Verwaltungsrecht

Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus

Aktenzeichen  4 T 2163/16, 4 T 2295/16

Datum:
18.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 117288
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 48, § 62 Abs. 4 S. 2, § 82

 

Leitsatz

1 Die Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus ist gerechtfertigt, wenn der Betroffene seine Abschiebung verhindert und ein langwieriges Verfahren zur Beschaffung des Passersatzpapieres erforderlich macht, indem er seinen Pass vor der Einreise vernichtet. (redaktioneller Leitsatz)
2 Dem Betroffenen ist eine pflichtwidrige Verletzung von Mitwirkungspflichten nach § 48 Abs. 3, § 82 AufenthG vorzuwerfen, wenn er trotz Belehrung keine Versuche unternimmt, die Bearbeitung durch eigene Anstrengungen zu beschleunigen, etwa durch die Beschaffung einer Geburtsurkunde, einer ID-Karte oder einer Passkopie oder indem er sich selbst an die Botschaft/das Konsulat wendet. Ein solches Verhalten rechtfertigt eine Verlängerung der Haftdauer über sechs Monate hinaus, wenn es mitursächlich dafür ist, dass die Abschiebung nicht innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden konnte. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 XIV 75/16 (B) 2016-06-27 Bes AGMUEHLDORF AG Mühldorf

