Verwaltungsrecht

Verfolgung wegen Tätigkeit für amerikanische Firma nicht glaubhaft – Keine Gruppenverfolgung von Ismailiten und Schiiten sowie Hazara in Afghanistan

Aktenzeichen  W 1 K 18.30127

Datum:
28.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9411
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2011/95/EU Art. 6, Art. 10
AsylG § 3, § 3c Nr. 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Ungeachtet der unbestritten bestehenden gesellschaftlichen Diskriminierung und Benachteiligung besteht derzeit keine Gruppenverfolgung von Ismailiten und Schiiten sowie Hazara in Afghanistan.  (Rn. 16 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in der Provinz Baghlan, da selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ die von der Rechtsprechung des BVerwG geforderte kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht wird. (Rn. 30 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und die daraus resultierenden, auf eine Bevölkerungsgruppe bezogenen Gefahrenlage weisen im vorliegenden Einzelfall einer vierköpfigen Familie eine solche Intensität und hohes Gefährdungsniveau auf, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung iSd § 60 Abs. 5 AufenthG iVm  Art. 3 EMRK auszugehen ist. (Rn. 33 – 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 4, 5 und 6 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Dezember 2016 verpflichtet festzustellen, dass bei den Klägern ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu ¾ und die Beklagte zu ¼ zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig. Die Kläger haben einen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan. Insoweit ist die Klage begründet. Infolgedessen ist der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 16. Dezember 2016 in den Ziffern 4, 5 und 6 rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, so dass dieser im genannten Umfang aufzuheben war (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Den Klägern stehen die weitergehenden Ansprüche auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG sowie auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG nicht zu. Der Bescheid des Bundesamtes vom 16. Dezember 2016 erweist sich insoweit als rechtmäßig.
Das Gericht folgt bezüglich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes der zutreffenden Begründung des Bundesamtsbescheides vom 16. Dezember 2016, § 77 Abs. 2 AsylG. Darüber hinaus ist Folgendes auszuführen:
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl I S. 2780 ff.) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
1. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern im Falle der Rückkehr nach Afghanistan eine Gruppenverfolgung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit als Ismailiten bzw. ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara droht.
Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 – juris; U.v. 21.4.2009 – 10 C 11/08 – juris) voraus, dass eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr einer Betroffenheit besteht. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, wenn also auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar ist.
Dies zugrunde gelegt bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan eine Gruppenverfolgung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit als ismailitische Schiiten (die Ismailiten stellen einen Zweig des schiitischen Islam dar, vgl. https://de.wikipe-dia.org/wiki/Ismailiten_(Schia)) oder wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG droht. Ungeachtet der unbestritten bestehenden gesellschaftlichen Diskriminierung und Benachteiligung besteht derzeit keine Gruppenverfolgung von Ismailiten und Schiiten sowie Hazara in Afghanistan, weil die genannten Benachteiligungen und vereinzelten gewaltsamen Übergriffe nicht die dafür erforderliche Verfolgungsintensität und Verfolgungsdichte im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG aufweisen, zumal 19% der afghanischen Bevölkerung schiitische Religionszugehörige sind und 10% ethnische Hazara (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016, S. 9; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 14.9.2017, S. 25 f.; UNAMA, Annual Report Afghanistan, Februar 2018, S. 41 f.; ebenso st.Rspr., z.B. BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 27; U.v. 21.6.2013 – 13a B 12.30170 – juris Rn. 24; B.v. 1.12.2015 – 13a ZB 15.30224 – juris; B.v. 19.12.2016 – 13a ZB 16.30581 – juris; B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris; B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris: keine Gruppenverfolgung von Hazara).
