Verwaltungsrecht

(Verhältnis von kommunalaufsichtlichem Beanstandungsverfahren und Klage einer Vertrauensperson; Prüfungskompetenz des Gemeinderates nach EBBG TH § 14 Abs 4; Rechtsfolge der Verletzung des Rederechts der Vertrauensperson)

Aktenzeichen  2 E 1039/21 Ge

Datum:
30.9.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Gera 2. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VGGERA:2021:0930.2E1039.21GE.00
Normen:
§ 3 Abs 3 EBBG TH
§ 14 Abs 6 EBBG TH
§ 14 Abs 4 EBBG TH
§ 120 KostO TH
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Ein kommunalaufsichtliches Beanstandungsverfahren nach § 120 ThürKO ist nicht nachrangig gegenüber der Klage einer Vertrauensperson nach § 14 Abs 6 ThürEBBG (juris: EBBG TH).(Rn.23)

2. Die Prüfungskompetenz des Gemeinderates nach § 14 Abs 4 ThürEBBG (juris: EBBG TH) ist beschränkt auf die formelle Prüfung der Stimmberechtigung der abstimmenden Bürger. Dies gilt auch für vermeintlich “offensichtliche Verstöße”.(Rn.25)

3. Die Verletzung des Rederechts der Vertrauensperson nach § 3 Abs 3 ThürEBBG (juris: EBBG TH) führt zur Rechtswidrigkeit eines Gemeinderatsbeschlusses.(Rn.30)

Tenor

Herr … K…, S…, … S…, und Frau … F…, S…, … S…, werden als Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens beigeladen.
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine kreisangehörige Gemeinde, wendet sich gegen die kommunalaufsichtliche Beanstandung eines Beschlusses des Gemeinderates, mit dem die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens abgelehnt wurde.
Im letzten Jahr hatte der Gemeinderat der Antragstellerin im Nachgang zu einem verwaltungsgerichtlichen, straßenrechtlichen Verfahren die Notwendigkeit gesehen, eine Reihe von Teilstücken öffentlicher Straßen teileinzuziehen, da diese Teilflächen keinen ausgebauten Straßenkörper aufweisen, nicht befestigt sind und über keine Straßenbeleuchtung verfügen. Die Gemeinde hatte dabei ihre Verkehrssicherungspflicht im Blick. Ein erstes Bürgerbegehren hiergegen erledigte sich nach Aufhebung entsprechender Gemeinderatsbeschlüsse.
Am 9. März 2021 wurde der Antrag auf Zulassung eines Bürgerbegehrens 2.0 gestellt, mit dem die Teileinziehung von sechs (Teilstücke A1, A2, B1, B2, B4 und B5) der insgesamt sieben Teilflächen verhindert werden sollte. Am 30. März 2021 fasste der Gemeinderat den Ankündigungsbeschluss nach § 8 Abs. 3 ThürStrG zur Teileinziehung von sieben Teilflächen. Am 31. März 2021 stellte die Verwaltungsgemeinschaft „Am Brahmetal“, deren Mitglied die Antragstellerin ist, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens 2.0 nach § 12 Abs. 3 Satz 2 ThürEBBG fest. Der Bescheid wurde der Vertrauensperson zugestellt. Die Zulassung wurde am 21. Mai 2021 im Amtsblatt bekannt gemacht.
Ein weiteres Bürgerbegehren 2.1, das die Teileinziehung der Fläche B3 zum Gegenstand hat, wurde am gleichen Tag ebenfalls zugelassen. Die Zulassung eines dritten Bürgerbegehrens, das sich gegen die Teileinziehungsbeschlüsse vom 30. März 2021 richtete, wurde am 7. Mai 2021 beantragt.
Die Sammlung der Unterschriften für das Bürgerbegehren 2.0 fand in der Zeit vom 26. Mai bis 31. Mai 2021 statt. Insgesamt wurden 54 Unterstützungsunterschriften gesammelt. Mit Schreiben der Gemeinde vom 4. Juni 2021 teilte die Gemeinde der Vertrauensperson mit, dass alle 54 Unterzeichner stimmberechtigt gewesen seien. Damit war das Quorum von 7 % nach § 14 Abs. 2 ThürEBBG erreicht.