Tenor

1. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollzugs der mit Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 15.06.2016 angeordneten und bis 27.06.2016 vollzogenen Haft wird zurückgewiesen (Az.: 4 T 2163/16).
2. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollzugs der mit Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 27.06.2016 angeordneten und bis 07.07.2016 vollzogenen Haft wird zurückgewiesen (Az.: 4 T 2295/16).
3. Dem Betroffenen wird für beide Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe gewährt und jeweils Rechtsanwalt L. zu den Bedingungen eines im Bezirk des Landgerichts Traunstein ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.
4. Die Kosten der beiden Beschwerdeverfahren trägt der Betroffene.
5. Der Geschäftswert wird für beide Beschwerdeverfahren auf je 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Betroffene reiste am 11.12.2015 bei F. nach Deutschland ein und wurde am selben Tag polizeilich befragt (vgl. Aufgriffsbericht, Az.: 1 XIV 67/16, Bl. 12/15). Auf Frage nach seinem Reisepass gab der Betroffene an, dass er diesen zerrissen hat, da er Angst hatte, dass der Schleuser ihn ihm wegnimmt. Der Betroffene wurde zurückgewiesen (Az.: 1 XIV 67/16, Bl. 16). Er reiste erneut am 18.12.2015 gegen 14.33 Uhr auf der S.-brücke in F. von Österreich kommend nach Deutschland ein (vgl. Aufgriffsbericht Az: 3 XIV 67/16, Bl. 18/22). Bei einer polizeilichen Kontrolle konnte sich der Betroffene mit keinen aufenthaltslegitimierenden Dokumenten ausweisen. Der Betroffene wurde vorläufig festgenommen und am 19.12.2015 unter anderem wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise polizeilich vernommen. Am 19.12.2015 wurde die Abschiebung des Betroffenen nach Marokko verfügt (Az.: 3 XIV 67/16, Bl. 26/29).
Mit Schreiben vom 19.12.2015 beantragte die beteiligte Behörde beim Amtsgericht Laufen die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung bis 19.06.2016. Der Betroffene sei nach dem Rücknahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko dorthin abzuschieben. Die beteiligte Ausländerbehörde stützte den Antrag auf die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Nr. 1 und 5 i. V. m. § 2 Abs. 14 Nr. 2, 3, 4, 5 AufenthG vor. Der Betroffene habe nach eigenen Angaben seinen Reisepass zerrissen und versuche seine Identität zu verschleiern. Er habe sich eines Schleusers bedient und werde den hohen finanziellen Aufwand nicht ohne weiteren behördlichen Druck aufs Spiel setzen. Im Rahmen der Vernehmung habe der Betroffene auch angegeben, dass er sich einer aufenthaltsbeenden Maßnahme entziehen und untertauchen würde, um nach Holland weiterzureisen.
Nach persönlicher Anhörung vom 14.12.2015 ordnete das Amtsgericht Laufen mit Beschluss vom 19.12.2015 (Az:: 3 XIV 67/16, Bl. 44/45), berichtigt mit Beschluss vom 05.01.2016 (Az:: 3 XIV 67/16, Bl. 47), gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 17.06.2016 an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht Traunstein nach persönlicher Anhörung durch den beauftragten Richter am 05.02.2016 (Az.: 3 XIV 67/16, Bl. 55/58) mit Beschluss vom 12.02.2016 zurück (Az.: 4 T 316/16, 3 XIV 67/16).
Der Betroffene stellte mit Schreiben vom 05.01.2016 Asylantrag, der am 11.01.2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einging. Mit Bescheid vom 04.02.2016, Az.: 3 XIV 67/16, Bl. 48/53) lehnte das BAMF den Asylantrag des Betroffenen als offensichtlich unbegründet ab.
Mit Schreiben vom 10.06.2016 beantragte die beteiligte Behörde beim Amtsgericht Mühldorf am Inn die Verlängerung der Haft zur Sicherung der Abschiebung bis 04.06.2016 (Az. AG Mühldorf am Inn: 3 XIV 67/16). Zur Begründung führte sie aus, dass die beteiligte Behörde in regelmäßigen Abständen bei der marokkanischen Botschaft in Berlin und über Verbindungsbeamten bei den zuständigen Behörden in Marokko Sachstandsanfragen getätigt habe. Der Verbindungsbeamte sei am 06.06.2016 beim marokkanischen Innenministerium vorstellig geworden und habe eine prioritäre Behandlung der Haftfälle zugesagt erhalten. Laut seinen Angaben sei in den nächsten Tagen mit einer Antwort zu rechnen. Nach erfolgter Identifizierung werde noch ca. eine Woche für die Flugbuchung benötigt.
Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen beantragte mit Schriftsatz vom 14.06.2016 die Zurückweisung des Antrags (Az.: 3 67/16, Bl. 73/74).
