Verwaltungsrecht

Vereinbarkeit einer Prostitutionsstätte mit den Vorschriften der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung

Aktenzeichen  20 CE 20.1806

Datum:
26.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21107
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 1, § 146
ProstSchG § 2 Abs. 4, §  12 Abs. 1, § 37 Abs. 4 S. 1
6. BayIfSMV § 11 Abs. 5, § 12 Abs. 2

 

Leitsatz

Als „Bordellbetriebe“ i.S.v. § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV sind nach der Systematik der Verordnung und der Regelungsabsicht des Verordnungsgebers nur solche Betriebe anzusehen, in denen ein gleichzeitiges Aufeinandertreffen einer Vielzahl von Menschen möglich ist und – vergleichbar den Bedingungen in Clubs und Diskotheken – die Beachtung von Abstands- und Hygieneregeln dem konkreten Zweck und Gepräge des Aufeinandertreffens zuwiderliefe. (Rn. 20)

Verfahrensgang

RN 14 E 20.1300 2020-07-31 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 31. Juli 2020 (RN 14 E 20.1300) wird in den Ziffern I. und II. geändert.
II. Im Wege der einstweiligen Anordnung wird vorläufig festgestellt, dass § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV dem Betrieb der Prostitutionsstätte des Antragstellers auf der Liegenschaft B* … … … …, bestehend aus vier Häusern mit insgesamt 24 der Prostitutionsausübung dienenden Zimmern, nicht entgegensteht.
III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen Antrag weiter, im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die Regelungen der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 19. Juni 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 348, zuletzt geändert durch Verordnung vom 14. August 2020, BayMBl. 2020 Nr. 463, im folgenden: 6. BayIfSMV) dem Betrieb seiner Prostitutionsstätte nicht entgegenstehen.
1. Der Antragsteller betreibt auf dem Gebiet der Antragsgegnerin eine Prostitutionsstätte i.S.v. § 2 Abs. 4 ProstSchG mit 24 der Prostitutionsausübung dienenden Zimmern, die sich auf vier Gebäude verteilen und jeweils an einzelne – selbständig tätige – Prostituierte vermietet werden.
Nachdem die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit E-Mail vom 20. Juli 2020 auf Anfrage mitgeteilt hatte, dass die beabsichtigte Wiederaufnahme der gewerblichen Zimmervermietung an Prostituierte nach § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV nicht zulässig sei, erhob der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Klage auf Feststellung, dass seine Prostitutionsstätte kein „Bordellbetrieb“ i.S.d. § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV sei und beantragte zugleich einstweiligen Rechtsschutz.
Mit Telefax-Schreiben vom 29. Juli 2020 hat das Verwaltungsgericht den Antragsteller – ohne Fristsetzung – um Vorlage von Bauplänen der genutzten Gebäude, seines Hygienekonzepts, der Hausordnung und des Hygieneplans sowie von Mustern der Vereinbarungen mit den im Betrieb tätigen Prostituierten gebeten.
