 hinsichtlich der Worte „und nur persönlich“ und in Absatz 5 Satz 3 hinsichtlich der Worte „die selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung der stimmberechtigten Person ersetzt“.
Der Antragsteller ergänzte und vertiefte sein Vorbringen in verschiedenen weiteren Schreiben, zuletzt vom 9. Oktober 2021, eingegangen am 11. Oktober 2021.
2. Der Antragsteller ist der Ansicht, dass die angegriffenen Vorschriften gegen Art. 14 Abs. 1 und 2 (Wahlrechtsgrundsätze und passives Wahlrecht), Art. 118 Satz 1 (Gleichheitssatz bzw. Willkürverbot), Art. 118 a BV (Verbot der Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen) sowie das Demokratiegebot verstoßen.
Der Bayerische Landtag habe zu Recht die verfassungswidrigen Ausschlüsse vom Stimmrecht/Wahlrecht ersatzlos aufgehoben, da insoweit keine anderweitige praktikable und gleichzeitig nicht verfassungswidrige Ausschlussmöglichkeit zur Verfügung stehe. Die Popularklage sei diesbezüglich jedoch nicht gegenstandslos geworden. Das objektive Feststellungsinteresse bestehe weiter, weil der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 9. Juli 2002 ausdrücklich die Verfassungsgemäßheit der angefochtenen Ausschlüsse vom aktiven Wahlrecht festgestellt habe und bis jetzt nicht ersichtlich und belegt sei, aus welchem Grund auszuschließen sei, dass die betreffenden Normen noch rechtliche Wirkungen entfalten könnten.
Bei der durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts veranlassten Neuregelung der wahlrechtlichen Vorschriften habe sich der bayerische Landesgesetzgeber zu sehr an der Gesetzgebung des Bundes orientiert. Das zu lösende Problem sei beim Versuch der Einführung eines inklusiven Wahlrechts nur unvollständig erkannt worden und überwiegend nicht geglückt. Lediglich für die relativ wenigen Staatsbürger, für die zwar eine „Totalbetreuung“ bestehe, die jedoch trotz psychischer Erkrankung bzw. geistiger oder seelischer Behinderung ihren Willen frei bestimmen könnten, erwiesen sich die Wahlrechtsänderungen als vorteilhaft.
Keine wesentliche Änderung ergebe sich für Personen, die des Lesens unkundig oder wegen ihrer körperlichen Behinderung daran gehindert seien, ohne Unterstützung an einer Wahl teilzunehmen. Sie könnten sich der Hilfe einer Person ihres Vertrauens bedienen, die bei der Assistenz als „Werkzeug“ (technische Hilfe) in Bezug auf die tatsächliche Ausübung des Wahlrechts fungiere. Der Wähler müsse jedenfalls soweit im Besitz seiner seelischen und geistigen Kräfte sein, dass er seinen Wählerwillen kundtun, außerdem seine Vertrauensperson selbst auswählen und kontrollieren könne.
Faktisch weiterhin ausgeschlossen blieben auch nach Änderung der wahlrechtlichen Vorschriften Personen, bei denen die Einschränkung hinzukomme, dass sie aufgrund einer psychischen Erkrankung bzw. geistigen oder seelischen Behinderung zu einer eigenverantwortlichen Wahlentscheidung nicht in der Lage seien. Für diese Staatsbürger stelle sich die Situation als prekär, ja unwürdig dar. Sie seien nicht nach Art. 2 LWG/GLKrWG vom Stimmrecht ausgeschlossen, stünden im Wählerverzeichnis, erhielten Wahlbenachrichtigung und Stimmzettel, dürften aber nur persönlich wählen, obwohl sie dies nicht könnten. Stellvertretung bzw. effektive Hilfestellung sei nicht erlaubt. Wahlrechtlich ungeregelt bleibe, nach wessen Willen die Stimmzettel dieser Personen ausgefüllt werden dürften bzw. wessen Entscheidung eigentlich manifestiert werden solle.
Nach der Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse bleibe in Bezug auf diese Wahlberechtigten hinsichtlich des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes eine bedeutsame verfassungswidrige Sicherungslücke bestehen. Wahlen seien das wesentliche Element des Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und daher Grundvoraussetzung für einen demokratisch verfassten Staat. Die Bayerische Verfassung schütze den Grundsatz der Freiheit der Wahl, da die Entscheidungsfreiheit bei der Ausübung des Wahlrechts ein unerlässliches Merkmal des demokratischen Staatslebens darstelle. Das Recht auf Willenskundgabe durch Wahlen könne sich nur auf einen von inneren und äußeren Beeinträchtigungen freien Willen beziehen. Verfassungsrechtlich zwingend sei daher, dass nur derjenige, der ein bestimmtes Maß an Reife bzw. politischer Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitze, zur Wahl zugelassen sein solle. Wer aufgrund von Behinderungen (psychische Erkrankungen eingeschlossen) nicht imstande sei, eine selbstbestimmte Wahlentscheidung zu treffen, dürfe nicht persönlich wählen können. Werde ein entscheidungsunfähiger Staatsbürger nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen, müsse für ihn von Verfassung wegen zwingend eine praktikable Möglichkeit geschaffen werden, dass er mit seiner Stimme tatsächlich am Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung des Volkes teilnehmen könne. Statt hierfür zu sorgen, habe der Gesetzgeber vorhandene Barrieren für wahlunfähige Personen so verstärkt bzw. ergänzt, dass ihnen eine verfassungsgemäße Stimmausübung unmöglich gemacht werde.