Nach richterlicher Anhörung am 15.06.2016 (vgl. Protokoll Bl. 75/76, Az.: 3 XIV 67/16) verlängerte das Amtsgericht Mühldorf am Inn mit Beschluss vom 15.06.2016 die Sicherungshaft bis zum 01.07.2016. Mit Schriftsatz vom 20.06.2016 (Az.: 3 XIV 67/16, Bl. 86) legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen gegen den Beschluss vom 15.06.2016 Beschwerde ein, beantragte die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen und stellte Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe. Das Amtsgericht Mühldorf am Inn half am 21.06.2016 der Beschwerde nicht ab und legte das Verfahren dem Landgericht Traunstein vor (Az.: 4 T 2163/16).
Mit Schreiben vom 24.06.2016 beantragte die beteiligte Behörde beim Amtsgericht Mühldorf am Inn die Verlängerung der Haft zur Sicherung der Abschiebung bis 04.07.2016 (Az. AG Mühldorf am Inn: 1 XIV 75/16, Bl. 1/10). Zur Begründung führte sie aus, dass die Identifizierung durch die marokkanischen Behörden noch betrieben werde. Bisher sei jedoch noch keine Antwort eingegangen. Nach richterlicher Anhörung am 27.06.2016 (Protokoll Bl. 19/20, Az.: 1 XIV 75/16) verlängerte das Amtsgericht Mühldorf am Inn mit Beschluss vom 27.06.2016 die Sicherungshaft bis zum 15.07.2016. Mit Schriftsatz vom 27.06.2016 legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen gegen den Beschluss vom 27.06.2016 Beschwerde ein, beantragte die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen und stellte Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe (Az.: 1 XIV 75/16, Bl. 29/30). Das Amtsgericht Mühldorf am Inn half am 28.06.2016 der Beschwerde nicht ab.
Am 30.06.2016 teilte die beteiligte Behörde zunächst telefonisch mit, dass eine Verbalnote der marokkanischen Behörden vorliege, wonach der Betroffene identifiziert sei und übernommen werde. Am 01.07.2016 wurde die Verbalnote in Ablichtung vorgelegt. Am 07.07.2016 teilte die beteiligte Behörde mit, dass eine Flugbuchung für den gleichen Tag um 17.45 Uhr von Flughafen M. nach C. vorliege. Der Betroffene wurde am 07.07.2016 nach C./Marokko abgeschoben.
Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen beantragte mit Schriftsatz vom 14.07.2016 die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft.
II.
1. Gegen die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung durch Beschlüsse des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 15.06.2016 und 27.06.2016 ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 58 Abs. 1 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Die Beschwerden gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 15.06.2016 und 27.06.2016 wurden fristgerecht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) eingelegt und sind zulässig. Da sich beide Beschwerdeverfahren erledigt haben, betreffend den Beschluss vom 15.06.2016 durch die Haftverlängerung vom 27.06.2016 und betreffend den Beschluss vom 27.06.2016 durch die am 07.07.2016 erfolgte Abschiebung, kann nach § 62 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 FamFG die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft begehrt werden.
2. Die Feststellungsanträge betreffend die Beschlüsse vom 15.06.2016 und vom 27.06.2016 sind jeweils unbegründet.
Der Betroffene ist aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 AufenthG). Seine Einreise war unerlaubt, da er den erforderlichen Pass nach § 3 AufenthG oder Aufenthaltstitel nach § 4 AufenthG nicht besaß (§ 14 Abs. 1 AufenthG). Die vollziehbare Ausreisepflicht besteht darüber hinaus gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG.
a) Den beiden Verlängerungen der Zurückschiebehaft lag jeweils ein zulässiger und ausreichend begründeter Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde vom 10.06.2016 und 24.06.2016 zugrunde.
Für Zurückschiebehaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Zurückschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Zurückschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (vgl. § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 – 5 FamFG). Inhalt und Umfang der erforderlichen Darlegung bestimmen sich nach dem Zweck des Begründungserfordernisses. Es soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör des Betroffenen durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 Abs. 2 FamFG gewahrt wird (BGH vom 22. Juli 2010, V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511). Die Darlegungen dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH vom 15.09.2011, FGPrax 2011, 317). Für Anträge auf Verlängerung der Haft gelten die Vorschriften über die erstmalige Antragstellung entsprechend (§ 425 Abs. 3 FamFG).
(1) Aus den Haftanträgen der beteiligten Behörde vom 10.06.2016 und 24.06.2016 geht hervor, dass der Betroffene nach dem Rücknahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko nach Marokko abgeschoben werden sollte.