2. Durch Beschluss vom 31. Juli 2020 hat das Verwaltungsgericht den als Antrag auf vorläufige Feststellung, dass die Vorschriften der 6. BayIfSMV oder nachfolgender gleichlautender Verordnungen dem Betrieb der Prostitutionsstätte des Antragstellers nicht entgegenstünden, ausgelegten Eilantrag abgelehnt. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe. Bei einer Gesamtschau der vorgelegten Unterlagen handele es sich bei dem Betrieb des Antragstellers um einen Bordellbetrieb i.S.v. § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV, jedenfalls aber um eine vergleichbare Freizeiteinrichtung. Die Prostitutionsstätte erfülle die typischen Merkmale eines Bordellbetriebs. Nach dem Betriebskonzept und den im Internet verfügbaren Informationen finde die Kontaktanbahnung zwischen den Prostituierten und ihren Kunden auf den Gebäudefluren statt, die teilweise Aufenthaltsqualität besäßen. Zudem befänden sich in den Gebäuden mehrere zur gemeinsamen Nutzung vorgesehene Räume wie ein Fitnessstudio, ein Solarium und ein Jacuzzi. Auch wenn der Antragsteller im Rahmen der Genehmigungsverfahren angegeben habe, dass diese Räume ausschließlich durch die Prostituierten genutzt würden, habe er nicht glaubhaft gemacht, dass eine Nutzung auch durch deren Kunden ausgeschlossen sei. Selbst wenn die Prostitutionsstätte des Antragstellers nicht als Bordellbetrieb zu qualifizieren sei, handelte es sich jedenfalls um eine „vergleichbare Freizeiteinrichtung“ i.S.v. § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV, da in dem Betrieb des Antragstellers eine Vielzahl von Personen zusammenkomme. Sowohl die Mieterinnen der Zimmer als auch deren Kunden wechselten häufig; eine konsequente Einhaltung von Hygiene- und Infektionsschutzstandards scheine lebensfern bzw. nicht möglich. Infektionen durch Nahkontakte zwischen den Prostituierten und deren Kunden sowie das gemeinsame Berühren von Gegenständen könnten nicht ausgeschlossen werden. Ein Betriebs- und Hygienekonzept habe der Antragsteller trotz entsprechender Aufforderung nicht vorgelegt.
Die vom Verwaltungsgericht am 29. Juli 2020 angeforderten Unterlagen des Antragstellers sind am 31. Juli 2020 um 10:11 Uhr in elektronischer Form beim Verwaltungsgericht eingegangen und um 10:30 Uhr der Berichterstatterin vorgelegt worden; laut Vermerk in der Akte des Verwaltungsgerichts war der unterschriebene Beschluss zu diesem Zeitpunkt bereits der Geschäftsstelle übergeben worden.
3. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 3. August 2020 hat der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Beschwerde eingelegt; er beantragt zuletzt sinngemäß,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV dem Betrieb der Prostitutionsstätte des Antragstellers auf der Liegenschaft B., bestehend aus vier Häusern mit insgesamt 24 der Prostitutionsausübung dienenden Zimmern, nicht entgegensteht.
Zur Begründung führt er aus, dass der Betrieb des Antragstellers nach seiner räumlichen Gestaltung und betrieblichen Organisation ein persönliches Zusammentreffen einer Vielzahl von Menschen verhindere und daher nicht dem Verbot des § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV unterfalle.
4. Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen und bestreitet bereits, in Ermangelung eines ihr zurechenbaren Rechtsakts passivlegitimiert zu sein. Sie habe den Antragsteller lediglich darauf hingewiesen, dass die Öffnung des Betriebes nach § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV untersagt sei. Unabhängig davon handele es sich bei dem Betrieb des Antragstellers aber um einen „Bordellbetrieb“ im infektionsschutzrechtlichen Sinn. Die genutzten Gebäude verfügten über weitläufige Flächen, auf denen Prostituierte und Kunden zu Anbahnungszwecken Kontakt aufnehmen. Insofern treffe eine Vielzahl von Personen auf allgemein zugänglichen Flächen in nicht steuerbarer Weise zusammen. Auf den Gängen könne es jederzeit zu Begegnungssituationen und sogar zu einem Gedränge kommen. Die gegebenen Begegnungsmöglichkeiten in Fluren und Treppenhäusern seien im Übrigen ausreichend, um eine besondere Gefährdungssituation zu begründen; eine andere Auffassung würde den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV auf Null reduzieren. Unter den gegebenen Bedingungen und der besonderen Atmosphäre in einem Bordellbetrieb sei schließlich anzunehmen, dass eine ausreichende Kontrolle bzw. ein tragfähiges Schutz- und Hygienekonzept tatsächlich unmöglich seien.
