Verwaltungsrecht

Verfristeter Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  13a ZB 20.30264

Datum:
11.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16235
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 4 S. 1, S. 4
VwGO § 56 Abs. 2
ZPO § 189

 

Leitsatz

1. Nach § 78 Abs. 4 S. 1 und 4 AsylG ist die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen und zu begründen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Urteil gilt gem. § 56 Abs. 2 VwGO iVm § 189 ZPO in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem anwaltlichen Bevollmächtigten des Klägers tatsächlich zugegangen ist. Dies ist der Zeitpunkt der (zumindest möglichen) Kenntnisnahme des Urteils als Bestandteil der Gerichtsakte. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 15 K 17.31153 2019-02-26 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag aus nachstehenden Gründen bereits zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 26. Februar 2019 hat keinen Erfolg.
Der Kläger hat seinen Zulassungsantrag damit begründet, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei (Verfahrensmangel nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Er sei nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2019 geladen worden und habe deshalb auch nicht am betreffenden Termin teilnehmen können. Das durch das Verwaltungsgericht versandte Ladungsschreiben sei an die Adresse „Mittlere B. straße … B, … S.“ versandt worden; richtigerweise wohne er jedoch unter der Adresse „Mittlere B. straße … C, … S.“. Die Ladung habe ihn daher nicht erreicht, so dass er keine Kenntnis vom Termin zur mündlichen Verhandlung gehabt habe. Er sei zum maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht mehr anwaltlich vertreten gewesen, da seine ursprüngliche Prozessbevollmächtigte bereits mit an das Verwaltungsgericht gerichtetem Schreiben vom 2. Februar 2018 das Mandat niedergelegt habe. Das Urteil beruhe auch auf dem Gehörsverstoß, da ihm die Möglichkeit genommen worden sei, in der mündlichen Verhandlung persönlich Gründe vorzutragen, die zu einer anderen Entscheidung hätten führen können. Das Verwaltungsgericht habe überdies zunächst erfolglos versucht, auch das Urteil an die unrichtige Adresse zuzustellen; das Urteil sei schließlich erst am 27. Dezember 2019 an seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten zugestellt worden. Mit Blick auf diese maßgebliche Zustellung sei auch die Monatsfrist aus § 124 Abs. 4 Satz 1 VwGO gewahrt.
Ausweislich der vorgelegten Akten des Verwaltungsgerichts stellt sich der Verfahrensgang wie folgt dar:
Mit anwaltlichem Schreiben vom 16. März 2017 erhob der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 7. März 2017 Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg (Az. RN 15 K 17.31153). Hierbei gab er seine Adresse mit „H.-Str. …, … S.“ an. In der Folge legte das Bundesamt mit Schreiben vom 27. Juli 2017 einen Zuweisungsbescheid der Regierung von Niederbayern vom 19. Juli 2017 vor, nach dem der Kläger nunmehr einer Unterkunft unter der Adresse „Mittlere B. straße … B, … S.“ zugewiesen sei. Mit Schreiben vom 2. Februar 2018 teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dass sie das Mandat niedergelegt habe. Das Ladungsschreiben des Verwaltungsgerichts vom 4. Dezember 2018 zur mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2019 war sodann an den Kläger persönlich unter der Adresse „Mittlere B. straße … B, … S.“ gerichtet. Ausweislich der entsprechenden Postzustellungsurkunde sei versucht worden, das Ladungsschreiben zu übergeben; da keine andere Möglichkeit bestanden habe, sei das Schriftstück bei der hierfür bestimmten Stelle niedergelegt worden. Nachdem zur mündlichen Verhandlung keiner der Beteiligten erschienen war, wies das Verwaltungsgericht die Klage mit noch in der Sitzung verkündetem Urteil vom 26. Februar 2019 ab. Ein Versuch, das abgesetzte Urteil dem Kläger unter der Adresse „Mittlere B. straße 43 B, … S.