Jede einzelne persönliche Stimmabgabe, die gemäß den derzeit geltenden wahlrechtlichen Vorschriften durch einen Wahlberechtigten stattfinde, der aufgrund psychischer Erkrankung bzw. geistiger oder seelischer Behinderung zu einer selbstbestimmten Wahlentscheidung unfähig sei, mindere den Wert des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes. Die betreffende Person werde – ob mit oder ohne Wahlinformation in einfacher Sprache, das spiele keine wesentliche Rolle – vom Wahlrecht hilflos alleingelassen und staatlicherseits nicht davor geschützt, einen mit Kreuzen versehenen Stimmzettel abzugeben. Sie erhalte keine Hilfe durch eine berechtigte und geeignete Person, die in der benötigten Weise Einfluss nehmen und erforderlichenfalls als Vertreter die Wahl ausüben könne. Dies führe dazu, dass entscheidungsunfähige Wahlberechtigte selbst den Stimmzettel ankreuzten, entweder in Abhängigkeit vom Zufall mit positiven oder negativen Auswirkungen für den Wahlberechtigten selbst oder als schutzlos anderen Personen zur Verfügung stehendes Werkzeug, dessen sich diese bedienten, weil sie entweder selbst nicht wahloder abstimmungsberechtigt seien (z. B. außerhalb Bayerns wohnende Bürger, Minderjährige) oder sich auf einfache, unauffällige Weise und ohne Zuhilfenahme unerlaubter Mittel ein „Pluralwahlrecht“ verschafften. Verletzt seien hierdurch Art. 118 a Satz 1 BV und der Grundsatz der Gleichheit der Wahl.
Der Höchstpersönlichkeitsgrundsatz, welcher Missbrauch (z. B. Stimmenkauf) verhüten und das Wahlrecht als politisches Selbstbestimmungsrecht schützen wolle, erweise sich als ungeeignet. Er wirke kontraproduktiv, dem Demokratieprinzip schadend. Um das geltende Wahlrecht mit der Bayerischen Verfassung in Einklang zu bringen und den betroffenen Wahlberechtigten einen förderlichen, verfassungsrechtlich akzeptablen Weg zu ebnen, sei eine geringfügige, eng begrenzte Ausnahme vom Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahl zwingend nötig, die richterlicher Kontrolle unterliege und zudem nicht weitergehe, als die jetzt schon bestehende und bewährte Ausnahme vom Grundsatz der geheimen Wahl bei körperlich Behinderten oder des Lesens unkundigen Personen. So werde eine gesetzliche Vertretung ermöglicht bzw. eine wertvolle Hilfe geschaffen, die eine selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung des Wahlberechtigten ersetze.
Durch Art. 22 Satz 1 LWG werde ermöglicht, dass eine Person, die zu einer selbstbestimmten Willensbildung oder Entscheidung unfähig sei, gewählt werden könne. Ein inklusives passives Wahlrecht sei verfassungswidrig. Personen, die krankheits- oder behinderungsbedingt unter Selbstüberschätzung litten und ihre mangelnden Fähigkeiten nicht erkennen könnten, beeinträchtigten im Fall ihrer Mitgliedschaft erheblich die Funktionsfähigkeit des Parlaments. Sie seien ungewollt Störer, ohne sich vor einem solchen Nachteil im Sinn des Art. 118 a Satz 1 BV schützen zu können. Mangels Wahlfähigkeit im Sinn der Art. 19, 14 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 BV seien sie nicht wählbar. Der Gesetzgeber habe seine Spielräume innerhalb des verfassungsrechtlich vorgezeichneten Wahlsystems und der vorgegebenen Wahlrechtsgrundsätze verkannt. Die Funktionstüchtigkeit des Parlaments als des zentralen Organs der repräsentativen Demokratie bedürfe einer zuverlässigen Sicherung durch den Gesetzgeber. Für eine Kandidatur erscheine in der Regel eine schriftliche Versicherung der sich bewerbenden Personen zur Wahlfähigkeit praktikabel und ausreichend. Wann eine Begutachtung von Abgeordneten oder die Vorlage eines (fachärztlichen) Attests nötig sei, sei durch den Gesetzgeber zu regeln.
III.
1. Der Bayerische Landtag hat in seiner vor Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse in Art. 2 Nrn. 2 und 3 LWG/GLKrWG a. F. erfolgten Stellungnahme ausgeführt, dass die darauf bezogenen Anträge des Antragstellers zwar zulässig und begründet seien, allerdings in Kürze durch bevorstehende Gesetzesänderungen auch in Bayern gegenstandslos würden. Im Hinblick auf den ursprünglichen, später zurückgenommenen Verpflichtungsantrag hat er darauf verwiesen, dass ein gesetzgeberisches Unterlassen des Landtags grundsätzlich selten und vorliegend nicht mit einer Popularklage gerügt werden könne.
In Bezug auf die letzte Antragserweiterung auf Feststellung der teilweisen Verfassungswidrigkeit von Art. 3 Abs. 4 und 5 Satz 3 LWG sowie Art. 3 Abs. 4 und 5 Satz 3 GLKrWG hält der Bayerische Landtag die Popularklage für unbegründet.
Das Wahlrecht sei ein persönliches Recht. Das subjektive Wahlrecht sei unveräußerlich, nicht übertragbar und nicht verzichtbar, der Wähler könne sich bei der Ausübung des Wahlrechts nicht vertreten lassen. Es statte ausschließlich seinen Inhaber mit der Befugnis aus, als selbstbestimmtes – und gerade nicht, etwa durch einen Vertreter, fremdbestimmtes – Individuum an der staatlichen Willensbildung verantwortlich teilzuhaben. Der Wahlberechtigte stehe zum Staat in einem Verhältnis persönlicher Verantwortlichkeit, der er sich durch Nichtteilnahme an der Wahl entziehen, die er aber nicht auf andere delegieren könne.
Demokratische Legitimation könne nur aus einem freien Kommunikationsprozess erwachsen, an dem der Inhaber des Wahlrechts selbst teilgenommen oder wenigstens teilzuhaben die gleiche, d. h. gleichgewichtige, rechtliche Chance gehabt habe. Der dialogische Prozess zwischen Wählern und zu Wählenden sei wie der zwischen Repräsentierten und Repräsentanten ein personaler Prozess.
2. Die Bayerische Staatsregierung ist der Auffassung, die Popularklage sei zuletzt zumindest zum Teil unzulässig, im Übrigen jedenfalls unbegründet.
Hinsichtlich der angefochtenen Ausschlüsse vom aktiven Wahlrecht sei die Popularklage gegenstandslos geworden. Der Gesetzgeber habe die betreffenden Vorschriften zum 1. August 2019 aufgehoben und Art. 2 LWG sowie Art. 2 GLKrWG unter Beschränkung auf den schon bisher bestehenden und nicht angefochtenen Wahlrechtsausschluss infolge Richterspruchs neu gefasst.
