Verwaltungsrecht

Verbot der Führung der Dienstgeschäfte als Mittel der dienstrechtlichen Gefahrenabwehr

Aktenzeichen  6 CS 17.1722

Datum:
12.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 6
BBG BBG § 37 Abs. 1 S. 2, § 61 Abs. 1 S. 3, § 66
StGB StGB § 201a Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

1 Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen eine Verbotsverfügung gemäß § 66 BBG ist nur möglich, wenn nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung grundlegende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung bestehen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte genügt es, wenn der zuständige Vorgesetzte aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zu der begründeten Überzeugung gelangt, dass dienstliche Gründe ein sofortiges Handeln erfordern und das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte als zwingend geboten erscheinen lassen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch bei Anwärtern für den Polizeivollzugsdienst ist ein absolut korrektes Verhalten gegenüber der Rechtsordnung und im Umgang miteinander unabdingbar, vor allem auch unter Beachtung des Ansehens der Polizei in der Öffentlichkeit. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4 Für die objektive Gefährdung des Dienstbetriebes der Bundespolizei iSv § 66 BBG kommt es nicht darauf an, ob das Verhalten einer breiten Öffentlichkeit wirklich bekannt wird; entscheidend ist vielmehr der Eindruck, der im Falle eines nicht auszuschließenden Bekanntwerdens in der Öffentlichkeit entstehen kann. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 1 S 17.829 2017-08-21 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21. August 2017 – W 1 S 17.829 – wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der am 13. März 1994 geborene Antragsteller ist seit September 2016 Polizeimeisteranwärter bei der Bundespolizei und im Bundespolizeiausbildungs- und -fortbildungszentrum O. eingesetzt.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2017 verbot die Bundespolizeiakademie dem Antragsteller gemäß § 66 BBG die Führung der Dienstgeschäfte bis zum rechtskräftigen Abschluss des anhängigen Entlassungsverfahrens i.S.d. § 37 Abs. 1 Satz 2 BBG und ordnete die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung hieß es, es bestehe der begründete Anfangsverdacht, dass der Antragsteller sich gemäß §§ 201a, 53 StGB strafbar gemacht und zugleich gegen seine Pflicht aus § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG verstoßen habe. Der Antragsteller habe unstreitig in zwei Fällen mit seinem Mobiltelefon Videoaufnahmen von gemeinsamen Sexhandlungen mit verschiedenen Partnerinnen gefertigt. Im ersten Fall sei der Antragsteller der Aufforderung seiner damaligen Freundin, das nach deren Angaben wissentlich gegen ihren Willen heimlich gefertigte Video zu löschen, nicht nachgekommen. Auch das zweite Video von sexuellen Handlungen – diesmal mit einer zu diesem Zeitpunkt noch minderjährigen Auszubildenden beim polizeiärztlichen Dienst – sei nach Aussage der Betroffenen heimlich erstellt worden. Dieses Video habe der Antragsteller später dann fünf Lehrgangskollegen vorgeführt, was diese im Rahmen von Anhörungen bestätigt hätten.
Zusätzlich dazu habe der Antragsteller in der Zeit vom 30. Januar 2017 bis 4. Februar 2017 mit seiner damaligen Freundin einen Erholungsurlaub in der Türkei gemacht, obwohl er für diese Zeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt habe. Dieses Verhalten sei ebenfalls geeignet, das Ansehen der Beamtenschaft zu beschädigen. Der Verbleib des Antragstellers im Ausbildungsbetrieb würde nach alledem zu einem erheblichen Ansehensverlust für die Bundespolizei führen und könne dem Eindruck Vorschub leisten, die Bundespolizei dulde in ihren Reihen Straftäter oder bilde Beamte aus, von denen potentiell Gefahren für Dritte ausgehen könnten. Daher sei die Maßnahme nach § 66 BBG unerlässlich. Die dargelegten Verhaltensweisen des Antragstellers begründeten gleichzeitig auch die sofortige Vollziehung.
Am 25. Juli 2017 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid ein. Zugleich hat er beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gestellt, den das zuständige Verwaltungsgericht Würzburg mit Beschluss vom 21. August 2017 abgelehnt hat. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei hinreichend begründet worden; die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage habe ergeben, dass keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verbotsverfügung bestünden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 66 BBG lägen vor; zwingende dienstliche Gründe im Sinne der Norm seien zu bejahen. Das Verbot sei insgesamt auch verhältnismäßig und ermessensgerecht.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 21. August 2017 ist unbegründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen nicht zu einem Erfolg des Rechtsmittels.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollziehungsinteresse und dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung hier zu Ungunsten des Antragstellers ausgeht.
