Verwaltungsrecht

Verfolgung wegen Homosexualität und behaupteter Entführung durch schiitische Miliz im Irak

Aktenzeichen  AN 4 K 16.30339

Datum:
17.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3a, § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 4 Abs. 1 S. 1, § 25 Abs. 1, § 34 Abs. 1, § 77 Abs. 1, Abs. 2, § 83b
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 3, § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GG GG Art. 16a
VwGO VwGO § 67 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, Nr. 4, Nr. 5, Nr. 6, Nr. 7, § 113 Abs. 1, Abs. 5, § 114 S. 1, § 154 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Entführung durch schiitische Milizen ist nicht glaubhaft, wenn sie zeitlich nicht eingeordnet werden kann und führt nicht zur Flüchtlingsanerkennung, wenn sie Jahre vor der Ausreise erfolgt sein soll.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Homosexualität ist im Irak nicht mehr unter Strafe gestellt. Allerdings besteht trotz Tendenzen zur Enttabuisierung ein hohes Risiko sozialer Ächtung. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (1.), auf Feststellung des subsidiären Schutzstatus im Sinne von § 4 AsylG (2.) und auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG (3.) hat. Auch die in Ziffer 5) und 6) getroffenen Nebenentscheidungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken (4.). Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 21. März 2016 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Die in Ziffer 2) des angefochtenen Bescheides erfolgte Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16a GG durch Ziffer 2 des Bescheides vom 21. März 2016 ist nicht Gegenstand der vorliegenden Klage. Denn gemäß dem in der mündlichen Verhandlung am 17. August 2016 gestellten Klageantrag ist dieser allein auf die Aufhebung der Ziffer 1 sowie der Ziffern 3 bis 6 des ablehnenden Bescheids vom 21. März 2016 und auf die – insoweit – positive Verbescheidung gerichtet.
Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 AsylG.
1. Der Kläger ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG.
Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung
oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Der Kläger stützt seinen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft einerseits auf eine angeblich im Jahre 2010 stattgefundene Entführung durch eine schiitische Miliz (1.1), andererseits auf seine – erst im Klageverfahren vorgetragene – Homosexualität (1.2).
Beide Vorbringen sind jedoch nicht geeignet, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG zu erfüllen und die Flüchtlingseigenschaft zu begründen.
Bei der Glaubhaftmachung im Asylverfahren und im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der vor Ausreise entstandenen Fluchtgründe naturgemäß eine besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der objektiven Nachprüfbarkeit dürfen jedoch keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.
Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. VwGO i. V. m. § 25 Abs. 1 AsylG muss der Ausländer zunächst selbst die Tatsachen vorbringen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss der Asylsuchende unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG, U.v. 29.11.1977 – I C 33.71 -, BVerwGE 55, 82-86).
1.1 Diesen Maßstäben wird der Vortrag des Klägers, was die angebliche Entführung durch eine schiitische Miliz im Jahre 2010 angeht, bei Weitem nicht gerecht.
Da das klägerische Vorbringen im gerichtlichen Verfahren insoweit keinen über den Vortrag im Rahmen der Anhörung hinausgehenden und entscheidungserheblichen Gehalt besitzt, folgt das Gericht den Feststellungen und Begründungen des angefochtenen Bescheids vom 21. März 2016, § 77 Abs. 2 AsylG.
Denn auch in der mündlichen Verhandlung am 17. August 2016 hat der Kläger seinen bis dahin geführten Vortrag nicht stichhaltig ergänzt oder untermauert. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Entführung vermochte der Kläger nun nicht einmal mehr den Monat, in dem die Entführung stattgefunden haben soll, zu benennen. Während er gegenüber dem Bundesamt im Rahmen der persönlichen Anhörung gemäß § 25 AsylG noch behauptete, die Entführung habe im Mai des Jahres 2010 stattgefunden, konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 17. August 2016 nur noch angeben, dass sich die Entführung im Jahre 2010 ereignet habe. Der Verweis des Klägers auf seine verschiedenen Ortswechsel im Anschluss an die angebliche Entführung kann die mangelnde Erinnerungsfähigkeit des Klägers an genauere Daten nicht hinreichend plausibel erklären.