Außer Kraft getretene Rechtsvorschriften unterlägen nur noch dann der Kontrolle des Verfassungsgerichtshofs, wenn ein objektives Interesse an der Feststellung bestehe, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar gewesen seien. Ein solches Interesse habe der Verfassungsgerichtshof dann bejaht, wenn nicht auszuschließen sei, dass die betreffende Norm noch rechtliche Wirkungen entfalten könne, etwa weil sie für künftige Entscheidungen relevant sei. Dies sei hier nicht der Fall.
Soweit der Antragsteller die Feststellung der Nichtigkeit der das passive Wahlrecht betreffenden Vorschrift in Art. 22 Satz 1 LWG mit dem Argument begehre, mit der Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse könnten zukünftig auch Personen wahlberechtigt und wählbar sein, denen es an der notwendigen Einsichtsfähigkeit fehle, habe er nicht dargetan, woraus sich für den Gesetzgeber die Pflicht ergeben sollte, „die Nichtwählbarkeit geschäftsunfähiger Personen klar und deutlich zu regeln“. Zwar könne auch ein Unterlassen des Gesetzgebers Gegenstand einer Popularklage sein. Allerdings bestehe nach bayerischem Verfassungsrecht grundsätzlich kein verfassungsgerichtlich verfolgbarer Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers. Das Verlangen nach einer bestimmten Regelung könne nur ausnahmsweise im Weg der Popularklage geltend gemacht werden.
In Bezug auf den zuletzt gestellten Antrag, Art. 3 LWG/GLKrWG in der Fassung der zum 1. August 2019 in Kraft getretenen Änderungen wegen Verfassungswidrigkeit teilweise für nichtig zu erklären, bestünden bereits erhebliche Zweifel an dessen Zulässigkeit, weil nicht substantiiert dargetan sei, inwieweit die in den angegriffenen Vorschriften enthaltenen Regelungen – Höchstpersönlichkeit der Stimmrechtsausübung, Unzulässigkeit einer Stellvertretung und einer Hilfeleistung, die die selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung der stimmberechtigten Person ersetzt oder verändert – gegen das Benachteiligungsverbot in Art. 118 a Satz 1 BV sowie gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl verstoßen könnten. Durch die Neureglungen würden nun alle Stimmberechtigten gleichbehandelt und diejenigen, die bei der Stimmabgabe auf Hilfe angewiesen seien, vor nachteiligen Einwirkungen geschützt. Unabhängig davon erweise sich die Popularklage jedenfalls als unbegründet, da die genannten Vorschriften verfassungsgemäß seien. Sie trügen dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahl Rechnung und regelten in verfassungsrechtlich gebotener Weise die Grenzen zulässiger Assistenz für Stimmberechtigte, die bei der Abgabe der Stimme auf die Hilfe einer anderen Person angewiesen seien.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof habe bereits entschieden, dass ein auf ein stellvertretendes oder treuhänderisch ausgeübtes Wahlrecht zielendes Modell nicht nur nicht geboten, sondern seinerseits verfassungswidrig wäre (VerfGHE 55, 85/92 f. m. w. N.). Im Übrigen habe auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 29. Januar 2019 betont, es sei Aufgabe des Gesetzgebers, zwischen dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und den notwendigen Sicherheitsmechanismen abzuwägen. Von daher erkläre sich, dass der Landesgesetzgeber die gerügten, auch im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz zum 1. Juli 2019 neu eingefügten Bestimmungen übernommen habe, zumal der Bundesgesetzgeber den Straftatbestand in § 107 a Abs. 1 StGB ausdrücklich dahingehend ergänzt habe, dass unbefugt auch wähle, wer im Rahmen zulässiger Assistenz entgegen einer oder ohne eine geäußerte Wahlentscheidung des Wahlberechtigten eine Stimme abgebe.
IV.
Die Popularklage ist insgesamt unzulässig.
Nach Art. 98 Satz 4 BV hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht verfassungswidrig einschränken.
Die Verfassungswidrigkeit kann jedermann durch Beschwerde (Popularklage) geltend machen. Gesetze und Verordnungen im Sinn des Art. 98 Satz 4 BV sind alle Rechtsvorschriften des bayerischen Landesrechts (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Dazu zählen die angegriffenen landesgesetzlichen Bestimmungen. Hingegen besteht nach bayerischem Verfassungsrecht grundsätzlich kein verfassungsgerichtlich verfolgbarer Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers. Insoweit kommt dem Verfassungsgerichtshof nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz zu (ständige Rechtsprechung; vgl. näher VerfGH vom 5.11.2003 VerfGHE 56, 141/142; vom 10.6.2013 BayVBl 2013, 656/657; vom 25.9.2015 VerfGHE 68, 198 Rn. 115 m. w. N.; vom 26.3.2018 BayVBl 2018, 590 und 623 Rn. 52).
1. Soweit sich die Popularklage weiterhin gegen Art. 2 Nrn. 2 und 3 LWG a. F. und Art. 2 Nrn. 2 und 3 GLKrWG a. F. richtet, ist sie unzulässig, weil die angegriffenen Vorschriften mittlerweile außer Kraft getreten sind. Ihr fehlt insoweit das Rechtsschutzbedürfnis.
a) Mit § 1 Nr. 1 und § 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 24. Juli 2019 (GVBl S. 342) wurden Art. 2 LWG und Art. 2 GLKrWG zum 1. August 2019 neu gefasst mit der Folge, dass die vom Antragsteller angefochtenen Wahlrechtsausschlüsse in Art. 2 Nrn. 2 und 3 LWG/GLKrWG a. F. mit Ablauf des 31. Juli 2019 (vgl. § 5 des Gesetzes) außer Kraft getreten sind.
