Verwaltungsrecht

Verlängerung der Sicherungshaft wegen Vernichtung des Passes

Aktenzeichen  4 T 1933/16

Datum:
15.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 114890
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 48, § 62 Abs. 3 S. 1, § 106 Abs. 2
FamFG § 58 Abs. 1, § 63 Abs. 1, § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3
AsylG § 15 Abs. 2 Nr. 6

 

Leitsatz

Der Umstand, dass der Betroffene vor seiner Einreise seinen Pass vernichtet hat, ist geeignet, eine über sechs Monate hinausgehende Haftdauer zu begründen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 XIV 57/16 2016-06-02 Bes AGMUEHLDORF AG Mühldorf

Tenor

1. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der mit Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 02.06.2016, Az. 3 XIV 57/16 angeordneten Verlängerung der Haft wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.
3. Dem Betroffenen wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt U. L., B. Straße … H., zu den Bedingungen eines im Bezirk des Landgerichts Traunstein ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.
4. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Betroffene wurde bereits nach unerlaubter Einreise am 29.11.2015 nach Österreich zurückgewiesen. Erneut reiste er in der Folgezeit zu Fuß von Österreich aus kommend nach Deutschland ein. Bei einer polizeilichen Kontrolle am 03.12.2015 gegen 14.15 Uhr im Bereich der Gemeinde Anger konnte sich der Betroffene mit keinen aufenthaltslegitimierenden Dokumenten ausweisen. Der Betroffene wurde am 03.12.2015 wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise polizeilich vernommen (Bl. 17/20). Hierbei gab er an, er habe keinen Pass. Diesen habe er ins Meer geworfen, damit ihn keiner nach Marokko zurückschieben könne.
Mit Beschluss vom 04.12.2015 ordnete das Amtsgericht Laufen gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 03.06.2016 an, Az. XIV 41/15 (Bl. 37/40). Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen wies das Landgericht Traunstein mit Beschluss vom 22.01.2016, Az. 4 T 4349/15 (Bl. 42/50) zurück.
Am 27.01.2016 wurde der Betroffene vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: BAMF) mündlich angehört (Bl. 51/54). Mit Bescheid vom 05.02.2016 (Bl. 55/61) wurde der Asylantrag des Betroffenen abgelehnt und dem Betroffenen die Abschiebung angekündigt.
Am 25.05.2016 beantragte die beteiligte Behörde die Verlängerung der Anordnung der Freiheitsentziehung (Bl. 2/9). Zur Begründung führt sie aus, die benötigten Dokumente seien am 14.12.2015 an die marokkanische Botschaft in Berlin übersandt worden. Die hieran anschließende Überprüfung durch die marokkanischen Behörden dauere noch an, es seien regelmäßig Sachstandsanfragen erfolgt. Mit einem Ergebnis sei innerhalb der nächsten zwei Wochen zu rechnen.
Nach richterlicher Anhörung am 02.06.2016 (Bl. 68/69) ordnete das Amtsgericht Mühldorf am Inn mit Beschluss vom 02.06.2016 (Bl. 70/75) die Verlängerung der Sicherungshaft bis zum 15.06.2016 an.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.06.2016 (Bl. 78/79) legte der Betroffene gegen den Beschluss Beschwerde ein, beantragte die Feststellung der Rechtswidrigkeit und stellte Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe. Er begründete das Rechtsmittel ergänzend mit anwaltlichen Schriftsätzen vom 06.06.2016 (Bl. 82/83) und 09.06.2016 (Bl. 88/89). Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, einer Haftverlängerung stehe entgegen, dass der Betroffene seine Abschiebung nicht aktiv verhindert habe.
Das Amtsgericht Mühldorf am Inn half der Beschwerde nicht ab (Bl. 80).