5. Die Landesanwaltschaft Bayern hat sich als Vertreter des öffentlichen Interesses (§ 36 Abs. 1 Satz 1, § 35 Abs. 2 VwGO, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LABV) am Verfahren beteiligt. Sie teilt die Auffassung der Antragsgegnerin, dass der Betrieb des Antragstellers einen Bordellbetrieb im Sinne des § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV darstelle. Wie die Antragsgegnerin vorgetragen habe, befänden sich vor den vermieteten Zimmern Flure und Vorräume, die zu Anbahnungszwecken genutzt würden. Begegnungen zwischen mehr als zwei Personen seien daher keineswegs ausgeschlossen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Der Antragsteller hat auf der Grundlage der fristgerecht dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) nicht nur einen Anordnungsgrund, sondern auch einen Anordnungsanspruch auf einstweilige Feststellung, dass § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV dem Betrieb seiner Prostitutionsstätte nicht entgegensteht. Nach Auffassung des Senats spricht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass der mit der Hauptsache verfolgte Feststellungsanspruch des Antragstellers begründet ist.
1. Soweit der Antragsteller seinen zunächst auf Außervollzugsetzung der Betriebsuntersagung gerichteten Eilantrag in Übereinstimmung mit seinem Antrag in der Hauptsache und im Sinn des Auslegungsergebnisses des Verwaltungsgerichts zuletzt auf einstweilige Feststellung der Vereinbarkeit seines Betriebs mit § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV umgestellt bzw. beschränkt hat, ist die damit verbundene Antragsänderung in der Beschwerdeinstanz in entsprechender Anwendung von § 91 Abs. 1 VwGO ausnahmsweise zulässig. Dies ergibt sich maßgeblich daraus, dass die übrigen Beteiligten der Änderung durch rügelose Einlassung (§ 91 Abs. 2 VwGO) zugestimmt haben; unabhängig davon wäre die Antragsänderung aber auch prozessökonomisch und damit sachdienlich (vgl. dazu nur OVG RP, B.v. 26.7.2017 – 8 B 11235/17 – juris Rn. 50 f. m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 25).
2. Die Antragsgegnerin ist in diesem Verfahren passivlegitimiert (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog). Bei Feststellungsklagen i.S.v. § 43 VwGO – und entsprechend auch bei auf einstweilige Feststellung gerichteten Eilanträgen nach § 123 VwGO -, denen (wie hier) ein Streit um die Anwendbarkeit von Normen zugrunde liegt, kommt als Beklagter/Antragsgegner zumindest im Regelfall nur der Rechtsträger derjenigen Behörde in Betracht, die über die Einhaltung der jeweiligen Normen zu wachen hat (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2010 – 8 C 19/09 – juris Rn. 29; U.v. 23.8.2007 – 7 C 2/07 – juris Rn. 22; Michl, NVwZ 2014, 841/843; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 45). Normanwender in diesem Sinn ist vorliegend die Antragsgegnerin als für den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes zuständige Kreisverwaltungsbehörde (§ 54 Satz 1 IfSG, § 65 ZustV, Art. 9 Abs. 1 Satz 1 GO).
3. Der Antrag auf einstweilige Feststellung hat Erfolg. Bei dem Betrieb des Antragstellers handelt es sich nach der im Rahmen des Eilverfahrens möglichen summarischen Prüfung und auf der Grundlage der vom Antragsteller jedenfalls im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung glaubhaft gemachten Tatsachen weder um einen „Bordellbetrieb“ noch um eine „vergleichbare Freizeiteinrichtung“ oder eine „sonstige Vergnügungsstätte“ i.S.d. § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV.
a) Der vom Verordnungsgeber verwendete Begriff des „Bordellbetriebs“ ist weder in der 6. BayIfSMV noch anderweitig legaldefiniert und damit auslegungsbedürftig.