(2) Der Antrag vom 10.06.2016 enthält eine Begründung, dass die beteiligte Behörde voraussichtlich noch weitere drei Wochen für die beabsichtigte Abschiebung benötigt. Da der Betroffene nicht im Besitz eines Reisepasses war, musste über das marokkanische Konsulat ein Passersatzpapier beschafft werden. Die erforderlichen Passbeschaffungsmaßnahmen wurden nach Mitteilung der beteiligten Ausländerbehörde durch Vorlage der nötigen Unterlagen bei der marokkanischen Botschaft am 14.12.2015 eingeleitet. Wie die beteiligte Behörde mitteilte, wurden in regelmäßigen Abständen bei der marokkanischen Botschaft in Berlin und über den Verbindungsbeamten der Bundespolizei bzw. des BKA in Marokko bei den zuständigen Behörden Sachstandsanfragen getätigt; insbesondere wurde der Verbindungsbeamte am 06.06.2016 bei dem marokkanischen Innenministerium vorstellig, wo ihm eine prioritäre Behandlung der aktuellen Haftfälle zugesagt wurde. Da die beteiligte Behörde aufgrund der Angaben des Verbindungsbeamten „in den nächsten Tagen mit einer Antwort“ rechnete, war der Zeitansatz der Haftverlängerung mit zwei weiteren Wochen Prüfungszeit für die Fingerabdrücke durch die marokkanischen Behörden und einer Woche Flugbuchung und Durchführung der Abschiebung schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Die Ausländerbehörde hat auf die Bearbeitung der Verfahren durch die beteiligten ausländischen Behörden selbst keinen Einfluss; dortige Verzögerungen sind ihr nicht zuzurechnen (vgl. BGH, V ZA 2/10, NJOZ 2011, 125). Der Umstand, dass sich nachträglich herausgestellt hat, dass die Abschiebung innerhalb dieser Frist nicht möglich war, macht den Antrag nicht fehlerhaft.
Die o. g. Ausführungen gelten für den Antrag vom 24.06.2016 entsprechend. Innerhalb der mit diesem Antrag angesetzten Frist war die Abschiebung möglich. Die Ausführungen des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen, dass nicht absehbar sei, wie lange die Maßnahmen in Marokko dauern, treffen daher nicht zu.
(3) Im Haftantrag ist ausgeführt, dass die Abschiebung des Betroffenen nach § 59 Abs. 1 AufenthG verfügt wurde.
b) Der Haftantrag enthält das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft Traunstein für die geplante Abschiebung (vgl. Antrag Ziffer i). Im Übrigen ist das Einvernehmen nach der derzeit gültigen Fassung des § 72 Abs. 4 AufenthG nicht mehr erforderlich.
c) Es bestand der Haftgrund der Fluchtgefahr im Sinne von §§ 62 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 5, 2 Abs. 14 Ziffer 4, 5 AufenthG.
Nach § 2 Abs. 14 Ziffer 4 AufenthG kann ein konkreter Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr sein, wenn der Ausländer zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96 AufenthG aufgewandt hat, die für ihn nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren. Der mittellose Betroffene hat für die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland nach seinen Angaben bei der richterlichen Anhörung am 05.02.2016 an einen Schleuser € 850,00 bezahlt. Dieser für ihn erhebliche Betrag wäre im Falle einer Abschiebung nach Marokko vergeblich aufgewendet worden.
Es bestand auch der Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr im Sinne von § 62 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 5, § 2 Abs. 14 Ziffer 5 AufenthG. Danach kann ein konkreter Anhaltspunkt für eine erhebliche Fluchtgefahr sein, wenn der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Diese Voraussetzung liegt nach Ansicht der Kammer hier vor. Der Betroffene hatte bereits anlässlich der polizeilichen Befragung am 18.12.2015 auf die Frage, ob er sich für eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zur Verfügung halten würde angegeben, dass er sowieso nicht bleiben will, untertauchen und nach Holland weiterreisen würde. Auch bei der richterlichen Anhörung vor dem beauftragten Richter der 4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein am 05.02.2016 gab er auf Frage an, dass er sich einer Überstellung nach Marokko freiwillig nicht stellen würde. Die Kammer sieht daher die erhebliche Gefahr, dass der Betroffene sich einer Abschiebung nicht gestellt hätte, sondern untergetaucht wäre.
d) Die Haft war nicht wegen des gestellten Asylantrages aufzuheben. Der schriftliche Asylantrag (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 AsylG) ging am 11.01.2016 beim BAMF ein. Da gegen den Betroffenen gemäß § 62 Abs. 3 Ziffer 5 AufenthG Sicherungshaft verhängt wurde, stand die Asylantragstellung der Aufrechterhaltung der Haft nicht entgegen (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 4 AsylG). Noch vor Ablauf der Frist von vier Wochen (§ 14 Abs. 3 Satz 3 AsylG) wurde der Asylantrag am 04.02.2016 abgelehnt.