Die beteiligte Behörde nahm am 07.06.2016 ergänzend Stellung (Bl. 84/87).
Mit Beschluss vom 13.06.2016, Az. 1 XIV 65/16 (Bl. 90/95) verlängerte das Amtsgericht Mühldorf am Inn auf Antrag der beteiligten Behörde die Sicherungshaft erneut bis zum 30.06.2016.
II.
1. Gegen die Anordnung der Verlängerung der Haft zur Sicherung der Abschiebung ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 58 Abs. 1 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Diese wurde fristgerecht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) eingelegt.
2. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der mit Beschluss vom 02.06.2016 angeordneten Verlängerung der Sicherungshaft ist unbegründet.
a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Antrag auf Verlängerung der Haft nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 bis 5 FamFG).
Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (BGH, Beschluss vom 10.10.2013 – V ZB 55/13 m.w.N.).
Daran gemessen lag der Verlängerung der Sicherungshaft ein zulässiger und ausreichend begründeter Haftantrag zugrunde.
Aus dem Verlängerungsantrag der beteiligten Behörde vom 25.05.2016 geht hervor, dass der Betroffene nach dem Rücknahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko nach Marokko abgeschoben werden soll.
Der Antrag enthält eine Begründung, warum die beabsichtigte Abschiebung innerhalb der zunächst angeordneten sechs Monate nicht möglich war, und warum diese in naher Zukunft möglich sein wird. Die benötigten Dokumente seien am 14.12.2015 an die marokkanische Botschaft in Berlin übersandt worden. Die hieran anschließende Überprüfung durch die marokkanischen Behörden dauere noch an, es seien regelmäßig Sachstandsanfragen erfolgt. Mit einem Ergebnis sei innerhalb der nächsten zwei Wochen zu rechnen.
b) Gemäß § 62 Abs. 3 S. 1 AufenthG kann die Sicherungshaft bis zu sechs Monate angeordnet werden. Sie kann in den Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Die Voraussetzungen dafür liegen vor. Der Betroffene hat seine Abschiebung verhindert.
Ein Verhindern setzt voraus, dass ein von dem Willen des Ausländers abhängiges pflichtwidriges Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung nicht erfolgen konnte, wenn also das für die Abschiebung bestehende Hindernis auf ein Tun, zu dessen Unterlassen er verpflichtet ist, oder auf ein Unterlassen zurückgeht, während er zu einem Tun verpflichtet ist (BGH, Beschluss vom 25.2.2010 – ZA 2/10 m.w.N.).
In den dem Betroffenen zuzurechnenden und von ihm hinnehmbaren Zeitraum fällt grundsätzlich auch das Prüfungsverfahren, das die Heimatbehörden bis zur positiven Bescheidung für sich in Anspruch nehmen (BGH, a.a.O.).
aa) Vorliegend hat der Betroffene im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung vom 03.12.2015 (Bl. 17/19) angegeben, seinen Pass ins Meer geworfen zu haben, um einer eventuellen Rückführung in sein Heimatland zu entgehen. In seiner Anhörung vor dem BAMF am 27.01.2016 hat er wiederholt ausgeführt, alle seine Papiere ins Meer geworfen zu haben. Dieses Verhalten stellt eine Vernichtung des Passes dar. In der Vernichtung des Passes liegt ein aktives Tun des Betroffenen, welches ein langwieriges Verfahren zur Beschaffung entsprechender Identitätspapiere ausgelöst hat. Diese sind Voraussetzung für eine Abschiebung, so dass das Verhalten des Betroffenen eine Verhinderung seiner Abschiebung darstellt (so auch Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 207. Aufl., § 62 AufenthG, Rn. 18; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., § 62 AufenthG, Rn. 141).
