Verwaltungsrecht

Unzureichende Darlegung der Zulassungsgründe für Berufung im Asylverfahren bei der Einführung englischsprachlicher Erkenntnismittel

Aktenzeichen  14 ZB 16.30133

Datum:
25.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 51752
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 S. 3
VwGO § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3, Nr. 6
GVG § 184 S. 1
ZPO § 227
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Führt das Verwaltungsgericht englischsprachige Erkenntnismittel in den Prozess ein und ist ein Beteiligter mit dieser Verfahrensweise nicht einverstanden, weil er die englische Sprache nicht in ausreichendem Maße beherrscht, so ist verfahrensrechtlich ein Antrag auf Vertagung zumutbar und geboten, um eine Übersetzung der beigezogenen Unterlagen in die deutsche Sprache zu ermöglichen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 K 15.30486 2016-05-02 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG sind nicht in der gebotenen Weise dargelegt bzw. liegen nicht vor.
1. Ein Verfahrensfehler nach § 78 Abs. 3 Satz 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
a) Soweit der Kläger das Vorliegen eines Verfahrensfehlers nach § 138 Nr. 3 VwGO damit begründet, dass das Verwaltungsgericht in englischer Sprache verfasste Erkenntnismittel in das Verfahren einbezogen habe, kommt er schon der ihm nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG obliegenden Darlegungspflicht nicht nach.
Die schlüssige Bezeichnung einer Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), erfordert regelmäßig die substantiierte Darlegung des Klägers, dass er sämtliche ihm verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (st. Rspr., vgl. u. a. BVerwG, U.v. 29.6.2015 -10 B 66.14 – juris Rn. 5 m. w. N.)
Diesen Anforderungen wird der Vortrag des Klägers nicht gerecht. Er führt aus, das Verwaltungsgericht habe sich in seinem Urteil vom 2. Mai 2016 auf in der mündlichen Verhandlung eingeführte Erkenntnisquellen in englischer Sprache, die er im Einzelnen benennt, berufen. Es habe dabei außer Acht gelassen, dass die Gerichtssprache deutsch sei (§ 184 Satz 1 GVG), und es infolgedessen dem Kläger nicht möglich gewesen sei, den Inhalt der Erkenntnisquellen zu verstehen. Er habe deshalb auch keine Stellung zu den Beweismitteln nehmen bzw. sich damit auseinandersetzen können.
Der Vortrag des Klägers lässt jede Darlegung vermissen, dass bzw. wie er im Hinblick auf die in der mündlichen Verhandlung beigezogenen Unterlagen von den ihm verfahrensrechtlich eröffneten Möglichkeiten, wie z. B. eine Unterbrechung oder eine Vertagung der mündlichen Verhandlung zu beantragen (§ 173 Satz 1 VwGO, § 227 ZPO), Gebrauch gemacht hat, um sich einen Überblick über die beigezogenen Unterlagen verschaffen zu können. Die Beiziehung der Unterlagen in englischer Sprache war ein Hinweis darauf, dass das Verwaltungsgericht sich zur Übertragung der Texte selbst für befugt hält und demgemäß ihre Einführung und ggf. Verwertung auch ohne Einholung einer Übersetzung beabsichtigt (Jacob, VBlBW 1991, 205/210). Falls der Kläger bzw. dessen Bevollmächtigter mit dieser Verfahrensweise nicht einverstanden ist, weil er die englische Sprache (nicht in ausreichendem Maße) beherrscht, ist verfahrensrechtlich ein Antrag auf Vertagung zumutbar und geboten, um eine Übersetzung der beigezogenen Unterlagen in die deutsche Sprache zu ermöglichen. Das Gericht hätte anhand eines klar umrissenen Antrags eigenverantwortlich prüfen müssen, ob eine Vertagung der Verhandlung zur Übersetzung der Unterlagen in die deutsche Sprache erforderlich ist. Der Kläger, der im Termin vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertreten war, hätte es keinesfalls dabei belassen dürfen, in der mündlichen Verhandlung einen Sachantrag zu stellen, auf die seiner Ansicht nach unzulässige Einbeziehung von Erkenntnismitteln in englischer Sprache jedoch nicht zu reagieren.
b) Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensfehler nach § 138 Nr. 3 VwGO durch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichts auf die Entscheidung des UK Supreme Court vom 29. Januar 2014 mit der Fundstelle https://www. supremecourt.uk/cases/docs/uksc-2012-0157-presssummary.pdf liegt nicht vor. Der Kläger trägt vor, das Verwaltungsgericht habe die Entscheidung des UK Supreme Court zitiert, ohne dass klar werde, welche Erkenntnisse aus dieser Entscheidung in Bezug auf die Indizwirkung von UNHCR-Entscheidungen entnommen würden. Gerichtssprache sei deutsch und es sei dem Kläger deshalb nicht möglich gewesen, den Inhalt der Erkenntnisquelle zu verstehen. Da er sich hierzu nicht habe äußern können, sei sein rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