Auch durch die jüngsten Lageberichte des Auswärtigen Amtes und sonstige einschlägige Erkenntnismittel wird diese Einschätzung nicht erschüttert. Zwar wird darin berichtet, dass die Hazara in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert seien. Auch gesellschaftliche Spannungen bestünden fort und lebten in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf. Zudem sei es im Jahre 2015 zu Entführungen von Hazara mit Todesfällen gekommen. Insgesamt habe sich jedoch die Lage der insbesondere unter der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara grundsätzlich verbessert. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten seien in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsbelehrten (Ulema) als auch im hohen Friedensrat seien auch Schiiten vertreten; beide Gremien betonten, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe. Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den IS angegriffen. Dabei seien 85 Menschen ums Leben gekommen und rund 240 verletzt worden. Dieser Schlag habe sich fast ausschließlich gegen Schiiten gerichtet (vgl. zum Ganzen: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016, S. 9 ff., Lagebeurteilung für Afghanistan des Auswärtigen Amtes vom 28.7.2017, S. 10). Auch unter Berücksichtigung dessen sowie der weiteren Anschläge im Zusammenhang mit dem Aschura-Fest in 2016 sowie gegen eine Moschee im Laufe des November 2016, die sich gegen Schiiten richteten und zu denen sich der islamische Staat bekannt hat, verfügen die Verfolgungshandlungen, denen die Hazara und die Schiiten in Afghanistan ausgesetzt sind, nach Auffassung des Gerichts nicht über die dargestellte für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Entwicklung im Laufe des Jahres 2017. UNAMA berichtet insoweit über acht re-ligiös motivierte Angriffe gegen schiitische Moscheen und Gläubige mit ins-gesamt 418 zivilen Opfern (161 Tote und 257 Verletzte), hiervon sechs Angriffe durch den IS, zwei durch die Taliban. Der IS übernahm darüber hinaus die Verantwortung für zwei weitere Anschläge gegen schiitische Moslems abseits von religiösen Einrichtungen mit insgesamt 133 zivilen Opfern (46 Tote und 87 Verletzte) (vgl. UNAMA, Annual Report Afghanistan, Februar 2018, S. 41 f.). Dies erreicht angesichts des Anteils von Schiiten und Hazara an der Gesamtbevölkerung Afghanistans (ca. 19% Schiiten und ca. 10% Hazara von insgesamt 34,6 Mio. Einwohnern, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/afghanistan-node/afghanistan/204676) nicht die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Größenordnung und Intensität, zumal auch nicht ersichtlich ist, dass insbesondere der IS für seine Attentate auf eine breite Unterstützung in der Bevölkerung zählen kann (so im Ergebnis auch VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris). Die Entwicklung zu Beginn des Jahres 2018 führt schließlich ebenfalls zu keiner anderen Einschätzung.
Diese Einschätzung gilt darüber hinaus in gleicher Weise für die Religionsgruppe der Ismailiten. ACCORD führt zur Situation der Ismailiten in Afghanistan in einer Anfragebeantwortung vom 28. August 2013 unter Hinweis auf verschiedene Quellen aus, dass die Ismailiten sich selbst als eine schiitische Glaubensgemeinschaft bezeichneten und rund 5% der afghanischen Gesamtbevölkerung ausmachten. Sie lebten hauptsächlich im oder in der Nähe des östlichen Hazarajat, im Gebiet Baglan, nördlich des Hindukusch, unter der tadschikischen Bergbevölkerung in Badachschan sowie unter den Wakhi im WakhanKorridor. Ethnisch würden sich die Ismailiten vor allem aus Hazara, Tadschiken und Paschtunen zusammensetzen. Fast 90% der Ismailiten in Afghanistan seien Hazara. Die Ismailiten hätten sich beschwert, ihnen blieben einflussreiche politische Positionen vorenthalten, obwohl vier Ismailiten Parlamentsmitglieder seien. Im Berichtszeitraum seien Ismailiten in einigen Fällen schikaniert worden. Allerdings seien im Januar 2012 prominente Ismailiten für die Präsentation des weltweit größten Korans gelobt worden. An den Feierlichkeiten zur Präsentation hätten auch mehrere prominente muslimische Führer, die nicht der ismailitischen Gemeinschaft angehören würden, teilgenommen. Ismailitische Führer hätten berichtet, dass ihre Gemeinschaft besser in die Gesellschaft integriert sei als in den vorangegangenen Jahren. Weiter wird ausgeführt, dass es nur wenige Berichte über gezielte Diskriminierungen von Ismailiten gegeben habe. Schiitische Hazara hätten vollständig am öffentlichen Leben teilgenommen. U.a. hätten sie Parlamentsmitglieder gestellt und hochrangige Posten in der Regierung von Hamid Karzai besetzt. 59 der 249 Parlamentssitze würden von schiitischen Hazara eingenommen. Außerdem seien auch vier Ismailiten gewählt worden. Dr. Baiza, Wissenschaftler am in London ansässigen Institute of Ismaili Studies, führte zur Sicherheitslage der Ismailiten in Afghanistan aus, dass es sich um eine kleine und gefährdete Minderheit handele, die oftmals Opfer religiöser Intoleranz werde. Die Gefahr durch religiösen Extremismus sei deutlich erkennbar. Hierfür verweist Dr. B. auf gezielte Anschläge in der Vergangenheit gegen schiitische Hazara (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Sicherheitslage für Ismailiten in der Provinz Baglan; Berichte über gezielte Angriffe durch die Taliban oder Hezb-e Islami vom 3.4.2015). Unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass eine Gruppenverfolgung gegenüber Ismailiten in Afghanistan stattfindet. Vielmehr stellt sich nach Überzeugung des Gerichts die Situation für die Ismailiten in Afghanistan in gleicher Weise dar, wie sie auch für die übrigen Mitglieder der schiitischen Religion gilt (vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2016, S. 58). Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen; es ist darüber hinaus nichts dafür ersichtlich, dass die Ismailiten darüber hinaus in besonderer Weise oder gezielt Opfer von Anschlägen würden.