Den überzeugenden Ausführungen des Bundesamtes, dass das Unvermögen, sich an den genauen Zeitpunkt der Entführung zu erinnern, angesichts eines derart emotional prägenden und belastendenden Ereignisses wie einer Entführung und Folterung durch eine Miliz wenig glaubhaft ist, zumal es sich um das angeblich fluchtauslösende Ereignis handeln soll, schließt sich das Gericht an.
Hinzu kommt, dass der Kläger nach der Entführung im Jahre 2010 nach eigenen Angaben noch ungefähr drei Jahre im Irak geblieben ist, ohne je wieder von schiitischen Milizen oder anderen Personen bedroht worden zu sein. Er hat in der mündlichen Verhandlung – auf entsprechenden Vorhalt des Gerichts – zwar angegeben, dies allein durch mehrere Ortswechsel innerhalb des irakischen Staatsgebiets verhindert zu haben. Insbesondere die in diesem Zusammenhang angeführte angebliche Bedrohung im Süden des Landes, wo er sich nicht aus dem Haus getraut habe aus Angst, als Ortsfremder erkannt zu werden und aufgrund dessen Schwierigkeiten zu bekommen, bleibt indes vollkommen unsubstantiiert und vage. Der Kläger trägt insoweit nicht einmal eine ernsthafte Bedrohung vor, sondern erwähnt lediglich angeblich drohende Schwierigkeiten. Weswegen er diese aufgrund seines ortsfremden Dialektes erleben sollte und worin sie bestehen könnten, wird nicht einmal ansatzweise erläutert.
Insgesamt sieht auch das Gericht daher keine Anhaltspunkte für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der behaupteten Entführung im Jahre 2010.
Dass der Kläger etwa im gesamten Gebiet des Irak in Anknüpfung an seine sunnitische Religionszugehörigkeit verfahrensrelevante Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten hätte, macht er selbst nicht – hinreichend konkret und substantiiert – geltend.
1.2 Die erstmals im Schriftsatz vom 9. Mai 2016 an das Gericht behauptete Homosexualität des Klägers führt ebenfalls nicht zu einem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Zwar stellt § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG klar, dass als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten kann, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet.
Der Kläger konnte jedoch nicht glaubhaft machen, dass ihm – seine homosexuelle Orientierung als wahr unterstellt – tatsächlich eine verfahrensrelevante Verfolgung im Irak aufgrund seiner Homosexualität droht.
Nach dem zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. Februar 2016, Abschnitt 1.7.2 (Homosexualität), dem das Gericht folgt, sind im Irak im gegenseitigen Einvernehmen unter Erwachsenen durchgeführte homosexuelle Handlungen seit 2003 nicht mehr unter Strafe gestellt. Dennoch besteht für Homosexuelle nach den dortigen Ausführungen nach wie vor ein hohes Risiko sozialer Ächtung, wobei jedoch auch politische Initiativen zu verzeichnen sind, um das Thema zu enttabuisieren.
Die in der mündlichen Verhandlung durch den Kläger allgemein behauptete Verfolgung Homosexueller durch Polizei und Justiz im Irak steht daher im Widerspruch zu der im Lagebericht geschilderten Gesetzeslage und den politischen Bestrebungen, das Thema in der irakischen Gesellschaft zu enttabuisieren.
Der Kläger schilderte in diesem Zusammenhang, dass er die – von ihm so bezeichnete – „Sittenstrenge“ seines Volkes am Beispiel eines Verwandten mütterlicherseits erlebt habe. Dieser sei vor ca. 6 bis 7 Jahren bei der Ausübung homosexueller Handlungen angetroffen und nach einer die Homosexualität bestätigenden ärztlichen Untersuchung inhaftiert worden. Im Schriftsatz vom 25. April 2016 hatte der Kläger jedoch noch vortragen lassen, es habe sich um einen Freund gehandelt. Auf Nachfrage des Gerichts, wann sich der Vorfall ereignet habe, gab der Kläger an, es nicht mehr so genau zu wissen. Er denke, dass es vor ungefähr 6 bis 7 Jahren gewesen sei. In dieser Widersprüchlichkeit und Ungenauigkeit erscheint der Vortrag dem Gericht jedoch wenig glaubhaft. Auch hier ist das Unvermögen, sich an den genauen Zeitpunkt zu erinnern, angesichts der für den Kläger – nach seinem eigenen Vortrag – grundlegenden Bedeutung des Umgangs der Umgebungsgesellschaft mit Homosexuellen nicht überzeugend. Auffällig ist zudem, dass der Kläger nicht gewusst haben will, welches weitere Schicksal der Betroffene nach seiner angeblichen Inhaftierung erlitten hat, sondern insoweit nur vage Vermutungen äußern konnte.
