Verwaltungsrecht

unzulässiger Zweitantrag – Asyl

Aktenzeichen  W 2 K 19.31711

Datum:
10.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 148
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 26a, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a
AufenthG § 60 Abs. 5
VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1, Nr.3
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Auch unter Berücksichtigung der sog. Salvini-Dekrete ist im italienischen Asylverfahren, in dem eine Entscheidung aufgrund der persönlichen Anhörung des Antragstellers getroffen wird, kein Verstoß gegen rechtsstaatliche Maßstäbe ersichtlich; mithin ist eine Ausnahme vom Konzept des gegenseitigen Vertrauens nicht gerechtfertigt.  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden, da die Beteiligten ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden waren (§ 102 Abs. 2 VwGO).
1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts vom 4. September 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffen Bundesamtsbescheid, die sich das erkennende Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG zu eigen macht, wird Bezug genommen. Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
1.1 Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 i.V.m. § 71a AsylG als unzulässig abgewiesen.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Fall eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Stellt ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) ist gemäß § 71a Abs. 1 ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
Im Fall des Klägers, der bereits in Italien, einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG, ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen hat, ist die Bundesrepublik Deutschland zwar nach Ablauf der Überstellungsfrist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, jedoch liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor, so dass kein erneutes Asylverfahren durchzuführen ist.
Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG hat die Behörde über einen Antrag auf Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat; neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden; oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. Daran fehlt es hier jedoch.
Der Kläger gab zwar in der mündlichen Verhandlung an, dass bei seinem Asylverfahren in Italien kein Dolmetscher hinzugezogen worden sei und sein Rechtsanwalt nicht ordentlich für ihn vorgetragen hätte. Deswegen sei sein Asylantrag in der Sache abgelehnt worden. Diese Angabe ist jedoch nicht glaubhaft. Aus der vom Bundesamt vorgelegten Übersetzung der ablehnenden Asylentscheidung der italienischen Behörde vom 7. April 2017 ergibt sich, dass der Kläger seine Verfolgungsründe umfassend darlegen konnte. Bei der Anhörung vor dem Bundesamt am 3. August 2018 und auch im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hat der Kläger keine Aspekte vorgetragen, die nicht auch in der ablehnenden italienischen Entscheidung Eingang gefunden hat. Daher spricht vieles dafürspricht, dass sich der Kläger gut verständigen konnte und sein Rechtsanwalt das Mandat ordentlich ausgeübt hat. Außerdem lassen sich den aktuellen Erkenntnismitteln keine Hinweise auf formale Rechtsverstöße im italienischen Asylverfahren entnehmen. Auch unter Berücksichtigung der sog. Salvini-Dekrete (zum rechtlichen Rahmen, dem tatsächlichen Ablauf der Asylverfahren sowie den Möglichen Rechtsmitteln vgl. insbes. AIDA, Country Report: Italy [Stand: April 2019], S. 21-48) ist – unabhängig von den in Italien für Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge herrschenden Aufnahmebedingungen – jedenfalls hinsichtlich des Verfahrens, in dem der italienische Staat auf der Grundlage der persönlichen Anhörung des Klägers zu einer Entscheidung über Asylantrag kommt, nicht ersichtlich, dass hier gegen rechtsstaatliche Maßstäbe verstoßen würde. Eine Ausnahme vom Konzept des gegenseitigen Vertrauens ist nicht gerechtfertigt (vgl. dazu Dickten in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 23. Edition [Stand: 1.8.2019], AsylG, § 71a Rn. 2a m.w.N.).
Da der Kläger bereits in Italien umfänglich zu seinen Asylgründen gehört und sein Asylantrag auf dieser Grundlage in der Sache abgelehnt worden war, und er auch im Rahmen seines Zweitantrags keine neuen Beweismittel vorgelegt hat, liegt kein Wiederaufnahmegrund i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 i.V.m. § 71a AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vor.
1.2 Die Beklagte hat auch zurecht das Vorliegen von Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint.
Auch die im März 2019 erlittene Verletzung seine Knies kann für den Kläger keinen Abschiebungsschutz begründen.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24. Mai 2000 – 9 C 34/99 -, juris Rn. 11).Jedoch können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Ist die schlechte humanitäre Lage weder dem Staat noch den Konfliktparteien zuzurechnen, sondern bedingt durch die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände in der Person des Klägers vorliegen, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Klägers im Herkunftsland hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05, U.v. 28.6.2011 – 8319/07).
Solche Umstände liegen zur Überzeugung des Gerichtes beim Kläger jedoch nicht vor. Der junge, arbeitsfähige Kläger wird zur Überzeugung des Gerichtes trotz seine Knieverletzung in der Lage sein, sich in einer der zahlreichen Großstädte der Elfenbeinküste eine den Anforderungen des Art. 3 EMRK entsprechende Existenz aufzubauen. Der Kläger hat Erfahrung als Automechaniker. Er gab bei seiner Untersuchung in der Orthopädischen Klinik … …, am 8. Oktober 2019 als aktuelle Beschwerde an, ein Instabilitätsgefühl im Knie zu haben. In der mündlichen Verhandlung machte der Kläger auf die erkennende Einzelrichterin nicht den Eindruck, dass er in seiner Mobilität eingeschränkt sei. Daher ist nicht von einer gravierenden Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit durch den Kreuzbandriss auszugehen. Im Übrigen könnte der Kläger bei einer Rückkehr etwaige Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG abwenden, indem er die monetären wie nicht-monetären Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt, wie sie von europäischer-, Bundes- und Länderseite in diversen Programmen angeboten werden, abwenden. Dabei ist es unerheblich, dass diese Hilfen teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf grundsätzlich des Schutzes in der Bundesrepublik Deutschland nicht, wer eine geltend gemachte Gefährdung im Zielstaat durch zumutbares eigenes Verhalten – wozu insbesondere die freiwillige Ausreise und Rückkehr in den Heimatstaat gehört – abwenden kann (BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38/96 – juris). Außergewöhnliche Umstände, die über die allgemeinen Lebensumstände in der Elfenbeinküste hinausgehen, liegen in der Person des Klägers mithin nicht vor.
Gesundheitsbedingte Einschränkungen im für § 60 Abs. 7 AufenthG relevanten Schweregrad sind nicht anzunehmen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt die erforderliche erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Diese strengen Voraussetzungen erfüllt der Kreuzbandriss des Klägers nicht. Eine Recherche im Internet ergab, dass diese Knieverletzung auch gut ohne Operation durch reinen Muskelaufbau therapiert werden kann. Im Übrigen geben Auftreten und Erscheinungsbild des Klägers in der mündlichen Verhandlung keinen Anlass, an einem stabilen Gesundheitszustand des Klägers zu zweifeln, so dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt.
1.3 Die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 4. September 2019 beruht auf § 71a Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG, wobei die Ausreisefrist gem. § 71a i.V.m 36 Abs. 1 AsylG eine Woche beträgt.
1.4 Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids) sind keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
Somit hatte die Klage insgesamt keinen Erfolg.
2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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