b) Der Verfassungsgerichtshof hat bei der Prüfung, ob eine Rechtsvorschrift verfassungswidrig ist, seiner Beurteilung grundsätzlich den Rechtszustand im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Außer Kraft getretene Rechtsvorschriften unterliegen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur dann, wenn noch ein objektives Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren. Ein solches Interesse besteht insbesondere dann, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Rechtsnorm noch rechtliche Wirkungen entfalten kann, etwa weil sie für künftige (z. B. gerichtliche) Entscheidungen noch rechtlich relevant ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 9.5.2016 BayVBl 2016, 625 Rn. 103 m. w. N.; vom 2.12.2016 – Vf. 3-VII-14 – juris Rn. 13; vom 30.8.2017 BayVBl 2018, 234 Rn. 75).
c) Ein objektives (und nicht nur theoretisches) Interesse in diesem Sinn ist hier zu verneinen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass von den aufgehobenen Normen noch irgendwelche Grundrechtsverletzungen ausgehen könnten, für die es auf die Verfassungsmäßigkeit der damaligen Normen entscheidungserheblich ankäme. Ein objektives Feststellungsinteresse lässt sich entgegen der Ansicht des Antragstellers insbesondere nicht mit der Erwägung begründen, der Verfassungsgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 9. Juli 2002 (VerfGHE 55, 85) ausdrücklich die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen festgestellt. Die Popularklage ist ein objektives Verfahren und dient nicht in erster Linie dem Schutz der verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen (VerfGH vom 2.4.2019 – Vf. 9-VII-18 – juris Rn. 23). Sie bezweckt vielmehr den Schutz der Grundrechte gegenüber Rechtsvorschriften, von denen noch rechtliche Wirkungen ausgehen können (vgl. Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 98 Rn. 8). Wahlrechtsvorschriften entfalten – auch über die jeweilige Wahlperiode hinaus – solange Wirkung, bis sie vom Gesetzgeber geändert oder vom Verfassungsgerichtshof für nichtig erklärt werden (vgl. zur Wahlprüfungsbeschwerde BVerfG vom 29.1.2019 BVerfGE 151, 1 Rn. 36 m. w. N.). Durch die Neufassung des Art. 2 LWG und des Art. 2 GLKrWG zum 1. August 2019 gehen von den angefochtenen Wahlrechtsausschlüssen seither keine rechtlichen Wirkungen mehr aus. Dies bedarf keiner besonderen objektiven Klarstellung durch den Verfassungsgerichtshof.
2. Die Popularklage ist auch im Übrigen unzulässig.
a) Zwar steht ihrer Zulässigkeit hinsichtlich der Antragserweiterungen vom 21. Mai und 1. August 2019 nicht der Gesichtspunkt der Wiederholung entgegen, da die damit angegriffenen Regelungen in Art. 3 Abs. 4 und 5 Satz 3, Art. 22 Satz 1 LWG sowie in Art. 3 Abs. 4 und 5 Satz 3 GLKrWG nicht Gegenstand der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 9. Juli 2002 (VerfGHE 55, 85) waren.
b) Die Popularklage genügt insoweit jedoch nicht den Anforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG.
aa) Zu den prozessualen Voraussetzungen einer Popularklage gehört gemäß Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG, dass der Antragsteller darlegt, inwiefern durch die angegriffene Rechtsvorschrift ein in der Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig eingeschränkt wird. Die Popularklage ist unzulässig, wenn und soweit eine als verletzt bezeichnete Norm der Verfassung kein Grundrecht gewährt oder wenn zwar ein Grundrecht als verletzt gerügt wird, eine Verletzung nach Sachlage aber von vornherein nicht möglich ist, weil der Schutzbereich des angeblich verletzten Grundrechts durch die angefochtene Rechtsvorschrift nicht berührt wird, bzw. wenn die geltend gemachte Grundrechtsverletzung nach Sachlage schlechthin ausgeschlossen ist.
Eine ausreichende Grundrechtsrüge liegt nicht schon dann vor, wenn der Antragsteller nur behauptet, dass die Rechtsvorschrift gegen Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung verstößt. Der Antragsteller muss seinen Vortrag vielmehr so präzisieren, dass der Verfassungsgerichtshof beurteilen kann, ob der Schutzbereich der bezeichneten Grundrechtsnormen berührt ist. Die zur Überprüfung gestellten Tatsachen und Vorgänge müssen dies zumindest als möglich erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 4.5.2012 VerfGHE 65, 73/81; vom 21.3.2016 BayVBl 2016, 743 Rn. 25; vom 29.10.2020 BayVBl 2021, 83 Rn. 19). Greift der Antragsteller mehrere Rechtsvorschriften an, so muss dem Darlegungserfordernis grundsätzlich für jede einzelne Vorschrift Genüge getan werden (VerfGH vom 4.11.1976 VerfGHE 29, 191/201 m. w. N.).
Besondere Anforderungen gelten, wenn der Antragsteller ein gesetzgeberisches Handeln anstrebt. Zwar kann auch ein Unterlassen des Gesetzgebers Gegenstand einer Popularklage sein. Allerdings besteht nach bayerischem Verfassungsrecht grundsätzlich kein verfassungsgerichtlich verfolgbarer Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers. Das Verlangen nach Erlass einer bestimmten Regelung kann nur ausnahmsweise im Weg einer Popularklage geltend gemacht werden. Hierzu muss der Antragsteller in substanziierter Weise darlegen, dass der Normgeber aufgrund einer Grundrechtsnorm der Bayerischen Verfassung zum Erlass einer bestimmten Regelung verpflichtet ist (VerfGHE 68, 198 Rn. 115; VerfGH vom 12.9.2016 BayVBl 2017, 478 Rn. 44; 2018, 590 und 623 Rn. 56, 122; vom 9.10.2018 BayVBl 2019, 260 Rn. 24, jeweils m. w. N.).
bb) Soweit der Antragsteller ausdrücklich die Verfassungswidrigkeit einzelner Passagen in Art. 3 Abs. 4 und 5 Satz 3 LWG/GLKrWG sowie von Art. 22 Satz 1 LWG rügt, ergibt eine Auslegung seines Vorbringens, dass er in der Sache ein nach seiner Ansicht pflichtwidriges gesetzgeberisches Unterlassen beanstandet, weil der Gesetzgeber es – auch – bei Neuregelung der betreffenden wahlrechtlichen Vorschriften versäumt habe, ein die Belange aller Behinderter hinreichend berücksichtigendes inklusives Wahlrecht zu schaffen.