Dem Wortlaut nach wäre denkbar, den Begriff des Bordellbetriebs mit dem Begriff der „Prostitutionsstätte“ gleichzusetzen, der im Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (ProstSchG, BGBl I 2016, 2372) als ortsfeste Betriebsstätte zur Erbringung sexueller Dienstleistungen definiert wird (§ 2 Abs. 4 ProstSchG). Dass der bayerische Verordnungsgeber die bestehende fachrechtliche Terminologie insofern jedoch gerade nicht übernommen hat – soweit ersichtlich im Gegensatz zu allen anderen Verordnungsgebern (vgl. etwa § 13 Nr. 2 CoronaVO v. 23.6.2020 i.d.F.v. 6.8.2020, GBl. 2020 S. 661; § 2 Abs. 1 Nr. 2 CoronaVKBBeschrV v. 7.5.2020 i.d.F.v. 11.8.2020, GVBl. 2020 S. 302; § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 CoronaVO v. 10.7.2020, GVBl. 2020 S. 226; § 10 Abs. 1 Nr. 2 CoronaSchVO v. 11.8.2020, GV. 2020 S. 722a; § 7 Abs. 1 VO-CP v. 21.8.2020, ABl. I 2020 S. 768) -, spricht bereits gegen eine inhaltliche Gleichsetzung der beiden Begriffe.
Bestätigt wird dieser Eindruck durch den systematischen Regelungszusammenhang und insbesondere durch den vom Verordnungsgeber mit § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV erklärtermaßen verfolgten Regelungszweck. Daraus ergibt sich, dass der Begriff des „Bordellbetriebs“ im hier maßgeblichen infektionsrechtlichen Kontext deutlich enger zu verstehen ist als der Begriff der Prostitutionsstätte i.S.v. § 2 Abs. 4 ProstSchG.
aa) Nach der Systematik des auf den Betrieb von Freizeiteinrichtungen bezogenen § 11 6. BayIfSMV geht es bei sämtlichen Einschränkungen für Freizeiteinrichtungen vorrangig um die Verhinderung von Menschenansammlungen auf beschränktem Raum. Während aber die in § 11 Abs. 1 bis 4 6. BayIfSMV genannten Freizeiteinrichtungen nur bestimmten Maßgaben und Hygienevorgaben unterliegen, gilt für die in § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV genannten Betriebe – das sind „Bordellbetriebe, Clubs, Diskotheken, sonstige Vergnügungsstätten und vergleichbare Freizeiteinrichtungen“ – ein umfassendes und ausnahmsloses Schließungsgebot. Demnach muss bei den von § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV erfassten Betrieben ein Infektionsrisiko bestehen, das über die mit den in den Absätzen 1 bis 4 genannten Betrieben verbundenen Gefahren hinausgeht und auch unter einschränkenden Maßgaben wie Hygieneanforderungen und Besucherbeschränkungen nicht hinnehmbar wäre. Dabei spricht die Aufzählung der Bordellbetriebe in einer Reihung mit „Clubs“ und „Diskotheken“ dafür, dass die besondere Gefährlichkeit der von § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV erfassten Betriebe im Aufeinandertreffen einer Vielzahl von Menschen in geschlossenen Räumen besteht, wobei – insofern im Unterschied etwa zu anderen Freizeiteinrichtungen, Gastronomiebetrieben, Schulen oder Kulturstätten – die Zielrichtung und das Gepräge des Aufeinandertreffens einer Wahrung von Abstandsregeln und anderen Hygienevorgaben geradezu entgegensteht. Insofern liegt in systematischer Hinsicht nahe, als Bordellbetriebe im Sinne von § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV ebenfalls nur solche anzusehen, in denen ein gleichzeitiges Aufeinandertreffen einer Vielzahl von Menschen möglich ist und – ähnlich den Clubs und Diskotheken – die Beachtung von Abstands- und Hygieneregeln dem konkreten Zweck des Aufeinandertreffens zuwiderliefe. Das könnte etwa dann der Fall sein, wenn die Anbahnung sexueller Dienstleistungen in einem gleichzeitig von einer Vielzahl von Prostituierten und Kunden frequentierten Rahmen (wie einem Vorführungsraum oder einer Bar) stattfindet oder wenn sexuelle Dienstleistungen unter gleichzeitiger Beteiligung von mehr als zwei Personen erbracht werden.