Soweit die Kläger vortragen, dass sie von Angehörigen anderer Volksgruppen wegen ihres Glaubens als Ungläubige beschimpft worden seien, so kann dies unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnismittel als wahr unterstellt werden. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Verfolgungshandlungen, die aufgrund ihrer Qualität und Schwere bzw. Kumulierung so weitreichend wären, dass sie als Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG anzusehen sind.
Auch der Vortrag, dass die klägerische Familie, insbesondere im Hinblick auf die Rechte der weiblichen Familienmitglieder, eine liberale Lebensführung gehabt habe, es deswegen Ärger mit den Nachbarn gegeben habe und diese sich über sie lustig gemacht hätten, erreicht die Schwelle einer rechtlich erheblichen Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG nicht.
2. Darüber hinaus haben die Kläger vorgetragen, dass sie von der Familie des Ex-Verlobten (namens A.) der Ehefrau des Bruders des Klägers zu 1), N… verfolgt worden seien. Der Bruder habe seine Ehefrau im Jahre 2012 mit Zustimmung von deren Vater geheiratet. Diese Frau sei jedoch bereits vor ihrer Geburt von ihrem Vater dem A. versprochen worden, der von der Hochzeit erfahren und daraufhin die Familie des Klägers verfolgt habe, nachdem auch die Forderung nach der Übergabe von zwei Mädchen aus der Großfamilie des Klägers als Wiedergutmachung abgelehnt worden sei. Die Drohungen hätten Ende 2012 begonnen und seien dann – zunächst mündlich – im Laufe der Zeit immer schlimmer geworden. Dieser pauschale Vortrag kann den Klägern ebenso wenig abgenommen werden wie die konkret geschilderten Verfolgungshandlungen, namentlich der Beschuss des Fahrzeugs des Klägers am 29. März 2015 durch den A. bzw. dessen Familie. Der Kläger sei damals mit seinen Brüdern auf der Fahrt nach Hause von Kabul nach Pol-e Chomri gewesen. Gegen 20:30 Uhr hätten sie in der Gegend des Wohnortes des A. von vier bewaffneten Personen angehalten werden sollen. Der Kläger habe zunächst den Blinker gesetzt, sei dann jedoch schnell vorbeigefahren und entkommen. Die bewaffneten Männer hätten jedoch noch auf das Auto geschossen und unter anderem die Heckscheibe zerstört. Das Gericht hält es für nicht glaubhaft, dass es sich hierbei – selbst wenn man das Geschehnis als solches als wahr unterstellt – um einen gezielten Angriff des A. gehandelt hat. Der Kläger zu 1) hat die Männer am Straßenrand in der Dunkelheit und bei der schnellen Vorbeifahrt bereits gar nicht erkennen können. Er will von der Täterschaft des A. lediglich aus der Nachbarschaft und von der Familie der Schwägerin erfahren haben. Aus welcher Quelle diese Personen wiederum von der angeblichen Täterschaft des A. erfahren haben sollen, wird von den Klägern weder erklärt noch erschließt sich dies anderweitig. Dass angeblich der A. für den Vorfall verantwortlich gewesen sein soll, wirkt – auch unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung – vielmehr konstruiert. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass es sich bei dem Vorfall um einen Ausfluss der in Afghanistan allgemein hohen Kriminalität gehandelt hat, wie sie insbesondere auf den großen Fernstraßen, wie hier zwischen Kabul und Pol-e Chomri, häufig vorkommt. Es ist zudem auch nicht lebensnah erklärbar, wie der A. davon Kenntnis gehabt haben sollte, dass der Kläger und seine Brüder ausgerechnet zu dieser Zeit eben jenen Straßenabschnitt benutzen würden.