(1) Trotz der am 1. August 2019 erklärten Rücknahme des ursprünglichen Antrags zu 3 auf Verpflichtung des Gesetzgebers, Bürgern, die behinderungsbedingt ihr Wahl- bzw. Stimmrecht nicht ausüben können, dies mit Hilfe eines gesetzlichen Vertreters zu ermöglichen, hält der Antragsteller mit der zugleich erklärten Antragserweiterung auf bestimmte Passagen in Art. 3 Abs. 4 sowie Abs. 5 Satz 3 LWG/GLKrWG im Ergebnis an diesem Ziel fest. Vordergründig wird mit dem geänderten Antrag die Grundrechtswidrigkeit der angegriffenen Bestimmungen des aktuell geltenden Landeswahl- und Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes gerügt und die Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieser Regelungen beantragt. Die behauptete Verfassungswidrigkeit wird auf den positiven Regelungsgehalt der angegriffenen Normen in ihrer konkreten Fassung gestützt. Der Antragsteller hält es für verfassungswidrig, dass betreuungsbedürftige Staatsbürger nach Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse in Art. 2 Nrn. 2 und 3 LWG/GLKrWG a. F. persönlich wählen dürfen, auch wenn sie zu einer selbstbestimmten Wahlentscheidung faktisch nicht fähig sind. Wegen der damit verbundenen Gefahr der Manipulation durch Dritte sowie dem Risiko von Fehlentscheidungen zu Lasten der betroffenen Staatsbürger bestehe eine „bedeutsame verfassungsrechtliche Sicherungslücke“, die nur dadurch zu beheben sei, dass die angegriffenen Regelungen entfielen.
Im Kern ist der Antragsteller jedoch der Auffassung, dass für nun nicht mehr vom Stimmrecht ausgeschlossene entscheidungsunfähige Staatsbürger zwingend eine praktikable Möglichkeit geschaffen werden müsse, damit diese mit ihrer Stimme – im Sinn eines umfassenden inklusiven Wahlrechts – tatsächlich am Integrationsvorgang der politischen Willensbildung des Volkes teilnehmen könnten. Die Mehrheit der ursprünglich von den Wahlrechtsausschlüssen betroffenen Staatsbürger bleibe auch nach deren Aufhebung tatsächlich von der Wahl ausgeschlossen. Diese Lücke müsse im Sinn der Betroffenen durch eine Vertretung bei der Ausübung des Stimmrechts geschlossen werden. Dem stünden die Regelungen in Art. 3 Abs. 4 Satz 2 LWG/GLKrWG (Ausschluss eines Vertreters bei Ausübung des Stimmrechts/Wahlrechts) insgesamt sowie jeweils in Absatz 4 Satz 1 hinsichtlich der Worte „und nur persönlich“ und Absatz 5 Satz 3 hinsichtlich der Worte „die selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung der stimmberechtigten Person ersetzt“ entgegen und verstärkten bzw. ergänzten die vorhandenen Barrieren.
Mit seiner Forderung nach einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieser Passagen der angegriffenen Regelungen will der Antragsteller in der Sache also Ergänzungen erreichen, die nach seiner Ansicht für ein wirksames – aktives – inklusives Wahlrecht erforderlich sind. Da somit inhaltliche Veränderungen der bestehenden Regelungen gefordert werden, liegt der Schwerpunkt der Popularklage in der Rüge eines gesetzgeberischen Unterlassens. Denn beides – sowohl die durch die Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse entstandene „bedeutsame verfassungsrechtliche Sicherungslücke“ als auch der nach Änderung des Wahlrechts weiterhin bestehende faktische Ausschluss einer Gruppe von betreuungsbedürftigen Staatsbürgern – kann nach Ansicht des Antragstellers nur durch eine Ausnahme vom Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahl behoben werden.
(2) Auch in Bezug auf Art. 22 Satz 1 LWG beanstandet der Antragsteller in der Sache ein angeblich verfassungswidriges Unterlassen des Gesetzgebers.
Zwar wird Art. 22 Satz 1 LWG mit der Begründung beanstandet, ein inklusives passives Wahlrecht sei verfassungswidrig und verstoße gegen das Verbot der Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen aus Art. 118 a Satz 1 BV. Im Kern fordert der Antragsteller aber auch insoweit unmissverständlich ein gesetzgeberisches Tun. Denn seiner Auffassung nach besteht im Hinblick auf Art. 118 a BV sowie aus Gründen einer zuverlässigen Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments als des zentralen Organs der repräsentativen Demokratie zwingend die verfassungsrechtliche Pflicht, wegen einer psychischen Erkrankung bzw. einer geistigen oder seelischen Behinderung nicht wahlfähige Personen nach Art. 14 Abs. 1 und 2 BV vom passiven Wahlrecht auszuschließen und dies durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen.
cc) Die Popularklage genügt angesichts dieser Zielsetzungen nicht den Anforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG. Den Ausführungen des Antragstellers sind schon keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen Verstoß der angegriffenen Regelungen gegen Grundrechte zu entnehmen. Zudem verhält er sich nicht substanziiert dazu, woraus sich ein Anspruch auf die geforderte Einführung einer stellvertretenden Ausübung des Wahlrechts sowie auf die begehrte Einschränkung des passiven Wahlrechts für den betreffenden Personenkreis ergeben soll. Zur Frage, inwiefern die eingeforderten gesetzlichen Regelungen überhaupt verfassungsrechtlich zulässig erreicht werden könnten, fehlen jegliche Ausführungen.
(1) Soweit die Verfassungswidrigkeit des Art. 3 Abs. 4 Satz 2 LWG/GLKrWG, des Art. 3 Abs. 4 Satz 1 LWG/GLKrWG hinsichtlich der Worte „und nur persönlich“ und des Art. 3 Abs. 5 Satz 3 LWG/GLKrWG hinsichtlich der Worte „die selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung der stimmberechtigten Person ersetzt“ sowie von Art. 22 Satz 1 LWG gerügt wird, legt der Antragsteller in der Popularklage keine mögliche Grundrechtsverletzung dar.