“ zuzustellen, war erfolglos; die entsprechende Postzustellungsurkunde vom 2. März 2019 enthält den Vermerk „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln.“ Ausweislich eines Vermerks der Gerichtsverwaltung vom 2. Mai 2019 ging man dort davon aus, dass der Kläger die erfolglose Zustellung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG gegen sich gelten lassen müsse. Mit Schreiben des Verwaltungsgerichts vom 2. Oktober 2019 wurde dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Klägers auf dessen Antrag hin und nach Vollmachtsvorlage Akteneinsicht gewährt (Eingang in der Kanzlei laut Empfangsbekenntnis am 10.10.2019; Rücksendung durch Kanzlei mit Schreiben v. 11.10.2019). Mit E-Mail vom 12. Oktober 2019 wandte sich der Kläger persönlich an das Verwaltungsgericht und teilte u.a. sinngemäß mit, dass er auf seine Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamts „ohne eine zweite Anhörung“ einen „zweite[n] negative[n] Bescheid vom Verwaltungsgericht Regensburg bekommen habe“; er bat um einen Besprechungstermin. Ausweislich eines Vermerks über ein Telefonat mit der Ausländerbehörde vom 28. November 2019 wurde dem Verwaltungsgericht zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass die im Zuweisungsbescheid vom 19. Juli 2017 angegebene Adresse „Mittlere B. straße 43 B, … S.“ fehlerhaft gewesen sei, der Kläger sei vielmehr richtigerweise unter der Adresse „Mittlere B. straße … C, … S.“ wohnhaft. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2019 versuchte das Verwaltungsgericht, das Urteil vom 26. Februar 2019 nochmals an den Kläger persönlich unter der Adresse „Mittlere B. straße … C, … S.“ zuzustellen; zur Begründung wurde ausgeführt, dass Zweifel an der Rechtskraft des Urteils vom 26. Februar 2019 bestünden. Es wurde darauf hingewiesen, dass dem Kläger die Möglichkeit, die Zulassung der Berufung zu beantragen, offen stehe. Ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 18. Dezember 2019 war der Kläger auch unter der nunmehr verwendeten Anschrift nicht zu ermitteln. Am 27. Dezember 2019 wurde daher schließlich das Urteil dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
Hiervon ausgehend ist der vorliegende Antrag auf Zulassung der Berufung unzulässig, denn er ist nicht fristgerecht gestellt worden.
Nach § 78 Abs. 4 Satz 1 und 4 AsylG ist die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen und zu begründen. Hierauf hat das Verwaltungsgericht in der dem angegriffenen Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrungzutreffend hingewiesen.
Hinsichtlich des Fristbeginns kann zwar vorliegend nicht auf die erfolglose Zustellung des Urteils an den Kläger persönlich am 2. März 2019 abgestellt werden. Insbesondere musste der Kläger die erfolglose Zustellung nicht gemäß § 10 Abs. 2 AsylG gegen sich gelten lassen, da die im Zuweisungsbescheid vom 19. Juli 2017 enthaltene und sodann vom Verwaltungsgericht verwendete Postadresse „Mittlere B. straße … B, … S.“ unstreitig unzutreffend war. Zwar ist die letztgenannte Anschrift dem Verwaltungsgericht durch das Bundesamt als öffentliche Stelle mitgeteilt worden (§ 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Jedoch ist insoweit erforderlich, dass die durch die öffentliche Stelle mitgeteilte Anschrift im Zeitpunkt der Mitteilung zutreffend gewesen ist, der betroffene Ausländer also zum Zeitpunkt der Mitteilung tatsächlich unter der mitgeteilten Anschrift gewohnt hat oder zu wohnen verpflichtet war (OVG NW, B.v. 12.12.2018 – 11 A 1017/16.A – juris Rn. 10 f. m.w.N.). Hieran fehlt es vorliegend.