Auch die vom Kläger zu 1) in diesem Zusammenhang ins Feld geführte Verbindung bzw. Mitgliedschaft des A. bei den Taliban vermag nicht zu überzeugen. Der Kläger zu 1) hat hierzu vor dem Bundesamt angegeben, dass dieser immer bewaffnet umherlaufe, was in Afghanistan nur Polizisten und Soldaten dürften. Angesichts der allgemein bekannten Bewaffnung großer Kreise der Bevölkerung in Afghanistan erscheint dieser Schluss keinesfalls lebensnah nachvollziehbar, sondern eher abwegig, zumal der Kläger auf die Frage, wer sie beschossen habe, vor dem Bundesamt geantwortet hat, dass er am Anfang gedacht habe, dass es die Taliban gewesen seien. Später habe er erfahren, dass es die Machenschaften des A. gewesen seien. Aus diesem Antwortverhalten ergibt sich, dass es sich um zwei voneinander unabhängige Akteure handelt. Eine abweichende Einschätzung ergibt sich auch nicht aufgrund der beim Bundesamt vorgelegten Drohbriefe vom 21. April 2015 sowie 5. Juni 2015, welche der Kläger zu 1) im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf die Frage nach seinen Bedrohungen im Heimatland überdies gar nicht mehr erwähnt hat. Auch die Klägerin zu 2) hat die Drohbriefe jedenfalls im Rahmen der freien Schilderung ihrer Fluchtgründe vor dem Bundesamt auffälligerweise zunächst nicht erwähnt. In den Drohbriefen wird der Kläger zu 1) durch die Taliban aufgefordert, seine Arbeit bei den Amerikanern zu beenden, da ansonsten sein Leben und das einer Familie in Gefahr seien. Es erscheint in keiner Weise nachvollziehbar, aus welchem Grund der Amanullah die Kläger aufgrund einer Tätigkeit des Klägers für die Amerikaner, noch dazu unter dem Briefkopf der Taliban, verfolgen sollte, obwohl er zuvor angeblich wegen der nicht durchgeführten Heirat zwei Mädchen aus der Großfamilie des Klägers als Wiedergutmachung hätte haben wollen. Überdies widersprechen sich der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) auch hinsichtlich der Urheberschaft der Briefe. Die Klägerin zu 2) hat diesbezüglich vor dem Bundesamt angegeben, dass sie die Drohbriefe von der Familie des A. bekommen hätten, während der Kläger zu 1) diese – ohne es genau zu wissen – auf die Taliban zurückführt.
Sowohl der Vorfall vom 29. März 2015 als auch die Drohbriefe vom 21. April 2015 und 5. Juni 2015 waren überdies offensichtlich nicht direkt kausal für die Ausreise, die erst am 10. Dezember 2015 erfolgt sein soll. Sowohl der Kläger zu 1) als auch die Klägerin zu 2) weisen im Rahmen ihrer Ausführungen vor dem Bundesamt auf die Einnahme der nicht weit entfernt liegenden Stadt Kunduz im Herbst 2015 durch die Taliban hin. Das Gericht ist davon überzeugt, dass diese Einnahme einer nahen Provinzhauptstadt der tatsächliche Fluchtgrund für die Kläger gewesen ist, zumal die Klägerin zu 2) beim Bundesamt auf die Frage, wann sie die Flucht geplant hätten, erklärt hat, dass sie sich innerhalb einer Woche entschieden hätten. Auch insofern ist von einer Kausalität der oben dargestellten Vorfälle für die Ausreise aus dem Heimatland am 10. Dezember 2015 nicht auszugehen. Das Gericht hält daher den gesamten Vortrag hinsichtlich einer Verfolgung durch den A. wegen einer nicht vollzogenen Heirat nicht für glaubhaft, zumal der Vater der Ehefrau des Bruders, welcher das angebliche Heiratsversprechen gegenüber A. letztlich gebrochen hat, weiterhin in Afghanistan am Herkunftsort gelebt hat. Die Kläger im hiesigen Verfahren sind darüber hinaus in dem Geschehen um die angebliche Nichterfüllung des Heiratsversprechens im Gegensatz zu dem Bruder des Klägers zu 1) allenfalls Randfiguren.