(a) Mit Art. 118 a Satz 1 BV wird zwar ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung als verletzt angegeben. Denn die Regelung enthält ein besonderes Benachteiligungsverbot mit Grundrechtscharakter, dessen Träger der einzelne Mensch mit Behinderung ist (vgl. VerfGH vom 8.11.2002 VerfGHE 55, 143/158 f.). Soweit der Antragsteller auf die nach seiner Auffassung unwürdige Situation derjenigen Wahlberechtigten verweist, die aufgrund psychischer Erkrankung bzw. geistiger oder seelischer Behinderung nicht in der Lage seien, selbstverantwortlich an der staatlichen Willensbildung teilzunehmen, erscheint eine Verletzung von Art. 118 a Satz 1 BV jedoch ausgeschlossen, da keine rechtliche, sondern eine faktische Schlechterstellung dieser Personengruppe gerügt wird. Art. 118 a Satz 1 BV enthält ein Differenzierungsverbot. Die Tatsache einer Behinderung darf nicht Anknüpfungspunkt für eine nachteilige Ungleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen sein. Nach den beanstandeten Regelungen haben volljährige Menschen mit Behinderungen jeglicher Art das Recht zu wählen, und zwar gleichberechtigt mit volljährigen Menschen ohne Behinderungen. Eine rechtliche Benachteiligung volljähriger behinderter Menschen bei den betroffenen Wahlen liegt daher nicht vor.
(b) Mit dem in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV enthaltenen Grundsatz der Gleichheit der Wahl beruft sich der Antragsteller ebenfalls auf ein in der Bayerischen Verfassung verbürgtes Grundrecht (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH BayVBl 2018, 590 und 623 Rn. 66). Hiernach soll jeder Wähler den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben (VerfGHE 56, 141/142). Der Grundsatz der Wahlgleichheit unterscheidet sich vom allgemeinen Gleichheitssatz durch seinen strengen und formalen Charakter. Denn die Wahlgleichheit trägt der vom Demokratieprinzip vorausgesetzten Egalität bzw. Gleichberechtigung der Staatsbürger bei der politischen Selbstbestimmung Rechnung (vgl. VerfGH BayVBl 2018, 590 und 623 Rn. 77, 101 m. w. N.; BVerfGE 151, 1 Rn. 42). Die behauptete Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl, der gemäß Art. 12 Abs. 1 BV auch für Wahlen auf der Ebene der Gemeinden und Gemeindeverbände gilt, erscheint angesichts dessen von vornherein nicht möglich. Denn der Antragsteller macht mit dem Angriff auf die Neuregelungen in Art. 3 Abs. 4 und 5 LWG/GLKrWG nicht (mehr) die Grundrechtswidrigkeit der früheren Wahlrechtsausschlüsse einer bestimmten Personengruppe volljähriger Staatsbürger geltend. Er kritisiert vielmehr, dass bestimmte Wahlberechtigte rechtlich zwar wählen dürften – also formal gerade gleichbehandelt werden -, allerdings faktisch von der Wahrnehmung ihres aktiven Wahlrechts ausgeschlossen wären und damit in Wirklichkeit keine Stimme hätten. Hierin liegt keine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV.
(c) Mit dem im Hinblick auf Art. 22 Satz 1 LWG erhobenen Postulat, eine Einschränkung des passiven Wahlrechts von volljährigen Personen, die zu selbstständigen Wahlentscheidungen nicht fähig seien, sei zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments als des zentralen Organs der repräsentativen Demokratie erforderlich, wird nicht die Verletzung eines in der Verfassung verbürgten Grundrechts geltend gemacht. Art. 2 BV verbürgt keine Grundrechte (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 22.10.1993 VerfGHE 46, 273/277; vom 17.8.2006 VerfGHE 59, 195/197, vom 21.7.2011 BayVBl 2011, 695 Rn. 67; 2018, 590 und 623 Rn. 66). Ein Verstoß gegen das Differenzierungsverbot des Art. 118 a Satz 1 BV ist aus den oben (unter (a)) bereits dargestellten Gründen mangels rechtlicher Benachteiligung weder dargelegt noch ersichtlich.
(d) Dessen ungeachtet lässt der Antragsteller unberücksichtigt, dass das Ziel eines umfassenden inklusiven – aktiven – Wahlrechts in dem von ihm gewünschten Sinn mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Art. 3 Abs. 4 Satz 2 LWG/GLKrWG, von Art. 3 Abs. 4 Satz 1 LWG/GLKrWG hinsichtlich der Worte „und nur persönlich“ und von Art. 3 Abs. 5 Satz 3 LWG/GLKrWG hinsichtlich der Worte „die selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung der stimmberechtigten Person ersetzt“ nicht verfassungsrechtlich zulässig erreicht werden kann. Denn dem steht der Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahl entgegen.
Art. 14 BV verbürgt neben dem aktiven und passiven (Abs. 2) Wahlrecht auch die einzelnen Wahlrechtsgrundsätze, u. a. den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl sowie der geheimen Wahl (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV, in Bezug auf Gemeinden und Gemeindeverbände i. V. m. Art. 12 Abs. 1 BV). Aus dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl wird das Prinzip der Höchstpersönlichkeit der Wahl abgeleitet, welches gebietet, dass ausschließlich der Wahlberechtigte selbst seine Stimme abzugeben befugt ist (vgl. VerfGHE 55, 85/92 f.; Klein/Schwarz in Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 104 m. w. N.). Dass das Wahlrecht unveräußerlich, nicht übertragbar und nicht verzichtbar, also ein höchstpersönliches Recht ist, folgt vor allem daraus, dass es nur seinen Inhaber mit der Befugnis ausstattet, als selbst- und gerade nicht fremdbestimmtes Individuum an der staatlichen Willensbildung verantwortlich teilzuhaben (vgl. Klein/Schwarz, a. a. O.). Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl ist unabdingbar und strikt formal zu verstehen. Er lässt kaum eine Ausnahme zu und muss in jedem wie auch immer ausgestalteten Wahlverfahren konsequent verwirklicht werden (vgl. bereits BVerfG vom 3.7.1957 BVerfGE 7, 77/84 f.; Klein/Schwarz, a. a. O., Rn. 105).
