Verwaltungsrecht

Verhältnis der Berufung zum Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  22 B 16.1293

Datum:
9.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 50810
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

1 Die unzulässige Berufung eines anwaltlich vertretenen Rechtsmittelführers kann mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht als fristwahrender Antrag auf Zulassung der Berufung angesehen werden, weil beide Rechtsbehelfe unterschiedliche Gegenstände betreffen und die Berufungszulassung nicht als Minus in der Berufung enthalten ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Rechtsmittelerklärung, die ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter abgegeben hat, ist einer gerichtlichen Umdeutung grundsätzlich unzugänglich (Anschluss an BVerwG BeckRS 2010, 54174 stRspr). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 4 K 15.317 2016-04-06 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Die Berufung wird verworfen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
V.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wandte sich mit seiner Anfechtungsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach gegen eine von der Beklagten verfügte erweiterte Gewerbeuntersagung.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 6. April 2016 abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Das Urteil wurde dem Klägerbevollmächtigten am 30. Mai 2016 zugestellt.
Am 22. Juni 2016 ging beim Verwaltungsgericht der Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom selben Tag ein, mit dem gegen das Urteil Berufung eingelegt und die Begründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten wurde; der Schriftsatz wurde dem Verwaltungsgerichtshof übersandt und lag dort dem stellvertretenden Vorsitzenden des zuständigen Senats am 1. Juli 2016 vor.
Mit Schreiben des Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Juli 2016, der Klagepartei formlos übersandt, wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht statthaft und die Frist für die Beantragung der Zulassung der Berufung abgelaufen sei.
II.
Das Gericht kann gemäß § 125 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss über die Berufung entscheiden. Die Beteiligten wurden hierzu mit Schreiben vom 28. Juli 2016 angehört.
Die Berufung gegen das Urteil vom 6. April 2016 ist unzulässig und war daher zu verwerfen. Ein ordnungsgemäßer Antrag auf Zulassung der Berufung wurde innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht gestellt.
Gemäß § 124 Abs. 1 VwGO ist gegen Endurteile die Berufung nur dann statthaft, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. Nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Zulassung der Berufung, wenn diese, wie hier, nicht schon im Urteil des Verwaltungsgerichts erfolgt ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Diese Monatsfrist begann vorliegend nach der am 30. Mai 2016 erfolgten Zustellung des Urteils am Folgetag (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB) und endete gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 ZPO, § 188 Abs. 2 und 3 BGB mit Ablauf des Mittwoch, den 30. Juni 2016. Innerhalb dieser Frist, am 22. Juni 2016, ging beim Verwaltungsgericht nur das im Schriftsatz vom 22. Juni 2016 ausdrücklich als Berufung bezeichnete Rechtsmittel des anwaltlich vertretenen Klägers ein. Anhaltspunkte dafür, dass nicht das Rechtsmittel der Berufung, sondern ein Antrag auf Zulassung der Berufung gemeint gewesen sein könnte, bietet der Schriftsatz nicht; eine Begründung, aus der sich gegebenenfalls solche Anhaltspunkte hätten entnehmen lassen können, war in dem Schriftsatz nur angekündigt, ging aber auch nach dem Hinweis des Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Juli 2016 auf die Unstatthaftigkeit der Berufung und den Ablauf der Antragsfrist und auch nach der Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht ein. Vielmehr machte der Bevollmächtigte im Schriftsatz vom 29. Juli 2016, der am selben Tag (einem Freitag) um 18:14 Uhr beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen ist und dem Senat am 2. August 2016 vorlag, lediglich geltend, die Berufungseinlegung umfasse als Minus den Antrag auf Zulassung der Berufung, dieser Antrag sei nur versehentlich in dieser Form gestellt worden. Weiter beantragte er, die „Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung“ bis zum 19. August 2016 zu verlängern, weil der Kläger wegen eines Krankenhausaufenthalts seit mehr als drei Wochen für den Bevollmächtigten nicht erreichbar gewesen sei und die Begründung mit ihm erörtert werden müsse.
Die Rechtsansicht des Klägerbevollmächtigten trifft indes nicht zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B. v. 12.3.1998 – 2 B 20/98 – NVwZ 1999, 641; BVerwG, B. v. 6.1.2009 – 10 B 55/08 – juris, Rn. 4) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 7.11.2011 – 22 B 11.1979 – juris, Rn. 5) kann die unzulässige Berufung eines anwaltlich vertretenen Rechtsmittelführers mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht als fristwahrender Antrag auf Zulassung der Berufung angesehen werden. Die Berufung umfasst auch nicht zugleich den Antrag auf Zulassung dieses Rechtsmittels. Die beiden Rechtsbehelfe betreffen unterschiedliche Gegenstände. Der Antrag auf Zulassung der Berufung begehrt ausschließlich die Zulassung dieses Rechtsmittels durch den Verwaltungsgerichtshof (bzw. in andern Bundesländern das Oberverwaltungsgericht). Die Berufung richtet sich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache. Beide Rechtsbehelfe sind nicht austauschbar. Sie haben verschiedene Ziele und stehen in einem Stufenverhältnis selbstständig nebeneinander. Erst ein erfolgreicher Antrag auf Zulassung der Berufung eröffnet die prozessrechtliche Möglichkeit, dieses Rechtsmittel als nunmehr statthaft einzulegen (BayVGH, B. v. 27.1.2006 – 11 B 05.3134 – juris, bestätigt von BVerwG, B. v. 1.12.2006 – 3 B 40/06 – juris). Die von einem Rechtsanwalt ohne Zulassung eingelegte Berufung kann nach Ablauf der Antragsfrist auch nicht in einen Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels umgedeutet werden. Eine Rechtsmittelerklärung, die ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter abgegeben hat, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG einer gerichtlichen Umdeutung grundsätzlich unzugänglich (BVerwG, B. v. 22.9.2010 – 8 B 34/10 – juris, Rn. 3; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 13.4.2015 – OVG 6 B 34.15 – juris, Rn. 3). Auf den Antrag auf Zulassung der Berufung als statthaftes Rechtsmittel wurde der Kläger in der Rechtsmittelbelehrung zum angegriffenen Urteil vom 6. April 2016 auch zutreffend hingewiesen.
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zu verwerfen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG sowie der Empfehlung in Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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