Verwaltungsrecht

Verfahrensmangel, Beweisantrag, Berufung, Verletzung, Verfolgungsschicksal, Zulassung, Nachweis, Erkenntnismittel, Sippenhaft, Verfahrensfehler, Zulassungsvorbringen, Mangel, Ermittlungsverfahren, Aufenthalt, Zulassung der Berufung, nicht ausreichend, beachtlicher Verfahrensfehler

Aktenzeichen  24 ZB 21.30393

Datum:
16.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9489
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 8 K 20.30558 2021-02-22 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe

1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt, da dem Zulassungsantrag aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg zukommt (§ 166 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
a) Der von ihm geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG liegt nicht vor. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Asylrechtsstreitigkeit, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich und obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Darlegung dieser Voraussetzungen erfordert wenigstens die Bezeichnung einer konkreten Frage, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für das Berufungsverfahren erheblich wäre. Eine verallgemeinerungsfähige Frage tatsächlicher Natur ist als grundsätzlich bedeutsam anzusehen, wenn sich nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel klärungsbedürftige Gesichtspunkte ergeben, weil diese Erkenntnismittel in ihrer Gesamtheit keine klare und eindeutige Aussage zu der Tatsachenfrage zulassen. Insoweit verlangt das Darlegungserfordernis gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass die tatsächliche Frage nicht nur aufgeworfen wird, sondern im Wege der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil und mit den wichtigsten Erkenntnismitteln, etwa aktuellen Lageberichten des Auswärtigen Amtes, herausgearbeitet wird, warum ein allgemeiner Klärungsbedarf bestehen soll (Seibert in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 211 ff.). Dabei gilt allgemein, dass die Anforderungen an die Darlegung nicht überspannt werden dürfen, sondern sich nach der Begründungstiefe der angefochtenen Entscheidung zu richten haben.
Der Kläger hält für allgemein klärungsbedürftig,
„ob anzunehmen ist, nach illegaler Ausreise und Verbleib im westlichen Ausland zurückkehrenden bzw. in die Türkei rückgeführten Asylantragstellern, soweit sie altersgemäß in der Lage sind, sich eine eigene politische Überzeugung zu bilden, drohten mit dem Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Einreisekontrollen Eingriffe im Sinne des § 3 Abs. 1 und 2 AsylG“,
„ob die türkischen Stellen dabei weiterhin bereits einen der oder jedenfalls die Kombination der Risikofaktoren illegale Ausreise, Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung auffassen“,
„ob in der Türkei Sippenhaft, insbesondere dann, wenn die engere Verwandtschaft Mitglied der HDP/PKK sind, praktiziert wird“ und
„ob in der Türkei Sippenhaft dann praktiziert wird, wenn vermeintliche oder tatsächliche Mitglieder oder Sympathisanten terroristisch eingestufter Gruppierungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren zu Vernehmungen – etwa über den Aufenthalt von Verdächtigen – geladen werden und ob bei der Nichtbefolgung von Ladungen es zu zwangsweisen Vorführungen kommen, dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, wenn es sich bei dem Familienangehörigen um einen verurteilten Journalisten in der Türkei handelt.“
Abgesehen davon, dass diese Fragen zumindest teilweise ersichtlich auf das behauptete individuelle Verfolgungsschicksal des Klägers – das das Erstgericht größtenteils für nicht nachvollziehbar gehalten hat – zugeschnitten und vor diesem Hintergrund einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich sind, fehlt es jedenfalls an der eingangs dargelegten notwendigen Auseinandersetzung mit den wichtigsten Erkenntnismitteln. Zwar zitiert die Zulassungsbegründung umfänglich Quellen für die angebliche Lage in der Türkei, gerade aber in Bezug auf die formulierten Fragen bleibt sie den Nachweis schuldig, dass die vom Verwaltungsgericht insoweit herangezogenen Erkenntnismittel unzutreffend sein könnten.
b) Auch die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht ersichtlich. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BayVGH, B.v. 27.3.2018 – 9 ZB 18.30057 – juris Rn. 21 m.w.N.). Dass dem das Verwaltungsgericht nicht ausreichend nachgekommen wäre, hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt. Mit der vom Kläger geübten Kritik an der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung bzw. der Würdigung seines Vorbringens durch das Verwaltungsgericht im Einzelfall kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden (BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Entgegen den Ausführungen der Zulassungsbegründung hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls hierüber keinen Beweisantrag gestellt. Soweit im Übrigen ein Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) behauptet wird, ist damit kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht. Ein solcher Vortrag vermag somit die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen (BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 9 ZB 19.31904 – juris Rn. 3). Ein beachtlicher Verfahrensfehler im Sinne einer Gehörsverletzung kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33217 – juris Rn. 8). Einen derartigen Mangel zeigt das Zulassungsvorbringen aber nicht auf.
Das Verwaltungsgericht traf hinsichtlich etwaiger Widersprüche im Sachvortrag des Klägers und zwecks Vermeidung einer Überraschungsentscheidung auch keine Hinweis- oder Nachfragepflicht. Das Recht auf rechtliches Gehör begründet keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder seine (mögliche) Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, zumal sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt (BayVGH, B.v. 20.1.2020 – 9 ZB 20.30060 – juris Rn. 21).
Von einer weiteren Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.


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