Schließlich ist das Gericht davon überzeugt, dass die Kläger im Heimatland auch nicht durch die Taliban verfolgt worden sind. Der Kläger zu 1) führt in diesem Zusammenhang an, dass er von Januar 2010 bis August 2013 als Operation Manager für die amerikanische Firma Supreme gearbeitet und dort für die Belieferung von ausländischen Truppen mit Benzin zuständig gewesen sei. Vor dem Bundesamt hat der Kläger die bereits oben erwähnten Drohbriefe vorgelegt, wonach er die Zusammenarbeit mit den Amerikanern beenden solle. Das Gericht misst diesen Briefen im Hinblick auf den Nachweis einer Vorverfolgung der Kläger keinerlei Beweiskraft bei, da der Kläger zu 1) seine Tätigkeit bei der amerikanischen Firma bereits im August 2013 und damit lange vor Erhalt des ersten Drohbriefes beendet hat. Aus welchem Grunde die Taliban ihn in diesen Briefen dann erneut zu einer solchen Beendigung auffordern und bedrohen sollten, erschließt sich nicht. Zum Zeitpunkt des Erhalts der Briefe hat der Kläger vielmehr für die private afghanische Firma Roshan gearbeitet. Dass der Kläger dort mit der ISAF zusammengearbeitet haben will, kann ihm überdies nicht geglaubt werden, zumal er in der mündlichen Verhandlung im Widerspruch dazu angegeben hat, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit bei Roshan Geheimnisse an staatliche Stellen im Innenministerium weitergegeben habe. Darüber hinaus ist die ISAF-Mission Ende des Jahres 2014 und damit vor Erhalt der Drohbriefe beendet worden. Schließlich hat die Klägerin zu 2) – wie bereits ausgeführt – in Widerspruch zu den diesbezüglichen Angaben ihres Ehemannes erklärt, dass die Drohbriefe von der Familie des A. stammten. Die Klägerin zu 2) hat darüber hinaus angegeben, dass sie außer mit der Familie des A. mit niemandem Probleme gehabt hätten (vgl. Niederschrift vom 3.11.2016, S. 6 unten). In der Gesamtschau sind die beiden vorgelegten Drohbrief damit nicht geeignet, eine Vorverfolgung der Kläger – weder durch die Taliban noch durch den A. – glaubhaft zu machen. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund der Ausführungen des Auswärtigen Amtes im Lagebericht vom 19. Oktober 2016 (vgl. dort S. 25), wonach echte Dokumente unwahren Inhalts in Afghanistan in erheblichem Umfang existieren und es daher kaum Bedarf an gefälschten Dokumenten gebe. Nach alledem misst das Gericht den vorgelegten Briefen keinerlei Beweiskraft bei.
Soweit der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung zu einer Bedrohung infolge seiner Tätigkeit für die Amerikaner angegeben hat, dass es an seiner Arbeitsstelle sehr gefährlich gewesen sei, da dort immer viele Taliban gewesen seien und darüber hinaus Fahrer von Benzin-LKWs ihn gedrängt und bedroht hätten, um Aufträge zu erhalten, so kann dem Kläger dieses Vorbringen nicht geglaubt werden. Es handelt sich vielmehr um einen gesteigerten Sachvortrag gegenüber den Ausführungen vor dem Bundesamt, wo der Kläger entsprechende Erklärungen nicht abgegeben hat. Eine nachvollziehbare Begründung für diese Steigerung ist nicht ersichtlich. Das Gericht geht daher davon aus, dass es sich insoweit um asyltaktische Weiterungen handelt, nachdem das klägerische Vorbringen beim Bundesamt nicht den gewünschten Erfolg der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gezeitigt hatte. Darüber hinaus ist der Vortrag diesbezüglich unsubstantiiert und detailarm geblieben, sodass ihm auch aus diesem Grunde nicht geglaubt werden kann. Selbst bei Wahrunterstellung ist zu bemerken, dass die Vorfälle, die sich bis August 2013, dem Ende der Tätigkeit für die amerikanische Firma Supreme, zugetragen haben müssen, ganz offensichtlich nicht kausal für die Ausreise waren.