Dass dem Kläger bei Rückkehr in den Irak tatsächlich eine staatliche Verfolgung droht, hält das Gericht angesichts der im Lagebericht geschilderten Gesetzeslage und der politischen Bemühungen in Richtung Enttabuisierung für nicht hinreichend wahrscheinlich. Aufgrund der Ungenauigkeiten und Widersprüche ist auch das vom Kläger geschilderte Beispiel seines Verwandten oder Freundes nicht geeignet, diese Einschätzung zu entkräften.
Der Kläger hat zudem in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht auf Befragen angegeben, er selbst habe im Irak wegen seiner homosexuellen Orientierung keine Probleme gehabt. Der Kläger führte insoweit aus, sich seiner Homosexualität seit seiner Pubertät bewusst zu sein, diese Gefühle aber im Irak nicht nach außen getragen zu haben, obwohl er bereits im Irak eine homosexuelle Beziehung unterhalten habe. Dies sei aus Angst, dass seine Familie von seiner Homosexualität Kenntnis erlange, geschehen.
Das Risiko sozialer Ächtung, das der Kläger vor allem durch seine Familie befürchtet, stellt indes keine Verfolgungshandlung dar, welche die in § 3 a AsylG zum Ausdruck kommende asylrelevante Erheblichkeitsschwelle überschreitet. Durch die eigene Familie aufgrund mangelnder Anpassung an gesellschaftliche Regeln und Traditionen verstoßen zu werden, ist ein Problem, das in allen Gesellschaften – mehr oder weniger häufig – auftritt. Auch die – erst seit einigen Jahrzehnten – liberalisierte Gesetzeslage in Deutschland kann dies hierzulande nicht gänzlich verhindern.
Die Eltern des Klägers befinden sich nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung ebenfalls in Deutschland. Der Kläger wohnt nach wie vor bei ihnen und trifft sich mit seinem Partner, zu dem er seit ungefähr einem halben Jahr eine homosexuelle Beziehung unterhält, nur heimlich, ohne dass seine Familie davon Kenntnis erlangt.
Der Kläger ist jedoch volljährig und daher rechtlich und wirtschaftlich nicht mehr von seiner Familie abhängig. Von der eigenen Familie aufgrund der sexuellen Orientierung verstoßen zu werden, sei es im Irak, sei es in Deutschland, mag daher zwar emotional belastend sein, stellt jedoch keine asylrelevante Verfolgungshandlung dar.
Hinzu kommt, dass es dem Kläger offenbar möglich ist, seine Homosexualität so in seine Gesamtpersönlichkeit zu integrieren, dass er mit den im Irak insoweit bestehenden sozialen Normen nicht in Konflikt gerät und verfahrensrelevante Verfolgungshandlungen vermieden werden können.
Nach alledem führt auch die angebliche Homosexualität des Klägers nicht zu einem Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
2. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG besteht ebenfalls nicht.
Denn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer nur dann subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß Satz 2: Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Das Gericht bezieht sich insoweit auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids, da der Kläger auch im Rahmen des Gerichtsverfahrens keine darüber hinausgehenden, maßgeblichen Gesichtspunkte vorgetragen hat und das Gericht den Ausführungen des Bundesamtes folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.
3. Dasselbe gilt für die begehrte Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
4. Die in Ziffer 5 des Bescheids vom 21. März 2016 angedrohte Abschiebung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, weil die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen von § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG (hier festgesetzt auf 30 Monate) ist nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO).
Nach alledem ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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