bb) Das erklärte Regelungsziel des Verordnungsgebers stützt diesen systematischen Befund. Wie der Freistaat Bayern im Rahmen eines anderweitigen Verfahrens gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof mit (bereits in der Vorinstanz zum Gegenstand dieses Verfahrens gemachten) Schriftsatz vom 13. Juli 2020 vorgetragen hat, sei die Ausübung der Prostitution als solche durch die 6. BayIfSMV nicht verboten, da die Verordnung jedenfalls mittlerweile nicht (mehr) darauf abziele, der spezifischen Ansteckungsgefahr von bestimmten Einzelkontakten zu begegnen. Die Ausübung der Prostitution in Wohnungen oder Hotelzimmern, bei der zumindest die Kunden im Regelfall untereinander keinen Kontakt hätten, werde vom Verbot des § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV daher nicht erfasst. Vorrangiges Ziel der 6. BayIfSMV sei vielmehr, eine dynamische Entwicklung des Infektionsgeschehens dadurch zu verhindern, dass ein persönliches Zusammentreffen einer Vielzahl von Menschen aus unterschiedlichen Hausständen entweder unterbunden oder nur unter Schutzauflagen zugelassen werde. Die Schließung von Bordellbetrieben nach § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV sei also nicht verhaltensbezogen (gegen die Ausübung der Prostitution als solche gerichtet), sondern einrichtungsbezogen (gegen das Zusammentreffen einer Vielzahl von Menschen in Bordellbetrieben gerichtet). Dadurch solle insbesondere eine Übertragung von Viren durch eine infizierte Person auf zahlreiche andere Personen innerhalb kurzer Zeit, wie sie für sog. „super-spreading“-Ereignisse typisch sei, verhindert werden. Der Begriff des Bordellbetriebs in § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV erfasse daher nur Einrichtungen, die nicht nur von einer, sondern von zahlreichen (mindestens zwei) Prostituierten und Freiern (gleichzeitig) genutzt werden könnten, denn dort komme es typischerweise zu vermehrten Kontakten.
Nach Auffassung des Verordnungsgebers ist das mit § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV verfolgte Regelungsziel damit gerade nicht die Verhinderung einzelner Infektionsfälle, sondern der Ausschluss von Infektionsclustern, bei denen einzelne Infizierte innerhalb kurzer Zeit zahlreiche weitere Personen anstecken. Nachdem der Verordnungsgeber die Ausübung der Prostitution in Wohnungen und Hotelzimmern ausdrücklich für zulässig hält, dürften mögliche Zufallsbegegnungen einzelner Personen – obwohl auch insofern eine gewisse Infektionsgefahr nicht gänzlich auszuschließen sein wird – jedenfalls nicht ausreichen, um die spezifische Gefährdungslage eines „Bordellbetriebs“ i.S.v. § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV zu begründen. Die Regelungsabsicht des Verordnungsgebers spricht vielmehr dafür, dass es eines nicht nur zufälligen und über reinen Begegnungsverkehr hinausgehenden Zusammentreffens von jedenfalls mehr als zwei Personen im Zusammenhang mit der Prostitutionsausübung bedarf.