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verbots der Führung der Dienstgeschäfte gemäß § 66 Satz 1 BBG ist in aller Regel zu bejahen, sofern dieses nicht offensichtlich zu Unrecht ausgesprochen wurde, um den Zweck eines solchen Verbots erfüllen zu können (vgl. OVG SH, B.v. 5.8.2016 – 2 MB 23/16 – juris Rn. 7 m.w.N.). Die Gründe der Verbotsverfügung tragen daher regelmäßig zugleich das besondere öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung (vgl. OVG SH, B.v. 5.8.2016, a.a.O. Rn. 8; VG Augsburg, B.v. 14.6.2017 – Au 2 17.491 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen eine Verbotsverfügung ist daher nur möglich, wenn nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung grundlegende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung bestehen (vgl. VG München, B.v. 20.6.2016 – M 5 S. 16.1250 – juris Rn. 19).
Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint. Gründe, die gegen die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 17. Juli 2017 sprechen könnten, ergeben sich aus der Beschwerdebegründung nicht (und sind auch nicht ersichtlich).
Die die Verbotsverfügung vom 17. Juli 2017 begründenden Vorwürfe (Urlaub in der Türkei bei gleichzeitiger Krankmeldung; Eingehen einer sexuellen Beziehung zu einer minderjährigen Auszubildenden; Anfertigung und Verbreitung von Videoaufnahmen von gemeinsamen sexuellen Aktivitäten mit verschiedenen Partnerinnen) räumt der Antragsteller grundsätzlich ein. Soweit er unter Beweisantritt die zu seiner Verteidigung im Verfahren bereits mehrfach vorgebrachten Gründe wiederholt, führt dies nicht zum Erfolg seiner Beschwerde. Insoweit verkennt der Antragsteller Sinn und Zweck des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte nach § 66 BBG. Anders als bei der vorläufigen Dienstenthebung im Zusammenhang mit einem Disziplinarverfahren kommt es bei einem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 66 BBG nicht auf ein vorwerfbares Fehlverhalten des Beamten an, sondern auf die objektive Gefährdung des Dienstes. Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte dient gemäß § 66 BBG der dienstrechtlichen Gefahrenabwehr. Mit ihr sollen durch eine sofortige oder wenigstens sehr rasche Entscheidung des Dienstherrn gravierende Nachteile für den Dienstherrn durch die aktuelle Dienstausübung des Beamten vermieden werden. Es ist nicht erforderlich, dass bereits Klarheit über den Grund für die Beeinträchtigung der dienstlichen Belange oder die weitere Verwendung und Behandlung des Beamten besteht; vielmehr eröffnet das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte dem Dienstherrn die Möglichkeit, ohne Gefährdung der dienstlichen Interessen Ermittlungen anzustellen und eine solidere Grundlage für dauerhafte Entscheidungen zu gewinnen. Entsprechend diesem Zweck des Verbots genügt ein auf hinreichenden Anhaltspunkten beruhender Verdacht einer Gefahrenlage. Die endgültige Aufklärung ist den in § 66 Satz 2 BBG aufgeführten weiteren Verfahren vorbehalten (vgl. OVG SH, B.v. 5.8.2016 – 2 MB 23/16 – juris Rn. 14 m.w.N.). Dementsprechend ist auch die vom Antragsteller angeregte erneute Einvernahme der beiden betroffenen Frauen im vorliegenden Verfahren entbehrlich. Für ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte genügt es, wenn der zuständige Vorgesetzte aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zu der begründeten Überzeugung gelangt, dass dienstliche Gründe ein sofortiges Handeln erfordern und das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte als zwingend geboten erscheinen lassen.