In der Gemeinderatssitzung vom 15. Juli 2021 beschloss der Gemeinderat nunmehr auf der Grundlage einer Beschlussvorlage des Bürgermeisters, die das Zustandekommen aller drei Bürgerbegehren zum Gegenstand hat, das Nichtzustandekommen des Bürgerbegehrens 2.0. Eine Beschlussvorlage, die die Verwaltungsgemeinschaft erarbeitet hatte und die die positive Feststellung des Zustandekommens des Bürgerbegehrens zum Inhalt hatte, wurde den Gemeinderäten nicht vorgelegt. Die in der Sitzung anwesende Vertrauensperson erhielt trotz Antrags kein Rederecht. Zur Begründung der Ablehnung heißt es in der Beschlussvorlage, dass das Bürgerbegehren wegen Verstoßes gegen § 12 Abs. 4 Ziffer 1 i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 2 ThürEBBG unzulässig sei. Auf der Unterschriftsliste befinde sich nur eine „Begründung im Allgemeinen“, die Begründung finde sich auf einer anderen Seite. Zudem mangele es an einer fundierten und verwertbaren Kostenschätzung, § 6 Abs. 1 Satz 3 ThürEBBG. Weiterhin sei die beigefügte Begründung in wesentlichen Teilen unrichtig und irreführend, § 6 Abs. 1 Satz 2 ThürEBBG. Hierzu wird im Beschluss auf ein veröffentlichtes „400-Seiten Bürgerbegehren“ verwiesen.
Mit Bescheid der Verwaltungsgemeinschaft vom 12. August 2021 wurde der Vertrauensperson mitgeteilt, dass die Antragstellerin das Zustandekommen des Bürgerbegehrens nicht festgestellt habe. Gegen diese Entscheidung haben die Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens am 18. August 2021 Klage (2 K 895/21 Ge) erhoben und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt (2 E 896/21 Ge). Über beide Verfahren ist bislang noch keine Entscheidung ergangen.
Der bereits im Vorfeld in den Vorgang einbezogene Antragsgegner hörte die Antragstellerin mit Schreiben vom 24. August 2021 zur beabsichtigten Beanstandung an. Eine Stellungnahme der Antragstellerin erfolgte per Mail am 29. August 2021. Am 1. September 2021 erließ der Antragsgegner den streitgegenständlichen Bescheid, mit dem er unter Ziffer 1. den Beschluss der Antragstellerin vom 15. Juli 2021 beanstandet. Unter Ziffer 2. wird der Antragstellerin aufgegeben, den Beschluss innerhalb von drei Wochen nach Zustellung des Bescheides aufzuheben und (Ziffer 3.) das Zustandekommen des Bürgerbegehrens festzustellen. Unter Ziffern 4. und 5. wird der Antragstellerin die Ersatzvornahme hinsichtlich der Anordnungen unter Ziffern 2. und 3. angedroht. Zum Schluss wird die sofortige Vollziehung der Ziffern 1. bis 5. angeordnet.
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 22. September 2021 Klage (2 K 1040/21 Ge) erhoben und den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Zur Begründung macht sie unter Verweis auf die Entscheidung des OVG Weimar vom 17. August 2009 – 4 EO 451/04 – geltend, dass die Beanstandung schon deshalb rechtswidrig sei, weil sie ohne weitere Verfügung nicht geeignet sei, rechtmäßige Zustände herzustellen. Das sei aber ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 120 ThürKO. Vorliegend sei der Beschluss aber schon vor der Beanstandung durch einen Bescheid umgesetzt worden. Es müsse deshalb auch der Bescheid kassiert werden. Weiterhin stelle sich die Frage, inwieweit das Beanstandungsrecht des Antragsgegners nach § 120 Abs. 1 ThürKO hinter dem Klagerecht der Vertrauensperson nach § 14 Abs. 6 ThürEBBG zurückstehe. Hierzu werden Ausführungen gemacht. Der beanstandete Beschluss sei auch nicht rechtswidrig. Das Ermessen der Antragstellerin hinsichtlich der beabsichtigten Teileinziehungen sei auf Null reduziert. Sowohl ihre Verkehrssicherungspflicht als auch die Haushaltslage der Antragstellerin ließen keine andere Entscheidung zu. Dies berücksichtige die Beanstandungsentscheidung nicht. Darüber hinaus habe sich das Bürgerbegehren 2.0 durch das Bürgerbegehren 3.0, das auf Aufhebung der Beschlüsse nach § 8 Abs. 3 ThürStrG gerichtet sei, erledigt. Damit bestehe kein Bescheidungsinteresse mehr.