Das Urteil vom 26. Februar 2019 gilt jedoch gemäß § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 189 ZPO jedenfalls in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem anwaltlichen Bevollmächtigten des Klägers tatsächlich zugegangen ist. Dies ist hier der Zeitpunkt der (zumindest möglichen) Kenntnisnahme des Urteils als Bestandteil der Gerichtsakte, die dem laut der Vollmachtsurkunde ausdrücklich zur Entgegennahme von Zustellungen berechtigten Rechtsanwalt des Klägers ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 10. Oktober 2019 zugegangen ist (vgl. zur bejahten Heilung von Zustellungsmängeln durch Akteneinsichtnahme: OVG LSA, B.v. 19.6.2018 – 3 M 227/18 – juris Rn. 6 f. – zum im Kern wortgleichen § 8 VwZG; B.v. 22.6.2009 – 2 M 86/09 – juris Rn. 22 – zu § 8 VwZG; OVG Bremen, B.v. 23.4.2018 – 1 PA 89/17 – juris Rn. 5 – zu § 8 VwZG; BayVGH, B.v. 13.12.2017 – 11 CS 17.2098 – juris Rn. 16 – zum im Kern wortgleichen Art. 9 VwZVG; OVG Hamburg, U.v. 30.1.2017 – 1 Bf 115/15 – juris Rn. 29 – zu § 8 VwZG; B.v. 9.5.2012 – 4 Bs 15/12 – juris Rn. 28 – zu § 8 VwZG; ThürOVG, B.v. 29.7.1993 – 2 EO 73/93 – juris Rn. 32 – zu § 9 ThürVwZVG; VGH BW, B.v. 7.12.1990 – 10 S 2466/90 – juris; LSG Berlin-Bbg, U.v. 16.12.2010 – L 21 R 614/08 – juris Rn. 37 – zu § 8 VwZG; OLG Hamm, B.v. 8.8.2017 – 3 RBs 106/17 u.a. – juris Rn. 22 – zu § 8 VwZG-NW; OLG Düsseldorf, U.v. 30.4.2015 – I-15 U 100/14 u.a. – juris Rn. 20 – zu § 189 ZPO). Eines aktualisierten Bekanntgabewillens des Verwaltungsgerichts bedurfte es insoweit nicht. Der erforderliche (fortbestehende) Zustellungswille war vielmehr durch den vorangegangenen erfolglosen Zustellungsversuch hinreichend dokumentiert; zur Heilung ist nicht erforderlich, dass auch die nachträgliche Kenntniserlangung durch den Adressaten vom Willen der bekanntgebenden Stelle erfasst wird (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43.95 – juris Rn. 29 – zu § 8 VwZG; BFH, U.v. 28.8.1990 – VII R 59/89 – juris Rn. 36 – zu § 8 VwZG). Zudem ist mit Blick auf die hier gegebene Konstellation der Akteneinsicht zur Heilung ausreichend, dass das Dokument dem Empfänger bzw. seinem Prozessbevollmächtigten vorgelegen hat und er die Möglichkeit hatte, von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen; dass er es auch in Besitz genommen hat, ist nicht erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43.95 – juris Rn. 27 – zu § 8 VwZG; a.A. BGH, B.v. 23.11.2004 – 5 StR 429/04 – juris Rn. 5 – zu § 189 ZPO; U.v. 21.3.2001 – VIII ZR 244/00 – juris Rn. 20 f. – zu § 189 ZPO; OLG Zweibrücken, B.v. 21.3.2019 – 1 Owi 2 Ss Rs 76/18 – juris Rn. 7 – zu § 189 ZPO; BayObLG, B.v. 16.6.2004 – 2Z BR 253/03 – juris Rn. 9 – zu § 189 ZPO).
Ist somit vorliegend bereits am 10. Oktober 2019 gemäß § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 189 ZPO eine wirksame Bekanntgabe des Urteils gegenüber dem Kläger eingetreten, sind weitere Bekanntgaben – hier die nochmalige Zustellung an den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27. Dezember 2019 – rechtlich unerheblich (BayVGH, B.v. 11.1.2019 – 13a ZB 18.32929 – juris Rn. 3).
Somit ist die Frist zur Stellung des Zulassungsantrags vorliegend gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1, § 193 BGB am Montag, den 11. November 2019, 24.00 Uhr, abgelaufen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist jedoch erst am 13. Januar 2020 beim Verwaltungsgericht eingegangen und war mithin verfristet.
Ein Wiedereinsetzungsantrag nach § 60 Abs. 1 VwGO wurde nicht gestellt; ohnehin ist das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere müsste sich der Kläger ein etwaiges Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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