e) Der Haftgrund ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (§ 62 Abs. 1 AufenthG) zu bejahen, da ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen zur Sicherung der Zurückschiebung nicht gegeben ist. Meldeauflagen, die Verwahrung des Passes oder die Verfügung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten sind entweder nicht möglich, da der Betroffene keine Ausweisdokumente hat, oder nicht geeignet, um seine Zurückschiebung sicherzustellen. Der Betroffene hat nicht glaubhaft dargetan, dass er sich einer Zurückschiebung nicht entziehen will, § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG.
f) Das Verfahren wurde von der beteiligten Behörde mit der nötigen Beschleunigung betrieben. Der erforderliche Antrag für die Beschaffung von Passersatzpapieren lag seit dem 04.01.2016 der marokkanischen Botschaft vor. Auf die weitere Dauer des Verfahrens bei den marokkanischen Behörden hat die beteiligte deutsche Ausländerbehörde keinen Einfluss.
g) Die Abschiebehaft wurde in der zentralen Abschiebehafteinrichtung in Mühldorf am Inn vollzogen (§ 62a Abs. 1 AufenthG).
h) Gemäß § 62 Abs. 4 AufenthG kann die Sicherungshaft bis zu sechs Monate angeordnet werden und in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Vorliegend hat der Betroffene die über sechs Monate hinausgehende Dauer bis zur Abschiebung und eine damit entsprechend lange Haft selbst zu vertreten und seine Abschiebung verhindert. Ein Verhindern setzt voraus, dass ein von dem Willen des Ausländers abhängiges pflichtwidriges Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung nicht erfolgen konnte, wenn also das für die Abschiebung bestehende Hindernis auf ein Tun, zu dessen Unterlassen er verpflichtet ist, oder auf ein Unterlassen zurückgeht, während er zu einem Tun verpflichtet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25.02.2010, V ZA 2/10). In den dem Betroffenen zuzurechnenden und von ihm hinnehmbaren Zeitraum fällt grundsätzlich auch das Prüfungsverfahren, das die Heimatbehörde bis zur positiven Bescheidung für sich in Anspruch nehmen kann (vgl. BGH, a. a. O.).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Betroffene hat die über drei Monate hinausgehende Dauer bis zur Abschiebung und eine damit entsprechend lange Haft selbst zu vertreten. Er hat nach seinen Angaben bei der Polizei seinen Pass zerrissen und ist anschließend ohne Pass nach Europa eingereist. Die Einlassung bei der Anhörung am 05.02.2016, dass ihm sein Reisepass von Schleusern abgenommen wurde, steht im Widerspruch zu den bisherigen Angaben des Betroffenen und wird als unglaubwürdig erachtet. Durch die Vernichtung des Reisepasses wurde ein langwieriges Verfahren zur Beschaffung des Passersatzpapieres erforderlich.
Trotz Belehrung anlässlich der persönlichen Anhörung am 05.02.2016 hat der Betroffene während der Bearbeitungszeit keine Versuche unternommen, die Bearbeitung durch eigene Anstrengungen zu beschleunigen (z. B. durch die Beschaffung einer Geburtsurkunde, einer ID-Karte, einer Passkopie) oder indem er sich selbst an die Botschaft/das Konsulat gewandt hätte, §§ 48 Abs. 3, 82 AufenthG. Durch die Übersendung von Papieren oder Beibringung von Bestätigungen durch Verwandte oder Bekannte des Betroffenen hätte sich das Verfahren beschleunigen lassen. Der Betroffene hat von Anfang an deutlich gemacht, an seiner Abschiebung nach Marokko nicht mitzuwirken. Zur Überzeugung der Kammer war das pflichtwidrige Verhalten des Betroffenen mitursächlich dafür, dass die Abschiebung bislang noch nicht durchgeführt werden konnte.
3. Die erneute Anhörung im Beschwerdeverfahren war nicht erforderlich. Der Betroffene wurde bei der erstmaligen Anordnung sowohl durch das Amtsgericht, als auch durch den beauftragten Richter der 4. Zivilkammer am 05.02.2016 persönlich angehört. Bei den Anhörungen zu den Verlängerungsanträgen äußerte der Betroffene dass er dazu nichts mehr zu sagen habe. Von einer erneuten Anhörung sind daher keine neuen Erkenntnisse zu erwarten (§ 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG).
4. Dem Betroffenen war antragsgemäß für beide Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe zu gewähren und wegen der Schwierigkeit der Rechtslage ein Rechtsanwalt beizuordnen (§ 76 Abs. 1 FamFG; § 114 ZPO).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
6. Die Festsetzung des Geschäftswerts der Beschwerde beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG.


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