Das aktive Wahlrecht duldet demnach keine Stellvertretung. Die Hilfestellung einer Vertrauensperson bei der Ausübung des Wahlrechts muss sich vielmehr auf die Erfüllung der Wünsche des Wahlberechtigten beschränken. Bei geistigen Gebrechen, die eine derartige Entscheidung ausschließen, ist eine Hilfe bei der Wahl unzulässig (VerfGH vom 4.10.1974 VerfGHE 27, 139/146; 55, 85/92 f.; BVerfG vom 15.2.1967 BVerfGE 21, 200/206 f.). Ein auf ein stellvertretendes oder treuhänderisch ausgeübtes Wahlrecht zielendes Modell ist daher verfassungswidrig (VerfGHE 55, 85/92 f. m. w. N.). Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 29. Januar 2019 hervorgehoben, dass das Wahlrecht ein höchstpersönliches Recht darstellt, dessen treuhänderische Wahrnehmung verfassungsrechtlich unzulässig ist (BVerfGE 151, 1 Rn. 95 m. w. N.)
(2) Soweit der Antragsteller eine Ausnahme vom Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahl fordert, fehlen im Übrigen substanziierte Darlegungen dazu, woraus sich ausnahmsweise ein verfassungsgerichtlich verfolgbarer Anspruch auf das begehrte Handeln des Gesetzgebers ergeben soll. Er stützt sich insoweit zwar „auf das Benachteiligungsverbot Behinderter“. Eine weitergehende inhaltliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob sich aus Art. 118 a BV ein Anspruch auf die angestrebte stellvertretende Wahlausübung für bestimmte betreuungsbedürftige Wahlberechtigte ergeben kann, findet jedoch nicht statt. Ungeachtet der fehlenden Darlegung folgt aus dem Schutz- und Fördergebot des Art. 118 a Satz 2 BV auch kein ausdrücklicher Auftrag der Verfassung, in dem vom Antragsteller der Popularklage gewünschten Sinn normgeberisch tätig zu werden.
(a) Art. 118 a Satz 2 BV regelt ergänzend zu dessen Satz 1, dass sich der Staat für gleichwertige Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung einsetzt. Art. 118 a Satz 2 BV enthält einen ausdrücklichen Verfassungsauftrag an den Staat, behinderte Menschen zu schützen und zu fördern. Die Regelung bringt damit die besondere Verantwortung des Staates für Menschen mit Behinderung zum Ausdruck. Eine Benachteiligung behinderter Menschen liegt auch dann vor, wenn ihre Lebenssituation im Vergleich zu derjenigen nicht behinderter Menschen durch gesetzliche Regelungen verschlechtert wird, die ihnen Entfaltung und Betätigungsmöglichkeiten vorenthalten, welche anderen offenstehen. Dazu gehört auch ein Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten, der nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird (VerfGHE 55, 143/158 f. m. w. N.). Aus dem Schutz- und Fördergebot des Art. 118 a Satz 2 BV folgt jedoch kein grundrechtlicher Anspruch auf bestimmte Förder- und Ausgleichsmaßnahmen (vgl. VerfGHE 55, 143/159; VerfGH vom 19.7.2016 VerfGHE 69, 207/224). Offenbleiben kann, ob der Vorschrift Grundrechtscharakter insoweit zukommt, als dann, wenn der Staat trotz seines weiten Gestaltungsspielraums gegen das insoweit bestehende Untermaßverbot verstieße, dieses Unterlassen Gegenstand einer Popularklage sein könnte (bejahend zum Grundrechtscharakter auch von Satz 2 des Art. 118 a Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 118 a Rn. 2; Schmidt am Busch in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 118 a Rn. 23; verneinend Stettner in Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 118 a Rn. 2).
(b) Eine – einfachgesetzliche – Ausnahme vom Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahl für den betroffenen Personenkreis ist jedenfalls verfassungsrechtlich nicht geboten.
Der Antragsteller räumt ein, dass die selbstbestimmte Ausübung des Wahlrechts in zahlreichen Fällen auch für betreuungsbedürftige Wahlberechtigte durch Unterstützungsleistungen, wie sie bereits jetzt in den Wahlordnungen vorgesehen sind, gewährleistet werden kann. Insoweit besteht kein Regelungsbedarf.
Für die anderen betreuungsbedürftigen Wahlberechtigten ließe sich das angestrebte Modell einer stellvertretenden Wahlausübung im verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen nicht realisieren. Ungeachtet der erheblichen Abgrenzungsproblematik, ab wann dem betreuungsbedürftigen Wahlberechtigten ein Stellvertreter zur Seite zu stellen wäre, sind auch bei der Erfüllung des Auftrags aus
Art. 118 a Satz 2 BV die Grenzen zu beachten, die die Verfassung durch Kompetenzregeln, Grundrechte und sonstige Bestimmungen zieht. Entsprechend stellt insbesondere der Ausschluss einer Person, der die erforderliche Einsichts- oder Handlungsfähigkeit aufgrund einer Behinderung fehlt und dem auch nicht durch geeignete Assistenzsysteme abgeholfen werden kann, von einem diese Fähigkeit voraussetzenden Recht keine Diskriminierung wegen einer Behinderung – im Sinn von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG – dar (BVerfGE 151, 1 Rn. 58).
Entgegen der Auffassung des Antragstellers weicht das von ihm angestrebte Modell entscheidend von den bereits jetzt in den Wahlvorschriften vorgesehenen Möglichkeiten ab, einen körperbehinderten oder des Lesens unfähigen Wahlberechtigten bei der Kundgabe seiner eigenen Wahlentscheidung zu unterstützen. Denn nach Ansicht des Antragstellers ist eine stellvertretende Wahlausübung gerade für diejenigen Staatsbürger erforderlich, die typischerweise zu einer eigenverantwortlichen Wahlentscheidung nicht in der Lage sind. Für diesen Personenkreis soll die der Wahlentscheidung immanente Willensbildung und Willensentscheidung durch einen Stellvertreter wahrgenommen werden. Damit würden die bisherigen Grenzen zulässiger Assistenz deutlich verschoben. Der Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahl wäre mit der Einführung eines stellvertretend ausgeübten Wahlrechts nicht nur – wie der Antragsteller meint – unwesentlich, sondern im Kern betroffen (vgl. oben unter (1) (d)).