Ebenfalls aufgrund gesteigerten Vorbringens kann dem Kläger nicht geglaubt werden, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit für die Telekommunikationsfirma Roshan Drohanrufer der Taliban für den afghanischen Staat ausfindig gemacht habe. Denn es wäre davon auszugehen gewesen, dass der Kläger eine derartige Tätigkeit bereits im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt von sich aus explizit dargelegt hätte. Soweit der Kläger auf Vorhalt des Gerichts nunmehr erklärt hat, dass er vor dem Bundesamt nicht die Gelegenheit bekommen habe, zu seinen beruflichen Verhältnissen zu berichten, so ist dies evident nicht korrekt; der Kläger hat vielmehr im Rahmen seiner Antwort auf die Frage 12 sowie bei der Darstellung seines Verfolgungsschicksals ausreichend Gelegenheit gehabt, hierzu Stellung zu nehmen. Ausweislich der Niederschrift vom 3. November 2016 ist der Kläger auch sehr ausführlich – 320 Minuten – angehört worden. Der Erklärungsversuch des Klägers zu 1) ist damit nicht nachvollziehbar und überzeugend. Daher wird sein nunmehr erweitertes Vorbringen in der Gesamtschau als nicht glaubhaft gewürdigt.
Nach alledem sind die Kläger nicht vorverfolgt aus ihrem Heimatland ausgereist – dies gilt auch für die Klägerin zu 2), die ihre Tätigkeit als Sozialarbeiterin für Frauen zwar als gefährlich eingestuft hat, jedoch aufgrund dessen selbst nicht verfolgt worden ist – und es ist darüber hinaus auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ihnen bei ihrer Rückkehr eine Verfolgung droht, insbesondere auch nicht wegen ihrer Volks- und Religionszugehörigkeit sowie früherer beruflicher Tätigkeiten. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG war nach alledem abzulehnen.
II.
Die Kläger haben weiterhin keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
1. Den Klägern droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihnen ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Die Kläger haben die Gefahr eines ernsthaften Schadens nicht glaubhaft geltend gemacht. Diesbezüglich wird vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen.
2. Den Klägern droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in ihrer Herkunftsregion, der Provinz Baghlan. In der Nordostregion, zu der die Provinz Baghlan gehört, wurden im Jahre 2017 758 Zivilpersonen getötet oder verletzt, während die Opferzahl im Jahre 2016 noch bei 1.271 lag (vgl. UNAMA, Annual Report 2017 Afghanistan, Februar 2018, S. 7). Die Anschlagswahrscheinlichkeit lag damit für die Nordostregion im Jahr 2017 bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/13 – juris). Damit ist derzeit noch nicht davon auszugehen, dass bei Unterstellung eines bewaffneten Konflikts praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person der Kläger sind darüber hinaus nicht erkennbar. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Auch wenn es in der jüngeren Vergangenheit zu mehreren Anschlägen auf Hazara und Schiiten/ Ismailiten in Afghanistan gekommen ist – wie oben beschrieben –, so hat sich die Gefahr für die Kläger nach Überzeugung des Gerichts mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnismittel und die Zahl der gezielten Anschläge noch nicht in einer Weise verdichtet, dass sie aufgrund ihrer Volks- oder Religionszugehörigkeit bereits eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ihrer Person i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG befürchten müssten (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris). Auch aufgrund der bis August 2013 ausgeübten und sodann aufgegebenen Tätigkeit des Klägers zu 1) im Energie-/Logistikbereich einer amerikanischen Firma folgt – unter Berücksichtigung obiger Ausführungen – nach Überzeugung des Gerichts keine individuelle Gefahrerhöhung für die klägerische Familie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan.
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus der Abhandlung von Frau Friederike Stahlmann (Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, in: ZAR 5-6/2017, S. 189 ff.). Soweit diese darauf hinweist, dass in den UNAMA-Berichten eine Untererfassung der zivilen Opfer zu besorgen sei, so ist darauf hinzuweisen, dass anderes geeignetes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung steht und zum anderen auf die von Frau Stahlmann alternativ genannte Zahl der kriegsbedingt Binnenvertriebenen angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nicht abgestellt werden kann. Insoweit weist Frau Stahlmann eingangs ihrer Abhandlung auch selbst darauf hin, dass ihre Diskussion nicht den Anspruch habe, die Kriterien einer juristischen Prüfung zu erfüllen (vgl. Fußnote 1). Aber selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wird die kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht.