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 21. September 2021 gegen den Beanstandungsbescheid des Antragsgegners vom 1. September 2021 hinsichtlich der Ziffern 1. bis 5. wieder herzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verweist im Wesentlichen auf die ausführliche Begründung des streitgegenständlichen Bescheides. Soweit die Antragstellerin meine, durch die Beanstandung würde kein rechtmäßiger Zustand hergestellt werden, so dass die Beanstandung rechtswidrig sei, verweist er auf die Entscheidung des OVG Weimar vom 17. August 2009 – 4 EO 451/04 -, das diese Frage offen gelassen habe. Zudem bestehe ein Unterschied zwischen der Rücknahme einer Satzung, die einen dahingehenden Ratsbeschluss erfordere, und der Rücknahme eines Bescheides, der durch die Verwaltung ergehen könne. Ein Rechtmittel der Vertrauensperson gegen eine Entscheidung des Gemeinderates habe auch keinen Vorrang, da sich dies weder dem Wortlaut noch dem Sinn des § 120 Abs. 1 ThürKO entnehmen lasse. Weiterhin macht der Antragsgegner ergänzende Ausführungen zur materiell-rechtlichen Rechtswidrigkeit des Gemeinderatsbeschlusses vom 15. Juli 2021.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auf die Gerichtsakte zu dem Verfahren 2 E 896/21 Ge und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.
II.
Die Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens werden nach § 65 VwGO beigeladen, da ihre rechtlichen Interessen durch die Entscheidung berührt sind.
Der Antrag ist zulässig.
Dabei ist der Antrag hinsichtlich der Ziffern 1. und 2. des Bescheides als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO zu verstehen. Denn entgegen dem Wortlaut des Bescheides unter Ziffer 6. des Tenors bzw. Ziffer 5. der Begründung beruht die behördliche Anordnung des Sofortvollzugs nur hinsichtlich dieser Regelungen auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Die Androhung der Ersatzvornahme unter Ziffer 4. und 5. des Bescheidtenors ist hingegen als Maßnahme der Zwangsvollstreckung nach § 121 Abs. 1 ThürKO i. V. m. § 30 S. 1 ThürVwZVG und § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO per Gesetz sofort vollziehbar, so dass insoweit der Antrag der Antragstellerin als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO zu verstehen ist. Gegen den streitgegenständlichen Bescheid war auch sofort Klage zu erheben, da ein Widerspruchsverfahren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO ausgeschlossen ist.
Der Antrag der Antragstellerin ist allerdings unbegründet.
1. Hinsichtlich der Anordnungen unter Ziffern 1. und 2. genügt der Bescheid den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO an die Begründung des Sofortvollzuges bezüglich der Anordnungen unter Ziffern 1. und 2. des Bescheides. Der Antragsgegner hat ausführlich dargelegt, dass ein öffentliches Interesse daran besteht, alsbald rechtmäßige Zustände herzustellen und das Bürgerbegehren zeitnah durchzuführen. Zum einen würde das Recht der stimmberechtigten Bürger auf Durchführung eines Bürgerentscheides entwertet werden, wenn die Bestandskraft der Entscheidung abgewartet werden müsste. Vor allem aber habe der Gemeinderat bereits einen Beschluss nach § 8 Abs. 3 ThürStrG gefasst, so dass nach Ablauf von drei Monaten die Teileinziehung vom Gemeinderat beschlossen werden könne. Das Aussetzungsinteresse der Gemeinde sei indes geringer zu bewerten, da das Bürgerbegehren auf den Erhalt des gegenwärtigen Zustandes gerichtet sei, dadurch würden für die Antragstellerin keine irreversiblen Zustände geschaffen werden.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. HS VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei dieser Entscheidung hat es entsprechend § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Einem solchen Antrag ist stattzugeben, wenn der Verwaltungsakt, gegen den Klage erhoben wurde, offensichtlich rechtswidrig ist. In diesem Fall besteht regelmäßig kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung. Dagegen ist der Rechtsschutzantrag regelmäßig abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist. Sind die Erfolgsaussichten dagegen offen, hat das Gericht eine eigenständige Interessenabwägung vorzunehmen und zu prüfen, welchem Interesse für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens der Vorrang zu gewähren ist.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der kommunalaufsichtlichen Beanstandung vom 1. September 2021 vorrangig vor dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Der angefochtene Bescheid erweist sich bei summarischer Prüfung des Vorbringens der Antragstellerin als rechtmäßig.