Entgegen dem Vortrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht die einschlägige Entscheidung des UK Supreme Court ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 20. April 2016 schon nicht als Erkenntnisquelle in das Verfahren einbezogen. Vielmehr hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst auf diese Entscheidung hingewiesen. Abgesehen davon ist aber auch im Übrigen keine Verletzung des rechtlichen Gehörs ersichtlich.
Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ergibt sich, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (st. Rspr., vgl. z. B. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – NVwZ 2014, 139 Rn. 11 m. w. N.). Die Verwertung tatsächlicher Feststellungen aus anderen Verfahren für den zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreit unterliegt – ebenso wie andere tatsächliche Feststellungen – dem Gebot des rechtlichen Gehörs. Dagegen verstößt ein Gericht, wenn es anstelle einer eigenen Beweiserhebung auf Entscheidungen mit umfangreichen tatsächlichen Feststellungen verweist, ohne die Entscheidungen den Beteiligten so zugänglich zu machen, dass sie sich dazu hätten äußern können. Die Bezugnahme auf Rechtsausführungen und rechtliche Schlussfolgerungen in anderen Entscheidungen unterliegt jedoch nicht den besonderen Anforderungen des § 108 Abs. 2 VwGO (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 860.82 – BVerwGE 67, 83).
Daran gemessen liegt in der Bezugnahme auf die Entscheidung des UK Supreme Court vom 29. Januar 2014 kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch den UNHCR (lediglich) Indizwirkung zukomme, die durch triftige Gründe – wie im vorliegenden Fall u. a. durch eine nicht glaubhafte Darlegung des Klägers hinsichtlich der asylrelevanten Verfolgungssituation als Fluchtursache – widerlegt werden könne. Sowohl aus dem Sachzusammenhang als auch aus der verwendeten Formulierung „…Trotz dieser Indizwirkung überwiegen die substantiellen Zweifel angesichts der folgenden Ausführungen, s. dazu unten Nr. 1.1.2; vgl. UK Supreme Court, U. vom 29.1.2014…“ ergibt sich, dass keine tatsächlichen Feststellungen aus der Entscheidung des UK Supreme Court herangezogen wurden. Vielmehr sollte die Entscheidung die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts bestätigen, dass die durch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entstandene Indizwirkung widerlegt werden könne.
c) Soweit der Kläger rügt, durch den Verweis auf englischsprachliche Erkenntnismittel habe er nicht überprüfen können, ob die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur aktuellen politischen Situation, zu Mitgliedschaft und Organisation der Partei DPIK und der entsprechenden Jugendorganisation sowie zu Aufbau und Parteistruktur mit den Angaben des Klägers übereinstimmten, hat er schon keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO dargelegt. Mit seinem Vortrag wendet sich der Kläger in Wirklichkeit gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Asylverfahrensrecht kennt jedoch im Gegensatz zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit einer Entscheidung nicht.
2. Der gerügte Verfahrensfehler nach § 78 Abs. 3 Satz 3 AsylG, § 138 Nr. 6 VwGO liegt ebenfalls nicht vor.
Der Kläger trägt vor, das Abstellen auf inhaltlich unverständliche Beweise stehe einer lückenhaften Urteilsbegründung im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO gleich. Das Verwaltungsgericht habe sich mit den Erkenntnisquellen befasst und diese zitiert. Eine inhaltliche Überprüfung sei jedoch nicht möglich, weil es keine deutsche Übersetzung der Dokumente gebe.
Ein Verfahrensmangel nach § 138 Nr. 6 VwGO (Fehlen von Entscheidungsgründen) scheidet bei einem – wie hier – auf die beigezogenen Erkenntnismittel und den entscheidungserheblichen Vortrag des Klägers eingehenden und die maßgeblichen Gründe erläuternden Begründung des Urteils aus. Ein solcher Verfahrensmangel wäre nur gegeben, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind oder die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind (vgl. BayVGH, B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 13.30120 – juris Rn. 3 m. w. N.). Das Verwaltungsgericht hat sich in seiner Entscheidung mit allen maßgeblichen Punkten, die einen Anspruch auf Anerkennung des Klägers als Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG und auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG begründen könnten, auseinandergesetzt. Der Kläger legt nichts dafür dar, inwiefern das nicht in allgemeinverständlicher Form geschehen sein sollte. Soweit er sich auf die mangelnde Überprüfungsmöglichkeit des Urteils durch die Verwertung englischsprachlicher Erkenntnismittel beruft, betrifft das die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Wie oben unter 1c) bereits ausgeführt, steht der Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Asylverfahren nicht zur Verfügung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Ab. 2 VwGO.


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