Damit nimmt der Verordnungsgeber die mit der Ausübung der Prostitution grundsätzlich verbundene erhöhte Infektionsgefahr, die aus dem regelmäßig engen körperlichen Kontakt zwischen Prostituierten und ihren Kunden erwächst, zunächst einmal (mit den für Dienstleistungen allgemein geltenden Maßgaben, vgl. § 12 Abs. 2 6. BayIfSMV) hin und verbietet durch § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV nur solche Betriebe, in denen mit der Ausübung der Prostitution zugleich Personenansammlungen verbunden sind und insofern eine gleichzeitige Infizierung einer Vielzahl von Menschen zu befürchten ist. Die Auffassung der Antragsgegnerin, dass eine solche Auslegung den Anwendungsbereich der Norm auf Null reduziere und der Regelungsabsicht des Verordnungsgebers widerspreche, trifft daher nicht zu: Der Verordnungsgeber bezweckt – wie dargelegt – vielmehr ausdrücklich nicht (mehr) die Verhinderung einzelner Infektionsfälle, sondern will mit dem Verbot von Bordellbetrieben die gleichzeitige Infizierung einer Vielzahl von Personen durch einzelne Infizierte verhindern. Ob eine solche qualifizierte Infektionsgefahr besteht und ein Betrieb damit dem Verbot unterfällt, hängt vom jeweiligen Angebot und den Räumlichkeiten im Einzelfall ab.
cc) Vor dem Hintergrund dieses Auslegungsergebnisses fällt der Betrieb des Antragstellers nicht unter den Begriff des „Bordellbetriebs“ nach § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV.
(1) Maßgebend für die Beurteilung ist der Betrieb des Antragstellers ausschließlich in seinem bau- und gewerberechtlich zulässigen Umfang. Weitere Nutzungen und Betriebsinhalte, die bereits nach anderen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen unzulässig wären und auf deren Grundlage verhindert werden können, scheiden als Anknüpfungspunkt der infektionsschutzrechtlichen Bewertung dagegen ebenso aus, wie freiwillige Erklärungen des Antragstellers, die sein maßgebliches Betriebskonzept unberührt lassen.
(2) Der Betrieb des Antragstellers ist – was von den Beteiligten auch nicht in Frage gestellt wird – eine Prostitutionsstätte im Sinne von § 2 Abs. 4 ProstSchG; der Antragsteller betreibt insofern ein Prostitutionsgewerbe (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 ProstSchG), das – nachdem es bereits vor dem 1. Juli 2017 betrieben wurde – nach Maßgabe der §§ 37 Abs. 2 i.V.m. 12 Abs. 1, Abs. 2 ProstSchG erlaubnispflichtig ist. Den Erlaubnisantrag mit den erforderlichen Anlagen, insbesondere einem Betriebskonzept (§ 12 Abs. 5 ProstSchG), hat der Antragsteller mit Schreiben vom 13. Dezember 2017, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 15. Dezember 2017, und damit fristgerecht vor Ablauf des 31. Dezember 2017 bei der Antragsgegnerin als nach § 64a ZustV zuständiger Behörde vorgelegt. Auch wenn die Antragsgegnerin nach Aktenlage über den Erlaubnisantrag trotz mehrfach aktualisierter Betriebskonzepte bisher nicht entschieden hat, gilt die Fortführung des Prostitutionsgewerbes des Antragstellers damit in dem beantragten Umfang als erlaubt (§ 37 Abs. 4 Satz 1 ProstSchG). Nachdem über den Erlaubnisantrag auf der Grundlage der im Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu entscheiden ist, wirkt die als Übergangsregelung konzipierte Erlaubnisfiktion nach § 37 Abs. 4 Satz 1 ProstSchG für das Prostitutionsgewerbe mit dem jeweils zuletzt beantragten Inhalt; das Risiko der fehlenden Erlaubnisfähigkeit späterer Änderungen trägt der Antragsteller, da die Behörde jederzeit über den Antrag entscheiden und die Fiktionswirkung damit beenden kann. Unter Zugrundelegung des vom Antragsteller zuletzt vorgelegten Betriebskonzepts vom 27. Mai 2019 handelt es sich bei der von ihm betriebenen Prostitutionsstätte nicht um einen „Bordellbetrieb“ nach § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV. Insbesondere fehlt es in dem Betrieb bereits an Räumen und/oder Einrichtungen, in denen ein gleichzeitiges Zusammentreffen einer Vielzahl von Personen vorgesehen oder zu erwarten ist.