III.
Die Kläger haben jedoch Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistan gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Einschlägig ist hier Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Das wäre jedoch bei den Klägern der Fall, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren müssten. Die Kläger müssten befürchten, aufgrund der dortigen Lage unter Berücksichtigung ihrer individuellen Situation einer nach Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Die Kläger berufen sich insoweit auf die allgemein schlechte Lage in ihrem Heimatland. Die zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und die daraus resultierenden Gefährdungen weisen im vorliegenden Einzelfall eine solche Intensität auf, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist (BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30030; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284, B.v. 11.01.2017 – 13a ZB 16.30878 – jeweils juris). Der Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG ist auch bei einer allgemeinen, auf eine Bevölkerungsgruppe bezogenen Gefahrenlage eröffnet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; BayVGH v. 21.11.2014, a.a.O., juris – Rn. 16ff.). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernst einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden könne, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2017 und U.v. 21.11.2014, a.a.O.).
Ein entsprechend hohes Gefährdungsniveau liegt bei den Klägern unter Berücksichtigung der nachstehenden Ausführungen vor.
Es ist davon auszugehen, dass der Kläger zu 1) vorliegend bei einer Rückkehr der Familie nach Afghanistan nunmehr alleine mit der Unterhaltslast für sich selbst, seine Ehefrau und die beiden minderjährigen Kinder belastet wäre. Zwar war die Klägerin zu 2) in der Vergangenheit als Sozialarbeiterin für Frauen berufstätig; sie hat jedoch diese Tätigkeit bereits vor der Ausreise der Familie und auch vor der Geburt ihres ersten Kindes beendet. Obwohl in der klägerischen Familie eine vergleichsweise liberale Einstellung herrscht, wonach es auch weiblichen Familienmitgliedern grundsätzlich möglich ist, eine Berufstätigkeit auszuüben, so hat die Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung doch nachvollziehbar darauf verwiesen, dass sie sich nunmehr, nachdem sie Mutter zweier Kinder ist, eine Berufstätigkeit nicht mehr vorstellen könne. Unabhängig hiervon hat sie überzeugend dargelegt, dass sie sich eine Rückkehr in ihren früheren Beruf auch deshalb nicht vorstellen könne, da sie die Tätigkeit aus eigenem Antrieb aufgegeben habe, da diese aufgrund des zunehmenden Einfluss der Taliban sehr gefährlich gewesen sei, zumal für sie als Frau und mit schiitischer-ismailitischer Religionszugehörigkeit. Sie hat diesbezüglich auf einen Überfall auf zwei Arbeitskollegen verwiesen, bei dem diese gekidnappt und beraubt worden seien. Darüber hinaus bestünde für die Klägerin nunmehr auch ein Betreuungsproblem für ihre noch sehr jungen minderjährigen Kinder, sodass in der Gesamtschau realistischerweise nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin erneut in Afghanistan erwerbstätig sein würde. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger zu 1) unter den derzeit in Afghanistan herrschenden Rahmenbedingungen (vgl. insoweit etwa: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016 sowie Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes vom 28.7.2017; Schweizerische Flüchtlingshilfe: Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage vom 14.9.2017; UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016 sowie Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016) nicht in der Lage sein wird, dort die notwendigen Mittel zu erwirtschaften, um eine Art. 3 EMRK widersprechende Lebenssituation abzuwenden. Eine andere Einschätzung ist angesichts der Verhältnisse in Afghanistan auch nicht unter Berücksichtigung der Tatsache angezeigt, dass der Kläger zu 1) über eine zwölfjährige Schulbildung verfügt und bereits eine Reihe verschiedener beruflicher Tätigkeiten in seinem Heimatland ausgeübt hat.