bb) Der Betroffene ist zudem gem. § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG als auch gem. § 48 AufenthG verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitiätspapiers mitzuwirken. Verweigert er die Mitwirkung, verhindert er gleichzeitig seine Abschiebung, denn dann erhält er von seinem Heimatstaat keine Ersatzpapiere, so dass er in diesen nicht einreisen und auch nicht abgeschoben werden kann.
Gegen diese Mitwirkungspflicht hat der Betroffene, der hierüber ausweislich der Niederschrift der Anhörung vor dem BAMF vom 27.01.2016 belehrt wurde, verstoßen. Er hätte zur Beschleunigung des Verfahrens beitragen können, indem er nähere Angaben zu seiner Herkunft im Heimatland, seinen Verwandtschaftsverhältnissen, und zu den Behörden, die Unterlagen über ihn führen, tätigt. Ebenfalls hätte er sich bemühen können, Kopien seiner Geburtsurkunde oder seines Passes beizubringen. Dass er über entsprechende Dokumente verfügt, dürfte sich aus dem Besitz eines Passes schließen lassen.
Sämtliche vorbezeichnete Maßnahmen hätten zu einer Beschleunigung des Verfahrens geführt.
c) Die Haftanordnung ist nicht deswegen rechtswidrig, weil die beteiligte Behörde die Abschiebungsvoraussetzungen nicht mit der gebotenen Beschleunigung betrieben hätte.
Diese steht – auch über ihren Verbindungsbeamten in Marokko – in ständigem persönlichen Kontakt mit dem zuständigen marokkanischen Innenministerium und hat gegenüber diesem wiederholt auf die Dringlichkeit des Verfahrens sowohl schriftlich als auch mündlich hingewiesen.
Das Verfahren wird mithin seit dem 14.12.2015 fortwährend betrieben.
d) Weiterhin ist die Haftanordnung auch nicht deswegen rechtswidrig, weil absehbar ist, dass die Abschiebung innerhalb des nach dem Gesetz vorgesehenen zeitlichen Rahmens unmöglich ist.
Zwar darf die Haft zur Sicherung der Abschiebung gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung dann nicht aufrechterhalten werden, wenn sich im Beschwerdeverfahren – wie vorliegend – ergibt, dass eine Abschiebung innerhalb des angeordneten Haftzeitraumes nicht mehr durchgeführt werden kann (BGH, Beschluss vom 10.04.2014 – V ZB 110/13). Zu berücksichtigen ist insoweit aber eine schon angeordnete Haftverlängerung (BGH, a.a.O.). Diese ist vorliegend durch Beschluss des Amtsgerichs Mühldorf am Inn vom 13.06.2016 erfolgt. Die beteiligte Behörde hat diese Haftverlängerung unverzüglich beantragt, als absehbar war, dass eine Abschiebung in dem ursprünglich beantragten Zeitraum nicht möglich ist.
e) Letztlich ist die Haftverlängerung auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu bejahen, § 62 Abs. 1 AufenthG. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung ist nicht gegeben. Meldeauflagen, die Verwahrung des Passes oder die Verfügung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, sind entweder nicht möglich, da der Betroffene keine Ausweisdokumente hat, oder nicht geeignet, die Abschiebung sicherzustellen. Aufgrund seiner polizeilichen Angaben zur Vernichtung seines Passes und des Grundes hierfür (Verhinderung der Abschiebung) ist zu befürchten, dass sich der Betroffene einer Abschiebung entziehen wird.
Wie bereits ausgeführt, liegt es am Betroffenen selbst, die Dauer seiner Haft durch entsprechende Mitwirkungshandlungen maßgeblich zu verkürzen.
3. Die Kammer hat von einer weiteren Anhörung im Beschwerdeverfahren abgesehen, da hiervon keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
5. Die Festsetzung des Beschwerdewertes ergeht gem. §§ 61 Abs. 1 S. 1, 36 Abs. 3 GNotKG.
6. Dem Betroffenen war antragsgemäß Verfahrenskostenhilfe zu gewähren und wegen der Schwierigkeiten der Rechtslage ein Rechtsanwalt beizuordnen, § 76 FamFG, § 114 ZPO.


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