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist das Beanstandungsverfahren nicht nachrangig gegenüber der Möglichkeit einer Klage der Vertrauensperson nach § 14 Abs. 6 des Thüringer Gesetzes über das Verfahren bei Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid (ThürEBBG). Hierfür lässt sich den gesetzlichen Regelungen nichts entnehmen. Für ein solches Nachrangverhältnis besteht auch kein rechtliches Bedürfnis. Im Gegenteil: eine Klageerhebung durch die Vertrauensperson eines Bürgerbegehrens kann durchaus auch von äußeren Umständen, wie den finanziellen Möglichkeiten der Initiative, abhängen. Die Rechtsaufsichtsbehörde wird hingegen im Interesse rechtsstaatlichen Handelns einer Gemeinde und damit im öffentlichen Interesse tätig (§ 117 Abs. 1 ThürKO). Zudem ist ggf. über ein kommunalaufsichtliches Einschreiten deutlich schneller ein rechtmäßiges Handeln der Verwaltung zu erreichen, da die Kommunalaufsicht die Möglichkeit einer Ersatzvornahme hat, § 121 ThürKO. Sie ist also nicht auf die Durchsetzung einer gerichtlichen Entscheidung verwiesen.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 120 Abs. 1 ThürKO. Nach § 120 Abs. 1 S. 1 ThürKO kann die Rechtsaufsichtsbehörde rechtswidrige Beschlüsse, Anordnungen und sonstige Maßnahmen der Gemeinde beanstanden und verlangen, dass sie aufgehoben werden. Die Begriffe sind sehr weit gefasst und umfassen das gesamte Verwaltungshandeln der Gemeinde. Somit kann auch der angefochtene Beschluss des Gemeinderates vom 17. Juli 2021 (Beschluss-Nr. 26/2021) beanstandet werden.
Dieser Beschluss ist rechtswidrig, da der Gemeinderat seine Prüfungskompetenz nach § 14 Abs. 4 ThürEBBG überschritten hat. Nach § 14 Abs. 4 ThürEBBG hat der Gemeinderat nach der Sammlung von Unterschriften zugunsten des Bürgerbegehrens (§ 14 Abs. 2 ThürEBBG) und der Prüfung der Stimmberechtigungen durch den Bürgermeister (§ 14 Abs. 4 Satz 1 1. HS ThürEBBG) über das Zustandekommen des Bürgerbegehrens zu entscheiden (§ 14 Abs. 4 Satz 1 2. HS ThürEBBG). Dabei ist der Gemeinderat beschränkt auf die formelle Prüfung der Stimmberechtigung der abstimmenden Bürger. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 14 Abs. 4 ThürEBBG. Bereits die Vorprüfung durch den Bürgermeister erfolgt nur bezogen auf die Stimmberechtigung. Dieses Ergebnis hat er dem Gemeinderat vorzulegen. Der Gemeinderat seinerseits ist dann in seiner Entscheidung nur insoweit frei, als er nach § 14 Abs. 4 Satz 3 ThürEBBG nicht an die Beurteilung der Gültigkeit der Eintragungen gebunden ist. Weitere Prüfungskompetenzen sind dem Gemeinderat nicht eröffnet. Insoweit trifft er eine gebundene Entscheidung (ebenso VG Weimar, Beschluss vom 10. August 2018 – 3 E 1425/18 We -). Insbesondere hat der Gemeinderat keine nochmalige Prüfungskompetenz hinsichtlich der Zulassungsvoraussetzungen eines Bürgerbegehrens nach § 12 Abs. 4 ThürEBBG. Diese Zuständigkeit liegt nach der gesetzlichen Regelung bei der Gemeindeverwaltung bzw. bei der Verwaltungsgemeinschaft, § 14 Abs. 3 ThürEBBG. Es besteht, entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, auch keine Notwendigkeit dem Gemeinderat bei vermeintlich “offensichtlichen Verstößen“ (so Uckel/Dressel/Noll, Kommunalrecht in Thüringen, Stand: Aug. 2021, § 17 Rn. 4.3) ein Prüfungsrecht zuzugestehen. Denn der Bürgermeister, der dem Gemeinderat nach § 14 Abs. 4 ThürEBBG den Entscheidungsvorschlag über das Zustandekommen des Bürgerbegehrens vorlegt, hat bereits im Stadium der Prüfung der Zulassung des Bürgerbegehrens das Recht und die Pflicht, die Voraussetzungen nach § 12 Abs. 4 ThürEBBG zu prüfen. Denn auch wenn die Zuständigkeit für die Prüfung nach § 12 Abs. 3 Satz 2 bei der Verwaltungsgemeinschaft liegt, ist damit nicht gemeint, dass die Verwaltungsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ThürKO) eine Zuständigkeit wahrnimmt, sondern sie wird nach § 47 Abs. 2 Satz 2 ThürKO als Behörde der Mitgliedsgemeinde tätig. Insoweit enthält § 12 Abs. 3 Satz 2 ThürEBBG nur eine klarstellende Regelung und keine Sonderregelung zu § 47 Abs. 2 ThürKO. Hier wäre ansonsten auch ein Widerspruch zu § 12 Abs. 3 Satz 1 ThürEBBG zu sehen, wonach grundsätzlich die Gemeindeverwaltung für die Zulassungsentscheidung zuständig ist. Folglich vertritt auch insoweit der Bürgermeister die Mitgliedsgemeinde (§ 47 Abs. 2 Satz 2 2. HS ThürKO) und kann Weisungen erteilen.