Letzteres hat das Verwaltungsgericht überzeugend dargelegt: Im vorliegenden Fall steht ein Verstoß gegen die aus § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG folgenden Pflichten sowie (jedenfalls) der im Hinblick auf die entsprechenden Zeugenaussagen sowie die Einlassung des Antragstellers selbst hinreichend begründete Verdacht der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches einer Auszubildenden im – weiteren – Kollegenkreis durch unbefugtes Verbreiten einer Bildaufnahme (§ 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB) im Raum. Diese Umstände sind durchaus geeignet, sowohl zu einem Ansehensverlust des Beamtentums zu führen als auch das für einen geordneten und ungestörten Ablauf des Lehrbetriebes notwendige Klima innerhalb der Dienststelle zu stören und den Betriebsfrieden zu gefährden. Ohne das Verbot wären die Anwärterkollegen des Antragstellers, die im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen ihn als Zeugen werden aussagen müssen, täglich mit ihm konfrontiert. Das gilt insbesondere auch für die Auszubildende, deren Video der Antragsteller im Kollegenkreis herumgezeigt hat, so dass das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte auch dem Schutz der Auszubildenden Frau H. und der unmittelbaren Kollegen des Antragstellers dient. Gegen die Auffassung der Antragsgegnerin, dass die weitere Teilnahme des Antragstellers an der Ausbildung bis zum Abschluss des bereits anhängigen Entlassungsverfahrens nach § 37 BBG unvertretbar sei, ist daher nichts zu erinnern, zumal die Gesamtwürdigung aller Umstände durchaus auf Eignungsmängel beim Antragsteller schließen lässt, welche nach summarischer Einschätzung die Einleitung des Entlassungsverfahrens durch die Antragsgegnerin nach § 37 BBG rechtfertigen. Das Verhalten des Antragstellers erscheint nicht adäquat für die soziale Kompetenz, die einen zukünftigen Polizeibeamten auszeichnen muss. Insgesamt gesehen sprechen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass das Verhalten des Antragstellers von einem hohen Maß an Verantwortungslosigkeit und Pflichtvergessenheit geprägt ist.
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht auch von der Verhältnismäßigkeit des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte ausgegangen.
Wenn der Antragsteller dagegen einwendet, der Vorwurf, er habe einen Urlaub in der Türkei verbracht, obwohl er sich für diese Zeit krank gemeldet habe, reiche nicht aus, „um seinen Lebensweg zu zerstören“, lässt er außer Betracht, dass diese Verfehlung nicht die einzige war, die zu der Anordnung des Verbots geführt hat.
Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers dessen Verhalten im Hinblick auf den Vorwurf der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches verharmlosend als „Blödsinn“ beschreibt, der „aus dessen Jugend und Unerfahrenheit zu erklären“ sei, weshalb das ausgesprochene Verbot der Führung der Dienstgeschäfte unverhältnismäßig sei, kann er damit ebenfalls nicht durchdringen.
Er verkennt dabei, dass bereits die vom Antragsteller eingeräumte – und im Übrigen durch Zeugenaussagen nachgewiesene – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch die unbefugte Verbreitung von Bildaufnahmen i.S.v. § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB eine erhebliche Straftat darstellt, die im Strafgesetzbuch mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich belegt ist. Sie stellt daher gleichzeitig ein außerdienstlich begangenes Dienstvergehen dar, das geeignet ist, das Vertrauen in einer für das Amt eines Polizisten bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (BayVGH, B.v. 4.8.2016 – 3 CS 16.409 – juris Rn. 5). Von Polizeibeamten wird zu Recht erwartet, dass sie den persönlichen Lebens- und Geheimnisbereich achten. Der zur Tatzeit 23 Jahre alte Antragsteller hätte auch in der Lage sein müssen, die strafrechtliche Relevanz seiner Handlungen und damit zugleich auch den sich daraus ergebenden Ansehensverlust des öffentlichen Dienstes zu erkennen. Auch bei Anwärtern für den Polizeivollzugsdienst ist ein absolut korrektes Verhalten gegenüber der Rechtsordnung und im Umgang miteinander unabdingbar, vor allem auch unter Beachtung des Ansehens der Polizei in der Öffentlichkeit. Im Übrigen ist der Antragsteller auch in strafrechtlicher Hinsicht zweifellos nicht etwa mehr als „Heranwachsender“ anzusehen, sondern als für sein Verhalten voll verantwortlicher Erwachsener (vgl. § 1 Abs. 1 Halbsatz 2 JGG).
Auch der weitere Einwand des Bevollmächtigten des Antragstellers, dessen „unreife Tätigkeit“ habe keine Außenwirkung gehabt, so dass ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht erkennbar sei, trifft nicht zu. Für die objektive Gefährdung des Dienstbetriebes der Bundespolizei i.S.v. § 66 BBG kommt es nicht darauf an, ob das Verhalten einer breiten Öffentlichkeit wirklich bekannt wird; entscheidend ist vielmehr der Eindruck, der im Falle eines nicht auszuschließenden Bekanntwerdens in der Öffentlichkeit entstehen kann (vgl. OVG SH, B.v. 5.8.2016 – 2 MB 23/16 – juris Rn. 8; VG Bayreuth, B.v. 27.2.2004 – B 5 S. 04.182 – juris Rn. 51 m.w.N.). Darüber hinaus ist durch die polizeilichen Ermittlungen bereits Außenwirkung erzeugt worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Schmitz Greve-Decker Rickelmann


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