Darüber hinaus würde das angestrebte Modell gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit verstoßen. Mit der Bayerischen Verfassung unvereinbare, weil gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit verstoßende „plurale“ Wahlentscheidungen könnten nicht zuverlässig verhindert werden. Da der betreuungsbedürftige Wahlberechtigte dem Stellvertreter in den meisten Fällen keine verbindlichen Vorgaben machen könnte, obläge die jeweilige Wahlentscheidung dann ausschließlich der Wertung des Stellvertreters. Entscheidend wäre, was der Stellvertreter für den Wahlberechtigten als richtig ansähe. In der Praxis wäre jedoch kaum zu kontrollieren, inwieweit die jeweilige Wahlentscheidung tatsächlich im wohlverstandenen Sinn des Betroffenen erfolgen würde (vgl. Schmidt am Busch in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 118 a Rn. 19). Dem könnte auch durch eine richterliche Kontrolle nicht wirksam begegnet werden. Denn anders als in den überwiegenden sonstigen Betreuungsangelegenheiten – vor allem anders als bei den in der Popularklage angeführten Entscheidungen über die Notwendigkeit ärztlicher Heilbehandlungen – ließe sich nicht anhand objektiver Kriterien festmachen, welche Wahlentscheidung im wohlverstandenen Sinn des Betroffenen wäre. Die Missbrauchsgefahr wäre somit in diesen Fällen nicht geringer, als sie für den umgekehrten Fall einer – unter Umständen durch Dritte manipulierten – Wahlentscheidung des betreuungsbedürftigen Wahlberechtigten in der Popularklage beschrieben wird. Mögliche Auswirkungen auf den Wert der Wahl als wichtigstem Mittel der Willensbildung des Volkes wären deutlich unvorhersehbarer als dies bei einer Nichtausübung des Wahlrechts oder einer vielleicht vom Zufall abhängigen eigenen Wahlentscheidung des betreuungsbedürftigen Staatsbürgers der Fall wäre.
Zudem würde die Einführung der geforderten Ausnahme vom Höchstpersönlichkeitsgrundsatz für betreuungsbedürftige Staatsbürger, die das ihnen zustehende Wahlrecht aufgrund von Einschränkungen nicht auszuüben in der Lage sind, zu einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung gegenüber anderen Personengruppen führen. Dies gilt insbesondere, da auch ein „Elternwahlrecht“ gesetzlich nicht vorgesehen und verfassungsrechtlich nicht geboten ist (vgl. VerfGHE 56, 141) und es darüber hinaus auch andere volljährige – nicht betreuungsbedürftige – Wahlberechtigte gibt, die ihr Wahlrecht aus tatsächlichen Gründen, z. B. wegen einer schweren Erkrankung, nicht ausüben können. Die in der Popularklage aufgezeigten und kritisierten Unzulänglichkeiten, die bei Wahlen auch nach Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse aus tatsächlichen Gründen für eine bestimmte Gruppe von volljährigen betreuungsbedürftigen Staatsbürgern bestehen, ergeben sich im Grundsatz vergleichbar für diese Gruppen. Auch deren Belange fließen nicht in gleichem Maß in die Ergebnisse von Wahlen als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes ein wie diejenigen der Volljährigen, die zu wählen sowohl berechtigt als auch tatsächlich in der Lage sind.
(3) Soweit die Popularklage auf eine einschränkende Änderung des Art. 22 Satz 1 LWG gerichtet ist, fehlt es ebenfalls an einer substanziierten Darlegung, woraus sich ein Anspruch auf das geforderte normgeberische Handeln ergeben soll. Der Antragsteller verhält sich zudem nicht dazu, ob die angestrebte Beschränkung des passiven Wahlrechts für den von ihm beschriebenen Personenkreis, die eine nur unter strengen Voraussetzungen zulässige Einschränkung des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl darstellen würde (vgl. BVerfGE 151, 1 Rn. 41 f.), überhaupt verfassungsgemäß umgesetzt werden könnte. Hiervon ist nicht auszugehen.
Art. 14 Abs. 2 BV verbürgt das passive Wahlrecht. Danach ist jeder wahlfähige Staatsbürger wählbar, der das 18. Lebensjahr vollendet hat. Das als Grundrecht garantierte passive Wahlrecht erstreckt sich darauf, vom Staat als wählbar behandelt und bei einer Kandidatur nicht einseitig behindert oder benachteiligt zu werden. Dies beinhaltet das Recht, sich um ein Mandat zu bewerben, es anzunehmen und auszuüben (VerfGH vom 1.8.1958 VerfGHE 11, 103/107; vom 6.5.2005 VerfGHE 58, 113/124; BayVBl 2018, 590 und 623 Rn. 75; 2019, 260 Rn. 28).
Entgegen der Auffassung des Antragstellers knüpft der Begriff „wahlfähig“ an die Wahlberechtigung, also an das aktive Wahlrecht (Art. 7 Abs. 2 BV) an. Damit darf die Wählbarkeit an keine anderen Voraussetzungen als das aktive Wahlrecht geknüpft werden (VerfGH BayVBl 2019, 260 Rn. 34). Auch Art. 19 BV, wonach die Mitgliedschaft im Landtag während der Wahldauer u. a. bei Verlust der Wahlfähigkeit verloren geht (vgl. Art. 56 Abs. 1 Nr. 3 LWG), rechtfertigt nicht das Begehren des Antragstellers. Im Kontext des Art. 19 BV ist der Verlust der Wählbarkeit gemeint (vgl. Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 19 Rn. 7) und nicht die Frage, welche Anforderungen an die geistigen oder intellektuellen Fähigkeiten von Abgeordneten zu stellen sind. Zudem stünde neben dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl auch der der Gleichheit der Wahl, der wie bereits dargelegt im Sinn einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen ist und auch für das passive Wahlrecht gilt, der angestrebten Einschränkung entgegen.
VI.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).


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