„Angesichts der kommunalpolitischen Bedeutung eines Bürgerbegehrens wird sich der Bürgermeister ohnehin regelmäßig das „Letztentscheidungsrecht“ vorbehalten haben; wenn kein solcher ausdrücklicher Vorbehalt vorliegt, wird die Gemeindeverwaltung es ihm sinnvollerweise einräumen.“ (Uckel/Dressel/Noll, Kommunalrecht in Thüringen, Stand: Aug. 2021, § 17 Rn. 2.2).
Zudem wäre, würde man der Auffassung der Kommentarliteratur folgen, auch kein offensichtlicher Verstoß gegen die Zulassungsvoraussetzungen nach § 12 Abs. 4 ThürEBBG festzustellen. Insoweit kann auf umfassende Begründung des angefochtenen Bescheides (Seite 10 f.) verwiesen werden.
Da das Erreichen des Quorums nach § 14 Abs. 2 ThürEBBG unstreitig ist, war der Gemeinderat verpflichtet, das Zustandekommen des Bürgerbegehrens festzustellen.
Auf die Gründe, die der Gemeinderat in seinem Beschluss zur Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens geltend macht, kommt es deshalb nicht an. Der Gemeinderat ist allerdings darauf hinzuweisen, dass eine Entscheidung ohnehin nicht auf der Grundlage von Unterlagen ergehen kann – hier eine 400-seitige Veröffentlichung, die die Vertrauensperson anscheinend an die Bürger der Gemeinde im Vorfeld des Bürgerbegehrens verteilt hat -, die nicht Gegenstand des Bürgerbegehrens waren und auch keinen Eingang in die Behördenvorgänge gefunden haben.
Darüber hinaus ist der Gemeinderatsbeschluss auch deshalb rechtswidrig, weil der Vertrauensperson kein Rederecht gewährt wurde. Nach § 3 Abs. 3 ThürEBBG hat die Vertrauensperson ein Anwesenheits- und Rederecht in den Sitzungen des Gemeinderates und dessen Ausschüssen, in denen das Bürgerbegehren beraten wird. Dieses Rederecht hat die Vertrauensperson in der Sitzung vom 15. Juli 21 geltend gemacht (Bl. 12 des Sitzungsprotokolls), doch wurde ihm vom Bürgermeister kein Rederecht eingeräumt. Die Einräumung eines Rederechts für die Vertrauensperson ist nicht nur eine formelle Ordnungsvorschrift. Sie dient dazu, dass der Gemeinderat, der eine Entscheidung zu treffen hat, im Vorfeld dieser Entscheidung alle entscheidungsrelevanten Umstände zur Kenntnis nimmt, um letztlich eine rechtmäßige Entscheidung treffen zu können. Gleichzeitig soll die Vertrauensperson die Möglichkeit erhalten, Unklarheiten im Zusammenhang mit ihrem Begehren klarzustellen bzw. auch Fragen an den Gemeinderat zu stellen. Das Rederecht soll sicherstellen, dass eine materiell rechtlich richtige Entscheidung ergeht. Somit führt das übergehen des Rederechts zur formellen Rechtwidrigkeit eines daraufhin ergangenen Beschlusses.