Weiterhin ist hier zu berücksichtigen, dass die Kläger ihr gesamtes Familienvermögen zur Finanzierung ihrer Flucht nach Deutschland verbraucht haben und somit nicht mehr über Rücklagen verfügen, welche ihnen gegebenenfalls einen Neustart in Afghanistan ermöglichen könnten. Insoweit haben die Kläger zu 1) und 2) übereinstimmend und nachvollziehbar vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass sie in Afghanistan das gemeinsame Familienwohnhaus, das gemeinsame Auto der Familie und den wenigen Schmuck der Frauen verkauft und hierfür 40.000 $ erzielt hätten. Diesen Betrag hätten sie – insoweit nachvollziehbar – für die Schlepperkosten für die insgesamt 14 nach Deutschland geflüchteten Familienmitglieder aufbringen müssen. Es sei aus dem Verkaufserlös nichts übrig geblieben. Auch aktuell verfügten sie über kein Vermögen mehr. Der Kläger zu 1) sei ebenso wie die anderen nach Deutschland ausgereisten Familienmitglieder mangels einer Arbeitserlaubnis aktuell nicht erwerbstätig, so dass auch auf diesem Wege keine etwaigen Rücklagen gebildet werden konnten.
Darüber hinaus ist auch nicht zu erwarten, dass den Klägern in Afghanistan in relevantem Umfang Unterstützung durch die dort verbliebenen Verwandten zuteil werden würde. Der Kläger zu 1) hat glaubhaft angegeben, dass sich in Afghanistan aktuell noch vier Onkel und drei Tanten aufhielten, zu denen allerdings sehr wenig Kontakt bestehe. Die Onkel seien alle einfache Beamte ohne herausgehobene Stellung gewesen; was sie derzeit machten, wisse er nicht. Die Klägerin zu 2) hat zu in Afghanistan verbliebenen Verwandten angegeben, dass dort noch drei Onkel und eine Tante lebten. Einer der Onkel sei Lehrer, der andere selbstständiger Händler und der dritte Onkel habe im Krieg zwischenzeitlich ein Bein verloren. Bei dieser beschriebenen Sachlage ist nichts dafür ersichtlich, dass Verwandte der Kläger über Vermögensverhältnisse verfügen, die es ihnen ermöglichen würden, die Kläger in relevantem Umfang dauerhaft zu unterstützen. Denn angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse in Afghanistan kann nicht davon ausgegangen werden, dass Verwandte, zumindest solange diese finanziell nicht besonders gut gestellt sind, wofür hier nichts ersichtlich ist, in der Lage sind, zurückkehrende Familien zu unterstützen.
Vorstehenden Schlussfolgerungen kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Kläger vor ihrer Ausreise ihren Lebensunterhalt haben decken können. Denn dies lässt gänzlich außer Acht, dass sich die Lebensverhältnisse und der Arbeitsmarkt in Afghanistan entsprechend der Erkenntnismittellage seit deren Ausreise im Dezember 2015 noch weiter verschlechtert haben. Individuell ist überdies zu berücksichtigen, dass das Vermögen der Familie für die Flucht verbraucht wurde und nunmehr ein weiteres Kind zu versorgen ist.
Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Kläger als Rückkehrer nach Afghanistan tatsächlich Gefahr laufen, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Dies deckt sich auch mit der Einschätzung des UNHCR, der davon ausgeht, dass nur bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern und ggf. auch kinderlosen Paaren eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Afghanistan in Betracht kommt (vgl. dazu bereits oben – UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 9 f.). An dieser Einschätzung hat sich durch die Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 nichts grundsätzlich geändert, vielmehr verweist der UNHCR darauf, dass sich die Lage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert habe. Auch in der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass zwar für einen jungen, gesunden alleinstehenden Rückkehrer Abschiebungsverbote regelmäßig nicht infrage kommen, auch wenn dieser nicht über nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt verfügt, da dieser regelmäßig durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums finanzieren kann (st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652; B.v. 21.8.17 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris; BayVGH, B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris; BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris; B.v. 27.7.2016 – 13a ZB 16.30051 – juris; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris). Anders ist dies nach der obergerichtlichen Rechtsprechung jedoch im Allgemeinen – und so auch hier – bei einer Familie mit minderjährigen Kindern im Hinblick auf die zu erwartenden schlechten humanitären Verhältnisse in Afghanistan (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30030 – juris, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris).
Im Rahmen einer Gesamtschau steht damit vorliegend zu befürchten, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten, die ihnen nicht zugemutet werden kann. Ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG ist daher festzustellen.
Aufgrund vorstehender Ausführungen zum Bestehen eines Abschiebungsverbots waren auch die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 und das in Ziffer 6 festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot im angegriffenen Bescheid vom 16. Dezember 2016 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG (zur Kostenverteilung vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris), die der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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