Der Betrieb des Antragstellers besteht aus 24 einzelnen, jeweils mit einer Dusche ausgestatteten und nicht miteinander verbundenen Zimmern, die an selbständig tätige Prostituierte vermietet werden. Über Räume, die der Anbahnung sexueller Dienstleistungen dienen oder von mehr als zwei Personen genutzt werden können – das Antragsformular listet insofern beispielhaft „Außenanlagen, Sauna, Schwimmbad, Whirlpool, Jacuzzi, Hottub, SM spezifische Kettenanlagen, Andreaskreuz, Schaukel, Dark-Room, Suiten, Liegewiese, Sex-Kino“ auf – verfügt der Betrieb des Antragstellers hingegen nicht. Der im Antragsformular unter dieser Rubrik allein angegebene Whirlpool ist lediglich Bestandteil eines (überdurchschnittlich großen) vermieteten Zimmers und auch nur über dieses zugänglich, steht also keinem größeren Personenkreis zur Verfügung. Über eine mehreren Personen zugängliche Bar – wie das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf verschiedene Internetseiten vermutet – verfügt der Betrieb weder nach Antragslage noch nach den erteilten Baugenehmigungen. Soweit in den Flurbereichen der Gebäude teilweise Getränke- und Snackautomaten aufgestellt sind, ist mit deren Betrieb keine Ansammlung oder ein längeres gemeinsames Verweilen einer Vielzahl von Personen zu erwarten. Die als „Gymnastikraum“, „Solarium“ und „Shop“ bezeichneten Räume sind nach den der Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2015 zugrunde liegenden Erklärungen des Antragstellers ausschließlich zur (Freizeit-)Nutzung bzw. Bedarfsdeckung durch die Prostituierten vorgesehen und dienen daher ebenfalls nicht dem Aufenthalt einer Vielzahl von Personen, jedenfalls aber nicht dem gemeinsamen Aufenthalt mit einem Gepräge, das die Einhaltung von Hygienemaßnahmen ausschließen würde. Gleiches gilt für die zur ausschließlichen Nutzung durch die Prostituierten vorgesehenen Aufenthalts- und Sozialräume. Dass, wie die Antragsgegnerin ausführt, die vorhandenen Flure vor den vermieteten Zimmern „weitläufig“ seien und damit Aufenthaltsqualität hätten, trifft nach den vorliegenden Plänen und Fotos allenfalls auf den Flurbereich in einem der vier genutzten Gebäude zu, wobei aber auch dort keine Einrichtungen vorhanden sind, die einen mehr als nur kurzfristigen Aufenthalt ermöglichen würden. Selbst wenn – wie das Verwaltungsgericht vermutet – die Kontaktanbahnung zwischen den Prostituierten und ihren Kunden überwiegend auf den Fluren stattfinden sollte, wären dies keine Situationen, in denen eine Vielzahl von Personen gleichzeitig aufeinanderträfe. Insofern ginge die Dauer solcher Kontakte u.U. zwar über Zufallsbegegnungen etwa auf Hotelfluren hinaus; es ist aber nicht ersichtlich, inwiefern an solchen Kontaktanbahnungen jeweils mehr als zwei Personen beteiligt sein sollten.