Die Rechtswidrigkeit des Beanstandungsbescheides ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht aus dem Umstand, dass die Beanstandung allein noch nicht zu rechtmäßigen Zuständen führen würde, sondern auch noch die Rücknahme des Bescheides vom 12. August 2021, der an die Vertrauensperson gerichtet ist und das Nichtzustandekommen des Bürgerbegehrens feststellt, erfolgen müsste. Zur Begründung ihrer Auffassung kann sich die Antragstellerin nicht auf die Entscheidung des OVG Weimar vom 17. August 2009 – 4 EO 451/04 – berufen. Denn diese Frage hat das OVG in der genannten Entscheidung offen gelassen:
„Selbst wenn man daraus mit dem Verwaltungsgericht den Schluss ziehen würde, dass der Beanstandungsbescheid seit der Bekanntmachung der Satzung mangels Eignung zur Herstellung rechtmäßiger Zustände rechtswidrig geworden wäre, würde dies doch nicht bedeuten, dass der Bescheid sich objektiv erledigt hätte.“
Das OVG Weimar hat sich lediglich zur Frage der Erledigung eines solchen Beanstandungsbescheides geäußert. Jedenfalls ist die Kammer der Auffassung, dass ein Beanstandungsbescheid, der die Aufhebung eines rechtswidrigen Beschlusses und die Verpflichtung, einen rechtmäßigen Beschluss zu fassen, nicht rechtswidrig ist, allein weil nicht gleichzeitig die Verpflichtung ausgesprochen wurde, den bereits erlassenen Bescheid zurückzunehmen. Denn die Gemeinde ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 20 Abs. 3 GG bzw. 42 Abs. 1 ThürVerf durch das Rechtsstaatsprinzip gebunden und deshalb verpflichtet, rechtmäßigen Anordnungen der Rechtsaufsicht zu folgen und eigene Beschlüsse umzusetzen. Dabei ist anzumerken, dass die Umsetzung des Beschlusses ohnehin durch die Verwaltung bzw. den Bürgermeister erfolgen müsste (§ 29 Abs. 1 ThürKO).
Das Bürgerbegehren 2.0 und damit die Beanstandung haben sich auch nicht durch das Bürgerbegehren 3.0 erledigt. Insoweit kann vollumfänglich auf die Begründung des angefochtenen Bescheides vom 1. September 2021 (Seite 7 f) verwiesen werden.
2. Soweit der Antrag sich auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffern 4. und 5. des Bescheides richtet, ist der Antrag ebenfalls unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung. Bei seiner Entscheidung hat es zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass der Rechtsbehelf wahrscheinlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der angefochtene Bescheid dagegen schon bei summarischer Prüfung als wahrscheinlich rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei der Interessenabwägung.
Die Klage gegen die Androhung der Ersatzvornahme hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Nach § 121 Abs. 1 Satz 1 ThürKO kann die Rechtsaufsichtbehörde notwendige Maßnahmen auf Kosten und anstelle der Gemeinde treffen, wenn diese einer Anordnung der Rechtsaufsichtsbehörde nach § 120 Abs. 1 Satz 1 ThürKO nicht innerhalb einer angemessenen Frist nachkommt. Hierfür gelten nach § 121 Abs. 1 Satz 2 ThürKO die Bestimmungen des ThürVwZVG.
Die Voraussetzungen für eine Androhung der Ersatzvornahme nach §§ 19 Nr. 2 und 46 ThürVwZVG liegen vor. Vorliegend hat der Antragsgegner als Rechtsaufsichtsbehörde unter Ziffern 1. und 2. des Bescheides vom 1. September 2021 den Beschluss vom 15. Juli 2021 beanstandet und der Antragstellerin aufgegeben, diesen Beschluss aufzuheben und innerhalb von drei Wochen nach Bekanntgabe des Bescheides das Zustandekommen des Bürgerbegehrens festzustellen. Gleichzeitig wurde die Ersatzvornahme angedroht und der Sofortvollzug angeordnet. Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Androhung der Ersatzvornahme hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 S. 1 VwGO. Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da diese im Verfahren kein Kostenrisiko übernommen haben, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz. Dabei orientiert sich die Kammer an Nummer 22.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ Beilage 2013, 58) und reduziert den demnach vorgesehenen Wert im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Hälfte.


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