Soweit das Verwaltungsgericht eine erhöhte Infektionsgefahr damit begründet hat, dass sich im Betrieb des Antragstellers sowohl auf Seiten der Prostituierten wie auch seitens ihrer Kunden ein ständig wechselnder Personenkreis aufhält, ist dies für sich genommen kein Umstand, der den Betrieb des Antragstellers von anderen Freizeit-, Gastronomie- und Beherbergungsbetrieben unterscheidet. Ein unmittelbares Aufeinandertreffen einer Vielzahl von Personen ist im Betrieb des Antragstellers jedenfalls nach Maßgabe des derzeitigen Betriebskonzepts und der erteilten Baugenehmigungen weder zulässig noch bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass solche Ansammlungen entgegen der Rechtslage tatsächlich stattfinden könnten. Soweit das Verwaltungsgericht seine Entscheidung u.a. darauf gestützt hat, dass der Antragsteller trotz entsprechender Aufforderung eine der Genehmigungslage entsprechende Nutzung nicht glaubhaft gemacht und insbesondere kein detailliertes Betriebskonzepts vorgelegt habe, steht dies im Widerspruch zu den allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast, wonach auch im einstweiligen Anordnungsverfahren die jeweilige Antragsgegnerin bzw. der Antragsgegner das Risiko der Nichterweislichkeit der anspruchshemmenden Tatsachen trägt (vgl. nur Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 123 Rn. 97; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 52, jeweils m.w.N.); auf die weiterführende Frage, ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die fehlende Berücksichtigung der nur zwei Tage vor dem Entscheidungszeitpunkt ohne konkrete Fristsetzung angeforderten Unterlagen des Antragstellers insofern im Einklang mit Art. 103 Abs. 1 GG steht, kommt es hier nicht an.
b) Bei dem Betrieb des Antragstellers handelt es sich auch nicht um eine „sonstige Vergnügungsstätte“ oder „vergleichbare Freizeitrichtung“ i.S.v. § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV. Die ausdrückliche Nennung des Begriffs der „Bordellbetriebe“, der – wie oben dargelegt – im hier maßgeblichen infektionsschutzrechtlichen Sinn nur solche Betriebe umfasst, in denen im Zusammenhang mit der Prostitutionsausübung eine Vielzahl von Personen gleichzeitig zusammentrifft, dürfte bei Betrieben des Prostitutionsgewerbes i.S.v. § 2 Abs. 3 ProstSchG den Rückgriff auf die Auffangklauseln grundsätzlich ausschließen. Zudem ergibt sich aus der Bezugnahme auf „Clubs“ und „Diskotheken“, dass „vergleichbare Freizeiteinrichtungen“ nur solche sind, in denen ebenfalls ein Aufeinandertreffen einer Vielzahl von Personen auf beschränktem Raum stattfindet, wobei der Zweck und das Gepräge des Aufeinandertreffens einer Wahrung von Abstands- und Hygienevorgaben entgegenstehen. Das ist – wie oben gezeigt – beim Betrieb des Antragstellers nicht der Fall. Gleiches dürfte im Ergebnis für die durch § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV untersagten „sonstigen Vergnügungsstätten“ gelten, wobei der Begriff der „Vergnügungsstätte“ jedenfalls in seinem bauplanungsrechtlich vorgeprägten Sinn schon im Grundsatz keine Betriebe des Prostitutionsgewerbes einschließt (vgl. etwa Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, § 4a Rn. 70 m.w.N.; Rn. 60) und sich die Beschränkung auf Betriebe, in denen eine Vielzahl von Personen auf beschränktem Raum zusammentrifft, auch daraus ergeben dürfte, dass der Verordnungsgeber den Betrieb von Spielhallen ausdrücklich nicht durch § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV erfasst ansieht.
4. Soweit im Hinblick auf den derzeit bis zum 2. September 2020 befristeten Geltungszeitraum des § 11 Abs. 5 6. BayIfSMV (vgl. § 24 6. BayIfSMV) mit der einstweiligen Feststellung der Vereinbarkeit des Betriebs des Antragstellers mit dieser Bestimmung eine – zumindest tatsächliche – Vorwegnahme der Hauptsache verbunden ist, wäre dies jedenfalls zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 9/12 – juris Rn. 22).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, wobei im Hinblick auf die tatsächliche Vorwegnahme der Hauptsache eine Reduzierung des Auffangstreitwerts nicht angebracht erscheint.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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